Das Verkehrslexikon

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OVG Münster Beschluss vom 10.03.2015 - 16 B 24/15 - Unbewusste Einnahme von harten Drogen

OVG Münster v. 10.03.2015: Unbewusste Einnahme von harten Drogen


Das OVG Münster (Beschluss vom 10.03.2015 - 16 B 24/15) hat entschieden:
Eine unbewusste und ungewollte Rauschmitteleinnahme stellt trotz der Häufigkeit derartiger Beteuerungen einen Ausnahmetatbestand dar, zu dem nur der Betroffene als der am Geschehen Beteiligte Klärendes beisteuern kann und der daher von diesem jedenfalls glaubhaft und widerspruchsfrei dargetan werden muss. Erst nach einer solchen Schilderung kann sich die Frage ergeben, zu wessen Nachteil eine gleichwohl verbleibende Ungewissheit über den genauen Hergang der Ereignisse ausschlägt.


Siehe auch Heroin im Fahrerlaubnisrecht und Unbewusster Drogenkonsum - Passivkonsum


Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers, über die im Einverständnis der Beteiligten der Berichterstatter entscheidet (§ 125 Abs. 1 i. V. m. § 87a Abs. 2 und 3 VwGO), hat keinen Erfolg. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.

Das Beschwerdegericht kann sich allerdings nicht davon überzeugen, dass im Zusammenhang mit der Verkehrskontrolle vom 23. Mai 2014 auch ein Kokainkonsum des Antragstellers festgestellt worden ist. Für einen solchen Konsum spricht zwar der (auch) insoweit positive Drogenvortest, aber nach dem Befundbericht des Labors L. vom 4. Juni 2014 konnte der positive immunologische Vorbefund für Kokain mittels chromatographischem Verfahren nicht bestätigt werden, so dass der Befund somit für Kokain insgesamt negativ zu bewerten sei. Das Beschwerdegericht geht insoweit davon aus, dass auch ein den Kokainkonsum belegender Befund hinsichtlich des Metaboliten Benzoylecgonin nicht gewonnen wurde. Denn ebenso wie für Kokain (Wert von "<2.0 µ/l" bei einer Bestimmungsgrenze von 2,0 µ/l im Serum) wurde auch für Benzoylecgonin ("<20 µ/l" bei einer Bestimmungsgrenze von 20,0 µ/l im Serum) kein Wert oberhalb der Bestimmungsgrenze ermittelt. Außerdem dürfte die abschließende Feststellung des Labors, dass der Befund für Kokain "insgesamt negativ zu bewerten" sei, unter Berücksichtigung des Umstandes erfolgt sein, dass bei einem hinreichend hohen bzw. hinreichend verlässlich nachgewiesenen Benzoylecgonin-​Wert die Schlussfolgerung auf einen erfolgten Kokainkonsum zu ziehen gewesen wäre.

Allerdings erweist sich die summarische Einschätzung des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der aktuellen Fahreignung des Antragstellers im Ergebnis als zutreffend, da der Antragsteller im zeitlichen Zusammenhang mit der Verkehrskontrolle vom 23. Mai 2014 Morphin eingenommen hat. Der im Befundbericht des Labors L. genannte Wert von 9,3 µ/l im Serum liegt oberhalb der Bestimmungsgrenze; entsprechend heißt es in dem Bericht, der gewonnene Nachweis sei "beweisend für einen kürzlich erfolgten Heroin- bzw. Morphin-​Abusus". Jedenfalls mit Blick auf die Feststellung eines Konsums derartiger Opiate hat der Antragsteller auch mit der Beschwerde keine substanziierten Einwände gegen die Richtigkeit des labormedizinischen Befundes geltend gemacht.

Das Beschwerdegericht geht wie auch das Verwaltungsgericht nicht davon aus, dass der festgestellte Morphingehalt im Blutserum des Antragstellers auf einem unbewussten und daher schon nicht als "Einnahme" i. S. v. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV zu bewertenden Vorgang beruht. Der angefochtene Beschluss beruht zutreffend darauf, dass eine unbewusste und ungewollte Rauschmitteleinnahme trotz der Häufigkeit derartiger Beteuerungen einen Ausnahmetatbestand darstellt, zu dem nur der Betroffene als der am Geschehen Beteiligte Klärendes beisteuern kann und der daher von diesem jedenfalls glaubhaft und widerspruchsfrei dargetan werden muss. Erst nach einer solchen Schilderung kann sich die Frage ergeben, zu wessen Nachteil eine gleichwohl verbleibende Ungewissheit über den genauen Hergang der Ereignisse ausschlägt.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Februar 2008 - 16 B 2113/07 -, juris, und vom 22. März 2012 - 16 B 231/12 -, juris, Rn. 6 f.; siehe auch Bay. VGH, Beschluss vom 10. Dezember 2007 - 11 CS 07.2905 -, juris, Rn. 15; OVG M.-​V., Beschluss vom 4. Oktober 2011 - 1 M 19/11 -, NJW 2012, 548 = juris, Rn. 8; OVG Rh.-​Pf., Beschluss vom 25. Januar 2012 - 10 B 11430/11 -, juris, Rn. 3.
Diesen Anforderungen genügt indessen auch die im Vergleich zum vorprozessualen bzw. erstinstanzlichen Vorbringen etwas ausführlichere Einlassung des Antragstellers in der Beschwerdeinstanz nicht. Vielmehr ist diese nicht einmal im Ansatz geeignet, den Ausnahmefall einer unbeabsichtigten Drogeneinnahme plausibel zu machen. Es fällt insbesondere auf, dass die Angaben des Antragstellers zum Ort des Geschehens und zu den anderen bei der Party anwesenden Personen - einschließlich des Gastgebers - ausgesprochen karg sind. Die Einlassung des Antragstellers, er und der Zeuge F. hätten sich "auf Veranlassung einer dritten Person, die den 'Partyveranstalter' kannte" zu der Feier nach J. begeben, wobei er auch zum genauen Ort nichts sagen könne, da er nicht selbst gefahren sei, ist an Unbestimmtheit nicht zu überbieten. Deutlicher kann das Bemühen, nichts Nachprüfbares vorzutragen, kaum zutage treten. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass der Antragsteller und der Zeuge an einer relativ kleinen Feier - er spricht von etwa 15 Partygästen - durch bloße "Vermittlung" durch eine ungenannt gebliebene dritte Person und ohne die Bekanntschaft zum Gastgeber teilnehmen konnten. Erstaunen ruft auch hervor, dass der Antragsteller den "Veranstalter" nicht einmal auf der Party selbst kennengelernt hat; er trägt vielmehr vor, nach wie vor nicht dessen Namen zu wissen. Ist dies alles schon eigenartig genug, hat der Antragsteller offensichtlich auch nachfolgend nichts unternommen, um sich nähere Erkenntnisse über den oder die möglichen Schädiger zu verschaffen, wozu als erstes die Kenntnis gehört hätte, wer diese Party veranstaltet und wer zu dem durchaus überschaubaren Kreis der Partyteilnehmer gehört hat. Führt man sich vor Augen, dass ausgehend von der Darstellung des Antragstellers eine schwerwiegende Straftat gegen ihn verübt worden ist - zumindest der Versuch des Tatbestandes nach § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB dürfte zu bejahen sein - und ihn die Folgen dieses Geschehens hart und nachhaltig treffen, ist seine absolute Unkenntnis über den Veranstalter und die anderen Teilnehmer der besagten Party vollkommen unverständlich und schon für sich genommen ausreichend, das Gesamtvorbringen als substanzlose Ausrede abzutun.

Hier kommen allerdings noch weitere Ungereimtheiten hinzu. So bleibt letztlich auch offen, wann die angebliche Party stattgefunden hat. Während der Antragsteller zunächst vom "Vorabend" des Auffälligwerdens im Straßenverkehr sprach - das wäre der 22. Mai 2014 gewesen - ist in der Beschwerdebegründung vom 23. Mai 2014 die Rede. Dabei dürfte aus dem weiteren Vorbringen hervorgehen, dass es sich dabei nicht um ein bloßes Schreibversehen handelt. Denn der Antragsteller trägt auch vor, ihm sei der mögliche Betäubungsmittelkonsum erst während der Verkehrskontrolle bewusst geworden. Indem er in diesem Zusammenhang anführt, dass Heroin bei oraler Aufnahme innerhalb von 20 bis 30 Minuten in die Blutbahn gelange, will er vermutlich erklären, warum er bei Fahrtantritt noch nichts von der Morphinbeeinflussung wusste bzw. wissen konnte; welchen anderen Sinn dieses Vorbringen haben könnte, wird jedenfalls nicht ersichtlich. Auch wenn aber die Party und Morphinaufnahme am Vorabend der Verkehrskontrolle stattgefunden haben sollten, bliebe noch der Widerspruch bestehen, dass der Antragsteller gegenüber der Polizei angegeben hatte, in der vorangegangenen Nacht von 23.00 bis 7.00 Uhr geschlafen zu haben, während er nunmehr vorträgt, erst um etwa 24.00 Uhr die angebliche Party verlassen zu haben. Schließlich kann auch nicht geglaubt werden, dass eine zunächst unbemerkte Morphineinnahme noch am Abend danach zu einem Wert von 9,3 ng/ml im Serum führen konnte. Denn nach rechtsmedizinischen Erkenntnissen ist Heroin nur einige Minuten im Blut nachweisbar, während sich das Zeitfenster bei (sonstigen) Morphinen auf 3 bis 10 Stunden und nur nach höchster Dosierung auf bis zu 20 Stunden (und mehr) beläuft.
Vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungs-​Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar, 2. Aufl. 2005, S. 178.
Nur abrundend sei schließlich darauf hingewiesen, dass der Antragsteller noch bei der medizinisch-​psychologischen Untersuchung im Januar 2012 angegeben hatte, für ihn gehöre auch Alkohol zu den Drogen, weshalb er auch diesen (nunmehr) strikt meide; sein Beschwerdevorbringen, er habe auch der angeblichen Party mit Alkohol versetzte Cola getrunken, belegt auch in diesem eher nebensächlichen Punkt die große Distanz zwischen den Bekundungen des Antragstellers und der Realität.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 und § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).