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OVG Münster Beschluss vom 12.05.2014 - 16 B 330/14 - Sofortvollzug der Entziehung der Fahrerlaubnis bei Cannabiskonsum
OVG Münster v. 12.05.2014: Zum Sofortvollzug der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Fahreignungsmangel durch Cannabiskonsum
Das OVG Münster (Beschluss vom 12.05.2014 - 16 B 330/14) hat entschieden:
Zur Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen mangelnder Fahreignung durch Cannabiskonsum reicht es aus, wenn sich die Behörde zur Rechtfertigung des Sofortvollzugs auf die allgemein bekannten Auswirkungen des Drogenkonsums auf die Fahrtauglichkeit bezieht. Auf konkrete körperliche oder geistige Ausfallerscheinungen, die mit dem Cannabiskonsum zusammenhängen, kommt es nicht an, ebenso wenig wie auf die Zeitspanne, die seit dem Konsum verstrichen ist, oder auf die subjektive Befindlichkeit des Fahrzeugführers.
Siehe auch Die Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde und Stichwörter zum Thema Cannabis
Gründe:
Die Beschwerde, über die im Einverständnis der Beteiligten der Berichterstatter entscheidet (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 87a Abs. 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO), ist unbegründet. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung des angefochtenen Beschlusses führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 17. Februar 2014 genügt entgegen der Auffassung des Antragstellers den Anforderungen der Begründungspflicht des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Sie ist rein formeller Natur. Insoweit ist es unerheblich, ob die zur Begründung der Vollziehungsanordnung angeführten Gründe die sofortige Vollziehung auch tatsächlich rechtfertigen oder ob damit eine besondere Eilbedürftigkeit erschöpfend und zutreffend dargetan ist. Notwendig und zugleich ausreichend ist vielmehr, dass die Begründung erkennen lässt, dass und warum die Behörde in dem konkreten Einzelfall dem sofortigen Vollziehbarkeitsinteresse Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt.
Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 8. November 2011 - 16 B 24/11 -, juris, Rn. 3 ff., mit weiteren Nachweisen.
Letzteres ist hier der Fall. Die drohende weitere Verkehrsteilnahme von unter dem Einfluss von Cannabis stehenden Fahrerlaubnisinhabern beinhaltet eine Gefahrenlage, in der sich die Begründung für die Ordnungsverfügung selbst und diejenige für die sofortige Vollziehung typischerweise weitgehend decken. Daher reicht es aus, wenn sich die Behörde - wie hier - zur Rechtfertigung des Sofortvollzugs auf die allgemein bekannten Auswirkungen des Drogenkonsums auf die Fahrtauglichkeit bezieht.
Auch in der Sache ist die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin aller Voraussicht nach nicht zu beanstanden. Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist davon auszugehen, dass der Antragsteller derzeit fahrungeeignet ist und daher die in der angefochtenen Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin ausgesprochene und auf § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) (vgl. auch § 46 Abs. 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis im Klageverfahren Bestand haben wird. Insbesondere steht aufgrund des Vorfalls vom 23. September 2013 außer Frage, dass der Antragsteller nicht willens oder nicht fähig ist, zwischen dem Konsum von Cannabis und der Teilnahme am Straßenverkehr zu trennen (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV). Das folgt schon daraus, dass er an diesem Tag mit einer THC-Konzentration von 1,9 ng/ml im Blutserum ein Kraftfahrzeug geführt hat. Der Senat geht in Übereinstimmung mit der weit überwiegenden Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung davon aus, dass bereits ein im zeitlichen Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges ermittelter Wert ab 1,0 ng/ml THC im Serum die mangelnde Trennung belegt.
Hierzu ausführlich OVG NRW, Urteil vom 21. März 2013 - 16 A 2006/12 -, NJW 2013, 2841, mit zahlreichen Nachweisen.
Denn schon eine solche Wirkstoffkonzentration lässt es als möglich erscheinen, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war.
Vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. Dezember 2004 - 1 BvR 2652/03 -, NJW 2005, 349 = juris, Rn. 29; OVG NRW, Urteil vom 21. März 2013 - 16 A 2006/12 -, NJW 2013, 2841, 2842.
Auf konkrete körperliche oder geistige Ausfallerscheinungen, die mit dem Cannabiskonsum zusammenhängen, kommt es nicht an, ebenso wenig wie auf die Zeitspanne, die seit dem Konsum verstrichen ist, oder auf die subjektive Befindlichkeit des Fahrzeugführers.
Ein gelegentlicher Konsum des Antragstellers liegt in Bezug auf den festgestellten Cannabisgebrauch bei summarischer Prüfung vor. Die Analyse der dem Antragsteller am 23. September 2013 um 21.05 Uhr entnommenen Blutprobe hat eine THC-Konzentration von 1,9 ng/ml Serum ergeben. Nach anerkannten gerichtsmedizinischen Erkenntnissen ist nach einem Einzelkonsum, wie ihn der Antragsteller behauptet, der Wirkstoff THC im Blutserum nur vier bis sechs Stunden nachweisbar; lediglich in Fällen des vom Antragsteller gerade bestrittenen wiederholten oder gar regelmäßigen Konsums kann sich diese Zeitspanne auf gelegentlich über 24 Stunden verlängern.
Vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar, 2. Aufl. (2005), S. 178; Möller/Kauert/ Tönnes/Schneider/Theunissen/ Ramaekers, Leistungsverhalten und Toxikokinetik der Cannabinoide nach inhalativer Marihuanaaufnahme, Blutalkohol 43 (2006), S. 361, 363, 365, 372; Möller, in: Hettenbach/Kalus/Möller/Uhle, Drogen und Straßenverkehr, 2. Aufl. 2010, § 3 Rn. 109 ff.; zum Ganzen auch OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Juli 2010 - 16 B 571/10 -, und vom 27. Dezember 2012 - 16 B 1211/12 -, sowie Bay. VGH, Beschluss vom 23. Januar 2007 - 11 CS 06.2228 -, juris, Rn. 36 bis 42.
Daher kann ausgeschlossen werden, dass allein der vom Antragsteller eingestandene Cannabiskonsum am Vorababend vor dem Vorfall zu dem THC-Wert von 1,9 ng/ml geführt hat; vielmehr muss wenige Stunden vor der Fahrt vom 23. September 2013 ein weiterer Konsum stattgefunden haben.
Bei dieser Ausgangslage fällt die weitere Interessenabwägung zu Ungunsten des Antragstellers aus. In aller Regel trägt allein die voraussichtliche Rechtmäßigkeit einer auf den Verlust der Kraftfahreignung gestützten Ordnungsverfügung die Aufrechterhaltung der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen. Derartige Folgen, die im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.
Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 22. Oktober 2013 - 16 B 1124/13 -, juris, Rn. 9
Besondere Umstände, aufgrund derer vorliegend ausnahmsweise eine abweichende Bewertung veranlasst sein könnte, sind weder dargetan noch sonst erkennbar. Soweit die Beschwerde auf eine Drogenfreiheit des Antragstellers seit dem Vorfall am 23. September 2013 verweist, kommt diesem Umstand im Aussetzungsverfahren keine Bedeutung zu. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller seine Kraftfahreignung im maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung wiedererlangt hätte. Die Wiedererlangung der Kraftfahreignung setzt hier den Nachweis voraus, dass der Betroffene Cannabis nicht regelmäßig konsumiert oder bei gelegentlichem Konsum hinreichend zwischen Konsum und Führen eines Fahrzeugs trennt. Ob der Antragsteller diese Voraussetzungen erfüllt, ist nicht schon mit einem Verzicht auf Drogenkonsum nachgewiesen. Es bedarf zusätzlich des Nachweises, dass bezogen auf die Einnahme illegaler Drogen auf der Grundlage einer tragfähigen Motivation eine hinreichend stabile Verhaltensänderung eingetreten ist und daher für die Folgezeit eine günstige Prognose getroffen werden kann. Dieser Nachweis kann grundsätzlich - und so auch hier - nur auf der Grundlage einer medizinisch- psychologischen Begutachtung erbracht werden.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 6. Oktober 2006 - 16 B 1538/06 -, juris, Rn. 4, vom 2. April 2012 - 16 B 356/12 -, juris, Rn. 6 ff., und vom 20. März 2014 - 16 B 264/14 -, juris, Rn. 12.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).