Das Verkehrslexikon
VGH München Beschluss vom 24.04.2014 - 11 CS 14.288 - Einnahme von Methylphenidat (Ritalin) ohne ärztliche Verordnung
VGH München v. 24.04.2014: Zur fehlenden Fahreignung bei Einnahme von Ritalin ohne ärztliche Verordnung
Der VGH München (Beschluss vom 24.04.2014 - 11 CS 14.288) hat entschieden:
- Konsumiert der Betroffene das Medikament Ritalin ohne korrespondierende ärztliche Verordnung, so fehlt ihm die Fahreignung. Der zeitnahe Konsum wird nachgewiesen, wenn im Urin des Betroffenen mehr als 2,0 ng/ml Methylphenidat nachgewiesen werden. 2,0 ng/ml sind nicht die Nachweisgrenze für Methylphenidat, sondern lediglich die Bestimmungsgrenze, unterhalb der eine exakte Quantifizierung der Substanz nicht mehr möglich ist.
- Ob auch im Fall des ohne medizinische Indikation und ärztliche Verordnung erfolgten Konsums von Methylphenidat wie beim Konsum sog. harter Drogen eine Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlung zur Wiedererlangung der Fahreignung erforderlich ist, muss nicht entschieden werden. Zumindest ist der Nachweis zu fordern, dass die Substanz über einen relevanten Zeitraum nicht eingenommen worden ist und der Betroffene die Gewähr dafür bietet, künftig dieses Betäubungsmittel nicht mehr (ohne ärztliche Verordnung) zu konsumieren.
Siehe auch Ritalin - Methylphenidat und Drogen im Fahrerlaubnisrecht
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den Sofortvollzug der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, L, M und S mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. August 2013.
Der Fahrerlaubnisentziehung lag zugrunde, dass der Antragsteller dem ärztlichen Gutachten der pima-mpu GmbH vom 28. März 2013 zufolge neben gelegentlichem Cannabiskonsum Methylphenidat, den Wirkstoff des Medikaments Ritalin, ohne entsprechende ärztliche Verordnung und ohne korrespondierende Diagnose eingenommen hat. Zu der Anordnung des ärztlichen Gutachtens kam es, nachdem die Fahrerlaubnisbehörde davon erfahren hatte, dass der Antragsteller im Rahmen eines Strafverfahrens im Jahr 2011 zugegeben hat, Ritalin zu nehmen. In dem der medizinisch-psychologischen Begutachtung zugrundeliegenden Untersuchungsgespräch vom 7. Februar 2013 hat der Antragsteller eingeräumt, sich mit Ritalin beim Lernen „gedopt“ zu haben, in Zukunft brauche er aber keine Drogen mehr. Das Medikamentenscreening einer von ihm am 21. Februar 2013 abgegebenen Urinprobe mittels LC/MS/MS Analyse ergab laut Gutachten vom 28. März 2013 (S.7 unten) „Methylphenidat < 2,0 ng/ml sowie Ritalinsäure 13,4 ng/l“. Dieses Ergebnis wurde durch den TÜV Süd mit Untersuchungsbericht vom 8. März 2013, korrigiert unter dem 12. November 2013, bestätigt.
Das Verwaltungsgericht München hat den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Fahrerlaubnisentziehung abgelehnt. Der Antragsteller habe sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen, denn er habe zuletzt im Februar 2013 Ritalin konsumiert. Bei dem darin enthaltenen Wirkstoff Methylphenidat handle es sich um ein Betäubungsmittel i.S.d. Anlage III zu § 1 Betäubungsmittelgesetz und damit um eine Substanz im Sinn der Nr. 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung. Dass die Fahrerlaubnisbehörde von einem Fahreignungsverlust nach Nr. 9.4 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung ausging, sei unschädlich. Der Antragsteller habe die Fahreignung auch nicht gemäß Nr. 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung wiedererlangt, weil seit dem letztmaligen Konsum noch kein Jahr vergangen sei. Es bestehe kein Zweifel daran, dass der ursprünglich auf Seite 7 des ärztlichen Gutachtens angegebene Wert von 13,4 ng/l Ritalinsäure auf einem Versehen beruht habe und in Wahrheit entsprechend der späteren Berichtigung ein Wert von 13,4 ng/ml bestimmt worden sei. Auch bestehe kein Zweifel daran, dass die festgestellten Blutwerte auf einer Einnahme von Ritalin durch den Antragsteller beruhten.
Mit seiner Beschwerde gegen diesen Beschluss macht der Antragsteller geltend, aufgrund des Gutachtens sei gerade kein Nachweis für das Vorliegen des Stoffes Methylphenidat bei ihm erbracht. Die diesbezüglichen Rückschlüsse des Verwaltungsgerichts München seien nicht nachvollziehbar. Er habe sich von einem Fachmann erläutern lassen, welche Schlussfolgerungen aus den Laborergebnissen gezogen werden könnten. Ritalinsäure sei hiernach ein Abbauprodukt von Methylphenidat. Ritalinsäure könne auch ohne Einnahme von Ritalin in den Körper gelangen. Das Verwaltungsgericht ziehe aus dem Vorhandensein von Ritalinsäure irrig den Schluss der vorherigen Einnahme von Ritalin. Er habe kein Ritalin genommen. In den Laborberichten der pima-mpu GmbH und des TÜV Süd werde ein Methylphenidatwert von < 2,0 ng/ml angegeben. Dabei handle es sich lediglich um die Bestimmungsgrenze für diesen Stoff und es sei damit nicht belegt dass Methylphenidat beim Probanden tatsächlich vorhanden war. Fehlerhaft hätten die Fahrerlaubnisbehörde und das Verwaltungsgericht hieraus geschlossen, dass er noch im Februar 2013 Ritalin konsumiert habe. Auch die Berechnungen, des Verwaltungsgerichts dazu, warum der ursprünglich im pima-Gutachten angegebene Wert von 13,4 ng/l nicht stimmen könne, seien nicht nachvollziehbar.
Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen und beantragt, sie zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof auf die form- und fristgerecht dargelegten Gründe beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), bleibt ohne Erfolg.
Der Antragsteller hat ohne ärztliche Verordnung Methylphenidat, ein verkehrsfähiges Betäubungsmittel i.S.d. Anlage III zu § 1 BtMG, bekannt unter dem Handelsnamen Ritalin, konsumiert und sich deshalb als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Die Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs.1 FeV, Nr. 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung ist nach der im einstweiligen Rechtsschutz nur gebotenen summarischen Prüfung gerechtfertigt, denn der Antragsteller hat bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (14.8.2013) den Konsumverzicht nicht ausreichend nachgewiesen und die Fahreignung damit nicht wiedererlangt.
1. Der vom Antragsteller für die Vergangenheit zugegebene Betäubungsmittelkonsum steht gemäß der Aktenlage zur Überzeugung des Gerichts fest.
Aufgrund des zuletzt mit Schreiben der pima-mpu GmbH vom 11. Dezember 2013 berichtigten Untersuchungsergebnisses der vom Antragsteller am 21. Februar 2013 abgegebenen Urinprobe hat er in einem Zeitraum von Stunden oder Tagen vor der Abgabe dieser Urinprobe erneut Methylphenidat, den Wirkstoff des Medikaments Ritalin, zu sich genommen. Den fachkundigen Äußerungen der Gutachterin der pima-mpu GmbH vom 14. und 19. November 2013 sowie vom 11. Dezember 2013 zufolge, spricht der Befund < 2,0 ng/ml Methylphenidat in der Urinprobe des Antragstellers dafür, dass er dieses Betäubungsmittel kurz vor der Untersuchung konsumiert hat. 2,0 ng/ml sind nicht die Nachweisgrenze für Methylphenidat, sondern lediglich die Bestimmungsgrenze, unterhalb der eine exakte Quantifizierung der Substanz nicht mehr möglich ist. Damit steht mit der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erforderlichen Gewissheit fest, dass der Antragsteller Methylphenidat konsumiert hat. Dies wird bestätigt durch den Nachweis von 13,4 ng/ml Ritalinsäure in der Urinprobe. Hierbei handelt es sich um ein Abbauprodukt von Methylphenidat, das in dieser Konzentration auf einen vorherigen Konsum von Methylphenidat zurückzuführen ist. In der Beschwerde bestreitet der Antragsteller lediglich pauschal, dass das Vorkommen der Ritalinsäure in seiner Urinprobe auf die Einnahme des Medikaments Ritalin zurückzuführen sei. Die Ausführungen im angefochtenen Beschluss, wonach die Konzentration nicht von einer Aufnahme mit dem Trinkwasser herrühren kann, sind nachvollziehbar und werden in der Beschwerde nicht überzeugend erschüttert.
Dass in dem Bericht über die Untersuchung der am 21. Februar 2013 gesicherten Urinprobe zunächst irrig der gemessene Wert der Ritalinsäure mit „13,4 ng/l“ bezeichnet wurde, erschüttert nicht die Seriosität und Nachvollziehbarkeit des Gutachtens, sondern ist offenkundig auf ein Schreibversehen zurückzuführen. 13,4 µg/l Ritalinsäure entsprechen einem Wert von 13,4 ng/ml dieses Stoffes. Der Laborbericht des MVZ Weiden mit Ausgangsdatum 7. März 2013 (Bl. 158 der VG-Akte) weist eine Konzentration von 13,4 µg/l aus. Es liegt somit nahe, dass ein schlichter Übertragungsfehler passiert ist.
2. Der Antragsteller hat die Fahreignung zum maßgeblichen Zeitpunkt der Fahrerlaubnisentziehung mit Bescheid vom 14. August 2013 nicht wiedererlangt. Gemäß Nr. 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung ist von einer Wiedererlangung der Fahreignung nach dem Konsum von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes nach einer auf die Entgiftung und Entwöhnung folgenden mindestens einjährigen Abstinenz auszugehen. Ob auch im Fall des ohne medizinische Indikation und ärztliche Verordnung erfolgten Konsums von Methylphenidat wie beim Konsum sog. harter Drogen eine Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlung zur Wiedererlangung der Fahreignung erforderlich ist, muss nicht entschieden werden. Zumindest ist der Nachweis zu fordern, dass die Substanz über einen relevanten Zeitraum nicht eingenommen worden ist und der Betroffene die Gewähr dafür bietet, künftig dieses Betäubungsmittel nicht mehr (ohne ärztliche Verordnung) zu konsumieren.
Hieran fehlt es beim Antragsteller. Zwar hat er laut der im Gutachten vom 28. März 2013 dokumentierten Anamnese bei der Untersuchung am 7. Februar 2013 angegeben, kein Ritalin mehr zu nehmen. Über die sinngemäße Angabe hinaus, er sei mit der Schule fertig und brauche das Ritalin daher nicht mehr zur Leistungssteigerung, hat der Antragsteller aber nicht dargelegt, wie er einem künftigen erneuten Konsum vorbeugen wolle. Der positive Befund in der Urinprobe vom 21. Februar 2013 zeigt, dass er hierzu auch nicht über funktionierende Strategien verfügte. Zwar hat die zweite, vom Antragsteller am 15. März 2013 abgegebene Urinprobe keinen Hinweis auf Methylphenidat sowie Ritalinsäure erbracht. Damit ist allerdings nur belegt, dass einige Tage vor Sicherung der Probe kein Methylphendiat konsumiert wurde, denn Ritalinsäure als Abbauprodukt von Methylphenidat ist im Urin lediglich einige Tage nachweisbar. Weitere Nachweise darüber, dass der Antragsteller den Ritalinkonsum dauerhaft eingestellt hat, liegen (bis heute) nicht vor.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (http://www.bverwg.de/informationen/streitwertkatalog.php).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).