Das Verkehrslexikon
Amtsgericht Mülheim Urteil vom 09.01.2015 - 27 C 330/14 - Unfall beim Zurücksetzen zweier Fahrzeuge aus ihren Parkboxen auf einem Parkplatz
AG Mülheim (Urteil vom 09.01.2015: Unfall beim Zurücksetzen zweier Fahrzeuge aus ihren Parkboxen auf einem Parkplatz
Das Amtsgericht Mülheim (Urteil vom 09.01.2015 - 27 C 330/14) hat entschieden:
Kommt es auf einem Parkplatz zum Zusammenstoß von zwei Fahrzeugen, die aus ihren Parkboxen zurücksetzen, so ist beiden Fahrzeugführern ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorzuwerfen. Insoweit begründet der beiderseitige Verstoß gegen die identischen Sorgfaltspflichten grundsätzlich eine Haftungsquote von 50 %. Eine höhere Haftungsquote kommt nur in Betracht, wenn ein Unfallbeteiligter nachweisen kann, dass er bereits längere Zeit gestanden hat.
Siehe auch Rückwärts Ausparken aus Parklücken und Stichwörter zum Thema Halten und Parken
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall.
Am 29.05.2013 gegen 17.30 Uhr ereignete sich auf dem Parkplatz des Hagebaumarktes an der Weseler Straße in Mülheim an der Ruhr ein Verkehrsunfall an dem der von dem Ehemann der Klägerin, Herrn ..., gefahrene Pkw VW Caddy der Klägerin, amtliches Kennzeichen ..., und der von dem Beklagten zu 2 gefahrene und im Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversicherte Pkw, amtliches Kennzeichen ... Fahrzeughalter die Beklagte zu 1 ist.
Beide Fahrzeuge parkten ursprünglich auf dem Parkplatz. Der Ehemann der Klägerin parkte sodann rückwärts aus. Der Beklagte zu 2 setzte das von ihm geführte Fahrzeug rückwärts aus der Parkfläche zurück. Es kam zu einer Kollision der beiden Fahrzeuge jeweils im Heckbereich, wobei der Hergang und Verlauf des Unfalls zwischen den Parteien umstritten ist.
Die Klägerin meldete gegenüber den Beklagten einen Schadensersatzanspruch in Höhe von insgesamt 4.707,97 EUR an, den die Beklagte zu 3 ausgehend von einer Haftungsquote von 50 % in Höhe von 2.353,99 EUR regulierte. Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin ausgehend von einer vollen Haftung der Beklagten für den Verkehrsunfall den restlichen Schadensersatz in Höhe von 2.353,99 EUR nebst vorgerichtlich zur Rechtsverfolgung aufgewandter Rechtsanwaltskosten geltend.
Die Klägerin trägt vor, ihr Ehemann habe mit ihrem Fahrzeug zunächst in einer zur Weseler Straße hin gelegenen Parkbox gestanden. Er habe dann mit dem Pkw rückwärts ausgeparkt und sei auf dem Zufahrtsweg des Parkplatzes eine Fahrtstrecke von ca. 10-15 Metern rückwärts mit Schrittgeschwindigkeit gefahren, um dann anschließend das Parkplatzgelände vorwärts über die entsprechende Ausfahrt verlassen zu können. Während sich ihr Pkw bereits auf dem Zufahrtsweg im bevorrechtigten fließenden Verkehr befunden habe, habe der Beklagte zu 2 den von ihm geführten Pkw rückwärts aus der Parkbox herausgesetzt und dabei ihren Pkw übersehen.
Die Klägerin beantragt daher nunmehr,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 2.353,99 EUR sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 216,58 EUR, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.08.2013 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten tragen vor, zu der Kollision sei es aufgrund des zeitgleichen Ausparkens der Fahrzeuge gekommen. Da beide Pkw im Parkplatzbereich zum Unfallzeitpunkt rückwärts gefahren seien, sei eine Haftungsteilung vorzunehmen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen ... und .... Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird das Protokoll der öffentlichen Sitzung des Amtsgerichts Mülheim an der Ruhr vom 01.07.2014 (Bl. 64-67 GA) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen weiteren Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 und 3, 17 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG oder einer sonstigen Anspruchsgrundlage.
1. Die vorgerichtlich von der Beklagten zu 3 vorgenommene Regulierung des Unfallschadens mit einer Haftungsquote von 50 % ist nicht zu beanstanden.
Die Voraussetzungen für eine weitergehende Haftung gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 und 3, 17 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG konnte die Klägerin nicht beweisen.
Es kann zunächst nicht festgestellt werden, dass es sich bei dem Unfall für den Ehemann der Klägerin um ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG handelte. Unabwendbar ist ein Ereignis, das durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Abzustellen ist auf das Verhalten des sog. "Idealfahrers" (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Auflage, § 17 StVG Rn. 22). Wer sich nach § 17 Abs. 3 StVG entlasten will, muss die Unabwendbarkeit des Unfalls beweisen. Hiervon ausgehend, ist der Klägerin dieser Beweis nicht gelungen. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Unfall durch das zeitgleiche rückwärts erfolgte Ausparken der beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge entstanden ist und demnach auch der Fahrer des Klägerfahrzeugs dabei nicht die ihm zukommenden Sorgfaltspflichten beim Rückwärtsfahren beachtet hat. Dass das Klägerfahrzeug vor der Kollision seine Rückwärtsfahrt nach dem Ausparken beendet hatte und vor der Kollision mehrere Sekunden auf der Fahrfläche des Parkplatzes gestanden hätte, konnte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht positiv festgestellt werden. Zwar geht die Aussage des Zeugen ... in diese Richtung. Dem steht jedoch die Aussage des Zeugen … entgegen, der bekundete, dass beide Fahrzeuge zeitgleich ausgeparkt hätten, eingelenkt und sich in ihrer rückwärtigen Fahrbewegung getroffen hätten. Welche der beiden Zeugenaussagen das Unfallgeschehen zutreffend wiedergibt, vermag das Gericht nicht einzuschätzen. Das Gericht vermag der Aussage des Zeugen ... nicht den Vorzug vor der Aussage des Zeugen ... zu geben. Denn die Aussage des Zeugen ... ist glaubhaft. Der Zeuge stand nach seinen Angaben lediglich 10 Meter vom Unfallgeschehen entfernt und hat das Unfallgeschehen sehr anschaulich, widerspruchsfrei und nachvollziehbar geschildert. Die Aussage des Zeugen ... steht auch nicht im Widerspruch zu der Unfallschilderung die der Beklagte zu 2 im Rahmen seiner informatorischen Anhörung gegeben hat. Der Beklagte zu 2 war vielmehr zu einer eindeutigen und klaren Unfallschilderung nicht in der Lage, schilderte den Unfallhergang widersprüchlich, so dass seine Unfallschilderung für das Gericht keine Aussagekraft hat.
Kann daher nicht festgestellt werden, dass der Unfall für den Fahrer des Klägerfahrzeugs unabwendbar gewesen ist, hängen die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie deren Umfang nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG bzw. nach § 254 Abs. 1 BGB von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die danach gebotene Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist aufgrund aller festgestellten, d. h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (ständige Rechtsprechung, zuletzt BGH, NJW 2012, 1953). Die Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 1 StVG ergibt, dass die Klägerin ihren Schaden zu 50 % selbst zu tragen hat. Kommt es auf einem Parkplatz zum Zusammenstoß von zwei Fahrzeugen, die aus ihren Parkboxen zurücksetzen, so ist beiden Fahrzeugführern ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorzuwerfen, während § 9 Abs. 5 StVO auf Parkplätzen mangels Anwendbarkeit der Straßenverkehrsordnung jedenfalls keine unmittelbare Anwendung findet. Insoweit begründet der beiderseitige Verstoß gegen die identischen Sorgfaltspflichten grundsätzlich eine Haftungsquote von 50 %. Eine höhere Haftungsquote kommt nur in Betracht, wenn ein Unfallbeteiligter nachweisen kann, dass er bereits längere Zeit gestanden hat (LG Kreuznach, ZfSch 2007, 559; LG Bochum, Beschluss vom 21.01.2009, 10 S 107/08, zitiert nach juris; LG Kleve, NJW-Spezial 2010, 234). Bei einer Kollision während des Zurücksetzens spricht der Anschein für das Verschulden des Rückwärtsfahrenden. Die mit der Rückwärtsfahrt typischerweise verbundenen Gefahren enden auch nicht sogleich mit dem Stillstand des Fahrzeuges. Anderenfalls hinge die Haftung von der Frage ab, ob es dem Rückwärtsfahrenden (zufällig) noch gelingt, sein Fahrzeug vor dem Zusammenstoß zum Stillstand zu bringen. Wie bereits ausgeführt, hat die Klägerin den ihr obliegenden Nachweis nicht geführt, dass ihr Ehemann bereits einige Zeit mit ihrem Pkw stand, bis es zu dem Unfall kam. Es kann daher nicht festgestellt werden, dass die Gefährdung, die der Ehemann der Klägerin durch das Rückwärtsfahren gesetzt hat, durch längeres Anhalten aufgehoben worden wäre. Auch konnte die Klägerin nicht nachweisen, dass der Ehemann bereits eine Fahrtstrecke von 10-15 Metern zurückgelegt hatte bevor es zur Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug kam. Denn dem steht die glaubhafte Aussage des Zeugen ... entgegen. Im Übrigen gibt es auf einem Parkplatz entgegen der Auffassung der Klägerin keinen Vertrauensgrundsatz des fließenden Verkehrs gegenüber dem Ausparkenden. Da Parkplätze dem ruhenden Verkehr dienen, trifft der dort Ausparkende nicht auf fließenden Verkehr, sondern auf Benutzer der Parkplatzfahrbahn. Die gegenseitigen Rücksichtpflichten sind deshalb erhöht und einander angenähert. Die von der Beklagten zu 3 bei der Schadensregulierung zugrunde gelegte Haftungsquote von 50 % ist daher nach alledem nicht zu beanstanden.
Ausgehend von einer Haftungsquote von 50 % wurden die einzelnen in ihrer Höhe zwischen den Parteien unstreitigen Schadenspositionen von der Beklagten zu 3 bereits reguliert, so dass die Klage abzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Ziffer 11, 711, 709 Satz 2 ZPO
Streitwert: 2.353,99 EUR