Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht Neustadt Beschluss vom 25.06.2015 - 1 L 407/15.NW - Maßregelschwellen bei verschiedenen Führerscheinklassen

VG Neustadt v. 25.06.2015: Unterschiedliche Maßregelschwellen bei verschiedenen Führerscheinklassen innerhalb und außerhalb des Fahreignungsbewertungssystems


Das Verwaltungsgericht Neustadt (Beschluss vom 25.06.2015 - 1 L 407/15.NW) hat entschieden:
  1. Zur Rechtsbeständigkeit einer Fragestellung gemäß § 11 Abs. 6 FeV, wenn eine medizinisch- psychologische Untersuchung hinsichtlich mehrerer Fahrerlaubnisklassen angeordnet wird.

  2. Zu den Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die Fahrerlaubnisbehörde neben dem Fahreignungs- Bewertungssystem (Punktesystem) weitere Maßnahmen nach § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV ergreifen darf.

  3. Der Umstand, dass ein Inhaber der Fahrerlaubnisklassen A und CE zugleich Inhaber der Fahrerlaubnisklassen D und DE ist, bei denen besondere Anforderungen an das Führen entsprechender Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen gestellt werden, kann in einem Entziehungsverfahren betreffend die Fahrerlaubnisklassen A und CE nicht zu seinen Lasten berücksichtigt werden. Gleiches gilt, wenn der Betroffene zugleich Inhaber einer Fahrlehrererlaubnis ist.

  4. Wiederholte Verstöße gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen berechtigen im Rahmen des § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV die Fahrerlaubnisbehörde im Normalfall nicht zu Maßnahmen außerhalb des Fahreignungs- Bewertungssystems (Punktesystems).

  5. Bei Fahrerlaubnisklassen, wie etwa den Klassen D und DE, bei denen besonders hohe Anforderungen auch hinsichtlich der Verantwortung der Fahrerlaubnisinhaber gestellt werden, etwa weil aufgrund der von ihnen geführten Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen größere Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer oder für von den Fahrerlaubnisinhabern beförderte Personengruppen bestehen, ist die Schwelle für eine Maßnahme der Fahrerlaubnisbehörde neben dem Fahreignungs-Bewertungssystem (Punktesystem) niedriger, als etwa bei den Fahrerlaubnisklassen A oder CE.

Siehe auch Das Fahreignungs-Bewertungssystem - neues Punktsystem und Fahrschule / Fahrlehrer / Fahrschüler


Gründe:

Der gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestellte Eilantrag ist zulässig und hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen A und CE auch begründet (1). Hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen D/DE (einschließlich Einschlussklassen) bleibt dem Antrag der Erfolg versagt (2.).

Zwar hat der Antragsgegner bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung der in Rede stehenden Verfügung dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 der VwGO genügt. Dieses Erfordernis zielt zum einen darauf ab, der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen zu führen und sie zu veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes Vollziehungsinteresse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert; es verfolgt zum anderen den Zweck, den Betroffenen in die Lage zu versetzen, durch Kenntnis dieser behördlichen Erwägungen seine Rechte wirksam wahrzunehmen und die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs abschätzen zu können. Hiernach begegnet die Begründung für den Sofortvollzug der Verfügung vom 24.4.2015 keinen Bedenken. Dabei ist zu sehen, dass sich bei einem Vorgehen gegen einen Fahrerlaubnisinhaber wegen mangelnder Eignung, die Gründe für einen Erlass der in diesen Fällen vorgeschriebenen Entziehungsverfügung mit den Gründen für deren sofortige Durchsetzung weitestgehend decken, geht es doch regelmäßig darum, den von einem solchen zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeigneten Fahrerlaubnisinhaber ausgehenden ständigen erheblichen Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer möglichst umgehend und nicht erst nach dem Abschluss eines gegebenenfalls mehrere Jahre dauernden gerichtlichen Verfahrens zu begegnen (OVG RP, Beschluss vom 13.2.2007 – 10 B 10063/07). Gehen in Fällen dieser Art aus der Begründung der Verfügung bereits die besondere Dringlichkeit der Vollziehungsanordnung sowie die von der Behörde getroffene Interessenabwägung klar hervor, kann sich dementsprechend zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen die Sofortvollzugsbegründung sogar in einer Bezugnahme auf die Begründung für den Verwaltungsakt erschöpfen (vgl. OVG RP, Beschluss vom 24.3.2006 – 10 B 10184/06).

Die Entziehungsverfügung erging auch in formell rechtmäßiger Weise, insbesondere erfolgte vor deren Erlass die erforderliche Anhörung des Antragstellers (§§ 28 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG –, 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG –), wobei der Antragsgegner mehrfach auf Fristverlängerungsanträge des Antragstellers eingegangen war.

(1) Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis hinsichtlich der Klassen A und CE ist jedoch nach summarischer Prüfung wiederherzustellen. Denn bei der gebotenen Interessenabwägung überwiegen die privaten Interessen des Antragstellers an einem Behaltendürfen der Fahrerlaubnis der Klassen A und CE die öffentlichen Interessen an dem angeordneten Sofortvollzug. Denn die Entziehungsverfügung begegnet insoweit durchgreifenden Rechtmäßigkeitsbedenken.

Der Antragsgegner hat seine ablehnende Entscheidung maßgeblich darauf gestützt, dass der Antragsteller seine Fahreignung nicht durch ein medizinisch-​psychologische Gutachten nachgewiesen hat.

Zwar dürfen zu Lasten des Betroffenen bei einer auf §§ 3 Straßenverkehrsgesetz – StVG –, 46 und 11 Abs. 8 Fahrerlaubnisverordnung – FeV – gestützten Fahrerlaubnisentziehung negative Folgen aus der Nichtvorlage eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens gezogen werden, wenn die Gutachtensanforderung der Behörde formell und materiell rechtmäßig war (BVerwG, Urteil vom 5.7.2001, NJW 2002, 78).

Der Antragsgegner hat seine Anordnung vom 14.1.2015 hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen A und CE jedoch zu Unrecht auf § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV gestützt.

Dabei bestehen nach summarischer Prüfung bereits erhebliche Bedenken, ob die in der Anordnung zur Vorlage eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens formulierte Fragestellung (§ 11 Abs. 6 FeV) die Fahrerlaubnisklassen A und CE mit umfasst. Denn die in der Anordnung angeführten Aspekte betreffen fast durchweg die besonderen Anforderungen, die an den Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen D/DE gestellt werden. Auch der ausführliche Hinweis auf den Zusammenhang der Anordnung mit dem Antrag auf Erweiterung der Fahrerlaubnis des Antragstellers auf die Klassen D/DE, bekräftigt diesen Bezug genauso, wie die Thematisierung des Aspekts der besonderen Verantwortung des Antragstellers im Bereich der Personenbeförderung.

Doch selbst wenn hier (hilfsweise) eine ordnungsgemäße Fragestellung unterstellt würde, änderte dies nichts an der zu Gunsten des Antragstellers getroffenen Interessenabwägung.

Grundsätzlich darf der Antragsgegner nach § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV bei einem erheblichen Verstoß oder bei wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften die Beibringung eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens anfordern. Dabei bedarf es hier keiner Klärung der Frage, ob die binnen 5 Jahren und 10 Monaten begangenen vier Verstöße des Antragstellers gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen jeweils für sich genommen oder in ihrer Zusammenschau als "erheblicher Verstoß“ oder "wiederholte Verstöße“ gegen verkehrsrechtliche Vorschriften im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sind. Denn der Antragsgegner hat die Vorgaben des OVG Rheinland-​Pfalz (Beschluss vom 27.5.2009 – 10 B 10387/09) nicht hinreichend berücksichtigt. Die Hervorhebungen in dem nachfolgenden Entscheidungsauszug stammen von der beschließenden Kammer:
„Die Antragsgegnerin hat die Anordnung vom 8. Dezember 2008 auf § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV gestützt. Danach ist die Beibringung eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens zur Klärung von Eignungszweifeln zulässig bei einem erheblichen Verstoß oder wiederholten Verstößen des Fahrerlaubnisinhabers gegen verkehrsrechtliche Vorschriften. Der Antragsteller hat diese Voraussetzungen erfüllt, da er wiederholt Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften begangen hat, die im Verkehrszentralregister eingetragen sind und dort zum Erreichen von 15 Punkten geführt haben. Die Regelung des § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV steht aber, wie bereits das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss zutreffend dargelegt hat, in einem Spannungsverhältnis zu § 4 StVG. Danach hat nämlich die Fahrerlaubnisbehörde zum Schutz vor den Gefahren, die von wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstoßenden Fahrzeugführern ausgehen, die in § 4 Abs. 3 StVG genannten Maßnahmen des Punktsystems zu ergreifen.

Das Punktsystem beinhaltet die Bewertung von Verkehrszuwiderhandlungen (Straftaten und Ordnungswidrigkeiten) mit einer nach Art und Schwere der Verstöße festgelegten Punktzahl und das Ergreifen abgestufter Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde bei Erreichen oder Überschreiten bestimmter Punkteschwellen. Es bezweckt eine Vereinheitlichung der Behandlung von Mehrfachtätern und soll dem Betroffenen Gelegenheit geben, aufgetretene Mängel durch Aufbauseminare und verkehrspsychologische Beratung möglichst frühzeitig zu beseitigen. Das abgestufte und transparente System rechtfertigt die Annahme, dass Personen, die 18 Punkte oder mehr erreicht haben, als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen sind (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 4 StVG Rdnr. 16, 17 m.w.N.). Aus dem Punktsystem ergibt sich aber auch, dass der Gesetzgeber bewusst die weitere Straßenverkehrsteilnahme von Kraftfahrern mit einem nicht unerheblichen „Sündenregister“ in Kauf genommen und die Entziehung der Fahrerlaubnis von der zuvor eingeräumten Möglichkeit, Angebote und Hilfestellungen wahrzunehmen, abhängig gemacht hat (vgl. BayVGH, Beschluss vom 2. Juni 2003 – 11 CS 03.743 –, juris). Hiervon darf nur abgewichen werden, wenn dies die Verkehrssicherheit und damit die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer gebieten. Das Punktsystem findet dementsprechend gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 StVG keine Anwendung, wenn sich die Notwendigkeit früherer oder anderer Maßnahmen aufgrund anderer Vorschriften, insbesondere der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG, ergibt. Damit ist im öffentlichen Interesse sichergestellt, dass ungeeignete Kraftfahrer schon vor Erreichen von 18 Punkten im Verkehrszentralregister von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr wirksam ausgeschlossen werden können oder besondere Eignungszweifel durch weitergehende Maßnahmen, wie z.B. eine medizinisch-​psychologische Untersuchung, sofort geklärt werden können (vgl. OVG Nordrhein-​Westfalen, Beschluss vom 2. Februar 2000 – 19 B 1886/99 – und OVG Mecklenburg-​Vorpommern, Beschluss vom 7. November 2003 – 1 M 205/03 –, beide juris). Ein Verlassen des Punktsystems auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 StVG muss aber die Ausnahme bleiben und vom Vorliegen besonderer Gründe abhängen. Durch das Punktsystem hat der Gesetzgeber nämlich deutlich gemacht, dass mit Punkten bewertete Verkehrsverstöße grundsätzlich noch keine Eignungsüberprüfung auslösen sollen, sondern in der Regel das Instrumentarium des § 4 anzuwenden ist (vgl. Hentschel/König/Dauer, a.a.O. Rdnr. 18 m.w.N.).

Unabhängig von diesen Überlegungen sind die materiellen Voraussetzungen für ein Verlassen des Punktsystems gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 StVG gegenüber dem Antragsteller nach Überzeugung des Senats hier nicht erfüllt.

Wie bereits dargelegt, muss das Ergreifen anderer Maßnahmen gegen den Fahrerlaubnisinhaber wegen Eignungszweifeln, die sich aus den im Punktsystem erfassten Verkehrsverstößen ergeben, auf eng begrenzte, besonders gelagerte Ausnahmefälle beschränkt sein. Die Fahrerlaubnisbehörde muss hier Zurückhaltung üben und im Einzelnen unter Auswertung aller konkreten Umstände sehr präzise begründen, warum sie es aus besonderen Gründen im Einzelfall, der sich erheblich vom Normalfall anderer „Punktesünder“ abheben muss, aufgrund einer Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Kraftfahrers oder wegen der Art, der Häufigkeit oder des konkreten Hergangs der Verkehrsordnungswidrigkeiten etwa - wie hier - für unerlässlich hält, die Fahreignungsbedenken sofort durch eine medizinisch-​psychologische Untersuchung zu klären, ohne dem Betroffenen die Chance zu belassen, zuvor die abgestuften Hilfsangebote des § 4 StVG wahrzunehmen (vgl. im Einzelnen die bereits vom Verwaltungsgericht zitierte Rechtsprechung und Literatur, insbesondere Jagow, NZV 2006, 27, sowie erneut Hentschel/König/Dauer, a.a.O., Rdnr. 18 m.w.N.).

Solche besonderen und einzelfallbezogenen Gründe hat die Antragsgegnerin hier nicht aufgezeigt. Dabei können grundsätzlich nur die Erwägungen berücksichtigt werden, welche die Fahrerlaubnisbehörde in der Aufforderung zur medizinisch-​psychologischen Begutachtung dargelegt hat. Die Anordnung einer medizinisch-​psychologischen Untersuchung ist kein Verwaltungsakt, sie kann mithin nicht mit Rechtsmitteln eigenständig angefochten werden. Wegen des mit ihr verbundenen Eingriffs in die Persönlichkeitssphäre sind an ihre Begründung deshalb hohe Anforderungen zu stellen. §§ 39, 45 VwVfG finden, weil kein Verwaltungsakt vorliegt, keine Anwendung so dass die Fahrerlaubnisbehörde die maßgeblichen Gründe auch nicht nachträglich geben kann, sondern allenfalls mit einer neuen Begründung eine neue Untersuchungsaufforderung erlassen kann (vgl. VGH Baden-​Württemberg, Beschluss vom 28. Oktober 2004 – 10 S 475/04 –, juris).

In der Anordnung vom 8. Dezember 2008 gegenüber dem Antragsteller, sich einer medizinisch-​psychologischen Begutachtung zu unterziehen, hat die Antragsgegnerin jedoch lediglich die Verkehrsverstöße aufgelistet und sich im Weiteren auf die Hervorhebung der zwei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen beschränkt. Dass der Betreffende mehrfach nicht unerhebliche Verstöße gegen Verkehrsvorschriften begangen hat, reicht indessen allein zur Begründung eines besonders gelagerten Einzelfalls, der ein Verlassen des Punktsystems des § 4 StVG rechtfertigt, nicht aus. Die Begehung mehrerer, auch nicht unerheblicher Verkehrsordnungswidrigkeiten ist nämlich schon regelmäßig Voraussetzung dafür, dass der Fahrerlaubnisinhaber überhaupt einen Punktestand von wie hier 15 Punkten im Verkehrszentralregister erreicht. Die Schwere der Verkehrsverstöße wirkt sich bereits innerhalb des gestuften Punktsystems aus, das Straftaten mit 5 bis 7 Punkten und Ordnungswidrigkeiten mit 1 bis 4 Punkten bewertet (vgl. Anlage 13 zu § 40 FeV).

Darüber hinausgehende, gerade den Einzelfall des Antragstellers prägende Umstände, die diesen Schluss zulassen könnten, hat die Antragsgegnerin weder benannt noch ergeben sich diese derzeit aus den vorliegenden Akten.

Solche Umstände müssten beispielsweise geeignet sein, eine besondere Rücksichtslosigkeit oder Aggressivität des Antragstellers unter Inkaufnahme einer konkreten Gefährdung anderer durch sein Verhalten darzutun (vgl. z.B. den Sachverhalt bei Nds. OVG, Beschluss vom 15. Oktober 2008 – 12 ME 254/08 –: „wilde Raserei“ mit einem Motorrad unter gleichzeitigem Verstoß gegen ein Überholverbot oder zur Durchführung illegaler Straßenrennen bzw. eines vergleichbaren Verhaltens Nds. OVG, Beschluss vom 21. November 2006 – 12 ME 354/06 –, beide juris), oder die zeitliche Abfolge der Eintragungen im Verkehrszentralregister bzw. eine Vielzahl jeweils gleichgelagerter Verstöße müsste auf eine beharrliche Missachtung der Rechtsordnung hindeuten (vgl. Hentschel/König/Dauer, a.a.O. Rdnr. 18 m.w.N. aus der Rechtsprechung), oder es müssten sich sonstige Anhaltspunkte dafür finden lassen – etwa aus dem konkreten Hergang der Verkehrsverstöße oder deren Begleitumständen –, dass es sich beim Antragsteller um einen unverbesserlichen Raser handelt, dem die erforderliche Einstellung zu einem ordnungsgemäßen Verhalten im Straßenverkehr fehlt (vgl. OVG Rheinland-​Pfalz, Beschluss vom 12. Februar 2009 – 10 B 10092/09.OVG – zu in diese Richtung weisende Äußerungen eines Fahrerlaubnisinhabers gegenüber der Polizei). Für eine vergleichbare Bewertung reichen die tatsächlichen Erkenntnisse im vorliegenden Fall nicht aus.

Schließlich stellt der Hinweis der Antragsgegnerin auf allgemeine Unfallstatistiken – unabhängig davon, dass er nicht bereits in der Anordnung der medizinisch-​psychologischen Begutachtung erfolgt ist – keinen einzelfallbezogenen Grund dar, der gerade gegenüber dem Antragsteller ein Vorgehen außerhalb des Punktsystems des § 4 StVG rechtfertigen könnte.“
Den vorstehenden Ausführungen schließt sich die Kammer an. Sie sind auf den vorliegenden Fall übertragbar, wenngleich an die Stelle des Punktesystems nunmehr ein modifiziertes Fahreignungs-​Bewertungssystem getreten ist. Durch die begriffliche Umbenennung und die veränderte Berechnung der maßgeblichen Punkte unterscheidet sich das aktuelle System zwar von der früheren Gesetzessystematik. Die grundlegenden Erwägungen des OVG RP (a.a.O.) zum Verhältnis zwischen dem früheren Punktsystem und den Regelungen in § 11 FeV gelten in den hier maßgeblichen Aspekten aber nach wie vor.

Danach hat der Antragsteller zwar seit der Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A und CE nach Aktenlage vier Ordnungswidrigkeiten begangen, die jeweils mit Punkten sanktioniert wurden. Aus den vom Antragsgegner im Einzelnen dargelegten Gründen sind auch noch alle diese Ordnungswidrigkeiten berücksichtigungsfähig. Allerdings mangelt es diesen Ordnungswidrigkeiten (drei erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen, ein Abstandsverstoß binnen 5 Jahren und 10 Monaten seit der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis der Klassen A und CE), selbst bei einer Zusammenschau mit früheren fahrerlaubnisrelevanten Eintragungen im Register (eine weiter zurückliegende Fahrerlaubnisentziehung hat der Antragsgegner zu Recht nicht mehr berücksichtigt, die letzte Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgte mit Verfügung vom 10.10.2008), an der hinreichenden Schwere, wie sie vom OVG RP (s.o.) im Einzelnen als Voraussetzung gefordert wird, um von dem Punktsystem des § 4 StVG abzuweichen. Sowohl der längere Zeitraum, als auch die Struktur der begangenen Ordnungswidrigkeiten hatten zwar für den Antragsteller die Verhängung von Geldbußen und Punkten im früheren Punktesystem, jetzt Fahreignungsbewertungs-​System, des § 4 StVG zu Folge. Nach den maßgeblichen Vorgaben des § 4 StVG i.V.m. der FeV erreicht der Antragsteller nach Aktenlage einen Punktestand von vier Punkten. Dies bedeutet, dass der Antragsteller gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 1 StVG zu ermahnen ist. Weitergehende Sanktionen sind insoweit aber dort nicht vorgesehen. Der Umstand, dass der Antragsteller in nicht nur unerheblicher Weise wiederholt gegen straßenverkehrsrechtliche Bestimmungen durch die vom Gesetzgeber vorgegebenen Regelungen sanktioniert wird, darf im Regelfall von dem Antragsgegner aber nicht zum Anlass genommen werden, darüber hinausgehende fahrerlaubnisrelevante Maßnahmen gegen den Antragsteller einzuleiten. Dass der Antragsteller Inhaber einer Fahrlehrererlaubnis sowie einer Fahrerlaubnis der Klassen D/DE ist, die ihn in besonderer Weise zur Beförderung größerer Personengruppen berechtigt, kann der Antragsgegner nicht zu Lasten des Antragstellers als Erwägungen zur Entziehung der Fahrerlaubnisklassen A und CE heranziehen.

(2) Hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen D/DE (einschließlich Einschlussklassen) bleibt dem Antrag jedoch der Erfolg versagt.

Dabei bestehen nach summarischer Prüfung hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen D/DE keine Bedenken, an der Fragestellung (§ 11 Abs. 6 FeV) in der Anordnung zur Vorlage eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens vom 14.1.2015. Zwar war der Antragsteller nach den vorstehenden Ausführungen - hilfsweise unterstellt, dass die Anordnung mit ihrer Fragestellung auch die Fahrerlaubnisklassen A und CE mit umfasste - hinsichtlich dieser Fahrerlaubnisklassen berechtigt, die Anordnung nicht zu befolgen. Dies berührt aber in der vorliegenden Konstellation ausnahmsweise nicht die Korrektheit der Fragestellung hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen D und DE. Denn die in Folge der Anordnung einer MPU hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen D und DE zu klärenden fahrerlaubnisrelevanten Umstände schließen alle erforderlichen Untersuchungen mit ein, die im Rahmen einer medizinisch-​psychologischen Untersuchung bei den Fahrerlaubnisklassen A und CE regelmäßig aufzuklären sind, und gehen hinsichtlich der besonderen Voraussetzungen, die bei den Fahrerlaubnisklassen D und DE zu erfüllen sind, noch über die Anforderungen in den Fahrerlaubnisklassen A und CE hinaus. Mit der Befolgung der Anordnung werden dem Antragsteller damit keine Untersuchungen zugemutet, denen er sich bei einer "isolierten" Fragestellung hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen D und DE nicht ohnehin hätte unterziehen müssen.

Insoweit hat der Antragsgegner in zutreffender Weise mehrere Aspekte dargelegt, die mit Blick auf diese Fahrerlaubnisklassen eine Durchbrechung des Punktesystems nach der Rechtsprechung des OVG RP (s.o.) ermöglichen.

So hat der Antragsgegner auf die besondere Verantwortung des Antragstellers im Bereich der Personenbeförderung hingewiesen, die hier - anders als bei "normalen" Fahrerlaubnisklassen - höhere Anforderungen an das Führen entsprechender Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen stellt. So berechtigt die Fahrerlaubnis der Klassen D/DE zur Beförderung von mehr als acht Personen außer dem Fahrzeugführer und entsprechend groß dimensionierten Fahrzeugkombinationen (§ 6 Abs. 1 FeV). Die Anforderungen an den Fahrzeugführer sind erheblich strenger, als bei den "regulären" Fahrerlaubnisklassen. So fordert § 10 Abs. 1 Nr. 9 FeV ein wesentlich höheres Mindestalter für den Ersterwerb dieser Fahrerlaubnisklassen oder besondere zusätzliche Grundqualifikationen. § 11 Abs. 1 Satz 4 FeV bestimmt, dass die Bewerber um die Fahrerlaubnis der Klassen D oder D1 und der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung gemäß § 48 FeV auch die Gewähr dafür bieten müssen, dass sie der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht werden. Anlage 7 FeV belegt zudem, dass hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen D/DE betreffend Prüfungsstoff, Prüfungsumfang und -dauer sowie hinsichtlich der zu bewältigenden Fahrzeit teilweise wesentlich höhere Anforderungen an die Bewerber gestellt werden, als bei anderen Fahrerlaubnisklassen. Bei einer Gesamtschau dieser exemplarisch angeführten Regelungen erweist sich damit, dass bei der Fahrerlaubnisklassen D/DE die Schwelle zu Intervention der Fahrerlaubnisbehörde neben dem Fahreignungs-​Bewertungssystem des § 4 StVG niedriger ist, als bei den Fahrerlaubnisklassen A und CE. Dass in diesem Bereich eine neben dem Fahrerlaubnisbewertungs-​System eingeleitete Intervention der Fahrerlaubnisbehörde früher angezeigt ist, als bei den Fahrerlaubnisklassen A und CE, um erhebliche öffentliche Interessen, insbesondere derjenigen Personengruppen, die von dem Antragsteller befördert werden, zu schützen, liegt vor dem Hintergrund einer vorausgegangenen Fahrerlaubnisentziehung auf der Hand. Hinzukommt, dass der Antragsgegner bei der Erteilung der Fahrerlaubnis DE ausdrücklich auf eine drohende medizinisch-​psychologische Untersuchung hingewiesen hatte, nachdem der Antragsteller zuvor bereits wieder dreimalig straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten war. Hierzu hat er ein Gespräch mit dem Antragsteller am 2.10.2013 geführt, der mit seiner Unterschrift die ausführliche Besprechung dieses Aspektes sowie den Hinweis auf eine Beibringung einer MPU ausdrücklich bestätigte. Dennoch beging der Antragsteller am 1.8.2014 erneut eine Ordnungswidrigkeit in Gestalt einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 32 km/h. Hinzukommt, dass die Geschwindigkeitsüberschreitungen zwischen 21 und 32 km/h außerhalb der geschlossenen Ortschaft nicht nur knapp über der Bagatellgrenze liegen, die einer zusätzlich neben dem Fahreignungs-​Bewertungssystem eingeleiteten Maßnahme der Fahrerlaubnisbehörde entgegen gehalten werden könnte, und der Verstoß gegen das Abstandsgebot selbstständig hinzutrat. Dies berücksichtigend war der Antragsgegner berechtigt, in Anbetracht der besonderen Verantwortung des Antragstellers als Inhaber der Fahrerlaubnis D/DE, zum Schutz der erheblichen öffentlichen Interessen auch unterhalb der Punkteschwellen des § 4 StVG, zu intervenieren und den Nachweis der Fahreignung durch ein medizinisch-​psychologisches Gutachten zu fordern. Dieses hat der Antragsteller im Übrigen - entgegen seiner zunächst abgegebenen Einverständniserklärung - geraume Zeit später dann doch nicht vorgelegt.

Nur der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, dass der Umstand, wonach der Antragsteller Inhaber einer Fahrlehrererlaubnis ist, hier ohne rechtlichen Belang bleibt. Denn die spezifische Verantwortung des Antragstellers und seine spezifische Vorbildfunktion als Fahrlehrer, begründen allein keine im Rahmen einer medizinisch-​psychologischen Untersuchung zu klärenden Zweifel an der Fahreignung hinsichtlich der Klassen A, CE und DE. Der Antragsgegner hat freilich hinreichend erkennen lassen, dass dieser rechtliche Aspekt kein zentrales Argument für die Anforderung eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens hinsichtlich der hier maßgebliche Fahrerlaubnisklassen war.

Zuletzt sei klarstellend noch ausgeführt, dass zwar nach den vorstehenden Ausführungen der Sofortvollzug hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnisklassen A und CE entfällt. Freilich darf der Antragsteller trotz der Regelung in § 6 Abs. 3 Nr. 6 FeV keine Fahrzeuge oder Fahrzeugkombinationen führen, die den Inhabern der Fahrerlaubnisklasse D oder DE vorbehalten sind. Denn aufgrund der Ablehnung des vorliegenden Eilantrags hinsichtlich der Fahrerlaubnis der Klassen D/DE ist der Antragsteller bis auf Weiteres nicht mehr berechtigt zum Führen von Fahrzeugen der Klasse D.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Entscheidung über den Wert des Verfahrensgegenstandes folgt den §§ 52, 63 Abs. 2 GKG i.V.m. den Ziffern 46.1, 46.4 und 46.7 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, LKRZ 2014, 169.