Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Köln Beschluss vom 27.02.2015 - III-1 RBs 56/15 - Akteneinsicht und rechtliches Gehör

OLG Köln v. 27.02.2015: Notwendiger Akteninhalt, Akteneinsicht und rechtliches Gehör


Das OLG Köln (Beschluss vom 27.02.2015 - III-1 RBs 56/15) hat entschieden:
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verbietet es, Schriftstücke, aus denen sich schuldspruch- oder rechtsfolgenrelevante Umstände ergeben können, den Akten fernzuhalten. Was für das Verfahren geschaffen worden ist, darf der Akteneinsicht nicht entzogen werden.


Siehe auch Akteneinsicht und Aktenversendungspauschale und Rechtliches Gehör


Gründe:

I.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Vorlageverfügung vom 4. Februar 2015 den bisherigen Verfahrensgang zutreffend wie folgt zusammengefasst:
"Gegen die Betroffene ist durch Bußgeldbescheid des Landrats des Rhein-Sieg-Kreises vom 26.07.2013 wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 38 km/h eine Geldbuße in Höhe von 120,00 Euro gemäß §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, 49 StVO; 24 StVG; 11.3.6 BKat festgesetzt worden (Bl. 24 d.A.). (...)

Den gegen den Bußgeldbescheid gerichteten Einspruch der Betroffenen hat das Amtsgericht Königswinter durch Urteil vom 11.12.2013 - 21 OWi 176/13 - in Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG verworfen (Bl. 36 d.A.). Auf den hiergegen gestellten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde vom 20.12.2013 (Bl. 38, 42 ff. d.A.) hat das Oberlandesgericht Köln mit Beschluss vom 28.03.2014 - III-1 RBs 81/14 - die Rechtsbeschwerde zugelassen und das angefochtene Urteil mit seinen Feststellungen aufgehoben (Bl. 56 ff. d.A.).

Auf Antrag des Betroffenen hat das Amtsgericht die Betroffene mit Beschluss vom 17.09.2014 von der Verpflichtung des persönlichen Erscheinens entbunden (Bl. 134 d.A.).

Mit Urteil vom 24.09.2014 - 21 OWi 176/13 - hat das Amtsgericht Königswinter gegen die Betroffene wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung gemäß §§ 41, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24 StVG ein Bußgeld in Höhe von 120,- Euro verhängt (Bl. 138, 148 ff. d.A.). Sowohl die Betroffene, die zuvor von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden war (Bl. 134 d.A.) als auch ihr Verteidiger haben an der am 24.09.2014 durchgeführten Hauptverhandlung nicht teilgenommen (Bl. 123, 129, 130, 135 d.A.). Der Sachverständige wurde in der Hauptverhandlung nicht gehört.

Gegen dieses der Betroffenen am 27.09.2014 - Samstag - zugestellte Urteil (Bl. 154 d.A.) hat diese mit anwaltlichem Schriftsatz vom 30.09.2014, bei Gericht eingegangenen am selben Tag (Bl. 151 d.A.), die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und diesen mit weiterem anwaltlichen Schriftsatz vom 04.11.2014, eingegangen bei Gericht am 05.11.2014 (Bl. 155 ff. d.A.) mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt."
Hierauf nimmt der Senat Bezug.


II.

1. Der in formeller Hinsicht unbedenkliche Zulassungsantrag ist begründet.

Da in dem Bußgeldbescheid ausschließlich eine Geldbuße von nicht mehr als 250,-- € festgesetzt wurde, ist die Rechtsbeschwerde nicht schon nach § 79 Abs. 1 S. 1 OWiG ohne weiteres eröffnet, sondern bedarf gemäß § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG der Zulassung. Diese ist hier indessen gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG veranlasst.

a) Dem Vorbringen der Betroffenen, mit dem eine Versagung des rechtlichen Gehörs geltend gemacht wird liegt folgendes, von dem Verteidiger in der Form des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO vorgetragenes (zur Notwendigkeit entsprechenden Rügevorbringens vgl. SenE v. 11.01.2001 - Ss 532/00 Z - = VRS 100, 204; OLG Düsseldorf VRS 97, 55 = NZV 1999, 437 L.; OLG Hamm VRS 98, 117 f.) und durch den Akteninhalt bestätigtes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Das Amtsgericht hatte zur Frage der ordnungsgemäßen Messung ein schriftliches Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. B I (E Automobil GmbH) eingeholt, das das Sachverständigenbüro mit Schreiben vom 18.Juli 2014 übersandte. In diesem Schreiben heißt es:
"Wie am 18.07.2014 mit Ihnen telefonisch besprochen, senden wir Ihnen zu obigen Aktenzeichen eine neue Rechnung zur Kenntnisnahme, die Differenz zur vorherigen Rechnung wird Ihnen selbstverständlich zurückerstattet. Weiterhin ist das korrigierte Gutachten zum Austausch 2-fach beigefügt, die Anlage dazu bleiben unverändert und sind daher nicht enthalten. Wir bedauern den Vorfall und bitten für die Unannehmlichkeiten um Entschuldigung." (Bl. 78 d.A.).
Weiter findet sich in der Akte einen Vermerk der Justizamtsinspektorin T vom 18.Juli 2014, der wie folgt lautet:
"Vermerk:

In dem Bußgeldverfahren
gegen ...

rief Büro E an und erklärte Folgendes:

Sowohl das Gutachten als auch die Rechnung sind fehlerhaft. Neues Gutachten und Rechnung wird übersandt.

Durchschrift an den Verteidiger habe ich aus der Post raus geholt.

Überweisung ist allerdings schon raus."

b) Diese Verfahrensweise des Amtsgerichts verletzt den Anspruch der Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Dieser Grundsatz verpflichtet das Gericht - soweit hier von Interesse -, die Äußerungsmöglichkeiten des Betroffenen namentlich sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu sichern und ihm die Möglichkeit einzuräumen, sich zu Rechtsfragen zu äußern, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen (BVerfGE 63, 332 [337] = NJW 1983, 2763 [2764] SenE v. 24.03.2000 - Ss 134/00 -; SenE v. 16.03.2001 - Ss 77/01 Z -; SenE v. 26.01.2007 - 82 Ss-OWi 7/07 -)

Was speziell die Aktenführung und -einsicht angeht, verbietet es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, Schriftstücke, aus denen sich schuldspruch- oder rechtsfolgenrelevante Umstände ergeben können, den Akten fernzuhalten. Was für das Verfahren geschaffen worden ist, darf der Akteneinsicht nicht entzogen werden (so ausdrücklich: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Auflage 2014, § 147 Rz. 14).

c) Der Senat vermag - was bereits im Verfahren über die Zulassung der Rechtsbeschwerde zu klären ist (SenE v. 20.01.2011 - III-1 RBs 316/10 -; SenE v. 28.03.2011 - III-1 RBs 66/11 -; SenE v. 15.04.2014 - III-1 RBs 89/14 -; OLG Düsseldorf NJW 1999, 2130; Göhler, OWiG, 16. Auflage, § 80 Rz. 16c) - letztlich nicht auszuschließen, dass das angefochtene Urteil auf der Gehörsverletzung beruht (zur Beruhensprüfung bei der Verletzung des rechtlichen Gehörs vgl. ausdrücklich BVerfG NJW 1991, 2811 - bei Juris Tz. 21). Ein Beruhen des Urteils auf der Gehörsverletzung könnte (nur dann) ausgeschlossen werden, wenn das zunächst zur Akte gelangte "falsche" Gutachten eine andere als die streitgegenständliche Messung betroffen hätte. Das ist aber nach den durch die zulässig erhobene Verfahrensrüge veranlassten freibeweislichen Ermittlungen des Senats nicht der Fall (vgl. zu den Ermittlungsmöglichkeiten im Freibeweisverfahren BGH NStZ 1993, 349; BGH StraFo 2011, 314 = StV 2012, 3). Vielmehr betraf es nach der eingeholten fernmündlichen Auskunft der E die Messung vom 17. Mai 2013, 21:18 Uhr in Königswinter, B 42n. Auch wenn seitens der E insoweit - ohne die Möglichkeit näherer Eingrenzung - (nur) von im Hinblick auf Schreibfehler vorzunehmende Korrekturen die Rede war, war doch das "falsche" Gutachten im vorbezeichneten Sinne für das vorliegende Verfahren geschaffen und unterlag daher dem Akteneinsichtsrecht des Verteidigers.

2. Die danach zu zulassende Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§§ 353 Abs. 1 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 OwiG) und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (§ 79 Abs. 6 OWiG).