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OLG Bamberg Beschluss vom 21.08.2013 - 2 Ss OWi 653/13 - Rechtsbeschwerde gegen ein nach Einspruchseinlegung durch einen nicht betroffenen Dritten ergangenes Verwerfungsurteil

OLG Bamberg v. 21.08.2013: Zur Rechtsbeschwerde gegen ein nach Einspruchseinlegung durch einen nicht betroffenen Dritten ergangenes Verwerfungsurteil


Das OLG Bamberg (Beschluss vom 21.08.2013 - 2 Ss OWi 653/13) hat entschieden:
Ergeht nach Einspruchseinlegung durch einen nicht betroffenen Dritten ein Verwerfungsurteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG gegen den (tatsächlich) Betroffenen, weil das Gericht irrtümlich von dessen Einspruch ausgeht, ist auf seine Sachrüge hin das Urteil wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses, nämlich der Rechtskraft des Bußgeldbescheides, durch das Rechtsbeschwerdegericht aufzuheben. Der Einspruch des nicht betroffenen Dritten ist durch das Rechtsbeschwerdegericht unter Auferlegung der durch den Einspruch und dessen Verwerfung entstandenen Kosten des gerichtlichen Verfahrens als unzulässig zu verwerfen.


Siehe auch Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren und Bußgeldbescheid und Einspruch im Ordnungswidrigkeitenverfahren


Gründe:

I.

Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt verhängte gegen den Betroffenen A. mit Bußgeldbescheid vom 25.07.2012 wegen Unterschreitung des Sicherheitsabstandes zu einem vorausfahrenden Fahrzeug (bei einer Geschwindigkeit von 137 km/h betrug der Abstand weniger als 3/10 des halben Tacho- wertes) eine Geldbuße von 360 € sowie ein mit einer Anordnung gemäß § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats. Dieser Bußgeldbescheid wurde dem Betroffenen A. am 27.07.2012 zugestellt. Daraufhin gelangte am 30.07.2012 bei der Zentralen Bußgeldstelle ein Schriftsatz des Rechtsanwalts E.T. aus Frankfurt am Main, vom selben Tag per Telefax in Einlauf, in dem dieser unter Nennung des Aktenzeichens der Zentralen Bußgeldstelle (D - 1090-12345-12/7) er- klärte, „in der Bußgeldsache gegen B.“ bestelle er sich unter Vorlage einer auf ihn lautenden Vollmacht zum Verteidiger der betroffenen Mandantschaft und lege „Namens und mit Vollmacht der betroffenen Mandantschaft gegen den Bußgeldbescheid vom 25.07.2012 Einspruch ein“. Diesem Schriftsatz war eine von B., die denselben Nachnamen wie A. führt, erteilte Strafprozessvollmacht beigefügt. Im sich anschließenden Schriftsatz des Rechtsanwalts E.T. vom 23.08.2012, mit dem die Akte nach Gewährung von Akteneinsicht zurückgereicht wurde, wurde - wie ab dann in sämtlichen weiteren Schriftsätzen - die Angelegenheit als „Bußgeldsache gegen A.“ bezeichnet. Nach Aktenübersendung an die Staatsanwaltschaft und Aktenvorlage an das Amtsgericht erfolgte dort mit Verfügung vom 06.09.2012 „in dem Bußgeldverfahren gegen A.“ Bestimmung des Termins zur Hauptverhandlung auf 11.10.2012. In diesem Termin verwarf das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen A. gegen den Bußgeldbescheid vom 25.07.2012 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG. Das in Abwesenheit von Rechtsanwalt E.T. verkündete Urteil wurde an diesen am 26.10.2012 zugestellt. Mit Schriftsatz des Verteidigers vom 27.10.2012, beim Amtsgericht eingegangen am 29.10.2012, erfolgte - neben einem Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 74 Abs. 4 OWiG - Einlegung der Rechtsbeschwerde, die der Verteidiger im selben Schriftsatz mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründete. Dennoch verwarf das Amtsgericht, nachdem der Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 74 Abs. 4 OWiG rechtskräftig abgelehnt war die Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit Beschluss vom 06.03.2013 als unzulässig, weil innerhalb der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist keine Begründung der Rechtsbeschwerde eingegangen sei. Gegen diesen am 11.03.2013 zugestellten Beschluss beantragte der Verteidiger mit Schreiben vom 11.03.2013, beim Amtsgericht eingegangen am 12.03.2013, die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.


II.

1. Der gemäß § 346 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG zulässige Antrag des Betroffenen A. auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts hinsichtlich des Beschlusses des Amtsgerichts vom 06.03.2013, mit dem seine Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 11.10.2012 als unzulässig verworfen wurde, ist begründet. Das Urteil wurde dem Verteidiger am 26.10.2012 zugestellt. Bereits mit Einlegung der Rechtsbeschwerde (Schriftsatz des Verteidigers vom 27.10.2012, beim Amtsgericht eingegangen am 29.10.2012) wurde mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts in zulässiger Weise die allgemeine Sachrüge erhoben. Wenn sich - wie hier - das Ziel der Rechtsbeschwerde, nämlich die Anfechtung des Urteils insgesamt mit der allgemeinen Sachrüge, ergibt, ist das Fehlen eines Rechtsbeschwerdeantrags unschädlich (Göhler/Seitz OWiG 16. Aufl. § 79 Rn. 27a). Der angefochtene Beschluss vom 06.03.2013 war deshalb - ohne diesbezügliche Kostenentscheidung (vgl. Meyer-Goßner StPO 56. Auflage § 346 Rn. 12 m.w.N.) - aufzuheben.

2. Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts und zur Verwerfung des Einspruchs der B. als unzulässig.

a) B. hatte gegen den Bußgeldbescheid vom 25.07.2012, der gegen den denselben Nachnamen führenden Betroffenen A. gerichtet und ihm am 27.07.2012 zugestellt worden war, mit Schriftsatz des Rechtsanwalts E.T. vom 30.07.2012, dem eine Vollmacht zur Verteidigung und Vertretung von B. vom 05.07.2012 beigefügt war, Einspruch eingelegt. Anhaltspunkte dahingehend, dass sie diesbezüglich für A. in Vollmacht handelte, sind weder vorgetragen, noch ersichtlich. Ein Einspruch des tatsächlich vom Bußgeldverfahren betroffenen A., gegen den sich der Bußgeldbescheid richtete, liegt nicht vor.

b) Der Einspruch der B. gegen den - sie nicht betreffenden - Bußgeldbescheid vom 25.07.2012 war unzulässig, da von einem Unbefugten eingelegt. Der Einspruch hätte daher nach Vorlage der Akten beim Amtsgericht dort gemäß § 70 Abs. 1 OWiG verworfen werden müssen, was allerdings, da dieser Umstand offenbar unbemerkt blieb, nicht geschah.

c) Da die Unzulässigkeit des Einspruchs von B. erst im Rechtsbeschwerdeverfahren festgestellt wurde, hat, nachdem das Amtsgericht in Richtung gegen den tat- sächlich betroffenen A. am 11.10.2012 durch Verwerfungsurteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG entschieden hatte, nunmehr der Senat das Verwerfungsurteil auf die zulässige Rechtsbeschwerde von A. hin aufzuheben.

Die in zulässiger Weise gegen das Verwerfungsurteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG erhobene Sachrüge führt zur Prüfung des Fehlens von Verfahrensvoraussetzungen und des Vorliegens von Verfahrenshindernissen (Göhler/Seitz § 74 Rn. 48b). Diese Prüfung ergibt, dass dem Erlass des Verwerfungsurteils wegen unerlaubter Abwesenheit des Betroffenen A. in der Hauptverhandlung vom 11.10.2012 die Rechtskraft des gegen ihn gerichteten Bußgeldbescheids als Verfahrenshindernis entgegenstand (vgl. BGHSt 13, 306; BGHSt 26, 183; Göhler/Seitz § 70 Rn. 8). Da der Bußgeldbescheid bereits rechtskräftig war, weil ein Einspruch des Betroffenen A. nicht vorlag, ist im Rechtsbeschwerdeverfahren das Urteil des Amtsgerichts aufzuheben.

Desweiteren ist der Einspruch der nicht betroffenen B. als unzulässig zu verwerfen (BGH a.a.O.; Göhler/Seitz a.a.O.).


III.

1. Die Kostenentscheidung bezüglich der Verwerfung des Einspruchs der B. folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO in entsprechender Anwendung; B. hat erfolglos Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 25.07.2012 eingelegt. Allerdings waren weitere Kosten des gerichtlichen Verfahrens, insbesondere solche die durch die Anberaumung und Durchführung der Hauptverhandlung vom 11.10.2012 entstanden sind, gemäß § 21 GKG nicht zu erheben, da diese Kosten bei richtiger Behandlung der Sache - Verwerfung des Einspruchs von B. gemäß § 70 OWiG durch das Amtsgericht mit Beschluss außerhalb der Hauptverhandlung - nicht entstanden wären.

2. Aus diesem Grund hat der Senat auch die Nichterhebung der Kosten der Rechtsbeschwerde bei dem Betroffenen A. gemäß § 21 GKG angeordnet.

Allerdings ist mit dieser Anordnung nicht die Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen A. auf die Staatskasse verbunden. Dadurch, dass der Bußgeldbescheid vom 25.07.2012 bereits rechtskräftig war, da der Betroffene gegen ihn keinen Einspruch eingelegt hatte, hat auch das nach Einspruch von B. und Rechtsbeschwerde des Betroffenen A. durchgeführte Verfahren im Ergebnis zur Verurteilung des Betroffenen A. geführt. Ein verurteilter Betroffener hat aber stets die Kosten des Verfahrens und auch diejenigen eines letztlich erfolglos gebliebenen Rechtsmittels zu tragen. Die Tatsache, dass es noch nach Rechtskraft des Bußgeldbescheides durch eine unrichtige Sachbehandlung beim Amtsgericht zu einem Urteil und damit zu einem Rechtsbeschwerdeverfahren kam, rechtfertigt keine andere Beurteilung (vgl. BGHSt 13, 306/311).


IV.

Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG. Gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.