Das Verkehrslexikon

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OLG Köln Urteil vom 15.07.2014 - I-9 U 204/13 - Verneinung der Frage nach Alkoholgenuss im Versicherungsfragebogen

OLG Köln v. 15.07.2014: Zur Verneinung der Frage nach Alkoholgenuss durch Wissensvertreter im Versicherungsfragebogen


Das OLG Köln (Urteil vom 15.07.2014 - I-9 U 204/13) hat entschieden:
  1. Die Aufklärungsobliegenheit aus Buchst. E.1.3 AKB erstreckt sich auf alle Umstände, die für die Aufklärung des Sachverhalts, die Minderung des Schadens oder die Deckungspflicht des Versicherers bedeutsam sein können, wobei sich die von dem Versicherungsnehmer konkret zu leistenden Angaben in erster Linie danach richten, welche Fragen der Versicherer im Schadensformular oder in Form ergänzender Rückfragen an den Versicherungsnehmer richtet.

  2. Hat der Versicherungsnehmer eine Person als Wissensvertreter gegenüber dem Versicherer benannt und verneint dieser die Frage nach seinem Alkoholgenuss vor dem Unfall wahrheitswidrig, muss sich der Versicherungsnehmer diese Obliegenheitsverletzung zurechnen lassen und verliert den Kaskoversicherungsschutz.

Siehe auch Schadenanzeige - unrichtige bzw. unvollständige oder verspätete Angaben gegenüber der Versicherung


Gründe:

I.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.


II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die begehrte Versicherungsleistung aus § 1 VVG in Verbindung mit Buchst. A.2.7 der in den streitgegenständlichen Vollkaskoversicherungsvertrag einbezogenen AKB, weil die Beklagte wegen arglistiger Verletzung seiner Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheit durch Falschangaben des Sohnes des Klägers betreffend den streitgegenständlichen Verkehrsunfall gemäß § 28 Abs. 2 VVG in Verbindung mit Buchst. E.6. 1., E.1.3 AKB leistungsfrei ist. Da der Sohn des Klägers als dessen Wissenerklärungsvertreter gehandelt hat, muss sich der Kläger die Obliegenheitsverletzung seines Sohnes wie eine eigene zurechnen lassen. Im einzelnen:

1. Es steht zunächst fest, dass der Sohn des Klägers vorsätzlich im Sinne des § 28 Abs. 2 VVG gegen die Aufklärungsobliegenheit aus Buchst. E.1.3 AKB verstoßen hat, indem er auf entsprechende Nachfrage der Beklagten falsche Angaben betreffend seinen in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall stattgefundenen Alkoholkonsum gemacht hat. Der Durchführung einer Beweisaufnahme bedurfte es insoweit nicht, da eine vorsätzliche Falschangabe unabhängig davon zu bejahen ist, ob man den Vortrag der Beklagten oder den Vortrag des Klägers zugrunde legt.

Die Aufklärungsobliegenheit aus Buchst. E.1.3 AKB erstreckt sich auf alle Umstände, die für die Aufklärung des Sachverhalts, die Minderung des Schadens oder die Deckungspflicht des Versicherers bedeutsam sein können, wobei sich die von dem Versicherungsnehmer konkret zu leistenden Angaben in erster Linie danach richten, welche Fragen der Versicherer im Schadensformular oder in Form ergänzender Rückfragen an den Versicherungsnehmer richtet (Prölss/Martin-​Knappmann, 28. Aufl. 2010, E.1 AKB 2008, Rz. 14 f.). Vorliegend hat die Beklagte im Schadensanzeigeformular ausdrücklich nach stattgefundenem Alkoholgenuss gefragt und der Sohn des Klägers hat diese Frage durch Ankreuzen des entsprechenden Kästchens verneint.

Unter Zugrundelegung des Beklagtenvortrages war diese Verneinung objektiv wahrheitswidrig, weil nach der Behauptung der Beklagten der Sohn des Klägers den streitgegenständlichen Unfall in bereits alkoholisiertem Zustand verursacht hat. Aber auch unter Zugrundelegung des Klägervortrags hat der Sohn des Klägers die Frage nach stattgefundenem Alkoholkonsum wahrheitswidrig verneint: Der Kläger hat sich im vorliegenden Rechtsstreit die Angaben seines Sohnes zu eigen gemacht, nämlich, dass er zum Unfallzeitpunkt nicht alkoholisiert gewesen sei, sondern erst unmittelbar nach dem Verkehrsunfall eine Flasche Jägermeister getrunken habe. Auch das Verschweigen eines Nachtrunks stellt aber eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nach Buchst. E.1.3 AKB dar, weil ein ins Gewicht fallender Nachtrunk die spätere Bestimmung des Blutalkoholgehaltes zum Unfallzeitpunkt erschwert und damit die Obliegenheit des Versicherungsnehmers verletzt, alles zu tun, was zur Aufklärung des Schadensereignisses dienen kann (BGH, Urteil vom 22.05.1970, Az. IV ZR 1084/68; zitiert nach: juris; BGH, Urteil vom 12.05.1971, Az. IV ZR 35/70; zitiert nach: juris; OLG Köln, Urteil vom 30.07.1992, Az. 5 U 44/92; zitiert nach: juris Rz. 5 ff.; Prölss/Martin-​Knappmann, 28. Aufl. 2010, E.1 AKB 2008, Rz. 25). Der Sohn des Klägers hätte deshalb zur wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage nach stattgefundenem Alkoholgenuss auch den nunmehr von ihm behaupteten Nachtrunk einer Flasche Jägermeister angeben müssen - zumal dieser Nachtrunk noch am Unfallort stattgefunden haben müsste, weil auch der von den unfallaufnehmenden Polizeibeamten an Ort und Stelle durchgeführte Atemtest schon eine Alkoholkonzentration von 0,61 Promille ergeben hat, die sich mit einem Konsum von ein bis zwei Gläsern Bier 7 bis 8 Stunden vor dem Unfall, wie ihn der Sohn des Klägers in dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren eingeräumt hat, nicht erklären lässt.

Das Verschweigen des stattgefundenen Alkoholkonsums durch den Sohn des Klägers erfolgte vorsätzlich im Sinne des § 28 Abs. 2 VVG und darüber hinaus auch arglistig, und zwar wiederum unabhängig davon, ob man den Vortrag der Beklagten oder den des Klägers zugrunde legt. Arglist ist zu bejahen, wenn der Versicherungsnehmer bewusst und willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirken will. Eine Bereicherungsabsicht des Versicherungsnehmers ist dabei nicht erforderlich, vielmehr reicht es aus, dass er einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt, etwa indem er Schwierigkeiten bei der Durchsetzung berechtigter Deckungsansprüche ausräumen will und weiß, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann (BGH, Urteil vom 04.05.2009, Az. IV ZR 62/07; zitiert nach: juris Rz. 9, vgl. auch Prölss/Martin-​Prölss, VVG, 28. Aufl. 2010, § 28 Rz. 115 ff.). Bei Zugrundelegung des Vortrags der Beklagten zum Alkoholkonsum des Sohnes des Klägers liegt hier ohne weiteres eine arglistige Verletzung der Aufklärungsobliegenheit vor, da jedem Versicherungsnehmer klar ist, dass das bewusste Verschweigen eines Alkoholkonsums, der zur Feststellung einer Alkoholkonzentration von 0,61 Promille mittels Atemtest am Unfallort und von 1,20 Promille mittels Blutprobe ca. 80 Minuten nach dem Unfall geführt hat, geeignet ist, die Schadensregulierung zugunsten des Versicherungsnehmers zu beeinflussen und insbesondere Leistungsfreiheit des Versicherers nach A.2.18.1 AKB zu verhindern. Das gleiche gilt aber auch bei Zugrundelegung des Vortrags des Klägers, weil auch in Bezug auf einen Nachtrunk jedem Verkehrsteilnehmer bewusst ist, dass ein derart massiver Nachtrunk dazu geeignet ist, eine zuverlässige Blutalkoholbestimmung bezogen auf den Unfallzeitpunkt zumindest zu erschweren. Zudem musste es sich für den Sohn des Klägers nach dem Unfallhergang - Abkommen von der vorgesehenen Fahrbahn - und wegen des Umstandes, dass er am Vorabend Alkohol getrunken hatte, aufdrängen, dass die Frage einer Alkoholisierung überprüft werden würde. Dass die Vereitelung einer ordnungsgemäßen Ermittlung des Unfallhergangs - insbesondere betreffend die Frage einer Alkoholisierung - durch einen massiven Nachtrunk zudem dazu geeignet war, den Versicherer zu einer ansonsten möglicherweise nicht gebotenen Regulierung des Unfallschadens zu veranlassen, liegt ebenfalls auf der Hand. Die Tatsache, dass der Sohn des Klägers in der Schadensanzeige wahrheitswidrig verneinte, dass ihm eine Blutprobe entnommen worden war, ist nach Auffassung des Senats auch ein Indiz dafür, dass sich der Sohn des Klägers dieser Umstände sehr wohl bewusst war.

2. Die Falschangaben seines Sohnes in der Schadensanzeige muss der Kläger sich wie eigene zurechnen lassen, da er seinen Sohn als seinen Wissenserklärungsvertreter mit der Erfüllung der Aufklärungsobliegenheit aus Buchst. E.1.3 AKB betraut hat. Wissenserklärungsvertreter in diesem Sinne, dessen Erklärungen - insbesondere auch dessen falsche Angaben - dem Versicherungsnehmer zugerechnet werden, ist, wer vom Versicherungsnehmer mit der Erfüllung von dessen Obliegenheiten und zur Abgabe von Erklärungen anstelle des Versicherungsnehmers betraut worden ist (BGH, Urteil vom 02.06.1993, Az. IV ZR 72/92; zitiert nach: juris, Leitsatz und Rz. 11; BGH, Urteil vom 14.12.1994, Az. IV ZR 304/93; zitiert nach: juris Rz. 10; auch: BGH, Urteil vom 16.10. 2013, Az. IV ZR 390/12; zitiert nach: juris Rz. 20). Nicht erforderlich ist es entgegen der vom Kläger im Schriftsatz vom 23.06.2014 vertretenen Auffassung, dass der Wissenerklärungsvertreter regelmäßig die Versicherungsangelegenheiten des Versicherungsnehmers erledigt; ein einmaliges Tätigwerden für den Versicherungsnehmer im vorbeschriebenen Sinne reicht aus (vgl. die vorzitierten Entscheidungen des BGH vom 14.12.1994, a.a.O. , und vom 02.06.1993, a.a.O. , die jeweils das Ausfüllen einer Schadensanzeige in einem Einzelfall betrafen).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend in Bezug auf den Sohn des Klägers erfüllt, weil der Kläger, wie er bei seiner Anhörung vor dem Landgericht selbst dargelegt hat, seinen Sohn insgesamt damit beauftragt hatte, die Schadensanzeige an seiner Stelle zu fertigen und zu unterschreiben. Insbesondere hat sich der Kläger vorliegend auch nicht die Erklärungen seines Sohnes durch eigene Unterschrift unter die Schadensanzeige zu eigen gemacht und damit letztlich doch eine eigene Erklärung abgegeben (vgl. dazu BGH, Urteil vom 14.12.1994, a.a.O., Rz. 11), sondern der Sohn des Klägers hat die von ihm allein gefertigte Schadensanzeige auch selbst unterschrieben.

Der Kläger muss sich deshalb in entsprechender Anwendung des § 166 BGB (BGH, Urteil vom 02.06.1993, Az. IV ZR 72/92; zitiert nach: juris Rz. 11) die vorsätzlich falschen Angaben seines Sohnes in der Schadensanzeige zurechnen lassen. Darauf, dass der Klägers, wie er geltend macht, selbst auch nicht über bessere Erkenntnisse hinsichtlich des Alkoholkonsums seines Sohnes verfügte, kommt es wegen der Stellung seines Sohnes als Wissenerklärungsvertreter nicht an. Die hierzu vom Landgericht in Bezug genommene Entscheidung des Senats vom 03.06.2003 (Az. 9 U 182/02; zitiert nach: juris) passt für den vorliegenden Fall nicht, weil dort eine eigene Erklärung des Versicherungsnehmers erfolgt war und eine Zurechnung der Erklärung des Sohnes, der auch im dortigen Fall den Unfall verursacht hatte, gerade nicht stattfand. Im übrigen besteht auch inhaltlich ein Unterschied im objektiven Erklärungsgehalt zwischen der hier vorliegenden Konstellation, in der gegenüber dem Versicherer durch einen Wissenserklärungsvertreter des Versicherungsnehmers vorsätzlich falsche Angaben als wahr dargestellt werden, und einer Konstellation, in der der Versicherungsnehmer dem Versicherer verdeutlicht, dass er selbst aus seiner Wahrnehmung keine Angaben zum Schadensfall machen kann, sondern lediglich die Angaben des Schadensverursachers kennt, die dieser ihm gegenüber gemacht hat.

3. Der Schriftsatz des Klägers vom 23.06.2014 führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Fällt dem Versicherungsnehmer wie hier arglistiges Verhalten zur Last, spielt die Frage der Kausalität keine Rolle, wie sich aus § 28 Abs. 3 S. 2 VVG ergibt. Auf die Frage, ob die Beklagte dann, wenn der Kläger selbst die Aufklärungsobliegenheit ordnungsgemäß erfüllt hätte, ebenfalls leistungsfrei geworden wäre, kommt es ebenfalls nicht an, weil die Versagung des Versicherungsschutzes bei folgenloser Arglist den Versicherungsnehmer auch dann trifft, wenn die Voraussetzungen in der Person des Wissenserklärungsvertreters erfüllt sind (vgl. Prölss/Martin-​Prölss, VVG, 28. Aufl. 2010, § 28 Rz. 58 m. N.).

Aus den von dem Kläger zitierten Urteilen des Senats vom 26.04.2005 (Az. 9 U 113/04) und vom 02.07.2002 (Az. 9 U 13/02) ergibt sich nichts anderes. Auch in diesen Fällen hatte jeweils ein Wissenserklärungsvertreter vorsätzlich oder ins Blaue hinein falsche Angaben gemacht, die sich der jeweilige Versicherungsnehmer wie eigene zurechnen lassen musste. Soweit der Kläger sich in diesem Zusammenhang nochmals darauf beruft, dass er selbst keine Falschangaben gemacht habe, verkennt er erneut, dass es auf das Verhalten seines Sohnes ankommt, den er an seiner Stelle hat tätig werden lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.


III.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat entgegen der Auffassung des Klägers keine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 17.400,00 €.