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OLG Hamm Urteil vom 09.12.2013 - I-6 U 54/13 - Auffahrunfall nach Abbremsen ohne zwingenden Grund
OLG Hamm v. 09.12.2013: Zur Haftung bei einem Auffahrunfall nach Abbremsen ohne zwingenden Grund
Das OLG Hamm (Urteil vom 09.12.2013 - I-6 U 54/13) hat entschieden:
Kommt es zu einem Auffahrunfall, weil ein Pkw ohne zwingenden Grund stark abgebremst wird und der Auffahrende den gemäß § 4 StVO vorgeschriebenen Abstand nicht einhält, kann eine hälftige Schadensteilung gerechtfertigt sein.
Siehe auch Auffahrunfall - Bremsen des Vorausfahrenden und Stichwörter zum Thema Auffahrunfälle
Gründe:
Der Kläger verlangt über vorprozessuale Leistungen der Beklagten hinaus Schadensersatz aus Anlass eines Verkehrsunfalls, der sich am 02. April 2011 in C ereignete. Gegen 15.00 Uhr befuhr der Beklagte zu 1) mit dem Pkw C2 der Beklagten zu 2), einem Fahrzeug mit Automatikgetriebe, die Autobahnausfahrt der A ... Ihm folgte der Zeuge B mit dem Motorrad des Klägers. In der irrigen Annahme, einen Pkw mit Schaltgetriebe zu fahren und zum Schalten das Kupplungspedal treten zu müssen, trat der Beklagte auf das Bremspedal, wodurch der Pkw stark abgebremst wurde. Obwohl der Zeuge B sofort eine Vollbremsung einleitete, stieß das Motorrad gegen das Heck des Pkw.
Nach Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung und Einholung eines technischen Gutachtens zum Unfallhergang hat das Landgericht dem Kläger zwei Drittel des im Berufungsverfahren nicht mehr streitigen Schadens zuerkannt.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Beklagten hat zum Teil Erfolg. Denn die Abwägung der Schadensverursachungsanteile gemäß § 17 Abs. 2 StVG führt zu hälftiger Schadensteilung.
Der Pkw der Beklagten zu 2) ist i. S. d. § 4 Abs. 1 S. 2 StVO ohne zwingenden Grund stark abgebremst worden, und zwar aus einer Ausganggeschwindigkeit von ca. 50 km/h. Für den nachfolgenden Verkehr begründete dies eine erhebliche Gefahr. Entgegen der Auffassung der Beklagten verringerte sich die Gefahr nicht dadurch, dass man auf eine Lichtzeichenanlage zufuhr. Denn mit einem starken Bremsen musste der nachfolgende Verkehr jedenfalls rund 80 m vor der Lichtzeichenanlage grundsätzlich nicht rechnen, zumal das Signal auf Grünlicht geschaltet war und sich vor dem Pkw keine weiteren Fahrzeuge befanden.
Auf Seiten des Klägers war die Betriebsgefahr die Motorrades gesteigert, weil der Zeuge B den gem. § 4 StVO vorgeschriebenen Abstand nicht einhielt. Statt mindestens 20 m wie bei der gefahrenen Geschwindigkeit erforderlich betrug der Abstand nach dem Beweisergebnis nur 7 m. Ein Reaktionsverschulden ist dem Zeugen B hingegen nicht anzulasten.
Bei der Abwägung der Schadensverursachungsbeiträge hat der Senat berücksichtigt, dass sich die Art der am Unfall beteiligten Fahrzeuge einschließlich der Instabilität eines Motorrades nicht in solcher Weise ausgewirkt hat, dass hierdurch eine unterschiedliche Gewichtung der Betriebsgefahren geboten wäre. Gleiches gilt bezüglich des beiderseitigen Unfallverschuldens. Dem Beklagten zu 1) kann nur leichte Fahrlässigkeit angelastet werden, weil er lediglich einen Augenblick lang nicht bedacht hat, dass er einen Pkw mit Automatikgetriebe benutzte. Auch das Unfallverschulden des Zeugen B erscheint gering, weil er sehen konnte, dass die Fahrbahn vor dem Pkw frei war und kein konkreter Anlass bestand, mit einer starken Bremsverzögerung des Pkw zu rechnen.
Der Senat orientiert sich an der Rechtsprechung, nach der die Mithaftung des Vorausfahrenden um so größer sein muss, je unwahrscheinlicher nach der Verkehrssituation ein starkes Abbremsen ist (vgl. KG Berlin MDR 2006, 1404; auch OLG Karlsruhe NJW 2013, 1968). Diese Wahrscheinlichkeit war in der vorliegenden Sache durchaus gering. Dennoch erachtet der Senat eine mehr als hälftige Haftung der Beklagten nicht als sachgerecht, weil das Fehlverhalten der am Unfall beteiligten Fahrer ungefähr gleich schwer wiegt.
Die Schadenshöhe (9.186,40 Euro) ist im Berufungsverfahren unstreitig, so dass dem Kläger insgesamt 4.593,20 Euro zustehen. Abzüglich vorprozessual geleisteter 3.062,12 verbleibt ein Restanspruch in Höhe von 1.531,08 Euro.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 543, 708 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung liegen nicht vor.