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OLG Stuttgart Beschluss vom 18.09.2013 - 3 W 46/13 - Schadensregulierung trotz fehlender Einsicht in die Ermittlungsakte

OLG Stuttgart v. 18.09.2013: Zur Schadensregulierung trotz fehlender Einsicht in die Ermittlungsakte


Das OLG Stuttgart (Beschluss vom 18.09.2013 - 3 W 46/13) hat entschieden:
  1. Ein Verzug der Kfz-Haftpflichtversicherung mit der Schadensregulierung nach Ablauf der angemessenen Prüfungsfrist von sechs Wochen wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass diese bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Einsicht in die Ermittlungsakte nehmen konnte. Die Entscheidung der Eintrittspflicht von einer vorherigen Einsicht in die Ermittlungsakte abhängig zu machen, ist grundsätzlich nicht geboten bzw. erforderlich.

  2. Hat der Kfz-Haftpflichtversicherer des Schädigers durch ein Telefonat mit dem zuständigen Polizeiposten den Sachverhalt zumindest in groben Zügen in Erfahrung bringen und mit den Einlassungen der Unfallbeteiligten abgleichen können, so ist es ihm, wenn ein Mitverschulden des Geschädigten nicht ausgeschlossen ist, zuzumuten, zumindest die Hälfte des geltend gemachten Schadens durch einen Vorschuss, gegebenenfalls unter dem Vorbehalt der Rückforderung und ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht, zu bezahlen.

Siehe auch Dauer der Schadenregulierung - angemessene Regulierungsfrist und Stichwörter zum Thema Schadensersatz und Unfallregulierung


Gründe:

Die zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten ist nicht begründet. Ermessensfehlerfrei ist das Landgericht gemäß § 91 a ZPO zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beklagten die Kosten des Rechtsstreits zu tragen haben, nachdem die Beklagte Ziff. 1 den vom Kläger geltend gemachten Schaden bezahlt hat. Auf die Gründe im Beschluss vom 25.07.2013 und im Nichtabhilfebeschluss vom 21.08.2013 wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Die Ausführungen der Beklagten in der sofortigen Beschwerde vom 12.08.2013 und im Schriftsatz vom 10.09.2013 führen zu keinem anderen Ergebnis.

Die Beklagten sind durch die mehrmaligen Zahlungsaufforderungen des Klägers bis zur Einreichung der Klage in Verzug geraten. Ein Verzug der Haftpflichtversicherung nach Ablauf der angemessenen Prüfungsfrist von 6 Wochen wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass diese bis zu jenem Zeitpunkt noch keine Einsicht in die Ermittlungsakten hat nehmen können. Denn der Haftpflichtversicherer kann sich über seinen Versicherungsnehmer bzw. evtl. mitversicherte Personen über den Sachverhalt unterrichten. Die Entscheidung der Eintrittspflicht von einer vorherigen Einsicht in die Ermittlungsakten abhängig zu machen, ist grundsätzlich nicht geboten bzw. erforderlich, zumal mit einer Akteneinsicht erfahrungsgemäß oft erst nach Monaten zu rechnen ist und ein entsprechendes Zuwarten den berechtigten Interessen des Geschädigten an einer raschen Regulierung zuwiderlaufen würde (OLG Dresden, Beschl. v. 29.06.2009, 7 U 499/09, zitiert nach Juris-Rn. 15).

Ermessensfehlerfrei hat das Landgericht diesen Grundsatz auf den vorliegenden Fall angewandt. Besondere Umstände, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung gebieten würden, liegen hier nicht vor. Dabei ist insbesondere festzustellen, dass bereits nach der Unfallschilderung des Beklagten Ziff. 2 (Anlage B 3), zumindest ein hälftiges Mitverschulden des Unfalls durch den Beklagten Ziff. 2 wahrscheinlich war. Die Darstellung des Beklagten Ziff. 2 bezüglich des Unfalls, wonach sein Fahrzeug durch seine Bremsung nach links in Richtung des klägerischen Fahrzeugs gezogen worden sein soll, ist schwer nachvollziehbar. Denn das Bestreben des Fahrzeuglenkers geht in der vom Beklagten Ziff. 2 geschilderten Verkehrssituation dahin, dem entgegenkommenden Fahrzeug auszuweichen, also hier nach rechts zu lenken. Dies war dem Beklagten Ziff. 2 auch möglich, weil die Kraftfahrzeuge heutzutage serienmäßig über ein Antiblockiersystem verfügen, so dass es auch im Fall einer Vollbremsung lenkbar bleibt. Folglich hätte der Beklagten Ziff. 1 bereits beim ersten Lesen der Unfallmeldung des Beklagten Ziff. 2 auffallen müssen, dass es sich dabei wohl um eine für den Beklagten Ziff. 2 günstige Darstellung, aber nicht um den tatsächlichen Geschehensablauf gehandelt haben dürfte. Die Beklagte Ziff. 1 hätte ferner durch ein Telefonat mit dem zuständigen Polizeiposten den Sachverhalt, wie er sich den unfallaufnehmenden Beamten dargestellt hat, zumindest in groben Zügen in Erfahrung bringen und mit den Einlassungen des Klägers und des Beklagten Ziff. 2 abgleichen können.

Vor diesem Hintergrund war es der Beklagten Ziff. 1 zumutbar, zumindest die Hälfte des geltend gemachten Schadens durch einen Vorschuss, ggf. unter Vorbehalt der Rückforderung und ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht, zu bezahlen. Aufgrund des Umstandes, dass die Beklagte Ziff. 1 stattdessen unter Hinweis auf die zeitlich nicht absehbare Übersendung der polizeilichen Ermittlungsakte und damit bis auf weiteres die Zahlung vollständig verweigert hat, hat sie im vorliegenden Fall Anlass zur Klagerhebung gegeben.

Der Beklagte Ziff. 2 muss sich das Verhalten der Beklagten Ziff. 1 zurechnen lassen, § 115 Abs. 1 Nr. VVG.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 ZPO liegen nicht vor. Der Beschwerdewert orientiert sich an den Kosten des Rechtsstreits.



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