Das Verkehrslexikon
Amtsgericht Köln Urteil vom 01.07.2010 - 262 C 156/09 - Kfz-Unfall durch Fahrbahnwechsel auf der Autobahn
AG Köln v. 01.07.2010: Kfz-Unfall durch Fahrbahnwechsel auf der Autobahn
Das Amtsgericht Köln (Urteil vom 01.07.2010 - 262 C 156/09) hat entschieden:
- Ein Verzicht auf die Vorfahrt kann nur dann angenommen werden, wenn der Berechtigte den Verzichtswillen in unmissverständlicher Weise zum Ausdruck bringt. Es muss in dieser Hinsicht eine Verständigung zwischen dem Bevorrechtigten und dem Wartepflichtigen stattgefunden haben. Allein aufgrund eines Verringern der Geschwindigkeit oder gar Anhaltens des vorfahrtberechtigten Fahrzeugs kurz vor der Kollision darf der Wartepflichtige nicht auf einen Verzicht auf das Vorrecht schließen.
- Ein Mitverschulden des Bevorrechtigten durch ein "Vom Gas gehen" und "langsamer werden" im dichten Verkehr auf einer Autobahn, das zur Irreführung über die Möglichkeit eines Spurwechsels führenkann, ist allenfalls mit 50% zu berücksichtigen.
Siehe auch Auffahrunfälle auf der Autobahn und Verzicht auf das Vorfahrtrecht - Vorrangverzicht
Tatbestand:
Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 31.10.2008 in Köln ereignet hat.
Zu dem Unfall kam es, als der Kläger mit seinem Lkw Iveco mit dem amtlichen Kennzeichen ... mit einem mitgeführten Anhänger, die BAB 3 in Fahrtrichtung Frankfurt befuhr. Der Beklagte zu 1) befuhr mit der Sattelzugmaschine mit dem amtlichen Kennzeichen ..., die BAB 3 in gleicher Fahrtrichtung, auf einer Spur weiter links vom Kläger.
Da dichter Verkehr herrschte, beabsichtigte der Kläger, die Fahrspur zu wechseln. Beim Spurwechsel kam es sodann zur Kollision der beiden Fahrzeuge, wobei die näheren Umstände zwischen den Parteien streitig sind. Hierbei wurde der Anhänger des Klägers beschädigt.
Der Kläger beziffert seinen Schaden auf insgesamt 1.225,40 € (Reparaturkosten netto von 930,60 €, Gutachterkosten von 269,80 € sowie Kostenpauschale in Höhe von 25,00 €). Nach einer Regulierung der Beklagtenseite in Höhe von 50%, macht er die restlichen 50% (612,70 €) mit der vorliegenden Klage geltend.
Der Kläger behauptet, dass er sich – vor dem Hineinziehen in die Lücke vor dem Beklagten – mit diesem durch Blickkontakt hierüber verständigt habe. Der Beklagte habe dann jedoch aus Unaufmerksamkeit den Anhänger des Klägers übersehen.
Nachdem der Kläger zunächst Anwaltskosten in Höhe von 55,10 € verlangt hat, hat er die Klage in der mündlichen Verhandlung diesbezüglich reduziert und beantragt nunmehr,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 612,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.01.2009 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 35,83 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bestreiten, dass es zu einer Verständigung gekommen sei, ein Blickkontakt sei aufgrund der erhöhten Sitzposition des Beklagten und des Umstandes, dass er auf der dem Klägerfahrzeug abgewandten Seite gesessen habe, auch gar nicht möglich gewesen. Sie bestreiten mit Nichtwissen, dass der Kläger den Blinker gesetzt habe. Hilfsweise erklären sie mit dem, dem Beklagten zu 1) entstandenen Schaden in Höhe von 1.287,95 € bis zur Höhe der Klageforderung die Aufrechnung. Hierzu wird auf Bl. 50,51 der Akte Bezug genommen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat die Parteien persönlich angehört und Beweis erhoben durch die Vernehmung des Zeugen ... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 20.04.2010 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der Kläger kann von den Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Schadensersatz aus dem streitigen Verkehrsunfall verlangen, ein Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus §§ 7, 18, 17 StVG, 3 PflVG a. F., § 115 VVG n. F..
Es ist nicht nachgewiesen, dass es sich bei dem Unfall um höhere Gewalt gem. § 7 Abs. 2 StVG, oder ein sog. unabwendbares Ereignis gem. § 17 Abs. 3 StVG handelte. Daher ist gem. § 17 Abs. 1 und 2 StVG eine Haftungsabwägung vorzunehmen. Die Verpflichtung zum Schadensersatz und dessen Höhe ist dabei von den jeweiligen Verursachungsbeiträgen abhängig. Dabei können nur solche Umstände berücksichtigt werden, die zugestanden oder bewiesen waren, wobei auch die Regeln des Anscheinsbeweises Anwendung finden. Die vorzunehmende Abwägung führt vorliegend jedenfalls zu einer hälftigen Haftung des Klägers.
Der Unfall hat sich unstreitig bei einem Fahrstreifenwechsel seitens des Klägers von der vierten rechten Spur auf die links davon gelegene 3. Fahrspur ereignet. Daher sprach der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Klägers. Gemäß § 7 Abs. 5 StVO darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
Da es vorliegend nicht nur zu einer Gefährdung, sondern sogar zu einem Unfall gekommen ist, ist der Kläger diesen hohen Anforderungen nicht gerecht geworden. Dafür spricht nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung. Es ist dem Kläger nicht gelungen, den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis zu widerlegen.
Der Kläger hat den Anscheinsbeweis nicht zu entkräften vermocht. Soweit der Kläger behauptet, dass der Beklagte zu 1) auf sein Vorrecht verzichtet habe und ihm durch Verständigung, insbesondere Blickkontakt zu verstehen gegeben habe, dass er vor ihn einscheren könne, so hat der Kläger dies nicht zur hinreichenden Überzeugung des Gerichts beweisen können. An das Vorliegen eines solchen Verzichts sind nach der Rechtsprechung hohe Anforderungen zu stellen. Ein Verzicht auf die Vorfahrt kann nur dann angenommen werden, wenn der Berechtigte den Verzichtswillen in unmissverständlicher Weise zum Ausdruck bringt (LG Darmstadt, Schaden-Praxis 2006,308). Es muss in dieser Hinsicht eine Verständigung zwischen dem Bevorrechtigten und dem Wartepflichtigen stattgefunden haben. Nach der Beweisaufnahme vermochte das Gericht nicht im Rahmen der ihm nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO zustehenden freien Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangen, dass der Beklagte zu 1) mittels Augenkontakt dem Kläger zu verstehen gegeben hat, auf seine Vorfahrt verzichten zu wollen.
Der Kläger hat bekundet, der Beklagte habe durch Augenkontakt zu verstehen gegeben, dass er ihn rein lasse. Er habe zudem den Blinker gesetzt. Anders als durch eine Verständigung wäre ein Spurwechsel auch gar nicht möglich gewesen.
Der Zeuge ... hat erklärt, dass er aufgrund seiner Erfahrung davon ausgehe, dass der Beklagte zu 1) dem Kläger ein Zeichen gegeben habe, gesehen habe er dies jedoch nicht. Der Beklagte zu 1) hat erklärt, dass er dem Kläger kein Zeichen gegeben habe, insbesondere kein Lichthupenzeichen. Den Anhänger habe er übersehen und mehr nach links geschaut.
Die Behauptung, dass der Beklagte von dem aufnehmenden Polizeibeamten verwarnt wurde und sein Fehlverhalten "eingesehen habe" ist nicht mit der genügenden Sicherheit bewiesen. Insbesondere hat der Beklagte zu 1) in der Verhandlung erklärt, dass er gegenüber dem Polizeibeamten nach der Verwarnung gar nicht mehr gesagt habe, insbesondere keine Aussage oder ähnliches gemacht habe.
Das Gericht vermochte nicht zu entscheiden, welche der beiden sich widersprechenden Aussagen zutrifft. Der Vorfall kann sich ebenso gut so zugetragen haben, wie der der Beklagte zu 1) oder der Kläger sowie der Zeuge ... ihn schildern. Das Gericht sieht sich daher außerstande, eine der beiden Aussagen für glaubhafter zu halten.
Der Kläger ist daher für die streitige Behauptung, der Beklagte habe durch Zeichen unmissverständlich auf sein Vorfahrtsrecht verzichtet beweisfällig. Allein aufgrund eines Verringern der Geschwindigkeit oder gar Anhaltens des Beklagtenfahrzeugs kurz vor der Kollision durfte der Kläger nicht auf einen Verzicht auf das Vorrecht schließen. Ein Vertrauen auf einen Vorfahrtsverzicht, an den nach der ständigen Rechtsprechung hohe Anforderungen zu stellen sind, ist erst nach einer Verständigung der Fahrzeugführer zulässig, nicht bereits bei Abstoppen oder Anhalten des Vorfahrtsberechtigten (KG VRS, 106, 440; Hentschel, 38. Auflage, § 8 StVO, Rdn. 31).
Ob dem Beklagten zu 1) ein Mitverschulden dadurch anzulasten wäre, dass er sich durch das "Vom Gas gehen" und "langsamer werden" irreführend verhalten hat und dieses den Kläger zum Einfahren verleiten konnte (Hentschel, § 8 StVO, Rdn. 31), muss vorliegend nicht erörtert werden, da dieses vorliegend jedenfalls mit nicht mehr als 50 % zu berücksichtigen wäre.
Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile war dem Beitrag des Klägers aufgrund des unwiderlegten Anscheinsbeweises gem. § 7 Abs. 5 StVO jedenfalls der hälftige Anteil beizumessen. Da der Kläger bereits zu 50 % entschädigt wurde, kann er keinen weiteren Schadensersatz mehr verlangen.
Mangels Anspruchs in der Hauptsache bestehen auch keine Zinsansprüche sowie ein Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Streitwert: € 612,70 €