Das Verkehrslexikon
OLG Frankfurt am Main Urteil vom 16.09.2004 - 3 U 235/03 - Haftung des Veranstalters eines Moto-Cross-Rennens
OLG Frankfurt am Main v. 16.09.2004: Haftung des Veranstalters eines Moto-Cross-Rennens
Das OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 16.09.2004 - 3 U 235/03) hat entschieden:
Erleidet der Teilnehmer an einem Moto-Cross-Rennen an einem ungesicherten Metallpfosten einen Unterschenkelabriss, haften der Ausrichter und Veranstalter des Rennens wegen einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.
Siehe auch Autosportveranstaltungen - Motorsportveranstaltungen - Autorennen und Verkehrssicherungspflicht
Gründe:
Die Parteien streiten um Ansprüche wegen eines Unfallereignisses, welches sich am 19.09.1999 auf der Rennstrecke in ..., bei einem Meisterschaftslauf der Deutschen Amateur-Motor-Sportkommission (DAM) ereignete. Der Kläger zu 1), Mitglied des Moto-Cross-Clubs in ... nahm an diesem Rennen teil. Ausrichter war der Beklagte zu 1) als diejenige Organisation, die für die Rennen der Süddeutschen Vereine zuständig war. Dabei werden sowohl der Renn- als auch der verantwortliche Sportleiter von dem Beklagten zu 1) gestellt. Verantwortlicher Sportleiter war am fraglichen Tag Herr .... Veranstalter war der Beklagte zu 2). Beide unterlagen den DAM-Veranstalterrichtlinien (Bl. 55 d. A.). Es existieren Fahrerrichtlinien der DAM-Fassung 1998 – (Bl. 114 ff. d.A.), die in Artikel 19 die Verantwortlichkeit und einen Haftungsverzicht der Teilnehmer regeln. Mit DAM-Antrag vom 25.02.1999 (Bl. 116 d. A.) bestätigte der Kläger zu 1), die derzeit gültigen Fahrerrichtlinien des DAM erhalten zu haben und anzuerkennen.
Die von dem Kläger zu 1) und den übrigen Teilnehmern befahrene Rennstrecke führte nach kurzer Startbahn in eine Kuhle, in welche die Fahrer mit hohen Geschwindigkeiten einfahren können. Unmittelbar vor der Kuhle war eine künstliche Fahrbahnverengung, eine sogenannte Schikane errichtet, um die die Fahrer rechts herum fahren mussten. Ausgangs der Schikane befand sich ein Beobachtungsturm, ein Stück dahinter begann eine Bandenwerbung auf der linken Seite. Auf den Streckenplan und die zu Akten gereichten Lichtbilder (Bl. 39 ff., 159 ff., 180 d. A.) wird verwiesen.
Nach dem Verlassen des Startbereichs kam es ausgangs der Schikane zu einem schweren Unfall, bei dem dem Kläger der Unterschenkel unterhalb des linken Knies abgerissen wurde. Die Einzelheiten sind streitig. Nach ärztlicher Erstversorgung durch den Zeugen ... wurde er in die Universitätsklinik in ... geflogen, wo eine traumatische Amputation des linken Unterschenkels festgestellt wurde. Am gleichen Tag erfolgt die Exartikulation im linken Kniegelenk, welche aufgrund einer Tibia-Kopffraktur mit Gelenkbeteiligung und aus Gründen der Weichteildeckung erforderlich war. Kläger befand sich bis zum 24.09.1999 in stationärer Behandlung in ... danach bis zum 22.10.1999 stationär in .... Danach begann er mit Rehabilitationsmaßnahmen, litt unter Schmerzen am Beinstumpf, und es ergaben sich Phantomschmerzen. Anfang 2000 konnte die Anpassung einer Beinprothese vorgenommen werden, die nicht unmittelbar belastet werden konnte. Der Kläger war daher zunächst auf Gehhilfen angewiesen. Dem Kläger entstanden Aufwendungen in unbestrittener Höhe von DM 1631.40 für Heilbehandlungskosten, Krankenbesuche etc.
Der Kläger zu 1), im Hauptberuf Schlosser, im Betrieb seines Vaters, erhielt aus einer Unfallversicherung eine Invaliditätssumme von DM 15.000,– und Leistungen aus einer privaten Unfallversicherung.
Der Klägerin zu 2) entstanden zwischen dem 19.09.1999 und dem 18.12.2000 Aufwendungen bezüglich des Klägers zu 1) in Höhe von DM 101.002,29.
Der Kläger zu 1) hat behauptet, im Bereich des Turmes hinter der Schikane sei an der linken Fahrbahnseite ein Metallpfosten nicht gesichert gewesen. Dort habe er den Abriss des Unterschenkels erlitten. Erst danach sei eine Sicherung mittels Strohballen erfolgt. Der Zeuge ... habe bereits am Vortrag den Zeugen auf die fehlende Absicherung aufmerksam gemacht. Der Kläger zu 1) hat ein Schmerzensgeld in Höhe von DM 80.000,– (Euro 40.903,35) für angemessen erachtet. Die Klägerin zu 2) hat behauptet, ihr seien Aufwendungen in Höhe von weiteren DM 12.358,– entstanden.
Die Kläger haben beantragt,
- die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger zu 1)
- DM 13.199,74 nebst 5 % Zinsen seit dem 01.10.1999 zu zahlen,
- ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen seit dem 19.09.1999 zu zahlen,
- festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 19.09.1999 auf der Moto-Cross-Rennbahn in ..., zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen bzw. übergegangen sind;
- die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 2)
- DM 113.360,37 nebst 5 % Zinsen aus DM 101.002,29 seit dem 01.01.2001, 5 % Zinsen von weiteren DM 10.561,37 seit dem 18.03.2001 sowie 5 % Zinsen von weiteren DM 1.796,71 seit dem 23.06.2001 zu zahlen,
- festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin zu 2) sämtliche materiellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 19.09.1999 auf der Moto-Cross-Rennbahn in ... zu ersetzen, soweit die Klägerin zu 2) für und an den Kläger wegen dieses Ereignisses zukünftig Leistungen erbringt.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben sich auf einen Haftungsverzicht aus den anerkannten Fahrerrichtlinien berufen und behauptet, vor Beginn der Veranstaltung vom 19.09.1999 sei die Strecke ordnungsgemäß aufgebaut und in allen Bereichen durch fest verschnürte und gepresst in doppelter Lage angebrachte Strohballen gesichert worden. Am Samstag, den 18. und am Sonntag, den 19.09.1999 habe Herr ... die Strecke begangen und sodann die schriftliche Freigabe ohne Einschränkung erteilt. Zuvor hätten sich Aufbauhelfer und die Verantwortlichen der Clubs davon überzeugt, dass die Strecke in ordnungsgemäßem Zustand sei. Gerade im Bereich des Durchlasses am Sprecherturm sei besonders darauf geachtet worden. Nach dem Abbruch des Rennens seien die Streckensicherungen abgebaut worden. Vor der Entscheidung über den Abbruch seien jedoch Helfer vorsichtshalber herbei gefahren, um ggfls. beschädigte Strohballensicherungen zu ergänzen. Der Unfall sei auf unvorsichtige Fahrweise des Klägers zu 1) zurückzuführen, der vor der Engstelle nicht gebremst habe und gegen das Hinterrad des Fahrers ... gestoßen sei. Er habe nämlich versucht, sich an anderen Fahrern vorbei zu drängen. Nach der Kollision seien beide Fahrzeuge in die Luft geschleudert worden. Allenfalls dabei sei es zum Abriss des Unterschenkels gekommen, als sich der Kläger zu 1) entweder mit seinem Motorradlenker verheddert habe oder ein anderes Motorrad auf den Unterschenkel gefallen sei.
Das Landgericht hat umfangreich Beweis erhoben und durch das angegriffene Grund- und Teilurteil die Beklagten dem Grunde nach in voller Höhe für einstandspflichtig gehalten. Dem Kläger zu 1) hat es einen Schadensersatzanspruch in Höhe von Euro 834,12 zugesprochen, sowie das begehrte Schmerzensgeld in voller Höhe und das Feststellungsbegehren ebenfalls vollumfänglich für gerechtfertigt erachtet. Dem Kläger zu 2) hat es einen Teilbetrag von Euro 51.641,65 zuerkannt, die volle Einstandspflicht der Beklagten festgestellt und die Kostenentscheidung dem Schlussurteil vorbehalten.
Hiergegen wendet sich die Berufung beider Beklagter, die die Klage vollständig abgewiesen wissen wollen. Sie rügen, das Landgericht habe vom Ergebnis her argumentiert. Bei der Frage, ob Sicherheitsmaßnahmen vorhanden gewesen seien, habe das Landgericht den Klägerin ungünstige Aussagen übergangen. Es habe den Pfosten an der Leitplanke vor dem Sprecherturm als Unfallort angesehen, obwohl hier eine Rechtskurve vom Hindernis wegführe. Das Landgericht habe fehlerhaft die Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens unterlassen, insbesondere im Hinblick auf die Angaben der Zeugen ... und ... zum Unfallgeschehen und zum Unfallort. Ein medizinisches Gutachten könne keine Aussage zum Unfallhergang treffen. Beim Aufprall auf den Pfosten hätte der Kläger zu 1) auch an weiteren Körperteilen schwere Verletzungen erlitten. Grundsätzlich bestehe auch die Möglichkeit, dass ein Motorrad auf den Kläger gefallen sei. Der Zeuge ... habe eine Berührung mit dem Pfosten verneint. Den Kläger zu 1) treffe ein anspruchsausschließendes Mitverschulden wegen eines offensichtlichen Fahrfehlers. Letztlich habe das Landgericht den in Ziffer 19 der DAM-Richtlinien niedergelegten Haftungsausschluss zu Unrecht für unwirksam erachtet.
Die Beklagten beantragen,
das Urteil des Landgerichts Limburg vom 22.10.2003, zugestellt am 27.10.2003 – 1 O 200/01 – abzuändern und die Klagen der Kläger und Berufungsbeklagten insgesamt abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung.
Die Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Sie bleibt indessen in der Sache ohne Erfolg. Das angegriffene Grund- und Teilurteil ist zu Recht ergangen.
Eine Abänderung des Urteils käme nur in Betracht, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Tatsachenfeststellung des Landgerichts fehler- oder lückenhaft wäre, wenn also die Beweiswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemein anerkannte Erfahrungssätze verstoßen würde (Baumbach-Lauterbach, 61. Aufl., Rz. 3 zu § 529). Derartige Fehler lässt die angegriffene Entscheidung nicht erkennen. Das Landgericht hat in einer Zusammenschau aufgrund der Aussagen der Zeugen, die eine Sicherung des von den Klägern benannten Pfostens verneint haben, aus der Angabe des ... zum Unfallort und aus dem Gutachten des Sachverständigen ... zur Verletzungsursache (scherende Gewalteinwirkung nach Art eines "Fallbeils") darauf geschlossen, dass der Kläger zu 1) den Abriss seines linken Unterschenkels dadurch erlitt, dass er gegen den ungesicherten Pfosten prallte.
Die Berufung beanstandet zunächst, dass das Landgericht den Pfosten als Unfallort ansehe, obwohl hier eine Rechtskurve vom Hindernis wegführe, weswegen sogar ein Sicherungsbedürfnis für den Pfosten fragwürdig sei. Nach den – allgemein kundigen – Gesetzen der Fliehkraft ist es aber so, dass ein Fahrzeug, welches zu schnell und/oder aus irgendwelchen Gründen nicht mehr beherrschbar ist, aus einer Rechtskurve nach links heraus getragen wird. Der Kläger ist – wie aus der Aussage des Zeugen ... hervorgeht – als zweiter von links gestartet (Bl. 344 d. A.). Die Festlegung des Pfostens als Unfallort ist aus diesem Grunde nicht zu beanstanden. Was den Unfallort betrifft, so hat das Landgericht überdies rechtsfehlerfrei der Aussage des Zeugen ... gegenüber derjenigen des Zeugen ... den Vorzug gegeben. Der Zeuge ... konnte den Ort anhand der aus den Lichtbildern ersichtlichen Lage seiner Behandlungshandschuhe (Bl. 161 d. A.) lokalisieren. Es kommt hinzu, dass der Kläger diesseits und der abgerissene Unterschenkels jenseits der Bande lagen. Der Zeuge ... hat den Unfallort im Bereich des Kopfes der auf Lichtbild Blatt 180 Ziffer 4 sichtbaren blau gekleideten Frau angesiedelt, was bei genauer Betrachtung allerdings durchaus die Möglichkeit zulässt, dass der Kläger zuvor gegen den Pfosten geprallt war, auch wenn der Zeuge meint, der Kläger habe den Pfosten nicht erreicht. Es kommt hinzu, dass nach dem Ergebnis des unfallchirurgischen Gutachtens vom Verletzungsbild her eindeutig der Pfosten die Ursache bildete, was zusätzlich den Schluss erlaubt, dass er zum Unfallzeitpunkt nicht durch Strohballen gesichert war.
Dass der Kläger – wie die Berufung meint – beim Anprall an den Pfosten weitere schwere Verletzungen hätte erleiden müssen, ist nicht zwingend, sondern hängt von der Art des Anpralls ab (mit welchem Körperteil ?). Andere Unfallursachen, nämlich ein auf den rücklings am Boden liegenden Kläger fallendes Motorrad, Fußrasten oder Kühlrippen des Motorrades oder die vom Kläger getragene Orthese hat der Sachverständige und ihm folgend auch das Landgericht nachvollziehbar und widerspruchsfrei ausgeschlossen.
Da das Landgericht – wie ausgeführt – rechtsfehlerfrei der Aussage des Zeugen ... gegenüber derjenigen des Zeugen ... den Vorzug gegeben hat und nach dem medizinischen Gutachten eindeutig nur der (ungesicherte) Pfosten als Verletzungsursache in Betracht kam, durfte es von der Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens absehen.
Ohne Erfolg rügt die Berufung des Weiteren, das Landgericht habe ein ... Mitverschulden des Klägers zu 1) außer Ansatz gelassen. Auch wenn man davon ausgeht, dass dieser das Motorrad des Zeugen ... hinten touchiert hat, trägt dies nicht die Schlussfolgerung, dass dies gerade auf einem Fahrfehler des Klägers zu 1) beruhte. Tatsachen, die diesen Schluss untermauern könnten, hat die beweispflichtige Beklagte jedenfalls nicht bewiesen.
Letztlich hat das Landgericht zutreffend den in Artikel 19 der DAM-Richtlinien normierten Haftungsausschluss für unwirksam erachtet. Die Regelung ist unklar. Sie kann, insbesondere wenn man Artikel 19 Abs. 3 hinzunimmt, so verstanden werden, dass die hinter den ersten vier Spiegelstrichen des Absatz 1 genannten Institutionen von jeglicher Haftung freigestellt sind – was im Hinblick auf § 11 Ziff. 7 des AGB-Gesetzes a.F. unwirksam ist – und nur bei den hinter dem fünften Spiegelstriche stehenden Institutionen die Haftung (wirksam) auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt ist. Bei dieser Auslegung wäre die gesamte Klausel unwirksam (Palandt-Heinrichs, 58. Aufl., § 11 AGB-Gesetz, Rz. 37; BGHZ 96, 25 und 86, 296), was bei Anwendung der Unklarheitenregelung des § 5 AGB a.F. zugunsten der Kläger anzunehmen ist.
Die Kosten der somit erfolglosen Berufung tragen die Beklagten gemäß §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ist §§ 708 Ziff. 10, 711, 108 ZPO entnommen.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.