Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht Berlin Urteil vom 04.12.2014 - 14 K 151.14 - Fahrtenbuchauflage bei Verletzung der kaufmännischen Aufzeichnungsobliegenheit

VG Berlin v. 04.12.2014: Zur Fahrtenbuchauflage bei Verletzung der kaufmännischen Aufzeichnungsobliegenheit


Das Verwaltungsgericht Berlin (Urteil vom 04.12.2014 - 14 K 151.14) hat entschieden:
Einer Halterin eines Firmenfahrzeugs ist es generell verwehrt, sich auf „Erinnerungsprobleme“ in Folge einer verspäteten Anhörung zu berufen. Vielmehr fällt es bei solchen Fahrzeugen in die Sphäre der Geschäftsleitung, organisatorische Vorkehrungen dafür zu treffen, dass im Falle einer Verkehrsordnungswidrigkeit oder -straftat ohne Rücksicht auf das Erinnerungsvermögen Einzelner festgestellt werden kann, welche Person zu dem fraglichen Zeitpunkt ein bestimmtes Geschäftsfahrzeug benutzt hat. Zumindest muss stets der Mitarbeiter benannt werden können, dem das betreffende Fahrzeug betriebsintern zugeordnet ist.


Siehe auch Fahrtenbuch-Auflage


Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine vom Beklagten angeordnete Fahrtenbuchauflage.

Sie ist Halterin des Kraftfahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen B-​M.... Nach den Feststellungen der Stadt Bielefeld wurde mit diesem Fahrzeug am 24. Oktober 2013 um 23:25 Uhr in Bielefeld, BAB 2 bei Km 329,415, mittlere Spur, Fahrtrichtung Hannover, die dortige zulässige Höchstgeschwindigkeit (100 km/h) nach Toleranzabzug um 45 km/h überschritten.

In dem durch die Stadt Bielefeld als zuständiger Bußgeldbehörde eingeleiteten Bußgeldverfahren wurde der Klägerin unter dem 18. November 2013 ein Zeugenfragebogen übersandt. Nachdem seitens der Klägerin keine Reaktion erfolgte, ersuchte die Stadt Bielefeld unter dem 18. Dezember 2013 den Polizeipräsidenten in Berlin, anhand der Fotos den verantwortlichen Fahrzeugführer zu ermitteln. Der Polizeipräsident in Berlin teilte unter dem 4. Februar 2014 mit, dass die Klägerin am 14. Januar 2014 gegen 8:30 Uhr telefonisch erreicht worden sei; nach Bekanntgabe des Grundes sei zugesichert worden, innerhalb der Firma zu ermitteln, wer der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen sei; seitdem habe die Klägerin jedoch nicht mehr telefonisch erreicht werden können.

Mit Schreiben vom 4. März 2014 hörte der Beklagte die Klägerin zu der beabsichtigten Auflage eines Fahrtenbuchs an. Mit Bescheid vom 1. April 2014 ordnete der Beklagte gegenüber der Klägerin gemäß § 31a StVZO die Führung eines Fahrtenbuchs für die Dauer eines Jahres für das Fahrzeug mit dem Kennzeichen B-​M... oder ein Ersatzfahrzeug ab Unanfechtbarkeit des Bescheides an. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift lägen vor. Mit dem Fahrzeug sei ein erheblicher Verkehrsverstoß begangen worden und der Fahrzeugführer habe nicht festgestellt werden können.

Unter dem 16. April 2014 legte die Klägerin gegen die Fahrtenbuchauflage Widerspruch ein und begründete diesen damit, dass die Dauer der Fahrtenbuchauflage unverhältnismäßig sei; ferner stelle die Fahrtenbuchauflage aus praktischer Sicht eine erhebliche Belastung der Klägerin dar. Weiter werde durch die Fahrtenbuchauflage das Recht des Betroffenen ausgehöhlt, sich nicht selbst belasten zu müssen. Zudem habe eine Fahrtenbuchauflage keinerlei praktischen Aufklärungsgewinn, weil die Information über die Pflicht, ein Fahrtenbuch führen zu müssen, in der Regel nicht zwischen den Behörden untereinander ausgetauscht werde. Ferner könne sich bei der Klägerin niemand an den Zugang des Anhörungsschreibens erinnern, das – wenn überhaupt – zudem erst fast einen Monat nach dem Geschwindigkeitsverstoß zugegangen wäre; auch die telefonische Nachfrage durch die Polizei im Januar 2014 sei zu spät erfolgt. Schließlich sei das Messfoto von so schlechter Qualität, dass der Fahrer nicht zu identifizieren sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juni 2014, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 5. Juni 2014 zugestellt, wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Die Klägerin hat am 4. Juli 2014 Klage erhoben, mit der sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt; ergänzend bemängelt sie zudem, dass die Voraussetzungen für eine Fahrtenbuchauflage schon deshalb nicht vorlägen, weil bei der Geschwindigkeitsmessung Fehler nicht ausgeschlossen werden könnten.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
  1. den Bescheid des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 1. April 2014 zum Aktenzeichen IIIA2Be-​456/14B in Gestalt des Widerspruchbescheides der Behörde vom 2. Juni 2014 aufzuheben,

  2. die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Er verweist darauf, dass ein korrekt geführtes Fahrtenbuch Auskunft über Tatzeitfahrer bei künftigen Verkehrszuwiderhandlungen mit dem Fahrzeug der Klägerin geben könne. Denn die Berliner Fahrtenbuchbehörde lasse eine bestandskräftige Fahrtenbuchauflage in das örtliche Fahrzeugregister und in das Fahreignungsregister des Kraftfahrt-​Bundesamtes eintragen; damit erlangten die Bußgeldbehörden bundesweit anlässlich Registeranfragen Kenntnis von der Fahrtenbuchauflage und der damit verbundenen Auskunftsmöglichkeit.

Die Beteiligten haben dem Gericht gegenüber ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter mitgeteilt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.


Entscheidungsgründe:

Über die Klage kann der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten mit einer Entscheidung durch ihn (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) im schriftlichen Verfahren gemäß § 101 Abs. 2 VwGO einverstanden erklärt haben.

Die Klage hat keinen Erfolg. Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher auch nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage der angefochtenen Anordnung ist § 31a Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrs-​Zulassungs-​Ordnung vom 26. April 2012 (BGBl. I S. 679) – StVZO. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge – auch Ersatzfahrzeuge – die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Die Klägerin ist Halterin des Kraftfahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen B-​M.... Eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO liegt hier darin, dass die das letztgenannte Fahrzeug führende Person am 24. Oktober 2013 gegen 23:25 Uhr in Bielefeld, BAB A2 bei Km 329,415, mittlere Spur, Fahrtrichtung Hannover, die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit nach Toleranzabzug um 45 km/h überschritt; es wurde bei einer zulässigen Geschwindigkeit von 100 km/h eine Geschwindigkeit von 145 km/h festgestellt. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang die Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung in Zweifel zieht, kann ihr nicht gefolgt werden. Durch die Fotos der Überwachungseinrichtung (vgl. Blatt 2 ff. der Ermittlungsakte) mit eingeblendeten Messdaten ist die massive Geschwindigkeitsüberschreitung hinreichend belegt. Diese Geschwindigkeitsmessung mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät TRAFFIPAX TraffiStar S 330 ist ein sog. standardisiertes Messverfahren (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 14. April 2008 – 1 Ss 281/07 – juris Rn. 26, 56). Die Eichung dieser Geschwindigkeitsüberwachungsanlage war zur Zeit des Verkehrsverstoßes bis Ende 2013 gültig (vgl. Blatt 6 der Ermittlungsakte). Der in Rede stehende Messvorgang müsste daher nur dann einer eingehenderen Prüfung oder gar sachverständigen Begutachtung unterzogen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung vorlägen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 1993 – 4 StR 627/92– juris Rn. 20 f.). Derartige Anhaltspunkte sind jedoch weder von der Klägerin dargetan worden noch sonst ersichtlich.

Die Feststellung derjenigen Person, die das Kraftfahrzeug der Klägerin bei dem Verkehrsverstoß führte, war auch im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO für die Bußgeldbehörde unmöglich. Eine Unmöglichkeit im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen hierfür getroffen hat. Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Behörde können sich an dem Verhalten und der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten, der zur Mitwirkung verpflichtet ist. Vorliegend war der im Bußgeldverfahren betriebene Ermittlungsaufwand angemessen und ausreichend.

Soweit bemängelt wird, dass der „Fragebogen für Fahrzeughalter“ der Klägerin eventuell gar nicht und wenn überhaupt, dann jedoch erheblich verspätet und deutlich später als zwei Wochen nach dem Geschwindigkeitsverstoß zugegangen sei, ist dies zum einen angesichts der telefonischen Ermittlungen bei der Klägerin am 14. Januar 2014 ohne Belang. Zum anderen hätte der Klägerin angesichts der – anders als diese meint – durchaus guten Qualität des Tatfotos auch zu diesem Zeitpunkt noch eine Benennung des Fahrers ohne weiteres möglich sein müssen.

Unbeschadet dessen ist es jedoch einer Halterin eines Firmenfahrzeugs ohnehin generell verwehrt, sich auf „Erinnerungsprobleme“ in Folge einer verspäteten Anhörung zu berufen. Vielmehr fällt es bei solchen Fahrzeugen in die Sphäre der Geschäftsleitung, organisatorische Vorkehrungen (nicht notwendigerweise durch ein Fahrtenbuch oder eine ähnliche Dokumentation) dafür zu treffen, dass im Falle einer Verkehrsordnungswidrigkeit oder -straftat ohne Rücksicht auf das Erinnerungsvermögen Einzelner festgestellt werden kann, welche Person zu dem fraglichen Zeitpunkt ein bestimmtes Geschäftsfahrzeug benutzt hat. Zumindest muss stets der Mitarbeiter benannt werden können, dem das betreffende Fahrzeug betriebsintern zugeordnet ist (vgl. z. B. OVG Berlin-​Brandenburg, Beschluss vom 11. Dezember 2013 - OVG 1 N 92.13 - sowie Beschluss vom 7. Oktober 2010 - 1 S 176.10 -, jeweils S. 3 des amtlichen Entscheidungsabdrucks).

Der Beklagte hat bei Erlass der Fahrtenbuchauflage auch das ihm durch § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO eingeräumte Ermessen (§ 114 VwGO) ordnungsgemäß ausgeübt. Er hat dem öffentlichen Interesse daran, dass bei künftigen Verstößen der verantwortliche Fahrzeugführer ermittelt werden kann, beanstandungsfrei den Vorrang vor dem Interesse der Klägerin eingeräumt, von den mit der Führung des Fahrtenbuchs verbundenen Unannehmlichkeiten verschont zu bleiben. Insbesondere vermag das Gericht im Hinblick auf die Dauer der Fahrtenbuchauflage einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu erkennen. Durch die Fahrtenbuchauflage soll der Fahrzeughalter zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung und zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers im Fall eines erneuten Verkehrsverstoßes angehalten werden. Dazu ist bereits eine gewisse Dauer der Fahrtenbuchauflage erforderlich. Schon ein Verkehrsverstoß, der zu einer Eintragung von einem Punkt in das Verkehrszentralregister (vgl. § 4 StVG) führen würde, rechtfertigt eine Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuchs von einem Jahr (OVG Berlin, Urteil vom 18. Juni 1996 – OVG 8 B 40.96 –; OVG Berlin-​Brandenburg, Beschluss vom 11. Oktober 2005 – OVG 1 N 130.05 – ; Verwaltungsgerichtshof Baden-​Württemberg, Beschluss vom 4. Dezember 2013 – 10 S 1162/13 – juris Rn. 13).

Auch gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass – wie die Klägerin meint – die Fahrtenbuchauflage keinen praktischen Aufklärungsgewinn mit sich bringe. Vielmehr stellt das Verfahren der Berliner Fahrtenbuchbehörde, eine bestandskräftige Fahrtenbuchauflage in das örtliche Fahrzeugregister und in das Fahreignungsregister des Kraftfahrt-​Bundesamtes eintragen zu lassen, sicher, dass im Falle einer weiteren Verkehrsordnungswidrigkeit mit diesem Fahrzeug die Bußgeldbehörden bundesweit anlässlich Registeranfragen Kenntnis von der Fahrtenbuchauflage und der damit verbundenen Auskunftsmöglichkeit erhalten.

Ebenso wenig ist erkennbar, dass die Fahrtenbuchauflage aus rein praktischer Sicht eine erhebliche Belastung für die Klägerin darstellen würde, weil das Fahrzeug überwiegend für kurze Strecken mit wechselnden Fahrern benutzt werde. Selbst wenn dem so sein sollte, wäre der mit der Fahrtenbuchauflage einhergehende zeitliche Aufwand durchaus überschaubar und nicht im Ansatz unverhältnismäßig.

Schließlich spricht gegen die Rechtmäßigkeit der Fahrtenbuchauflage auch nicht, dass sie ein etwaig bestehendes Schweigerecht aushöhlen würde. Denn ein doppeltes „Recht“, nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage verweigern zu dürfen und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht. Ein solches „Recht“ widerspräche dem Zweck des § 31a StVZO, nämlich der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs zu dienen, die auch die Fahrer des klägerischen Fahrzeuges für sich gegenüber anderen in Anspruch nehmen (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 12. März 2014 – 11 CS 14.176 – juris Rn. 13 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§ 39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes auf 4.800,00 Euro festgesetzt.