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OLG Bamberg Beschluss vom 04.09.2013 - 3 Ss OWi 1130/13 - Geschwindigkeitsüberschreitung durch Taxifahrer
OLG Bamberg v. 04.09.2013: Geschwindigkeitsüberschreitung durch Taxifahrer wegen Furcht vor Übergeben eines betrunkenes Fahrgastes
Das OLG Bamberg (Beschluss vom 04.09.2013 - 3 Ss OWi 1130/13) hat entschieden:
Die durch ein Übergeben eines betrunkenes Fahrgastes befürchtete Verunreinigung des Wageninnenraums eines Taxis vermag eine zur schnelleren Erreichung der nächstgelegenen Autobahnausfahrt begangene Geschwindigkeitsüberschreitung regelmäßig schon mangels Geeignetheit des zur Gefahrenabwehr eingesetzten Mittels nicht nach § 16 OWiG zu rechtfertigen.
Siehe auch Zu notstandsähnlichen Situationen bei Geschwindigkeitsüberschreitungen
Gründe:
I.
Mit Bußgeldbescheid vom 12.11.2012 wurden gegen den Betroffenenwegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit der Überschreitung derzulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossenerOrtschaften um 64 km/h eine Geldbuße in Höhe von 440 Euro sowie einFahrverbot für die Dauer von zwei Monaten nach Maßgabe des § 25Abs. 2a StVG verhängt. Das Amtsgericht hat den Betroffenen aufdessen Einspruch mit Urteil vom 25.02.2013 freigesprochen. Es hatdabei dessen Einlassung zugrunde gelegt, wonach er in seinerEigenschaft als Taxifahrer zwei betrunkene Fahrgäste befördert unddeswegen auf der Bundesautobahn die Geschwindigkeit überschrittenhabe, um die nächste Ausfahrt zu erreichen. Er habe damitverhindern wollen, dass der weibliche Fahrgast sich im Fahrzeugübergeben müsse und sein Fahrzeug mit Erbrochenem verunreinige. Mitder Rechtsbeschwerde rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzungmateriellen Rechts.
Die zur Rechtsbeschwerdebegründung der rechtsmittelführendenStaatsanwaltschaft vom 27.03.2013 abgegebene Stellungnahme desVerteidigers vom 18.06.2013 lag dem Senat ebenso vor wie die zurAntragsschrift der Staatsanwaltschaft bei demRechtsbeschwerdegericht vom 14.08.2013 abgegebene Gegenerklärungdes Verteidigers vom 03.09.2013.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerdeder Staatsanwaltschaft ist begründet. Das Amtsgericht hat denBetroffenen zu Unrecht wegen rechtfertigenden Notstandsfreigesprochen, indem es die Voraussetzungen eines rechtfertigendenNotstands im Sinne des § 16 OWiG rechtsfehlerhaft bejaht hat. DiePrämissen dieser Norm sind schon nach den eigenen Feststellungendes Amtsgerichts, die im Übrigen auch lückenhaft sind, nichterfüllt.
1. Im angefochtenen Urteil fehlt es bereits an einernachvollziehbaren Darlegung, dass die Überschreitung der zulässigenHöchstgeschwindigkeit überhaupt geeignet war, das vom Betroffenenverfolgte Ziel, nämlich die Verhinderung, dass der weiblicheFahrgast sich im Fahrzeug übergebe und deshalb das Wageninnereverunreinige, zu erreichen. Es entspricht gefestigter Ansicht inJudikatur und Schrifttum, dass das ausgewählte Abwehrmittelgeeignet sein muss, die Gefahr zu beseitigen (vgl. KK OWiG-Rengier3. Aufl. § 16 Rn. 17 m.w.N.). Insbesondere dann, wenn durch dieGeschwindigkeitsüberschreitung kein wesentlicher Zeitgewinn zuerwarten war, kann der Rechtfertigungsgrund des § 16 OWiG nichteingreifen (Rengier a.a.O.; BayObLGSt 1990, 105; KG, Beschluss vom26.10.1998 - 2 Ss 263/98 [„unabweisbarer Stuhldrang“],jeweils m.w.N.). Hierzu verhält sich das angefochtene Urteil abernicht. Es teilt insbesondere nicht mit, wieweit das Taxi von dernächsten Ausfahrt oder einem Parkplatz entfernt war. Deshalb kannnicht nachvollzogen werden, ob der Betroffene – bei dergebotenen ex-ante-Sicht (Rengier a.a.O.) – berechtigter Weiseannehmen durfte, er könnte durch schnelles Fahren die bevorstehendeVerunreinigung seines Fahrzeugs durch Erbrochenes verhindern. Diesgilt umso mehr, als es sich bei dem Übergeben um einen Reflexhandelt, der sich einer willentlichen Beeinflussung durch diebetroffene Person entzieht, und deshalb eine Verzögerung letztlichnicht möglich ist.
2. Ungeachtet dieser Erwägungen sind die Urteilsgründe aber auchdeshalb lückenhaft, weil sich ihnen nicht entnehmen lässt,inwiefern – abgesehen von einem Anhalten auf demSeitenstreifen – andere Mittel zur Verfügung gestandenhätten, um die Gefahr der Verunreinigung des Taxis abzuwehren. Esliegt in jeder Hinsicht nahe, dass in Taxis so genannte Brechtüten,wie dies in Flugzeugen üblich ist, mitgeführt werden. Dazu, ob dieshier der Fall war, verhält sich das angefochtene Urteil ebenfallsnicht.
3. Aber selbst unter Zugrundelegung der nur sehr knappentatsächlichen Feststellungen durch das Amtsgericht kann einrechtfertigender Notstand nicht angenommen werden. Denn die vomAmtsgericht durchgeführte Interessenabwägung weist grundlegendeRechtsfehler auf.
a) Soweit das Amtsgericht meint, der Lärmschutz habe hinter die„Sicherheit der Fahrgäste“ zurückzutreten, wählt esbereits einen falschen Ansatz. Denn die „Sicherheit“der Fahrgäste war durch das mögliche Erbrechen im Fahrzeuginnerenüberhaupt nicht berührt. Dies wäre eventuell nur dann der Fallgewesen, falls der Betroffene auf dem Seitenstreifen der Autobahnangehalten hätte, was aber gerade nicht die einzige Alternativewar. Deshalb war es geboten, die mögliche Verunreinigung desFahrzeuginneren, um deren Verhinderung es nach denUrteilsfeststellungen dem Betroffenen ging, in die Abwägungeinzustellen.
b) Unter Zugrundelegung der Feststellungen des Amtsgerichtsstanden sich mithin die potentielle Verunreinigung desFahrzeuginneren einerseits und das Interesse der Allgemeinheit ander Einhaltung der Verkehrsregeln im Allgemeinen sowie der Schutzder anwohnenden Bevölkerung vor nächtlicher Lärmbeeinträchtigung imBesonderen andererseits gegenüber. Im Rahmen der gebotenenBewertung kann indessen von einem Überwiegen des Interesses desBetroffenen nicht ausgegangen werden. Es handelt sich hierbei umdas Einzelinteresse des Betroffenen daran, dass das von ihmgesteuerte Fahrzeug nicht verunreinigt wird. Dies überwiegt schonvon vornherein nicht – wie es der eindeutige Wortlaut des §16 OWiG fordert – „wesentlich“ die Interessen derAnwohner an der Einhaltung des Lärmschutzes. Ungeachtet dessen istin diesem Zusammenhang zusätzlich zu berücksichtigen, dass derBetroffene es war, der die erkennbar Betrunkenen in seinem Taxiaufnahm. Dabei bedarf es im vorliegenden Fall auch überhaupt nichtder Beantwortung der von der Verteidigung aufgeworfenen Frage, obim konkreten Einzelfall eine Beförderungspflicht bestand. Dennentweder hatte der Betroffene entsprechende Vorsorge getroffen underforderliche Utensilien in Form von Brechtüten oder dergleichenmitgeführt, sodass – wie bereits angesprochen – sicheine Notstandssituation schon deswegen nicht stellte, oder er hatdies unterlassen, obwohl ihm klar sein musste, dass dringenderBedarf hierfür bestand. Wenn dem aber so war, so hätte er –insbesondere weil er in der Oktoberfestzeit erkennbar betrunkeneFahrgäste aufnehmen wollte - ganz massiv gegen die eigenenInteressen gehandelt und eine maßgebliche (Mit-)Ursache gesetzt,sodass auch deswegen seine Interessen hintanzustellen sind.
III.
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist daher dasUrteil des Amtsgerichts mit den Feststellungen und in derKostenentscheidung aufzuheben und die Sache an das Amtsgerichtzurückzuverweisen (§ 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 353 StPO; § 79 Abs. 6OWiG).
IV.
Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1OWiG.
Gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.