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OLG München Urteil vom 21.03.2014 - 10 U 3341/13 - Schmerzensgeld bei Vorfahrtverletzung eines alkoholisierten Unfallverursachers

OLG München v. 21.03.2014: Schmerzensgeldanspruch bei Unfallverletzung nach Vorfahrtverletzung eines alkoholisierten Kfz-Führers


Das OLG München (Urteil vom 21.03.2014 - 10 U 3341/13) hat entschieden:
Ein Schmerzensgeld von 13.000 Euro ist angemessen, wenn der mit 1,56 Promille alkoholisierte Unfallverursacher dem Verletzten die Vorfahrt genommen hatte, der Verletzte bei dem Unfall eine HWS-Distorsion 1. Grades und eine Prellung des Unterarms und der Tibia links erleidet und er auch noch mehr als 9 Monate nach dem Unfall arbeitsunfähig ist, was primär jedoch nicht auf das Unfallgeschehen, sondern auf die nachfolgende unzureichende Schmerztherapie zurückzuführen ist und ihm ein Mitverschulden in Form einer Verweigerung ärztlich angeratener Behandlung nicht nachgewiesen werden kann.


Siehe auch Schmerzensgeld


Gründe:

A.

Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche (Erwerbsschaden, Schmerzensgeld, Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für alle Zukunftsschäden sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten) aus einem Verkehrsunfall vom 13.10.2009 gegen 01.15 Uhr auf der KS 14 in A./Gemeinde A. bei km 3.700 geltend.

Bei diesem Unfall hatte der Versicherungsnehmer der Beklagten dem Kläger die Vorfahrt genommen. Der Versicherungsnehmer stand unter Alkoholeinfluss, er war mit 1,4 Promille alkoholisiert. Das alleinige Verschulden des Versicherungsnehmers der Beklagten und somit die 100%-​ige Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig. Der Kläger erlitt bei dem Unfall folgende unstreitige Verletzungen: HWS-​Distorsion 1. Grades, Prellung des Unterarms und der Tibia links. Nach dem Unfall wurde der Kläger zunächst im Krankenhaus P. ambulant behandelt, die ärztliche Weiterbehandlung erfolgte durch seinen Hausarzt und den Orthopäden K. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger jedenfalls bis Mitte Januar 2010 unfallbedingt arbeitsunfähig war. Hinsichtlich des Parteivortrags und den tatsächlichen Feststellungen 1. Instanz wird im Übrigen auf das angefochtene Urteil vom 16.07.2013 (Bl. 110/121 d. A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

Das LG hat nach Beweisaufnahme dem Kläger ein über die bereits gezahlten 2.000,00 € hinaus zu zahlendes Schmerzensgeld in Höhe von weiteren 3.000,00 € nebst Zinsen zugesprochen, darüber hinaus dem Feststellungsantrag stattgegeben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses dem Kläger am 01.08.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem beim Oberlandesgericht München am 21.08.2013 eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 20.08.2013 Berufung eingelegt (Bl. 125 d. A.) und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit einem beim Oberlandesgericht München am 31.10.2013 eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigen (Bl. 129/135 d. A.) begründet.

Der Kläger rügt, das Erstgericht habe die bei der Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes zu berücksichtigenden Bemessungsfaktoren zum Teil gar nicht, zum Teil falsch zur Kenntnis genommen und deshalb auch nicht in hinreichendem Maße berücksichtigt. Allein schon aufgrund der ungewöhnlich langen Dauer und Intensität der gesundheitlichen Beeinträchtigungen, sowie der zunächst vollständigen und dann sukzessive sich bis auf den jetzigen Zustand verringernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers hätte das Gericht ein wesentlich höheres Schmerzensgeld zusprechen müssen. Völlig unberücksichtigt sei in dem Urteil auch geblieben, dass der Versicherungsnehmer der Beklagten den Unfall durch eine grobe Vorfahrtsverletzung im Zustand absoluter Volltrunkenheit verursacht habe. Hinsichtlich des Verdienstausfallschadens habe das Erstgericht die Besonderheiten des streitgegenständlichen Unfalls, nämlich dass der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls erst am Anfang seiner selbständigen Berufstätigkeit gestanden ist, nicht berücksichtigt. Die Forderung des Erstgerichts, über die vorgelegten Unterlagen und die angebotenen Aussagen des Steuerberaters hinaus detaillierte und substantiierte weitere Ausgangs- bzw. Anknüpfungstatsachen darzulegen, habe nicht erfüllt werden können, da auf den Betrieb bezogene weitere Tatsachen und Beweismittel nicht beizubringen waren. Deshalb habe der Kläger ein Sachverständigengutachten angeboten. Diesem Beweisantrag sowie dem Antrag, auch den Steuerberater anzuhören, hätte das Erstgericht entsprechen müssen. Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren, die dem Prozessbevollmächtigten des Klägers noch nicht bezahlt wurden, stehe dem Kläger gegen die Beklagte ein Freistellungsanspruch zu.

Der Kläger beantragt zuletzt,
  1. unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Traunstein vom 25.07.2013 (Az.: 8 O 3009/11) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger über die bereits gezahlten 2.000,00 € hinaus ein weiteres Schmerzensgeld nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.04.2010 zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, einen Betrag in Höhe von 8.000,00 € jedoch nicht unterschreiten sollte,

  2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 23.180,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.03.2010 zu bezahlen,

  3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 13.10.2009 zu ersetzen, soweit dieser nicht auf Dritte übergeht,

  4. die Beklagte zu verurteilen, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.307,81 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 23.08.2011 zu Händen von Rechtsanwalt Peter B., K., zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das Ersturteil im wesentlichen unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

Ergänzend wird auf die vorgenannte Berufungsbegründungsschrift, die Berufungserwiderung vom 20.02.2014 (Bl. 145/149 d. A.) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 21.03.2014 (Bl. 151/155 d.A.) Bezug genommen.


B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache hinsichtlich des Schmerzensgeldanspruchs Erfolg.

I.

Dem Kläger ist über das bereits außergerichtlich bezahlte Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,00 € hinaus ein weiteres - ohne Verstoß gegen § 308 I ZPO (vgl. BGHZ 132, 341 (350 f.) = NJW 1996, 2425 = VersR 1996, 990 - VI. ZS; NJW 2002, 3769 = VersR 2002, 1521 - III. ZS; OLG Düsseldorf NJW 2011, 1152) auch etwas über den klägerischen Vorstellungen liegendes - Schmerzensgeld in Höhe von 11.000,00 € zuzusprechen.

1. Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten sind oder zu diesem Zeitpunkt mit ihnen als künftiger Verletzungsfolge ernstlich gerechnet werden muss (BGH VersR 1976, 440; 1980, 975; 1988, 299; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]; Senat, Urt. v. 01.07.2005 - 10 U 2544/05 [juris] = SVR 2006, 180 [nur Ls.]); v. 14.07.2006 - 10 U 2623/05 [juris]; v. 27.10.2006 - 10 U 3345/06 [juris]; v. 24.11.2006 - 10 U 2555/06 [juris]; v. 13.08.2010 - 10 U 3928/09 [juris = NJW-​Spezial 2010, 617 = VA 2010, 185 ]; v. 24.09.2010 - 10 U 2671/10 [juris]; v. 29.10.2010 - 10 U 3249/10 [juris]).

a) Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt (grdl. RG, Urt. v. 17.11.1882 - RGZ 8, 117 [118] und BGHZ - GSZ - 18, 149 ff. = VersR 1955, 615 ff. = NJW 1955, 1675 ff. = MDR 1956, 19 ff.; ferner BGH NJW 2006, 1068 [1069]; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]; Senat, Urt. v. 01.07.2005 - 10 U 2544/05 [juris] = SVR 2006, 180 [nur Ls.]; v. 14.07.2006 - 10 U 2623/05 [juris]; v. 27.10.2006 - 10 U 3345/06 [juris]; v. 24.11.2006 - 10 U 2555/06 [juris]; v. 13.08.2010 - 10 U 3928/09 [juris = NJW-​Spezial 2010, 617 = VA 2010, 185 ]; v. 24.09.2010 - 10 U 2671/10 [juris]; v. 29.10.2010 - 10 U 3249/10 [juris]).

Besonderes Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu (OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]); OLG Brandenburg, Urt. v. 08.03.2007 - 12 U 154/06 [juris]; Senat a.a.O.).

b) Der Berufungsführer hat zu Recht gerügt, dass das Erstgericht den erheblichen Dauerfolgen der Verletzungen nicht das ihnen zukommende besondere Gewicht beigemessen hat.

Wie der Sachverständige Dr. Peter N. in seinem Gutachten vom 15.01.2013 (Bl. 75 ff. d. A.) ausführlich und überzeugend hervorhebt, ist im gesamten Behandlungsverlauf von Beginn der ärztlichen Behandlung durch den Orthopäden K. und die anderen behandelnden Ärzte bis zum Tag der Untersuchung am 09.01.2013 auffallend, dass zu keinem Zeitpunkt eine ausreichende Schmerztherapie durchgeführt worden ist. Auch bei der genannten Untersuchung war eine deutliche Verhärtung der Muskulatur im oberen Bereich des Trapezmuskels beidseits der Halswirbelsäule festzustellen. Die Nerven, die diesen Bereich und das Hinterhaupt sensibel versorgen, treten durch die genannten Muskelabschnitte hindurch. Durch eine verhärtete Nackenmuskulatur kommt es ganz natürlich zu einer Reizung dieser sensiblen Nervenfasern und damit sehr häufig auch zu Schmerzäußerungen im Schulter- und Nackenbereich und am Hinterhaupt. Die Schmerzlokalisation beim Kläger ist hier geradezu als klassisch zu bezeichnen. Aus Sicht des Sachverständigen ist die anhaltende Schmerzsymptomatik vor allem dadurch verursacht, dass zu keinem Zeitpunkt der medizinischen Behandlung eine ausreichende Schmerztherapie durchgeführt worden ist. Dadurch ist es zu einer Chronifizierung der Beschwerdesymptomatik gekommen. Insgesamt hat die Beschwerdesymptomatik aus Sicht des Sachverständigen seit dem Unfallgeschehen (13.10.2009) eine deutliche Besserung erfahren, wenn auch durch die Chronifizierung eine mögliche vollständige Ausheilung noch nicht eingetreten ist. Wie der Sachverständige auf S. 27 seines Gutachtens ausführt, war der Kläger auch noch mehr als 9 Monate nach dem Unfall arbeitsunfähig. Dies ist primär jedoch nicht auf das Unfallgeschehen, sondern auf die nachfolgende unzureichende Schmerztherapie zurückzuführen. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist es den insoweit beweisbelasteten Beklagten nicht gelungen, dem Kläger ein Mitverschulden in Form einer Verweigerung ärztlich angeratener Behandlung nachzuweisen. Damit verbleibt es beim Grundsatz, dass der Schädiger auch für die unzureichende medizinische Behandlung haftet. Wie der Sachverständige weiter ausführt, war dem Kläger wegen der Chronifizierung der Beschwerden auch zum Zeitpunkt der Begutachtung am 09.01.2013 eine Vollzeittätigkeit nicht zuzumuten. Es ist davon auszugehen, dass eine mehrstündige Arbeitsfähigkeit des Klägers etwa ab Beginn des Jahres 2011 wieder bestanden hat. Im Zeitpunkt der Gutachtenserstellung am 15.01.2013 ist der Sachverständige davon ausgegangen, dass eine Erwerbstätigkeit im Umfang von 6 Stunden täglich, 5 Tage die Woche, möglich erscheint.

2. Im Rahmen der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes ist, wie der Berufungsführer zutreffend betont, auch die Trunkenheit des Unfallverursachers, dessen BAK von 1,56‰ sich auf den Unfallverlauf (Übersehen des von links kommenden klägerischen PKWs) auch ausgewirkt hat, miteinzustellen (BGHZ - GSZ - 18, 149 = NJW 1955, 1675 = MDR 1956 = VersR 1955, 615; Senat zfs 1985, 294 = VersR 1985, 601 [nur red. Ls.]; OLG Hamm SP 2000, 414; OLG Frankfurt a. M. zfs 2005, 597).

3. Im Hinblick auf diese Gesichtspunkte ist ein Schmerzensgeld von insgesamt 13.000,00 € angemessen.

Mit seiner Einschätzung liegt der Senat auch innerhalb des Rahmens, der von Vergleichsfällen gezogen wird, die im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz als Anhaltspunkte (Mertins VersR 2006, 47 [50]; Geigel/Pardey, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl. 2011, Kap. 7 Rz. 54; Bachmeier, Verkehrszivilsachen, 2. Aufl. 2010, Rz. 564; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 7. Auf. 2014, Teil 1 Rz. 1057; Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge, 32. Aufl. 2014, S. 20) und Orientierungsrahmen (BGH VersR 1961, 460 [461]; 1964, 842 [843]; 1967, 256 [257]; OLG Köln VersR 1978, 650; OLG Saarbrücken zfs 1999, 101; OLG Hamm NJW 2000, 3219 und zfs 2005, 122 [123]); OLG Karlsruhe VersR 2001, 1175; OLG Koblenz, Urt. v. 27.10.2003 - 12 U 714/02; OLG München [1. ZS], Beschl. v. 26.08.2005 - 1 W 2282/05 [juris]; OLGR 2006, 92; Senat in st. Rspr., zuletzt etwa Urt. v. 29.06.2007 - 10 U 4379/01 [juris]), nicht aber als verbindlichen Präjudizien (vgl. BGH VersR 1970, 134; Senat, Urt. v. 30.06.1976 - 10 U 1571/76 [juris = VersR 1977, 262 ], st. Rspr., zuletzt etwa Urt. v. 13.08.2010 - 10 U 3928/09 [juris]; Jaeger/Luckey Teil 1 Rz. 1057) dienen:
* OLG Hamm vom 09.09.1993, Az.: 6 U 58/89: 12.782,00 € (indexiert: 16.881,76 €)
Schweres HWS-​Syndrom (hier: HWS-​Schleudertrauma mit erheblichem Dauerschaden in Form von Nackenschmerzen, Hinterkopfschmerzen mit Ausstrahlung in die Stirnregion beidseits, ziehenden Schmerzen (ein- bis zweimal pro Woche) im Handbereich rechts (Beck'sche Schmerzensgeldtabelle 2013, 9. Aufl., Nr. 1800)

* OLG Frankfurt am Main vom 03.05.2000, 9 U 97/99: 13.294,00 € (indexiert: 15.776,70 €)
HWS-​Syndrom mit nachfolgendem Psychosyndrom; 22 Wochen ambulante Heilbehandlung, währenddessen die Geschädigte eine Schanzsche Krawatte trug, Berufsunfähigkeit in Bezug auf PC-​Tätigkeiten, psychische Fehlverarbeitung (Psychosyndrom) mit gesteigerter subjektiver Schmerzempfindlichkeit (Beck'sche Schmerzensgeldtabelle 2013 Nr. 3455)

* OLG Düsseldorf vom 17.11.2003, I-​1 U 81/02: 7.500,00 € (indexiert: 8.939,63 €)
HWS-​Syndrom mit Handverletzung in Form einer nicht unerheblichen Sensibilitätsstörung der linken Hand; sehr langwierige Heilbehandlung und langwierige Heilung; MdE 2 Wochen 100%, 4 Wochen 70%, 6 Wochen 40% und weitere 24 Wochen 20%, ein weiteres Jahr noch immer 10%; erst anschließend waren die Folgen der Verletzung ausgeheilt (Beck'sche Schmerzensgeldtabelle 2013 Nr. 3615).

II.

Die Rüge des Klägers, das Erstgericht habe verfahrensfehlerhaft die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Verdienstausfall des Klägers sowie die Einvernahme des Steuerberaters unterlassen, geht dagegen fehl.

1. Die Beweise waren zum Beweis der Tatsache angeboten, dass dem Kläger auch unter Berücksichtigung gewisser monatlicher Schwankungen ein Gewinn in Höhe von monatlich ca. 1.500,00 € netto verblieben wäre. In der Klageerwiderung vom 04.10.2011 (Bl. 18/32 d. A., vor allem Bl. 29 d. A.) hat die Beklagte den Klägervortrag substantiiert bestritten. Aus den ihr vorgelegten Unterlagen des Steuerberaters Michael R., der vom Kläger als Zeuge benannt worden ist, ergebe sich weder, um welches Lokal es sich handle, für das die vorläufige Gewinnermittlung ausgestellt worden sei, noch wie sich die dortigen Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben zusammensetzen. Die Beklagte hat daher u.a. mit Nichtwissen bestritten, dass der Kläger nur Betriebsausgaben in Höhe von 3.193,80 € hatte, die sich lediglich aus Wareneingang 52,15 €, Miete 2.500,00 €, Mietnebenkosten 200,00 €, gezahlte Vorsteuer 441,65 € zusammensetzen.

Das Landgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 08.03.2012 (Protokoll Bl. 45/48 d. A.) den Kläger darauf hingewiesen, im Rahmen der ihm obliegenden Beweislast entsprechende aussagekräftige Unterlagen vorzulegen, insbesondere zu Personalkosten, Ausgaben für Strom, Versicherungen, Wasser und den Einkünften des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum.

2. Zwar trägt der Berufungsführer zutreffend vor, dass beim Verdienstausfall von Personen, die am Anfang ihres Berufslebens oder einer beruflichen Neuorientierung stehen, diesen ein sog. Schätzungsbonus zuzubilligen ist, weil ihnen die Chance genommen wurde, zu beweisen, dass sie ihre berufliche Tätigkeit erfolgreich betrieben hätten (vgl. BGH NJW 1997, 937 = VersR 1997, 366; NJW 2000, 3287 = VersR 2000, 152; Senat, Urt. v. 29.12.2006 - 10 U 3815/04 [juris]; Steffen DAR 1984, 1 [4]; Jahnke, Der Verdienstausfall im Schadensersatzrecht, 2. Aufl. 2006, Kap. 6 Rz. 20; Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 11. Aufl. 2013, Rz. 173; siehe auch OLG Celle zfs 2008, 16 [Offiziersanwärter] und insbesondere BGH MDR 2010, 1381 = VersR 2010, 1607 ff.).

Ergeben sich keine Anhaltspunkte, die überwiegend für einen Erfolg oder einen Misserfolg sprechen, dann liegt es nahe, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge von einem voraussichtlich durchschnittlichen Erfolg (§ 252 BGB) des Geschädigten in seiner Tätigkeit auszugehen und auf dieser Grundlage die weitere Prognose der entgangenen Einnahmen anzustellen und den Schaden gemäß § 287 ZPO zu schätzen; verbleibenden Risiken kann durch gewisse Abschläge Rechnung getragen werden (BGH MDR 2010, 1381 = VersR 2010, 1607 ff.).

Im vorliegenden Fall ist allerdings der Kläger dem sehr konkreten Hinweis des Landgerichts nicht ansatzweise nachgekommen. Damit liegt kein unberechtigtes Übergehen eines Beweisantrags vor. Auch der als Zeuge angebotene Steuerberater kann nur auf der Basis vorliegender Abrechnungen über Ausgaben wie Angestellte, Strom, Wasser, wie auch Warenbestand detaillierte Aussagen treffen. Insbesondere letztere Angaben sind auch möglich, wenn das Geschäft erst wenige Tage eröffnet war. Die Vorlage dieser Rechnungen ist daher Voraussetzung sowohl für die Tätigkeit eines Steuerberaters wie auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Diese Mitwirkungspflichten hat der Kläger nicht erfüllt.

III.

Der Zinsausspruch findet seine Grundlage in §§ 286, 288, 291 BGB.

IV.

Dem Kläger sind vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr aus einem Geschäftswert von 11.000,- € (damalige begründete Schmerzensgeldforderung 8.000,- €; pauschale materielle Schadensersatzpositionen 3.000,- €), insgesamt 817,52 € inkl. Telefonpauschale und 19% MwSt., zu erstatten, worauf die Beklagte unbestritten 489,45 € bezahlt hat. Den Feststellungsantrag hat der Kläger außergerichtlich nicht gestellt. Deshalb war er insoweit nicht bei der Geschäftsgebühr zu berücksichtigen.

Die Rechtsanwaltskosten können wie bereits angefallene Sachverständigenkosten oder geschätzte Reparaturkosten im Schadensersatzprozess geltend gemacht werden (Senat AnwBl 2006, 768 f. = VersR 2007, 267; Urt. v. 13.11.2009 - 10 U 3258/09; v. 13.08.2010 - 10 U 3928/09; v. 21.06.2013 - 10 U 1206/13; i. Erg. ebenso BGH AnwBl. 2007, 154 ff. = VersR 2007, 265). Der Kläger muss sich nicht auf einen Freistellungsanspruch verweisen lassen (i. Ü. fehlt es insoweit verfahrensfehlerhaft an einem rechtlichen Hinweis des Erstgerichts nach § 139 ZPO, vgl. dazu Senat a.a.O. ). Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass in dem Fall, dass das Gericht nur einen Teil der Ansprüche für gerechtfertigt hält und sich die geltend gemachten vorprozessualen Anwaltskosten sonach als übersetzt erweisen, der Schadensersatzgläubiger mangels entsprechender Rechnungsstellung die Anwaltsgebühren nicht zu entrichten habe und es deshalb an einem ersatzfähigen Schaden fehle: Die Rechnungsstellung nach § 10 I RVG betrifft (nur) die Einforderbarkeit der Vergütung im Verhältnis zum Mandanten des Anwalts; sie bedeutet, wie sich aus § 10 III RVG zwingend ergibt, nicht etwa, dass der Anwalt überhaupt keinen materiellrechtlichen Anspruch hat - dieser entsteht mit dem ersten Tätigwerden des Anwalts und wird gem. § 8 I 1 RVG mit Erledigung des Auftrags bzw. Beendigung der Angelegenheit fällig. § 10 I RVG gilt nicht im Bereich des materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs (BGH NJW 2011, 2509 [2511 unter Tz. 18]).

V.

Da das Erstgericht dem Feststellungsantrag bereits stattgegeben hat, ist der Berufungsantrag insoweit hinfällig.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 II ZPO.

VII.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

VIII.

Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gemäß § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.