Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Frankfurt am Main Beschluss vom 04.12.2014 - 2 Ss-OWi 1041/14 - PoliScanSpeed und die Auswertesoftware TUFF-Viewer

OLG Frankfurt am Main v. 04.12.2014: PoliScanSpeed und die Auswertesoftware TUFF-Viewer


Das OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 04.12.2014 - 2 Ss-OWi 1041/14) hat entschieden:
  1. Der Prüfungsumfang beim standardisierten Messverfahren

  2. Die Rolle der PTB und der Gutachter im standardisierten Messverfahren

  3. PoliScanSpeed und die Auswertesoftware TUFF-Viewer

Gründe:

I.

Mit Bußgeldbescheid vom 11.02.2013 ist gegen die Betroffene wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften um 48 km/h, eine Geldbuße von 190,- Euro festgesetzt, sowie ein Fahrverbot von 1 Monat angeordnet worden. Die Messung war mit dem Geschwindigkeitsmessgerät der Firma Vitronic, Modell PoliScanspeed mit der Messgerätesoftware Version 1.5.5 durchgeführt und mit dem TUFF-​Viewer Version 3.45.1 ausgewertet worden.

Auf Einspruch hat das Amtsgerichts Friedberg durch Beschluß vom 15.08.2014 die Betroffenen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

Nach den Feststellungen in dem angegriffenen Beschluß sah sich das Amtsgericht nach Beiziehung eines in einem anderen Verfahren erstellten Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dipl.-​Ing. (…) nicht in der Lage mit der für eine Verurteilung notwendigen Gewissheit festzustellen, dass der Geschwindigkeitsverstoß der Betroffene auf einer ordnungsgemäßen Messung beruht. Zusammenfassend wurden trotz Zulassung durch die PTB grds. Vorbehalte gegen die Messsoftware 1.5.5. sowie insb. die Auswertesoftware TUFF-​Viewer Version 3.45.1 geltend gemacht.

Die hiergegen eingelegte form- und fristgerechte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die von der Generalstaatsanwaltschaft vertreten wird, führt bereits auf Sachrüge zur Aufhebung des freisprechenden Beschlusses.


II.

Da der vorliegend nach § 72 OWiG ergangene Beschluß einer Gerichtsentscheidung mit urteilsgleichem Inhalt gleichsteht, muss dessen Aufbau und Begründung im Wesentlichen den Anforderungen genügen, die an ein Urteil zu stellen sind.

Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss nicht gerecht.

Wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat, ist der von der Amtsrichterin unterzeichnete Beschluß vom 15.08.2014 unwirksam.

Ein Beschluß nach § 72 OWiG entspricht hinsichtlich seines Entscheidungsinhalts und in Bezug auf die Anforderungen an seine Begründung einem Urteil in Strafsachen. Gemäß § 275 Abs. 3 StPO ist – auch wenn dies in der Vorschrift nicht ausdrücklich erwähnt ist – im Urteilskopf eines Strafurteils der Angeklagte zu bezeichnen (vgl. Meyer-​Goßner, StPO, 57. Aufl., § 275 Rn. 24f). Die Vorschrift des § 275 StPO (mit Ausnahme des Absatzes 2 Satz 3) gilt gemäß § 71 Abs. 1 OWiG auch für das gerichtliche Bußgeldverfahren (OLG Hamm Beschluß v. 10.07.2003 - 3 Ss OWi 1157/02). Auch im Rubrum eines Beschlusses nach § 72 OWiG sind daher der Betroffene und auch etwaige Nebenbeteiligte aufzuführen, da die Entscheidung gegen sie wirkt und dies für die Vollstreckung aus dem Titel erkennbar sein muss (Göhler, OWiG 15. Aufl. § 72 Rn. 49, OLG Hamm NStZ-​RR 2004, 121).

Dies ist vorliegend nicht erfolgt. Der von der Amtsrichterin unterschriebene Beschluss vom 15.08.2014 enthält kein Aktenzeichen und keine Angaben gegen wen er sich richtet (vgl. zum Umfang der Angaben: Engelhardt in KK, StPO 5 Aufl. § 275 Rn. 15). Die erforderliche Bezeichnung der Betroffenen konnte auch nicht durch die Angabe "In pp" ersetzt werden, da mangels Aktenzeichen auf dem Entwurf auch eine Zuordnung für die ausführende Geschäftsstelle nicht zwingend war. Es obliegt nicht der Geschäftsstelle die Betroffene zu bestimmen. Die Tatrichterin hat damit nur einen Beschlussentwurf erstellt. Der an die Verfahrensbeteiligten zugestellte Beschluss enthält zwar die fehlenden Angaben, ist aber zuvor nicht mehr von der Amtsrichterin unterschrieben worden. Anders als im Fall einer Urteilstenorierung in der Hauptverhandlung und fehlerhafter Unterschrift bei den Entscheidungsgründen, erfaßt bei einer Entscheidung im Beschlusswege die fehlende Unterschrift auch den Tenor, so dass das Amtsgericht vorliegend den Fall rechtlich noch nicht entschieden hat. Der Senat kann deswegen auch nicht durchentscheiden (vgl. Göhler a.a.O. § 79 Rn. 43 ff).

Die Verfolgungsverjährung tritt hier erst mit Ablauf des 13.02.2015 ein.


III.

Im Hinblick auf die Zurückverweisung zur Neuentscheidung und da das Verfahren eine Vielzahl von Probleme aufweist, mit der sich in letzter Zeit die Amtsgerichte konfrontiert sehen, sieht der Senat, wie von der Generalstaatsanwaltschaft angeregt, zu folgenden Hinweisen Veranlassung:

1. Das standardisierte Messverfahren

Bei einem Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung gilt es in erster Linie festzustellen, ob eine bestimmte Person zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Geschwindigkeit gefahren ist. Des Weiteren, wie diese Geschwindigkeit an diesem bestimmten Ort geregelt war. Mithin ist eine Weg-​Zeit-​Berechnung durchzuführen bezogen auf eine bestimmte Referenzgröße, nämlich die angeordnete Geschwindigkeit vor Ort.

Vorliegend ist die Messung mit dem Messgerät der Firma Vitronic Modell PoliScanspeed mit der Messgerätesoftwareversion 1.5.5 durchgeführt worden und die Messdaten (Falldaten) sind mit der Auswertesoftware TUFF-​Viewer Version 3.45.1 ausgewertet worden.

Dieses Messgerät ist in der Kombination mit der Messgerätesoftware und der verwendeten Auswertesoftware von der Physikalisch-​Technische Bundesanstalt (PTB) am 24.07.2013 zugelassen worden. Mit der Zulassung erklärt die PTB im Wege eines Behördengutachtens (antizipiertes Sachverständigengutachten), dass bei dem zugelassenen Gerät ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren vorliegt, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (sog. "standardisierte Messverfahren" - ständige Rspr. der Obergerichte vgl. OLG Düsseldorf Beschluss vom 14.07.2014 - IV-​1 RBs 50/14, 1 RBs 50/14 m.w.N.). Die Zulassung erfolgt dabei nur, wenn das Messgerät die umfangreichen Testreihen erfolgreich durchlaufen hat, bei denen die PTB das Messgerät auch unter atypischen Verkehrsszenarien auf seine Störungsresistenz prüft. Die Art der Verwendung und der zulässige Verwendungsaufbau werden von der PTB bei der Zulassung vorgegeben.

Ist ein Messgerät von der PTB zugelassen und ist das Messgerät im Rahmen der Zulassungsvorgaben verwendet worden, ist das Tatgericht grds. von weiteren technischen Prüfungen, insbesondere zur Funktionsweisen des Messgeräts, enthoben. Die Zulassung durch die PTB ersetzt diese Prüfung. Damit soll erreicht werden, dass bei dem Massenverfahren im Bußgeldbereich nicht jedes Amtsgericht bei jedem einzelnen Verfahren die technische Richtigkeit der Messung jeweils neu überprüfen muss. Ist die Messung im Rahmen der Zulassung erfolgt, - derzeit nach Maßgabe der PTB-​Anforderungen (PTB-​A) 18.11 vom Dezember 2013 -, kann das Gericht grds. von der Richtigkeit der Messung ausgehen.

2. Der Prüfungsumfang

Nur wenn im Einzelfall konkrete Tatsachen dem Gericht gegenüber vorgetragen werden, die geeignet sind, Zweifel an der Richtigkeit des zur Verhandlung stehenden konkreten Messergebnisses aufkommen lassen, kann das Tatgericht sich veranlasst sehen, diese Zweifel durch die Bestellung eines Sachverständigen nach §§ 73 ff StPO zu verifizieren, der dann die konkrete Messung zu überprüfen hat.

Dies verlangt nach §§ 73, 78 StPO vom Gericht eine klare und eindeutige Aufgabenbeschreibung, insbesondere eine klare Benennung der Beweisfrage unter Darlegung der Anknüpfungstatsachen, von denen der Sachverständige in seinem Gutachten ausgehen soll (vgl. Meyer-​Goßner a.a.O. § 78 Rn. 2 ff m.w.N.). Darauf auch in Bußgeldverfahren die notwendige Sorgfalt zu verwenden, ist deswegen notwendig, weil bei den Messungen zunehmend hochtechnische und komplexe Messtechnik Verwendung findet, bei der sich, je nach Konstellation, die Frage der rechtlichen Bedeutung der Zulassung durch die PTB differenziert stellen kann.
  • Liegt die mögliche Fehlerquelle bei der Messung in dem konkret durchgeführten Messvorgang, weil Tatsachen vorgetragen sind, die z.B. einen falschen Messaufbau der außerhalb der in der Zulassung vorgegeben Varianzen liegt (Messaufbaufehler durch den Messbeamten), oder eine (zwischen den Eichterminen) konkret dargelegte technische Störung im konkreten Messgerät aufzeigen, ist die PTB Zulassung in der Regel nicht betroffen. Es liegt kein standardisiertes Messverfahren mehr vor. In diesen Fällen greift die sachverständige Wirkung der Zulassung durch die PTB nicht und die Messung, die gleichwohl richtig sein kann, kann, wenn Zweifel bestehen, durch einen Sachverständigen überprüft werden.

  • Soll der mögliche Fehler hingegen wie im Beschluss dargelegt in der Messtechnik, der Messsoftware oder der Auswertesoftware strukturell angelegt sein und damit eine Vielzahl von Messvorgängen an unterschiedlichen Orten und Zeiten betreffen, steht diesem Vortrag grds. die Zulassung durch die PTB als antizipiertes Sachverständigengutachten entgegen. Zunächst muss der die Zweifel begründende Vortrag ergeben, dass ein Phänomen vorliegt, das bei der Zulassung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt worden ist, bevor beim Gericht Zweifel an der Richtigkeit der Messung aufkommen müssen. Bestellt ein Gericht in diesen Fällen einen Sachverständigen und kommt dieser zu der Bewertung es liege trotz einer Messung innerhalb der PTB-Zulassung eine Fehlmessung vor, muss der Sachverständige in einer für das Gericht verständlichen und nachvollziehbaren Form darlegen, wie diese Fehlmessung trotz Zulassungsprüfung durch die PTB möglich ist. Erst wenn er das kann, liegen zwei widerstreitende Sachverständigengutachten vor, dass Gutachten der PTB in Form der Zulassung und das gerichtliche Gutachten. In diesen Fällen kann das Gericht eine für das Rechtsbeschwerdegericht prüfungsfähige eigene Bewertung vornehmen, oder was angesichts der Materie naheliegend ist, das beschriebene strukturelle Problem der PTB als Zulassungs- und Aufsichtsbehörde des Bundes zur ergänzenden Begutachtung vorlegen. Die PTB verfügt über die notwendigen technischen Prüfungsmöglichkeiten und hat Zugriff auf die patent- und urheberrechtlichen geschützten Herstellerinformationen. Sollte sich die Fehlmessung als Strukturfehler herausstellen, ist die PTB in der Lage die Zulassung entsprechend der neuen Erkenntnisse aufzuheben oder anzupassen, wozu auch eine gesetzliche Verpflichtung besteht (§ 25a EO-AV).
Kommt der vom Amtsgericht beauftragter Sachverständiger wie hier zu dem Ergebnis „er könne nicht beurteilen, ob die Messung die mit dem Messgerät der Firma Vitronic, Modell PoliScanspeed mit der Softwareversion 1.5.5 durchgeführt worden ist, ordnungsgemäß sind oder nicht; er habe nunmehr neue Erkenntnisse gewonnen, die ihn abweichend von der zuvor vertretenen Auffassung an der Richtigkeit der Messung zweifeln ließen“, dann hat der Sachverständige das ihm gestellte Beweisthema nicht beantwortet. Der Sachverständige wird vom Gericht beauftragt, damit sein Sachverstand zu einer bestimmten Thematik das Gericht in die Lage versetzt eine Entscheidung zu treffen. Kann er das nicht, muss er darlegen, warum er die Beweisfrage nicht beantworten kann, damit das Gericht ggf. einen anderen Gutachter mit der Beantwortung beauftragt (vgl. § 73 StPO). Das Gericht kann sich nicht einfach den Zweifeln des Gutachters anschließen (vgl. OLG Karlsruhe Beschluss v. 24.10.2014 – 2 (7) SsBs 454/14 Rn. 12 ff).

Wenn wie hier das Amtsgericht von der ergänzenden Begutachtung durch die PTB absieht und sich für eine eigene Bewertung entschließt, muss es sich mit der Zulassung durch die PTB, die den Zweifeln entgegensteht, auseinandersetzen. Dabei hat es die „Zweifel“ ebenso wie die „Überzeugung“ so darzulegen, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob dem Tatgericht bei seiner Bewertung Rechtsfehler unterlaufen sind (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Vorliegend war dies von besonderer Bedeutung, weil der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten in dem beigezogenen Verfahren, - bei gleicher Sachlage - die Richtigkeit der Messung zunächst konkret, aber auch strukturell bestätigt hatte

3. Die prozessuale Rolle der PTB

Die Ausführungen im angefochtenen Beschluss unter Bezug auf „AG Emmendingen Urt. v. 26. Februar 2014 – 5 OWi 530 Js 24840/12“ (aufgehoben durch OLG Karlsruhe Beschluss v. 24.10.2014 – 2 (7) SsBs 454/14): „der Versuch, die bestehenden Zweifel durch zeugenschaftliche Befragung eines sachkundigen Mitarbeiters der PTB zu entkräften, ist gescheitert.“ lässt ein fehlerhaftes Verständnis des Zeugenbegriffs i.S.d. §§ 48 ff StPO vermuten.

Gemäß § 48 StPO ist Gegenstand des Zeugenbeweises die Bekundung von Tatsachen aufgrund eigener Wahrnehmung.

Mitarbeiter der PTB, gleiches gilt auch für Mitarbeiter der Eichämter und der Herstellerfirmen, können in einem Bußgeldverfahren in aller Regel keine derartigen eigenen Wahrnehmungen bekunden. Sie sind grds. nicht mit dem konkret anhängigen Messvorgang beschäftigt gewesen und haben in aller Regel auch niemals mit dem konkret verwendeten Messgerät zu tun gehabt. Ihre Wahrnehmungen und Kenntnisse beziehen sich auf bauartgleiche Geräte, sowie die naturwissenschaftlich technischen Zusammenhänge.

Soweit ihre Erkenntnisse behördlicher Natur sind und einen schriftlichen Niederschlag gefunden haben, z.B. Eichscheine, Zulassungen und Stellungnahmen der PTB, können sie gem. § 256 Abs. 1 S.1a StPO durch im Protokoll zu vermerkende Verlesung in den Prozess eingeführt werden (vgl. BGH StV 2012, 67ff). Die Zulassungsprüfung der PTB selbst ist ein von Gesetzeswegen angeordnetes Behördengutachten (§§ 13, 25 EichG i.V.m. §§ 16, 36 ff EO-​AV; vgl. auch Grundsatzstellungnahme zur Durchführung der Zulassungsprüfungen zur Innerstaatlichen Bauartzulassung von Geschwindigkeitsüberwachungsgeräten und Rotlichtüberwachungsanlagen der PTB vom Mai 2013; vgl. auch Meyer-​Goßner a.a.O.§ 85 Rn. 2 f).

Soweit schriftliche Stellungnahmen der Hersteller betroffen sind, kommt § 249 StPO in Betracht. Soll darüber hinaus die Befragung z.B. zu bestimmten technischen Funktionsweisen notwendig werden, kann eine Bestellung als Sachverständiger gem. §§ 73 ff StPO erfolgen. Die Ladung als Zeuge ist in aller Regel untunlich.

4. Geschwindigkeitsmessgerät der Firma Vitronic, Modell PoliScanspeed

Im Hinblick auf die im Beschluss zum Ausdruck gebrachten strukturellen Zweifel an Messungen die mit dem Gerät der Firma Vitronic Modell PoliScanspeed und der Messgerätesoftwarevision 1.5.5 durchgeführt und mit der Software TUFF-​Viewer Version 3.45.1 ausgewertet worden sind und hauptsächlich die Auswertesoftware betreffen sind nicht geeignet, die Zulassung durch die PTB in Frage zu stellen.

Die Ausführungen des Sachverständigen sind lückenhaft, beruhen teilweise auf unfundierten Annahmen und es werden voreilige Schlüsse gezogen, die die notwendige Tatsachengrundlage vermissen lassen. Dabei werden bewusst oder unbewusst Vorgaben in den Zulassungen der PTB übergangen.

Die Messsoftware ist mit dem Messgerät verknüpft und legt die Messdaten, die während des gesamten Messvorgangs anfallen, in einer sogenannten Falldatei ab. Die Auswertung dieser Falldateien, d. h. die Prüfung der Geeignetheit der Messdaten für einen Verkehrsverstoß und der Visualisierbarkeit für den auswertenden Messbeamten erfolgt durch die Auswertesoftware (Bildanzeigeprogramm). Diese erhebt keine Messdaten, sondern bearbeitet die vom Messgerät mit seiner Messsoftware erhobenen Daten und stellt sie in einem Bild mit einem Auswerterahmen dar. Die Darstellung des Auswerterahmens erfolgt dabei stets auf Basis dieser Positionskoordinaten. Die Koordinaten des für die eindeutige Messwertzuordnung benötigten Auswerterahmens stammen ausnahmslos vom Messgerät selbst. Der Tuff-​Viewer greift lediglich auf diese Daten zurück, um den Auswerterahmen in das betreffende Bild einzublenden. Zwischen den TuffViewer-​Versionen 3.38.0 und 3.45.1 können sich dabei rechtlich unbeachtliche Unterschiede in der Art der grafischen Darstellung des Auswerterahmens ergeben.

Die Messsoftware 1.5.5. ist vor den Empfehlungen des Arbeitskreises IV Verkehrsgerichtstages 2013 entwickelt worden, so dass nur die für die Messung notwendigen Kerndaten nicht aber die für eine nachträgliche Rekonstruktion notwendigen Hilfsdaten gespeichert wurden. Die Sicherstellung der Messrichtigkeit und Messzuordnung wurde und wird über die Zulassung der PTB gewährleistet, bei der Messsoftware 1.5.5. durch umfangreiche Feldmessungen (vgl. Richtigstellungserklärung der PTB vom 22.08.2013 zum Urteil AG-​Aachen vom 10.12.2012 - 444 OWi 606 Js 31/12-​93/12).

Erst die ab 2011 zugelassene Messsoftware 3.2.4 kann diese sog. Hilfsdaten speichern.

Mit der Auswertesoftware TUFF-​Viewer 3.38.0 (bis 23.07.2013 zugelassen) und TUFF-​Viewer 3.45.1 (ab 24.07.2013 zugelassen) kann auf diese Hilfsdaten zugegriffen werden.

Auf Grund der Zulassungen der Messsoftware in Kombination mit der Auswertesoftware durch die PTB liegt ein standardisiertes Messverfahren bis 23.07.2013 u.a. in der Kombination 1.5.5 + 3.29.2, 1.5.5. + 3.38.0, und 3.2.4 + 3.38.0 vor und ab 24.07.2013 in der Kombination 1.5.5 + 3.29.2,1.5.5 + 3.45.1 und 3.2.4. + 3.45.1. Wird eine Messung nach dem 23.07.2013 mit der Auswertesoftware 3.38.0 ausgewertet, ist dies außerhalb der Zulassung der PTB. Auf die Richtigkeit der Messung hat das keine Auswirkungen. Die Messsoftware, die die Messdaten erhebt, ist von dem Stichtagswechsel der Auswertesoftware nicht betroffen. Auch auf nach dem Stichtag mit TUFF-​Viewer 3.38.0 ausgewertete Falldaten kann ein Bußgeldbescheid und auch eine Verurteilung gestützt werden, solange das Gericht von der Richtigkeit der Messung überzeugt ist. Dabei muss es lediglich die Auswerterichtlinien beachten.

Danach ist ein Bild als Beweismittel nicht zu verwenden, wenn
  1. bei einer Frontmessung innerhalb der Schablone (Auswerterahmen) weder ein Vorderrad noch das Kennzeichen zumindest teilweise enthalten sind;

  2. bei einer Heckmessung innerhalb der Schablone (Auswerterahmen) weder ein Hinterrad noch das Kennzeichen zumindest teilweise enthalten sind;

  3. wenn Teile anderer Verkehrsteilnehmer in gleicher Fahrtrichtung auf derselben oder einer benachbarten Fahrspur innerhalb der Schablone (Auswerterahmen) zu erkennen sind;

  4. oder die Unterseite der Schablone sich nicht unterhalb der Räder befindet.
Diese Auswerteregeln sind bewusst so formuliert, dass es zu ihrer Bewertung keiner technischen Kenntnisse bedarf und wenn keines dieser Ausschlussgründe vorliegt, mit einer an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine gerichtsverwertbare Messung bezogen auf das betroffene Fahrzeug vorliegt. Es bedarf dann keiner weiteren Darlegung im Urteil. Liegt eines der Ausschlussgründe vor, liegt in der Regel auch eine verwertbare Messung vor, auf die auch eine Verurteilung gestützt werden kann. Es bedarf dann allerdings näherer Darlegungen. Zur Vereinfachung des Verfahrens und aus Kostengründen kann deswegen zu Gunsten der Betroffenen auf die Verfolgung von Verstößen mit Messungen außerhalb der Auswerteregeln verzichtet werden.

Die Neuerung in der Auswertesoftware TUFF-​Viewer 3.45.1 liegt in der automatisierten Vorauswertung, die die auswertenden Messbeamten weiter entlasten soll. Sie geht von einem anderen Ansatz aus und ist deswegen nicht ohne weiteres mit der Version TUFF-​Viewer 3.38.0. vergleichbar. Deswegen hat die PTB auch zu dieser Stichtagsregelung gegriffen um unsachgemäße Vergleiche zu unterbinden.

Diese Zusammenhänge werden im Gutachten nicht dargelegt. Die stattdessen formulierten "Zweifel" beruhen i.E. auf einem unsachlichen Vergleich und einer erkennbar begrifflichen Irreführung des Gerichts.

Entgegen den Andeutungen im Gutachten geht es dabei nicht um die "Unterdrückung" der Folgen des sog. "Stufeneffekts", da dieses Phänomen der Messüberwachung bei den hier gegenständlichen Messsoftware-​Varianten nicht auftritt, wie die PTB in mehreren Stellungnahmen in der Vergangenheit deutlich dargelegt hat. Es geht auch nicht um die "Unterdrückung falscher Messwerte". Da die Messsoftware nicht betroffen ist, beruhen die Falldateien genau wie vor dem Stichtag auf der gleichen Messtechnik. Es geht ausschließlich um den formalisierten Umgang atypische Verkehrsabläufe während der Messung, in der Regel um die (Vor)Bewertung von sog. „Verdeckungsszenarien“.

Bei der Auswertesoftware TUFF-​Viewer 3.45.1 erfolgt eine automatisierte Vorausfilterung (Unterdrückung) der im Messbereich erzeugten Falldateien durch die Auswertesoftware. Die unterdrückten Falldateien werden dem Messbeamten nicht mehr angezeigt, wären aber grundsätzlich zumindest von der PTB rekonstruierbar. Die Unterdrückung beruht auf dem einfachen Prinzip des Rückgriffs auf die letzte globale Erfassung des im Messbereich befindlichen Fahrzeugs. Befindet sich diese innerhalb von 24 m vor dem Messgerät wird die Messung ausgewertet. Ist die letzte globale Erfassung außerhalb von 24 m vor dem Messgerät wird die Messung dem Messbeamten nicht mehr angezeigt (unterdrückt). In diesem Zusammenhang von „Messfehlern“ zu sprechen ist sachlich falsch. Der Grund für diese Festlegung liegt allein darin, dass innerhalb von 24 m vor dem Messgerät, bei den üblicherweise gefahrenen Geschwindigkeiten, ein atypischer Verkehrsverlauf, der im Rahmen der Auswertung nach den oben genannten Auswerterichtlinien Interpretationsspielräume zulassen und damit zu unnötigen Diskussionen und damit zu erhöhten Belastungen der Gerichte und der Verwaltungsbehörden führen könnten, nach den Erfahrungen der PTB nahezu ausgeschlossen.

Wird entgegen den Festlegungen der PTB ein mit dem alten Auswerteprogramm Tuff-​Viewer 3.38.0 ausgewertete Falldatei erneut unter Verwendung des Tuff-​Viewer 3.45.1 ausgewertet, so führt dies grundsätzlich zum:
  1. identischen Ergebnis (Regelfall) oder zur

  2. Begünstigung von Betroffenen
Dass bei Auswertungen der gleichen Falldaten durch die alte Auswertesoftware mehr bußgeldrelevante Verfahren auftreten als bei entsprechender Auswertung durch die neue Software bedarf keiner näheren Erläuterung. Daraus den Schluss zu ziehen, dass die unter der alten Auswertesoftware zu Bußgeldverfahren geführten Falldateien zu Unrecht erhoben worden sind, entbehrt jeglicher Grundlage.