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OLG Rostock Urteil vom 25.09.2015 - 21 Ss OWi 148/15 - Übernahme der Verantwortung für eine fremdverfasste Rechtsbeschwerdebegründung
OLG Rostock v. 25.09.2015: Übernahme der Verantwortung für eine fremdverfasste Rechtsbeschwerdebegründung
Das OLG Rostock (Urteil vom 25.09.2015 - 21 Ss OWi 148/15) hat entschieden:
Unterzeichnet ein Rechtsanwalt aus der Kanzlei des mandatierten Wahlverteidigers am letzten Tag der Frist den von einer lediglich unterbevollmächtigten und nur "kooperierenden" Rechtsanwältin mit eigener Kanzlei in Untervollmacht diktierten und mit Verfahrensrügen versehenen Rechtsbeschwerdebegründung mit dem Zusatz "für RA'in XY, nach Diktat ortsabwesend" bestehen durchgreifende Zweifel daran, dass der unterzeichnende Rechtsanwalt an der Gestaltung dieser Rechtsmittelbegründung mitgewirkt und dafür die volle Verantwortung übernommen hat. Damit genügt die Begründung nicht den Anforderungen des § 79 Abs. 3 OWiG, § 345 Abs. 2 StPO.
Siehe auch Die Rechtsbeschwerde in Bußgeldsachen und Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Stralsund verurteilte den Beschwerdeführer am 09.03.2015 wegen zweier fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitungen im Straßenverkehr zu Geldbußen von 110,00 und 120,00 EUR und verhängte gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot. Gegen dieses in seiner Anwesenheit verkündete Urteil legte der Betroffene mit Schriftsatz seines Wahlverteidigers, Rechtsanwalt R. in Hamburg, vom 17.03.2015, der am 19.03.2015 beim Amtsgericht einging, unter gleichzeitiger Beantragung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsmitteleinlegungsfrist Rechtsbeschwerde ein und kündigte deren nähere Begründung an. Ohne die ihm erst durch Senatsbeschluss vom 28.07.2015 - 21 Ss OWi 122/15 [B] - bewilligte Wiedereinsetzung in die Rechtsmitteleinlegungsfrist abzuwarten, begründete der Betroffene seine Rechtsbeschwerde erstmals mit Schriftsatz der Verteidigung vom 27.04.2015, der am selben Tag zunächst per Fax und am Folgetag auch im Original beim Amtsgericht einging. Dieses Schreiben wurde auf dem Kanzleibogen des Wahlverteidigers H. R. (H. R. & Kollegen, Rechtsanwälte, *) und mit dem offenbar dort vergebenen Diktatzeichen AW-Bs/te) gefertigt und am 27.04.2015 ausweislich der Fax-Absenderkennung auch von einem Gerät aus dieser Kanzlei abgesandt. Unterzeichnet ist das Schreiben von dem dort im Angestelltenverhältnis tätigen Rechtsanwalt S. W. „für Rechtsanwältin A. W., nach Diktat verreist“ (Hervorh. durch den Senat). Laut Kopfbogen handelt es sich bei Rechtsanwältin W. um keine Sozia oder ein sonstiges Mitglied der Kanzlei R. & Kollegen, sondern es besteht mit ihr lediglich eine Kooperation (in Kooperation mit ...“). Die Rechtsanwältin hat am 09.03.2015 in Untervollmacht für den Wahlverteidiger an der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Stralsund teilgenommen.
Obwohl damit aus Sicht der Verteidigung bereits eine form- und fristgerechte Rechtsmittelbegründung abgereicht worden war, erfolgte eine solche nach gewährter Wiedereinsetzung durch den Senat nochmals mit Schriftsatz vom 31.08.2015, der sich dadurch auszeichnet, dass er mit Ausnahme dieses Datums und der Form der Unterzeichnung in Wort und Layout, auch was den Kopfbogen betrifft, identisch mit demjenigen vom 27.04.2015 ist. Dieses Schreiben wurde abermals von Rechtsanwalt S. W. unterzeichnet, diesmal jedoch mit dem Zusatz „für Rain A. W., nach Diktat ortsabwesend“ (Hervorh. durch den Senat) und ist am 31.08.2015 wiederum zunächst nur per Fax vorab (Absenderkennung der Kanzlei R. & Kollegen) und am 01.09.2015 dann auch im Original beim Amtsgericht eingegangen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 14.09.2015 beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen, weil der die beiden Begründungsschriften unterzeichnende Rechtsanwalt W. in beiden Fällen augenscheinlich nur seine Unterschrift unter die von Rechtsanwältin W. diktierte, mithin fremdverfasste Rechtsmittelbegründung gesetzt habe, ohne dafür selbst die volle Verantwortung zu übernehmen. Die Rechtsbeschwerdebegründung genüge damit nach ständiger ober- und höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht den Anforderungen des § 79 Abs. 3 OWiG, § 345 Abs. 2 StPO.
Dem ist Rechtsanwalt W. mit Schriftsatz vom 24.09.2015 unter Hinweis auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1996, 713), des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 13.08.2014 - 2 StR 573/13) und des Oberlandesgerichts Köln (NZV 2006, 321) entgegengetreten. Insbesondere enthalte die Rechtsbeschwerdebegründung keine Passagen, aus denen zu entnehmen sei, dass er sich von deren Inhalt distanziere oder nicht bereit sei, die volle Verantwortung dafür zu übernehmen.
II.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist mangels einer den Anforderungen des § 345 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG genügenden Begründung unzulässig.
Ergänzend zu den dazu gemachten Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft bemerkt der Senat:
Bereits der Umstand, dass die vom Betroffenen am 19.08.2014 in dieser Sache - wenn auch mit Befugnis zur Unterbevollmächtigung - mandatierte Kanzlei H. R. & Kollegen nicht nur die Terminsvertretung vor dem Amtsgericht Stralsund am 09.03.2015 durch die laut Briefbogen (dort erstmals im Schreiben vom 16.02.2015 erwähnt) nur in Kooperation mit ihr verbundene Rechtsanwältin W. hat wahrnehmen lassen, die ausweislich ihres Internetauftritts in Hamburg als Fachanwältin für Verkehrsrecht eine eigene Kanzlei betreibt, sondern diese nach Erlass des angefochtenen Urteils ihrerseits eine Mitarbeiterin der Kanzlei R. & Kollegen telefonisch angewiesen haben soll, Rechtsmittel einzulegen und die entsprechenden Fristen zu notieren (vgl. Schreiben des Rechtsanwalts R. vom 17.03.2015) und dass nachfolgend die Rechtsbeschwerdebegründung wiederum von ihr - Rechtsanwältin W. - zwar diktiert, aber in der Kanzlei der Rechtsanwälte R. & Kollegen von einer dortigen Mitarbeiterin geschrieben und dann - nur wegen ihrer angeblichen Ortsabwesenheit - von dem dort angestellten Rechtsanwalt W. „für“ sie unterzeichnet wurde, lässt erkennen, dass in Wahrheit das gesamte Verfahren nach Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid von der Kanzlei R. & Kollegen an die „kooperierende“ Rechtsanwältin W. „ausgesourced“ worden ist, die deshalb auch die Originalakten erhalten hatte, während in der Kanzlei des mandatierten Wahlverteidigers nur ein Handaktendoppel verblieben war (vgl. Schreiben vom 17.03.2015). Dass sich Rechtsanwalt R. selbst kaum um das Verfahren gekümmert hat, ergibt sich auch daraus, dass bereits die Vertretungsanzeige gegenüber der Verwaltungsbehörde und die dortige Aktenanforderung „pro abs.“ von Rechtsanwältin E.-C. unterzeichnet wurde (Schreiben vom 22.08.2014) und die Stellungnahmen gegenüber der Verwaltungsbehörde vom 02.01.2015 und auf die mit der Terminsladung verbundene Anfrage des Gerichts vom 09.03.2015 jeweils „für den nach Diktat ortsabwesenden“ Rechtsanwalt R. durch Rechtsanwalt W. Die nachfolgende Aktenanforderung vom 30.03.2015 ist - noch dazu zweifach im Original - wiederum „für den krankheitsbedingt ortsabwesenden“ Rechtsanwalt R., dessen Diktatzeichen gleichwohl verwandt wurde, von Rechtsanwalt W. unterzeichnet und zu den Akten gereicht worden, zusätzlich - ebenfalls doppelt - per Telefax.
All dies deutet zur Überzeugung des Senats darauf hin, dass allenfalls Rechtsanwalt R. mit den wesentlichen Details des Verfahrens - jedenfalls bis zur Hauptverhandlung - vertraut war, der dann auch das Rechtsmittel eingelegt und den Wiedereinsetzungantrag gestellt und begründet hat. Im Übrigen hat aber offenbar jeder in der Kanzlei gerade greifbare Rechtsanwalt bei Bedarf für den oftmals ortabwesenden Wahlverteidiger die von diesem diktierten Schreiben unterzeichnet, ohne sich selbst näher mit dem Verfahren zu befassen, wozu auch kein Anlass bestand, so lange es nur um Nebensächlichkeiten ging und die Teilnahme an der Hauptverhandlung sowie die Anfertigung der Rechtsbeschwerdebegründung erklärtermaßen durch die in eigener Praxis tätige und lediglich unterbevollmächtigte Rechtsanwältin W. gesichert war, die auch entsprechend tätig geworden ist.
Dass die Rechtsbeschwerdebegründung keine Distanzierungen oder Passagen enthält, die erkennen ließen, dass der sie für Rechtsanwältin W. unterzeichnende Rechtsanwalt W. nicht die (volle) Verantwortung dafür übernommen hat (so aber seine zirkelschlüssige Argumentation im Schriftsatz vom 24.09.2015, Seite 2, zweiter Absatz), versteht sich von selbst. Damit ist umgekehrt jedoch nicht belegt, dass er diese fremdverfasste Rechtsbeschwerdebegründung tatsächlich vor Unterzeichnung eigenverantwortlich überprüft, für richtig befunden und sie sich dann zu eigen gemacht hat. Schon die Tatsache, dass darin auch eine nicht unkomplizierte Verfahrensrüge erhoben wird, die spezifische Kenntnisse über den Ablauf der Hauptverhandlung voraussetzt und die den strengen Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügen muss, was nur anhand der sich im Original in der Kanzlei vom Rechtsanwältin Wiemer befindlichen Handakten geprüft werden konnte, weckt erste Zweifel an seiner Beteuerung, er habe die Sache vor Unterschriftsleistung eigenverantwortlich geprüft. Erheblich verstärkt werden diese Zweifel dadurch, dass die identische Rechtsbeschwerdebegründung von Rechtsanwalt W. bereits unter dem Datum des 27.04.2015 unterzeichnet und abgesandt worden war, womit, sollte man seiner Beteuerung Glauben schenken, er habe sich (zumindest damals) in dem erforderlichen Umfang selbst mit dem Rechtsmittel befasst, alles Notwendige getan war. Gleichwohl hat er am letzten Tag der durch den Wiedereinsetzungsbeschluss des Senats erneut in Lauf gesetzten Rechtsmittelbegründungsfrist den identischen Schriftsatz nochmals und wiederum für die angeblich gerade wieder ortsabwesende Rechtsanwältin W., die auch in der Zwischenzeit offenbar nie dazu in der Lage war, das in laufender Monatsfrist (!) selbst zu tun, unterschrieben und abgesandt, was zeigt, dass er sich nun offenbar nicht einmal mehr daran erinnern konnte, das doch vor rund vier Monaten schon fristgerecht erledigt zu haben. Auch ein (erneuter) Blick in die Handakten hat zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht stattgefunden, ansonsten der Irrtum hätte bemerkt werden müssen. Ist damit jedoch erwiesen, dass Rechtsanwalt W. jedenfalls am 31.08.2015 nicht mehr in eine sorgfältige Prüfung der Sach- und Rechtslage eingetreten ist, obwohl er der Meinung war, eine erneute Rechtsbeschwerdebegründung abgeben zu müssen, hegt der Senat durchgreifende Zweifel daran, dass dies bei ansonsten gleicher Situation am 27.04.2015 anders gewesen ist. Es scheint vielmehr allgemeiner Usus in dieser Kanzlei zu sein, dass für jeden abwesenden Rechtsanwalt unterschreibt, wer gerade da ist und das selbst für Rechtsanwälte mit eigener Praxis, mit denen lediglich eine Kooperation gepflegt wird.
Der Fall unterscheidet sich damit - soweit sich dies ausmachen lässt - wegen der dargelegten besonderen Umstände deutlich von den Konstellationen, über die das Bundesverfassungsgericht, der Bundesgerichtshof und das Oberlandesgericht Köln in ihren von Rechtsanwalt W. am 24.09.2015 zu seiner Rechtfertigung angeführten Entscheidungen zu befinden hatten, denen keine näheren Angaben dazu zu entnehmen sind, warum und wie es dort zur Unterzeichnung fremdverfasster Rechtsmittelschriften durch einen anderen Rechtsanwalt gekommen ist. Der Senat sieht deshalb auch keinen Anlass für eine Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof nach § 121 Abs. 2 GVG.
III.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 StPO.