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Landgericht Leipzig Beschluss vom 23.09.2014 - 1 Qs 329/14 - Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis bei Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz
LG Leipzig v. 23.09.2014: Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis bei Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz
Das Landgericht Leipzig (Beschluss vom 23.09.2014 - 1 Qs 329/14) hat entschieden:
Dass die Staatsanwaltschaft erst längere Zeit nach der Tatbegehung die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis beantragt, steht der Anordnung der Maßnahme grundsätzlich nicht entgegen. Hat jedoch im Zeitpunkt der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Anlasstat bereits acht Monate zurückgelegen, in denen der Betroffene beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen hat und sind fünf Monate lang keine weiteren sachaufklärenden Maßnahmen erfolgt, ist die vorläufige Maßnahme aufzuheben.
Siehe auch Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und Stichwörter zum Thema Fahrerlaubnis und Führerschein
Gründe:
I.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 13.06.2014, Gz.: 281 ER 08 Gs 2127/14, wurde dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen.
In den Gründen wird ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen der Beschuldigte dringend verdächtig sei, am 18.10.2013, um 22:35 Uhr, auf dem Terminalring (Höhe Hausnummer 1) in Schkeuditz ein Kraftfahrzeug geführt zu haben, obwohl er fahruntüchtig gewesen sei.
Eine am 19.10.2013, um 00:33 Uhr, bei dem Beschuldigten entnommene Blutprobe habe eine Blutalkoholkonzentration von 1,89 Promille im Mittelwert und eine am 19.10.2013, um 01:03 Uhr, beim Beschuldigten entnommene weitere Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 1,77 Promille im Mittelwert ergeben.
Seine Fahruntüchtigkeit habe zur Folge gehabt, dass der Beschuldigte beim Rückwärtseinparken gegen den Pkw Peugeot, amtliches Kennzeichen: ... des ... gestoßen sei, wodurch dort Sachschaden in Höhe von 1.469,00 € entstanden sei, was der Beschuldigte zumindest hätte voraussehen können.
Damit seien dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis entzogen werden wird (§§ 69 Abs. 1, 2, 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB). Zur Sicherung gegen weitere Gefährdungen sei es erforderlich die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen. In den Beschlussgründen wird ausgeführt, dass trotz des Zeitablaufes seit der dem Beschuldigten zur Last gelegten Tat unter Berücksichtigung der Höhe der Blutalkoholkonzentration die Entziehung verhältnismäßig und geboten sei.
Nachdem mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Leipzig vom 27.06.2014 der Beschluss an die sachbearbeitende Polizeidienststelle zur Realisierung des Beschlusses weitergeleitet wurde, wurde der Führerschein am 26.07.2014 beschlagnahmt.
Gegen den Beschluss des Amtsgerichts Leipzig legte der Beschuldigte mit Verteidigerschriftsatz vom 25.08.2014 Beschwerde ein und beantragte, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben und ferner festzustellen, dass die Anordnung einer doppelten Blutentnahme durch die Staatsanwaltschaft Leipzig rechtswidrig gewesen sei.
Zur Begründung hinsichtlich der Beschwerde wird ausgeführt, dass der Beschluss über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben sei, da die Beschleunigungsgrundsätze nicht beachtet worden seien und aufgrund der sachwidrigen Verzögerung des Verfahrens die weitere Aufrechterhaltung der Maßnahme unverhältnismäßig sei.
Insoweit handele es sich bei § 111a StPO um eine vorbeugende Maßnahme, die neben dem Vorliegen eines dringenden Tatverdachtes voraussetze, dass die Maßnahme zum Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren durch einen ungeeigneten Kraftfahrer vor der Verkündung einer endgültigen Entscheidung im Hauptverfahren notwendig sei.
Zum Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis habe das in Rede stehende Ereignis bereits acht Monate zurückgelegen. Sofern der Beschuldigte in diesem Zeitraum am Straßenverkehr beanstandungsfrei teilgenommen habe, wachse mit zunehmenden Zeitablauf auch das Vertrauen in den Bestand der Fahrerlaubnis.
Besondere Berücksichtigung müsse finden, dass der Sachverhalt vom 18.10.2013 durch die Vernehmung der tatrelevanten Zeugen und dem Befundbericht der Universität Leipzig bereits am 22.10.2013 alle wesentlichen Tatsachen enthalten habe, um über eine vorläufige Maßnahme entscheiden zu können. Zwischen dem Abschlussbericht der Polizeidirektion Leipzig vom 22.01.2014 und dem Antrag der Staatsanwaltschaft Leipzig auf Erlass eines Beschlusses nach § 111a StPO mit Verfügung vom 10.06.2014 seien keine weiteren sachaufklärenden Maßnahmen erfolgt.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 01.09.2014 wurde der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht Leipzig zur Entscheidung vorgelegt. Desweiteren wurde in dem Beschluss festgestellt, dass die von der Staatsanwaltschaft Leipzig am 18.10.2013 angeordnete doppelte Blutentnahme rechtmäßig erfolgt sei.
Die Staatsanwaltschaft Leipzig leitete die Beschwerde mit Verfügung vom 12.09.2014 dem Landgericht Leipzig zur Entscheidung zu, wobei darauf hingewiesen wird, dass unmittelbar nach Rücksendung der Akten der Verfahrensabschluss vorgesehen sei und in der Sache die besondere Eilbedürftigkeit wegen weiterer anhängiger Verfahren übersehen worden sei.
II.
Die zulässige Beschwerde hat - zumindest vorläufigen - Erfolg.
Zwar liegen nach Aktenlage dringende Gründe für die Annahme vor, dass dem Beschuldigten in einer das Verfahren abschließenden Entscheidung die Fahrerlaubnis endgültig entzogen werden wird.
Insofern ist in Anbetracht der sich aus dem Befundbericht der Universität Leipzig vom 22.10.2013 gemessenen Promille-Werte und den Aussagen der Zeugen ... und ... sowie dem polizeilichen Sachstandsbericht vom 22.10.2013 und den Lichtbildern davon auszugehen, dass sich der erhobene Tatvorwurf des § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB bestätigen könnte.
Dass die Staatsanwaltschaft erst längere Zeit nach der Tatbegehung die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis beantragt, steht der Anordnung der Maßnahme auch grundsätzlich nicht entgegen. Insoweit kann auch noch ein Jahr nach der Tat die Anordnung des § 111a StPO gerechtfertigt sein, sofern noch weitergehende Ermittlungen zur Sachverhaltsaufklärung erforderlich gewesen wären.
Im vorliegenden Fall muss jedoch Berücksichtigung finden, dass die wesentlichen Ermittlungen bereits mit Eingang des Befundberichtes am 22.10.2013 und der Vernehmung der benannten Zeugen, die ebenfalls noch im Oktober 2013 vorgenommen wurde, bereits ausreichende Anhaltspunkte dafür bieten, dass dringende Gründe für die Annahme einer Anordnung nach § 111a StPO Vorgelegen haben.
Desweiteren war zu berücksichtigen, dass zwischen dem polizeilichen Schlussbericht mit Datum vom 22.01.2014 und dem Antrag auf Erlass eines § 111a-StPO-Beschlusses mit Verfügung vom 10.06.2014 viereinhalb Monate vergangen sind, in denen keine weitergehenden Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhaltes vorgenommen wurden.
Auch unter Berücksichtigung des dringenden Tatverdachtes und des Umstandes - auf den das Amtsgericht Leipzig zu Recht hinweist - dass bei der Bestätigung einer Alkoholkonzentration in dieser Höhe die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen sein wird, hat der Beschwerdeführer - jedoch lediglich im vorläufigen Verfahren - derzeit - wohl kurzfristigen - Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO analog.