Das Verkehrslexikon
Landgericht Düsseldorf Urteil vom 20.01.2015 - 6 O 541/13 - Aufklärung des Mandanten über eine Anzeigepflicht gegenüber der Haftpflichtversicherung
LG Düsseldorf v. 20.01.2015: Pflichtverletzung durch nicht erfolgte Aufklärung des Mandanten über eine Anzeigepflicht gegenüber der Haftpflichtversicherung
Das Landgericht Düsseldorf (Urteil vom 20.01.2015 - 6 O 541/13) hat entschieden:
Eine Verletzung der Pflichten aus dem Anwaltsvertrag kann darin bestehen, dass ein Rechtsanwalt den Mandanten nicht über die versicherungsvertragliche Prozessführungsbefugnis seiner Haftpflichtversicherung für eine Widerklage aufklärt. - Der Rechtsanwalt muss, um den sichersten Weg der Beratung zu gehen, den Mandanten zumindest über die Möglichkeit des Bestehens einer Anzeigepflicht aufklären und den Versicherungsvertrag ggf. im konkreten Fall prüfen.
Siehe auch Anwaltsverschulden - Haftung des Rechtsanwalts gegenüber dem Mandanten und Schadenanzeige - unrichtige bzw. unvollständige oder verspätete Angaben gegenüber der Versicherung
Tatbestand:
Die Klägerin, die ein Transportunternehmen betreibt, macht Schadensersatzansprüche aufgrund anwaltlicher Fehlberatung gegen die Beklagten geltend. Die Beklagte zu 1) betreibt eine Rechtsanwaltskanzlei in R, die Beklagten zu 2) und 3) sind Sozien dieser Kanzlei.
Am 11.12.2008 kam es zu einem Unfall auf einer Baustelle an einem Bahngelände. Beim Hochheben eines Containers durch einen Transporter der Klägerin geriet der Kran zu nah an eine Hochspannungsleitung. Es schlug Strom über, was erhebliche Schäden am Container, an den elektrischen Anlagen anderer Fahrzeuge sowie am Fahrzeug der Klägerin verursachte. Die Klägerin meldete ihrer Haftpflichtversicherung, der E. AG, im Dezember 2008 den Schaden.
Die Klägerin mandatierte die Beklagte zu 1) mit der Geltendmachung der Schäden gegenüber dem Baustellentreiber, der K. AG. Die Beklagte zu 1) erhob für die Klägerin Schadensersatzklage zum Landgericht Mönchengladbach mit dem Az. ... Der Baustellenbetreiber erhob im dortigen Verfahren Widerklage auf Schadensersatz gegen die Klägerin. Die Widerklage wurde der Beklagten zu 1) am 01.01.2010 zugestellt. Der Beklagte zu 3) beantragte für die Klägerin Abweisung der Widerklage. Im Verhandlungstermin vom 20.04.2010 schloss er für die Klägerin einen Vergleich ab. Danach erhielt die Klägerin 4.000,00 EUR Schadensersatz, musste ihrerseits aber an den Bauunternehmer 22.000,00 EUR und an die Containerfirma weitere 7.500,00 EUR Schadensersatz leisten. Aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergab sich eine weitere Zahlungsverpflichtung der Klägerin in Höhe von 2.051,30 EUR. Durch die Transportversicherung der Klägerin erfolgte eine Teilzahlung i.H.v. 3.848,12 EUR für die Schäden am Container. Vor dem Landgericht Siegen und vor dem Landgericht Duisburg waren weitere Verfahren gegenüber der Klägerin anhängig, die sämtlich von den Beklagten als Prozessbevollmächtigten der Klägerin geführt wurden.
Im Nachgang zu dem Vergleichsschluss wandten sich die Beklagten an die Haftpflichtversicherung der Klägerin und baten um Erstattung. Dies wurde mit Schreiben vom 01.09.2010 von der Haftpflichtversicherung der Klägerin wegen Verstoßes gegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeugversicherung abgelehnt. Es wurde ausgeführt, dass der Pflichtversicherung die Abwehransprüche verwehrt und jede Möglichkeit zur Einflussnahme auf den Verfahrensverlauf genommen wurde.
Die Klägerin macht Schadensersatzforderungen aus dem Vergleich im Verfahren beim Landgericht Mönchengladbach i.H.v. 25.651,88 EUR sowie i.H.v. 2.051,30 EUR aus dem dortigen Kostenfestsetzungsbeschluss, insgesamt 27.703,18 EUR geltend.
Die Klägerin behauptet, die Beklagte hätte sie zu keinem Zeitpunkt darüber aufgeklärt, dass die Pflichtversicherung umgehend über die Klageeinreichung der Gegenseite informiert werden müsse, da diese prozessführungsbefugt sei. Sie ist der Ansicht, dies sei spätestens im Zeitpunkt der gegen die Klägerin eingereichten Widerklage erforderlich gewesen. Die Versicherung hätte eine Übernahme des Schadens nicht abgelehnt, wenn ihr die Prozessführungsbefugnis eingeräumt worden wäre. Die Klägerin behauptet ferner, sie habe die Beträge aus Vergleich und Kostenfestsetzungsbeschluss tatsächlich gezahlt.
Die Klägerin hat ursprünglich beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 27.703,18 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB aus 24.651,88 EUR seit dem 16.01.2011 und aus 2.051,30 EUR seit dem 26.01.2014 (Datum nach Rechtshängigkeit) zu zahlen; die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.005,40 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 26.01.2014 (Datum nach Rechtshängigkeit) zu zahlen; festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtlichen weiteren Schaden aus der Fehlberatung und Nebenpflichtverletzung des Anwaltsvertrages durch Nichteinschaltung der Haftpflichtversicherung der Klägerin vor Abschluss eines rechtskräftigen Vergleichs vor dem Landgericht Mönchengladbach, insbesondere weitere Schäden aus einem evtl. Kostenfestsetzungsverfahren vor dem Landgericht Duisburg mit einer Haftungsquote von 100 % auszugleichen.
In der mündlichen Verhandlung vom 11.11.2014 hat die Klägerin den Antrag zu 3) nach gerichtlichem Hinweis umgestellt.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 27.703,18 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB aus 24.651,88 EUR seit dem 16.01.2011 und aus 2.051,30 EUR seit dem 26.01.2014 (Datum nach Rechtshängigkeit) zu zahlen;
die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.005,40 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 26.01.2014 (Datum nach Rechtshängigkeit) zu zahlen;
festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche weiteren Schäden aus der aus der nicht erfolgten Beratung über das Eintrittsrecht des Versicherers mit einer Haftungsquote von 100 % auszugleichen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, der geschäftsleitend tätige Sohn der Klägerin sei vor Erhebung der Klage von dem Beklagten darauf hingewiesen worden, dass er den Schaden seiner Haftpflichtversicherung melden müsse. Der Zeuge habe daraufhin bestätigt, dass ihm dies bekannt sei. Vor dem Vergleichsschluss in dem Verfahren vor dem Landgericht Mönchengladbach habe der Beklagte zu 3) um Unterbrechung der Verhandlung gebeten, um die Angelegenheit mit der Klägerin besprechen zu können. Anlässlich dieser Besprechung habe er die Klägerin auf die sich ergebenden Unsicherheiten bezüglich der versicherungsrechtlichen Situation hingewiesen. Er habe der Klägerin ausdrücklich mitgeteilt, dass aufgrund der Tatsache, dass eine von dem möglichen Vergleichsschluss stattfindende Abstimmung mit der Versicherung nicht möglich sei, man allenfalls Nachgang versuchen könne eine Schadensübernahme bei der Versicherung zu bewerten. Trotz dieses ausdrücklichen Hinweises habe die Klägerin auf den Abschluss des Vergleiches bestanden. Sie habe dem Beklagten zu 3) ausdrücklich mitgeteilt, dass sie auch vor dem Hintergrund, die anderen Verfahren nicht weiter betreiben zu müssen, mit dem Ergebnis einverstanden sei.
Das Verfahren mit dem Az. ... vor dem Landgericht Mönchengladbach wurde beigezogen.
Wegen des sonstigen Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf das gesamte schriftsätzliche Vorbringen der Parteien und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
I.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 1) Schadensersatzansprüche in der geltend gemachten Höhe aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 611, 675 BGB. Gegen die Beklagten zu 2) und 3) ergeben sich Ansprüche in gleicher Höhe aus §§ 280 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 611, 675 BGB i.V.m. § 128 HGB analog.
1. Zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) bestand ein anwaltliches Mandatsverhältnis, das als Dienstvertrag mit dem Inhalt einer Geschäftsbesorgung zu qualifizieren ist.
a) Die Beklagten haben ihre Pflichten aus dem Anwaltsvertrag verletzt. Die Pflichtverletzung ist darin zu sehen, dass der Beklagte zu 3) die Klägerin - insoweit unstreitig - nicht über die versicherungsvertragliche Prozessführungsbefugnis ihrer Haftpflichtversicherung für die Widerklage im Verfahren vor dem Landgericht Mönchengladbach aufgeklärt hat.
Es ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass ein Rechtsanwalt zu einer allgemeinen, umfassenden und erschöpfenden Beratung verpflichtet ist. In den Grenzen des Mandats hat er dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist (BGH, Urt. v. 01.03.2007 - IX ZR 261/03, NJW 2007, 2485).
Hiergegen hat der Beklagte zu 3) verstoßen. Er hätte die Klägerin spätestens bei Zustellung des Widerklageschriftsatzes darauf hinweisen müssen, dass sie ihre Inanspruchnahme gegenüber ihrer Haftpflichtversicherung hätte anzeigen müssen, um ihre Deckung nicht zu verlieren. Dies gilt zunächst unabhängig davon, welche Versicherungsbedingungen für den konkreten Versicherungsvertrag galten, handelt es sich bei der Anzeigepflicht für gerichtlich geltend gemachte Ansprüche gegen den Versicherungsnehmer doch um eine standardisierte Regelung. Eine entsprechende Vorschrift findet sich beispielsweise in den Ziffern E.2.3, E.2.4 und E.6.1. der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (AKB 2008) und in § 7 AKB 2004. Um den sichersten Weg bei der Beratung zu gehen, hätte der Beklagte zu 3) zumindest über die Möglichkeit des Bestehens einer Anzeigepflicht aufklären und den Versicherungsvertrag der Klägerin gegebenenfalls im konkreten Fall prüfen müssen. Das dies geschehen ist, ist nicht ersichtlich und wurde von den Beklagten auch nicht vorgetragen.
Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass der Beklagte zu 3) behauptet, die Klägerin vor dem Vergleichsabschluss darauf hingewiesen zu haben, dass Unsicherheiten bei der versicherungsrechtlichen Situation bestünden und man allenfalls im Nachgang versuchen könne, eine Schadensübernahme bei der Versicherung zu übernehmen, woraufhin die Klägerin auf dem Vergleichsschluss bestanden haben soll. Diese Vorgehensweise entsprach jedenfalls nicht dem anwaltlichen Prinzip, bei der Beratung den sichersten Weg zu wählen.
b) Der Beklagte zu 3) hat die Pflichtverletzung gem. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zu vertreten. Sein Verursachungsbetrag ist der Beklagten zu 1) gemäß § 31 BGB analog zuzurechnen.
c) Die Pflichtverletzung der Beklagten hat zu einem kausalen Schaden in Höhe der Zahlungsverpflichtung der Klägerin aus dem Vergleich vom 20.04.2010 geführt. Die Beklagte hat darin Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 27.500,00 EUR nebst Kosten in Höhe von 2.051,30 EUR übernommen, was abzüglich einer Zahlung ihrer Transportversicherung in Höhe von 3.848,12 EUR einen Schaden in Höhe von 25.651,88 EUR ergibt.
Im Hinblick auf die haftungsbegründende Kausalität gilt die Vermutung aufklärungspflichtigen Verhaltens. Danach ist davon auszugehen, dass die Klägerin sich bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung durch den Beklagten zu 3) über die Anzeigepflicht und das Eintrittsrechts der Haftpflichtversicherung beratungsgemäß verhalten hätte, also die gegen sie aus dem Schadensereignis resultierende Widerklage rechtzeitig angezeigt hätte. In diesem Fall wäre die Klägerin nicht mit dem Vergleichsbetrag belastet worden wäre. Denn entweder hätte die Haftpflichtversicherung dem Vergleichsschluss zugestimmt und der Klägerin Deckung gewährt, oder aber sie hätte die Prozessführung übernommen und hätte der Klägerin dann - selbst bei einem ungünstigen Ausgang des Verfahrens - eine Deckung nicht auf Grund der Nichtanzeige versagen können.
Schließlich lässt auch das Argument der Beklagten, die Versicherungsbedingungen der Haftpflichtversicherung der Klägerin seien im Hinblick auf § 1 Abs. 3 EGVVG möglicherweise unwirksam, den Schaden nicht entfallen. Es ist zwischen unstreitig, dass der Versicherungsvertrag mit der Haftpflichtversicherung der Klägerin vor 2008 geschlossen wurde. Einer Anpassung der Versicherungsbedingungen nach Maßgabe des § 1 Abs. 3 EGVVG bedarf es aber gem. § 1 Abs. 2 EGVVG nicht, wenn bei dem Altvertrag der Versicherungsfall - wie vorliegend - bis zum 31.12.2008 antritt, weil dann die Vorschriften des VVG in der alten Fassung weiter Anwendung finden. Der Versicherungsfall trat vorliegend unstreitig bereits am 11.12.2008 ein.
Der von der Klägerin im Wege der Verrechnung aus dem Vergleich erlangte Betrag i.H.v. 4.000,00 EUR kann nicht schadensmindernd berücksichtigt werden, da dieser mit dem Verlust von Schadensersatzansprüchen der Klägerin aus dem Versicherungsfall einhergeht und aus diesem Schaden, nicht aber aus der Pflichtverletzung der Beklagten resultiert.
d) Es besteht ferner auch ein Zahlungsanspruch und nicht lediglich ein Freistellungsanspruch der Klägerin in geltend gemachter Höhe. Soweit die Beklagten bestreiten, dass eine Zahlung der Vergleichsbeträge durch die Klägerin nicht erfolgt sei, kommt es hierauf nicht an. Selbst wenn lediglich ein Freistellungsanspruch der Klägerin bestanden hätte, wäre dieser nach endgültiger Erfüllungsverweigerung durch die Beklagten gem. § 250 S.2 BGB in einen Zahlungsanspruch übergegangen.
2. Der Anspruch auf die Zinsen folgt aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286, 288 BGB hinsichtlich eines Betrages von 25.651,88 EUR und hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 2.051,30 EUR aus § 291 BGB.
II.
Es besteht ferner ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz der vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in der geltend gemachten Höhe. Dieser folgt aus § 280 Abs. 1 BGB und hinsichtlich der Zinsen aus § 291 BGB.
III.
Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet. Die der Klägerin aus der Fehlberatung entstehenden Schäden können vor dem Hintergrund weiterer laufender Verfahren noch nicht vollständig beziffert werden. Hinsichtlich der Begründetheit des Antrags gelten die Erwägungen unter I. entsprechend.
IV.
Die Entscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit folgen aus den §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
Der Streitwert wird auf bis 30.000,00 EUR festgesetzt.