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OLG Hamburg Beschluss vom 19.11.2013 - 2 Ws 56/12 - Kostenentscheidung in der Berufungsinstanz

OLG Hamburg v. 19.11.2013: Zur Kostenentscheidung in der Berufungsinstanz bei Teilrücknahme durch die Staatsanwaltschaft


Das OLG Hamburg (Beschluss vom 19.11.2013 - 2 Ws 56/12) hat entschieden:
  1. Hat die Staatsanwaltschaft ein zunächst unbeschränkt eingelegtes Rechtsmittel nachträglich beschränkt, ist diese spätere Beschränkung einer Teilrücknahme des Rechtsmittels gleichzustellen, die sich entsprechend § 473 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO zu Lasten des Rechtsmittelführers auswirkt.

  2. Da die Kosten und Auslagen, die bei einer alsbaldigen Berufungsbeschränkung vermieden worden wären, bereits im Wege der entsprechenden Anwendung des § 473 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO angemessen (zulasten der Staatskasse) berücksichtigt sind, ist hinsichtlich des mit dem verbliebenen Rechtsmittel erstrebten Ziels der Staatsanwaltschaft nicht mehr auf den Zeitpunkt der Berufungseinlegung, sondern auf denjenigen der Berufungsbeschränkung abzustellen.

  3. Im Beschwerdeverfahren über Kostengrundentscheidungen besteht kein Verschlechterungsverbot.

Siehe auch Rechtsmittel im Strafverfahren


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Hamburg verurteilte den Beschwerdeführer am 10. November 2011 wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Die Staatsanwaltschaft legte gegen dieses Urteil am 11. November 2011 – zunächst unbeschränkt – Berufung ein. Nach Zustellung des schriftlichen Urteils am 22. November 2011 rechtfertigte sie die eingelegte Berufung am 25. November 2011 damit, das Amtsgericht sei zu Unrecht von einer eingeschränkten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ausgegangen und der Beschwerdeführer hätte wegen gefährlicher Körperverletzung sowie zu einer deutlich höheren Freiheitsstrafe verurteilt werden müssen. Die Strafaussetzung zur Bewährung sei nicht zu rechtfertigen.

In der Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Hamburg, Kleine Strafkammer 5e, vom 29. März 2012 beschränkte der Vertreter der Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel auf das Strafmaß und erklärte, dass seitens der Staatsanwaltschaft nur noch beabsichtigt sei, eine längere Freiheitsstrafe mit Aussetzung zur Bewährung zu beantragen.

Der Verteidiger stimmte in Anwesenheit des Verurteilten dieser Beschränkung zu.

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft beantragte schließlich,
den Verurteilten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, zu verurteilen.
Der Verteidiger beantragte,
die Berufung der Staatsanwaltschaft zu verwerfen.
Das Landgericht Hamburg änderte daraufhin das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 11. November 2011 dahingehend, dass der Verurteilte wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt und die weitergehende Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen wird.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung des am 29. März 2012 verkündeten Urteils lautet dahingehend, dass die Staatskasse die Hälfte der Kosten des Berufungsrechtszuges einschließlich der insoweit entstandenen Auslagen des Verurteilten trägt und im Übrigen der Verurteilte die Kosten des Berufungsrechtszugs einschließlich seiner insoweit entstanden notwendigen Auslagen trägt.

Der Verurteilte hat durch seinen Verteidiger – unter Verzicht auf Rechtsmittel gegen das Urteil im Übrigen – gegen diese Kosten- und Auslagenentscheidung mit einem am 3. April 2012 bei der gemeinsamen Annahmestelle eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat darauf angetragen, die sofortige Beschwerde auf Kosten des Beschwerdeführers zu verwerfen.


II.

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist statthaft (§ 464 Abs. 3 S. 1 StPO) sowie auch im Übrigen zulässig (§§ 311 Abs. 2, 304 Abs. 3, 306 Abs. 1 StPO). Sie führt in der Sache dazu, die Kosten- und Auslagenentscheidung wie tenoriert zu ändern.

1. Soweit die Staatsanwaltschaft in der Berufungshauptverhandlung die Berufung nachträglich beschränkt hat, sind die gerichtlichen Auslagen und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen.

Hat die Staatsanwaltschaft ein zunächst unbeschränkt eingelegtes Rechtsmittel nachträglich beschränkt, ist diese spätere Beschränkung einer Teilrücknahme des Rechtsmittels gleichzustellen, die sich entsprechend § 473 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO zu Lasten des Rechtsmittelführers auswirkt (OLG Düsseldorf, VRS 1996, 213; OLG Hamm, NStZ-​RR 1998, 221; OLG Köln, StV 1993, 650; OLG München, NStZ-​RR 1997, 192; Hilger in Löwe-​Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 473 Rdn. 41 m.w.N.). Insofern ist der Angeklagte von denjenigen Kosten und Auslagen freizustellen, die bei einer von vornherein beschränkten Rechtsmitteleinlegung nicht entstanden wären (OLG Düsseldorf MDR 1982, 518; Hilger a.a.O. 473 Rdn. 46).

Eine Belastung der Staatskasse erfolgt aber nur insoweit, als die Kosten und Auslagen des Angeklagten bei alsbaldiger, also bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist erklärten Berufungsbeschränkung vermeidbar gewesen wären. Erklärt nämlich ein Berufungsführer die Beschränkung seines Rechtsmittels vor dem Ablauf der Revisionsbegründungsfrist, liegt hierin lediglich eine Rechtsmittelkonkretisierung, auf die § 473 Abs. 1 StPO keine Anwendung findet (Beschluss des Senats vom 12. Juni 2006, 2 Ws 150/06; Beschluss des Senats vom 6. Dezember 2006, 2 Ws 119/06).

Die betragsmäßige Abgrenzung erfolgt im Kostenansatz bzw. Kostenfestsetzungsverfahren (Beschluss des Senats vom 12 Juni 2006, 2 Ws 150/06; Gieg in KK-​StPO, 7. Auflage, § 473 Rdn. 6; Hilger a.a.O. Rdn 44).

2. Im Übrigen folgt die Kostentragungspflicht vorliegend zu Lasten des Verurteilten aus § 465 Abs. 1 StPO, da die weiteren Kosten des Verfahrens wegen derjenigen Tat entstanden sind, deretwegen er verurteilt worden ist.

Insbesondere ergibt sich keine andere Kostenverurteilung aus § 473 StPO.

a. § 473 Abs. 3 StPO findet schon keine Anwendung auf Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft (Degener in SK-​StPO , 4. Auflage, § 473 Rdn 34; Gieg, a.o.O.).

b. Auch aus § 473 Abs. 4 StPO, wonach im Falle eines nur teilweise erfolgreichen Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft die gerichtlichen Auslagen und die notwendigen Auslagen des Angeklagten nach Billigkeitsgesichtspunkten zwischen Staatskasse und Angeklagten angemessen verteilt werden können (vgl. Hilger, a.a.O. Rdn. 41, 47 und 48), ergibt sich keine anderweitige Kostenverteilung, da die Berufung der Staatsanwaltschaft nicht nur einen Teilerfolg, sondern vollen Erfolg hatte.

„Erfolg“ im Sinne des § 473 StPO bedeutet grundsätzlich eine erstrebte und erreichte Änderung der mit dem Rechtsmittel angefochtenen Entscheidung (Hilger, a.a.O. Rdn. 22). Ein Erfolg des Rechtsmittels liegt deshalb vor, wenn der Beschwerdeführer das erstrebte Ziel vollständig oder im Wesentlichen erreicht (Hilger, a.a.O. Rdn 24; Gieg, a.a.O. Rdn 4).

Da die Kosten und Auslagen, die bei einer alsbaldigen Berufungsbeschränkung vermieden worden wären, bereits im Wege der entsprechenden Anwendung des § 473 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO angemessen (zulasten der Staatskasse) berücksichtigt sind, ist hinsichtlich des mit dem verbliebenen Rechtsmittel erstrebten Ziels der Staatsanwaltschaft nicht mehr auf den Zeitpunkt der Berufungseinlegung, sondern auf denjenigen der Berufungsbeschränkung abzustellen.

Gemessen hieran hat die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittelziel im Wesentlichen erreicht.

Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Berufung in der Hauptverhandlung vom 29. März 2012 auf das Strafmaß beschränkt und dabei erklärt, dass sie nur noch eine längere Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden könnte, erstrebt. Indem das Landgericht die durch das Amtsgericht ursprünglich verhängte Freiheitsstrafe von 6 Monaten auf 8 Monate erhöht und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe weiterhin zu Bewährung ausgesetzt hat, hat die Staatsanwaltschaft diese Ziele im Wesentlichen erreicht.

Der zwischen dem Antrag der Staatsanwaltschaft und dem Strafausspruch des Landgerichts verbliebenen Differenz von nur zwei Monaten kommt dabei – in Anbetracht des Spielraums, welcher dem Landgericht bei der Bestimmung der konkreten Strafe innerhalb des der durch den Schuldrahmen gezogenen Grenzen zur Verfügung steht (vgl. hierzu Fischer, StGB, 60. Auflage, § 46 Rdn. 20) – kein wesentliches Gewicht zu.

3. Obgleich die durch den Senat gemäß § 309 Abs. 2 StPO für das Berufungsverfahren getroffene Kosten- und Auslagenregelung für den Beschwerdeführer ungünstiger als die Kostenentscheidung des Landgerichts ist, steht ein Verschlechterungsgebot der Entscheidung nicht entgegen, da dieses im Beschwerdeverfahren über Kostengrundentscheidungen nicht besteht (Beschluss des Senats vom 10. Juli 2006, Az.: 2 Ws 111/06; h.M., vgl. BGHSt 5, 52, 53; Meyer-​Goßner, StPO, 56. Auflage, § 464 Rdn 26).


III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 Alt 2.StPO.