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Amtsgericht Pforzheim Urteil vom 20.09.2010 - 6 C 159/10 - Verzicht auf Vorfahrtsrecht gegenüber Einfahrendem und Unfall mit Drittem
AG Pforzheim (Urteil vom 20.09.2010: Verzicht auf Vorfahrtsrecht gegenüber Einfahrendem und Unfall mit Drittem
Das Amtsgericht Pforzheim (Urteil vom 20.09.2010 - 6 C 159/10) hat entschieden:
Verzichtet ein Verkehrsteilnehmer gegenüber einem wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer, der aus einer Grundstücksausfahrt nach links einfahren will, auf sein Vorfahrtsrecht, bedeutet dies nur den Verzicht auf sein eigenes Vorrecht. Der Verzicht auf den Vorrang befreit den Wartepflichtigen nicht von den ihm obliegenden Sorgfaltspflichten gegenüber den sonstigen vorfahrtberechtigten Verkehrsteilnehmern. Hat der vorfahrtberechtigte Verkehrsteilnehmer auf der Fahrbahnmitte angehalten, besteht für den nachfolgenden Verkehr eine unklare Verkehrslage, weshalb nachfolgende Fahrzeuge am stehenden Fahrzeug nicht vorbeifahren dürfen. Bei der Kollision des Einfahrenden mit einem nachfolgenden Fahrzeug ist daher eine hälftige Haftungsverteilung richtig und angemessen.
Siehe auch Stichwörter zum Thema Vorfahrt und Verzicht auf das Vorfahrtrecht - Vorrangverzicht
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Schadensersatz in Höhe von 75 % aus einem Verkehrsunfall vom 26.10.2009 in P, Westliche K-F-Straße. Der Kläger ist Eigentümer des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen .... Der Beklagte Ziffer 1 ist Halter und Fahrer des Kraftfahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen .... Die Beklagte Ziffer 2 ist Haftpflichtversicherer für den Pkw des Erstbeklagten.
Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, auf seiner Fahrt in stadtauswärtiger Richtung, somit in Richtung des Ortsteils B, habe sich vor ihm ein Mercedes der A-Klasse befunden, der auf der Fahrbahn bzw. zum Fahrbahnrand bis zum Stillstand ohne Blinkzeichen abgebremst habe. Als er sich diesem Fahrzeug angenähert habe, habe er den linken Blinker gesetzt und sich vergewissert, ob im Gegenverkehr, also aus Richtung Ortsteil B sich Fahrzeuge nähern. Als er dies habe nicht feststellen können, habe er zum Überholen der stehenden A-Klasse angesetzt. In Höhe der Hofeinfahrt der ... sei der Beklagte Ziffer 1 mit seinem Fahrzeug ohne auf das klägerische Fahrzeug zu achten, nach links, also in stadteinwärtiger Richtung gefahren. Eine Kollision habe nicht vermieden werden können. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass 75 % seines Schadens in Höhe von € 2.120,23, mithin € 1.590,17 zu bezahlen seien.
Der Kläger beantragt:
- Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger € 1.590,17 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 19.12.2009 zu bezahlen.
- Die Beklagten werden als Gesamtschuldner weiter verurteilt, an den Kläger € 229,55 vorgerichtliche Kosten als Verzugsschaden gem. Vorbemerkung 3 Ziff. 4 VVRVG 3100 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 19.12.2009 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten wenden ein, dass der Vorausfahrende auf der Straßenmitte angehalten habe, mithin habe für das nachfolgende Fahrzeug eine unklare Verkehrslage bestanden. Unter Berücksichtigung der Haltposition des Mercedes und des Umstandes, dass an diesem Fahrzeug kein Blinker gesetzt worden sei, habe der Klägerin nicht davon ausgehen können, dass der Mercedes beabsichtigte zu parken. Der Fahrer der A-Klasse habe ihm angezeigt, aus der Ausfahrt ausfahren zu dürfen.
Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Zeugen ... und die Beiziehung der Bußgeldakte.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist im zuerkannten Umfang begründet. Wegen des Verkehrsunfalls vom 26.10.2009 hat der Kläger gegen den Beklagten einen Schadensersatzanspruch in Höhe von € 1.060,11 gem. §§ 823 BGB, 7 Abs. 1 StVG, 3 PflVG.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge eine Schadensteilung richtig und angemessen ist. Der Zeuge ... bekundet glaubhaft und widerspruchsfrei, dass er dem Beklagten Ziffer 1 durch Kopfnicken zu verstehen gegeben hat, dass er herausfahren kann. Das Gericht geht daher davon aus, dass der Zeuge ... gegenüber dem Beklagten Ziffer 1 auf das Vorfahrtsrecht verzichtet hat. Allerdings bedeutet das Winkzeichen eines Verkehrsteilnehmers nur den Verzicht auf sein eigenes Vorrecht. Der Verzicht auf den Vorrang befreit den wartepflichtigen Beklagten Ziffer 1 nicht von den ihm obliegenden Sorgfaltspflichten gegenüber den sonstigen vorfahrtsberechtigten Verkehrsteilnehmern. Mithin hat das Amtsgericht Pforzheim davon auszugehen, dass der Beklagte Ziffer 1 gegenüber dem Kläger wartepflichtig gewesen ist. Andererseits muss gesehen werden, dass der Zeuge ... ebenso glaubhaft bekundet, dass er nicht am Fahrbahnrand, sondern zur Fahrbahnmitte gestanden ist. Der Kläger durfte daher bei dieser unklaren Verkehrslage am stehenden Fahrzeug des Zeugen ... nicht vorbeifahren. Dabei muss auch gesehen werden, dass aus den in der Bußgeldakte befindlichen Lichtbildern erkennbar sein musste, dass der Zeuge ... wegen der an der Unfallstelle befindlichen Einfahrt zum Parkhaus der ... wegen eines anderen ausfahrenden Fahrzeuges, wie geschehen, anhält. Der Zeuge bekundet, dass er nicht am Fahrbahnrand, sondern zur Mitte hin angehalten hat, der Kläger hätte daher warten müssen, bis die unklare Verkehrssituation sich entspannt. Eine hälftige Haftungsverteilung ist daher richtig und angemessen.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 284, 288 BGB, 92, 708 Nr. 11, 711 ZPO.