Das Verkehrslexikon

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VGH Mannheim Beschluss vom 08.09.2015 - 10 S 1667/15 - Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens oder eines Facharztgutachtens

VGH Mannheim v. 08.09.2015: Anordnung eines Facharztgutachtens bei Anhaltspunkten für Alkoholabhängigkeit


Der VGH Mannheim (Beschluss vom 08.09.2015 - 10 S 1667/15) hat entschieden:
  1. Die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf der Grundlage von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e 2. Alt. FeV kommt lediglich dann in Betracht, wenn durch die Begutachtung festgestellt werden soll, ob eine in der Vergangenheit alkoholabhängige Person die Fahreignung deshalb wiedererlangt hat, weil sie (jedenfalls) jetzt nicht mehr alkoholabhängig ist. Dient eine Fahreignungsbegutachtung demgegenüber dazu, abzuklären, ob eine Person überhaupt alkoholabhängig ist, kommt lediglich die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens auf der Grundlage von § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV in Betracht (Anschluss an BayVGH, Beschluss vom 24.08.2010 - 11 CS 10.1139 - SVR 2011, 275).

  2. Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Sachverhaltsprüfung kommt die Entziehung der Fahrerlaubnis unabhängig von einer ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Begutachtung dann in Betracht, wenn mit hoher Evidenz Anknüpfungstatsachen für einen Rückfall des Betroffenen in die in der Vergangenheit diagnostizierte Alkoholabhängigkeit vorliegen.

Siehe auch Alkoholabhängigkeit und Facharztgutachten im Fahrerlaubnisrecht


Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig (vgl. §§ 146, 147 VwGO) und begründet.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu Unrecht stattgegeben. Aus den in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründen (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ergibt sich, dass abweichend von der Entscheidung des Verwaltungsgerichts das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung des Antragsgegners vom 23.06.2015 gegenüber dem privaten Interesse der Antragstellerin, vom Vollzug des Bescheids vor einer endgültigen Entscheidung über dessen Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, überwiegt. Denn bei der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der mit dem angefochtenen Bescheid verfügten Entziehung der Fahrerlaubnis. Es besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet ist. Deshalb ist ernstlich zu befürchten, dass sie bereits vor einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährden wird.

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht zwar davon ausgegangen, dass die Gutachtensbeibringungsanordnung vom 25.03.2015 rechtswidrig war, da in der vorliegenden Konstellation kein medizinisch-​psychologisches Gutachten gefordert werden durfte und deswegen der Schluss auf die Nichteignung der Antragstellerin nicht gerechtfertigt ist (1.). Das Verwaltungsgericht hat jedoch übersehen, dass die Fahrerlaubnisbehörde aufgrund der besonderen Umstände des Falles auch ohne Gutachten von der Nichteignung der Antragstellerin ausgehen durfte (2.). Unabhängig hiervon gebietet eine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige Interessenabwägung die Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs der Fahrerlaubnisentziehungsverfügung (3.).

1. Nach § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 und 3 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zwingend und ohne Ermessensbetätigung zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen. Ermächtigt § 46 Abs. 1 FeV zur Entziehung der Fahrerlaubnis somit erst, wenn die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen ist, enthält § 46 Abs. 3 FeV im Vorfeld dieser Entscheidung und mit einer niedrigeren Eingriffsschwelle die Rechtsgrundlage für Maßnahmen zur weiteren Aufklärung des Bestehens dieser Eignung. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken an der Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen eines Kraftfahrzeugs begründen, hat die Fahrerlaubnisbehörde unter den in §§ 11 bis 14 FeV genannten Voraussetzungen durch die Anordnung der Vorlage von ärztlichen oder medizinisch-​psychologischen Gutachten die Eignungszweifel aufzuklären (§ 3 Abs. 1 Satz 3 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Ein Schluss auf die Nichteignung ist indes nur zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 05.07.2001 - 3 C 13.01 - NJW 2002, 78; und vom 09.06.2005 - 3 C 25.04 - NJW 2005, 3081; Senatsurteil vom 10.12.2013 - 10 S 2397/12 - VBlBW 2014, 337). Zwar begegnet die in der Gutachtensanordnung vom 25.03.2015 gesetzte Frist nicht den von der Antragstellerin geltend gemachten Bedenken (1.1); in der vorliegenden Fallgestaltung war jedoch kein medizinisch-​psychologisches Gutachten auf der Grundlage von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV anzuordnen (1.2).

1.1 Fehl geht jedenfalls der Einwand der Antragstellerin, die Frist zur Vorlage des Gutachtens müsse so lange bemessen sein, dass ihr ermöglicht werde, die Eignungszweifel - gegebenenfalls auch durch einen Abstinenznachweis für die Dauer eines Jahres - auszuräumen. Dem steht bereits der primäre Zweck der Ermächtigung zu einer Gutachtensanordnung entgegen. Die Gutachtensanordnung gehört als Gefahrerforschungseingriff zu den Gefahrenabwehrmaßnahmen, die von der Fahrerlaubnisbehörde zum Schutz der anderen Verkehrsteilnehmer vor ungeeigneten bzw. mangelnder Eignung verdächtigen Fahrerlaubnisinhabern zu ergreifen sind. Dieser Schutzauftrag ist im Hinblick auf die gegenwärtige potentielle Gefährdung der Verkehrssicherheit durch einen möglicherweise ungeeigneten Kraftfahrer mit der gebotenen Beschleunigung zu erfüllen und duldet keinen Aufschub bis zu einem entfernten Zeitpunkt in der Zukunft, zu dem ein solcher Fahrer die Fahreignung wiedererlangt haben mag. Auf einen derartigen Aufschub läuft aber die These der Antragstellerin hinaus, dass einem der Alkoholabhängigkeit verdächtigen Fahrerlaubnisinhaber eine Gutachtensbeibringung erst für einen Zeitpunkt abverlangt werden dürfe, für den er seine Abstinenz wahrscheinlich dartun könne. Die Frist des § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV dient nicht dazu, dem Fahrerlaubnisinhaber die Möglichkeit einzuräumen, erst den Nachweis über einen hinreichend langen Abstinenzzeitraum zu führen, bevor die Fahrerlaubnisbehörde die Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ergreifen kann (vgl. zum Ganzen Senatsbeschlüsse vom 24.01.2012 - 10 S 3175/11 - NJW 2012, 3321; und vom 24.11.2011 - 10 S 2405/11 -).

1.2 Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Gutachtensanordnung vom 25.03.2015 in materieller Hinsicht nicht auf die von der Fahrerlaubnisbehörde herangezogene Bestimmung des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV gestützt werden konnte. Die hier allenfalls in Betracht kommende zweite Alternative des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV ist, wie bereits ihr Wortlaut nahelegt („wenn sonst zu klären ist, ob ... Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht“) nur dann einschlägig, wenn durch eine Begutachtung festgestellt werden soll, ob eine Person, die entweder die Fahreignung nachweislich wegen Alkoholabhängigkeit verloren hatte oder die sich einem dahingehenden Verdacht ausgesetzt sieht, die Fahreignung deshalb wiedererlangt hat, weil sie (jedenfalls) jetzt nicht mehr alkoholabhängig ist. Anzuwenden ist diese Vorschrift deshalb immer dann, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Nr. 8.4 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-​Verordnung zu prüfen sind. Eine solche Prüfung ist zum einen in Verfahren erforderlich, in denen darüber zu befinden ist, ob einer Person, die derzeit über keine Fahrerlaubnis verfügt und bei der feststeht, dass sie jedenfalls früher alkoholabhängig war, eine solche Berechtigung (neu oder erstmals) erteilt werden darf. Zu prüfen sein können die Voraussetzungen der Nr. 8.4 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-​Verordnung aber nicht nur in Neuerteilungs-​, sondern auch in Verwaltungsverfahren, die die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Alkoholabhängigkeit zum Gegenstand haben. Eine dahingehende Notwendigkeit besteht jedoch lediglich dann, wenn in einem solchen Entziehungsverfahren mit der Möglichkeit gerechnet werden muss, der Betroffene könne die wegen Alkoholabhängigkeit möglicherweise oder tatsächlich verloren gegangene Fahreignung inzwischen deshalb wiedererlangt haben, weil er die Alkoholabhängigkeit überwunden hat. Der Rückgriff auf die Entstehungsgeschichte der heutigen Fassung des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV und die bei der Neufassung dieser Norm angefallenen Materialien bestätigt, dass der Verordnungsgeber damit nur die Fälle erfassen wollte, in denen über die Frage der Wiedererlangung der Fahreignung nach vorangegangener Alkoholabhängigkeit zu befinden ist (vgl. zum Ganzen ausführlich BayVGH, Beschluss vom 24.08.2010 - 11 CS 10.1139 - SVR 2011, 275; Senatsbeschluss vom 13.08.2013 - 10 S 1135/13).

Dient eine Fahreignungsbegutachtung demgegenüber dazu, in Erfahrung zu bringen, ob eine Person überhaupt alkoholabhängig ist, so verbleibt es auch seit der am 30.10.2008 in Kraft getretenen Änderung des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV dabei, dass zu diesem Zweck gemäß § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV lediglich die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens verlangt werden darf. Ihre sachliche Rechtfertigung findet diese normative Vorgabe in dem Umstand, dass die Diagnose von Alkoholabhängigkeit nur die Feststellung von in der Gegenwart bzw. in der Vergangenheit liegenden Tatsachen erfordert. Anders als in der von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV erfassten Fallkonstellation bedarf es hier keiner Prognose des künftigen Verhaltens des Probanden (vgl. hierzu BayVGH, Beschluss vom 09.12.2014 - 11 CS 14.1868 - juris).

Hier wollte die Fahrerlaubnisbehörde trotz der von ihr verwendeten andersartigen Fragestellung nicht geklärt wissen, ob die Antragstellerin ihre Alkoholabhängigkeit überwunden hat bzw. ob die notwendigen Voraussetzungen hierfür vorliegen, sondern ob sich die Alkoholabhängigkeit aufgrund der Ereignisse im Frühjahr 2015 wieder manifestiert hat oder die Alkoholabhängigkeit trotz des vorgelegten medizinisch-​psychologischen Gutachtens vom 12.01.2012, das zur Bejahung der Fahreignung der Antragstellerin und zur Fahrerlaubniserteilung geführt hat, immer noch besteht. Hat jedoch der ehemals alkoholabhängige Fahrerlaubnisinhaber - wie hier - einmal die Hürde des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV genommen, ist er wieder als fahrgeeignet anzusehen und verliert die Fahreignung wie jeder andere Fahrerlaubnisinhaber erst wieder, wenn erneut eine Alkoholabhängigkeit nach Nr. 8.3 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-​Verordnung festgestellt wird (vgl. hierzu näher BayVGH, Beschluss vom 09.12.2014 - 11 CS 14.1868 - a.a.O.).

2. Das Verwaltungsgericht hat indes verkannt, dass bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Sachverhaltsprüfung mit hoher Evidenz Anknüpfungstatsachen für einen Rückfall der Antragstellerin in die in der Vergangenheit diagnostizierte Alkoholabhängigkeit vorliegen, die unabhängig von einer Begutachtung gemäß § 11 Abs. 7 FeV den Schluss auf die Fahrungeeignetheit der Antragstellerin rechtfertigen. Zu Recht weist die Fahrerlaubnisbehörde darauf hin, dass bei der Antragstellerin in der Vergangenheit eine Alkoholabhängigkeit diagnostiziert wurde (2.1) und sie jedenfalls bei summarischer Sachverhaltsprüfung die zur Wiedererlangung der Fahreignung notwendige vollständige Abstinenz zwischenzeitlich aufgegeben hat (2.2).

2.1 Gemäß Nr. 8.3. der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-​Verordnung ist bei Bestehen einer Alkoholabhängigkeit die Fähigkeit zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen generell aufgehoben, so dass es nicht auf die Fähigkeit zum Trenne von Alkoholgenuss und der Verkehrsteilnahme ankommt. Das Fahrerlaubnisrecht definiert den Begriff der Alkoholabhängigkeit nicht selbst, sondern setzt ihn voraus. Abzustellen ist deshalb auf das Verständnis dieses medizinischen Begriffs durch die maßgeblichen Fachkreise, das sich insbesondere in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-​10) sowie in Kapitel 3.11.2 der Begutachtungs-​leitlinien zur Kraftfahreignung niedergeschlagen hat. Maßgebend sind danach ein süchtiges Verlangen des Betroffenen nach Alkohol, eine eingeschränkte Fähigkeit, den Alkoholkonsum zu steuern, ein körperliches Entzugssyndrom bei Reduktion des Alkoholkonsums, eine Toleranzbildung, sowie eine Interesseneinengung und anhaltender Konsum trotz Folgeschäden. Nach Nr. 8.4 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-​Verordnung setzt die Wiedererlangung der Fahreignung nach Alkoholabhängigkeit voraus, dass die Abhängigkeit nach einer Entwöhnungsbehandlung nicht mehr besteht und in der Regel eine einjährige Abstinenz nachgewiesen ist. Dabei hat der Betroffene bei Alkoholabhängigkeit den Verzicht auf jeglichen Konsum von alkoholischen Getränken zu belegen, weil die Fähigkeit zu kontrolliertem Trinken gemindert ist (vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungs-​Leitlinien zur Kraftfahrer​eignung, Kommentar, 2. Aufl. 2005, Rn. 3.11.2.3, S. 164).

Ausweislich des von der Antragstellerin im Wiedererteilungsverfahren vorgelegten medizinisch-​psychologischen Gutachtens der PIMA GmbH vom 12.01.2012 bestand bei der Antragstellerin in der Vergangenheit nicht lediglich eine Alkoholmissbrauchsproblematik, sondern Alkoholabhängigkeit im medizinischen Sinne. Die Gutachter haben sich bei der Diagnose einer Alkoholabhängigkeit neben ihren eigenen Erhebungen vor allem von der einschlägigen Vordiagnose durch ein Fachkrankenhaus leiten lassen, in welchem die Antragstellerin vom 03.03.2009 bis zum 06.03.2009 eine Entgiftungsbehandlung durchgeführt hat. Derartige externe Befundberichte sind im Rahmen der medizinisch-​psychologischen Eignungsbegutachtung auch grundsätzlich berücksichtigungsfähig; gerade bei der Klärung der hier in Rede stehenden Frage einer Alkoholabhängigkeit kommt fremdanamnestischen Angaben, insbesondere von behandelnden Ärzten und Entzugskliniken, ein erheblicher Erkenntniswert zu (vgl. hierzu näher Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, a.a.O., Rn. 3.11.2.2, S. 158). So verfügen in einer spezialisierten Entziehungsklinik tätige Therapeuten regelmäßig nicht nur über besondere Fachkunde, sondern im Falle einer vorausgegangenen stationären Behandlung auch über vertiefte Kenntnisse hinsichtlich der Alkoholproblematik des Patienten und deren mögliche Überwindung, die im Rahmen einer medizinisch-​psychologischen Begutachtung nicht in diesem Umfang gewonnen werden können. Im Übrigen haben die Gutachter die berücksichtigte Vordiagnose kritisch hinterfragt und aufgrund der von ihnen selbst erhobenen Befunde näher begründet, warum sie von Alkoholabhängigkeit ausgehen. Folgerichtig und im Einklang mit den maßgeblichen rechtlichen Vorgaben hat der psychologische Gutachter schließlich näher untersucht, ob die zu fordernde vollständige Abstinenz stabil und motivational gefestigt ist. Übereinstimmend hiermit hat die Antragstellerin in der psychologischen Exploration angegeben, dass sie vorsichtshalber in Zukunft auf jeglichen Alkoholkonsum verzichten müsse.

2.2 Bei summarischer Sachverhaltsprüfung ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin die nach dem oben Gesagten unabdingbare vollständige Abstinenz zwischenzeitlich wieder aufgegeben hat. Dies belegt bereits der Vorfall am 08.02.2015, bei dem die Antragstellerin durch die Polizei stark betrunken aufgegriffen wurde und aufgrund vermuteter Eigengefährdung zur Behandlung in ein Fachkrankenhaus eingeliefert werden musste; der durch das dortige Personal um 12.40 Uhr durchgeführte Atemalkoholtest ergab einen (umgerechneten) Wert von 3,79 Promille. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Messung der Alkoholkonzentration mit einem forensisch verwertbaren Gerät durchgeführt wurde. Ist es - wie hier - von Rechts wegen nicht erforderlich, die Höhe der Atemalkoholkonzentration zahlenmäßig exakt zu ermitteln, sondern kommt es entscheidungserheblich nur darauf an, ob eine Person Alkohol in einer gewissen - sei es auch nur der Spanne nach bestimmbaren - Größenordnung konsumiert hatte, so können aus der Atemalkoholkonzentration auch dann die gebotenen Rückschlüsse gezogen werden, wenn die Messung lediglich mit einem nur zu Vortestzwecken geeichten Gerät und nicht unter forensischen Bedingungen erfolgt ist. Bei einem weiteren Vorfall am 19.03.2015 wurde die Antragstellerin von der Polizei vor einer Bücherei liegend angetroffen, wobei sie alkoholbedingt nicht in der Lage war, sich zu artikulieren oder frei zu sitzen. Schon in der vorausgegangenen Nacht wurde die Antragstellerin ebenfalls betrunken aufgegriffen und von der Polizei nach Hause gebracht. Bereits aufgrund dieser Vorfälle steht bei summarischer Sachverhaltsprüfung fest, dass die Antragstellerin die von den Gutachtern als unabdingbar angesehene vollständige Alkoholabstinenz zwischenzeitlich aufgegeben hat. Angesichts der Vorgeschichte sprechen diese Vorfälle für einen erneuten Rückfall in die in der Vergangenheit diagnostizierte Krankheit der Alkoholabhängigkeit. Keiner abschließenden Klärung bedarf vor diesem Hintergrund, ob der Antragstellerin der Vorfall vom 16.07.2015 vorgehalten werden kann oder ob dem das Berücksichtigungsverbot gemäß § 3 Abs. 3 StVG entgegensteht, da das eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Führens eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss noch anhängig ist.

3. Darüber hinaus räumt der Senat auch bei einer ergänzenden Interessenabwägung im engeren Sinne dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung den Vorrang vor dem privaten Interesse der Antragstellerin ein, einstweilen weiter am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen. Denn es bestehen zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Beschwerdeentscheidung erhebliche Zweifel an der Fahreignung der Antragstellerin. Diese werden - wie oben dargestellt - vor allem dadurch begründet, dass die Antragstellerin die im medizinisch-​psychologischen Gutachten vom 12.01.2012 geforderte strikte und dauerhafte Alkoholabstinenz zwischenzeitlich aufgegeben hat. Im Übrigen belegt die bei der Antragstellerin am 08.02.2015 festgestellte Alkoholkonzentration bereits für sich genommen eine massive Alkoholproblematik. Es entspricht gesicherten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen - die sich unter anderem in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV widerspiegeln -, dass das Erreichen von Blutalkoholkonzentrationen von 1,6 Promille und mehr ein Beleg dafür ist, dass der Betroffene an einer dauerhaften und ausgeprägten Alkoholproblematik leidet. Nach wissenschaftlich belegter Einschätzung ist es der durchschnittlich alkoholgewöhnten Bevölkerung nicht möglich, durch eigenes Handeln Blutalkoholkonzentrationen von 1,6 Promille und mehr zu erreichen (vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, a.a.O., Rn. 3.11.1, S. 132). Blutalkoholkonzentrationen ab 1,6 Promille sprechen nach dem derzeitigen Stand der Alkoholforschung für eine besonders ausgeprägte Alkoholgewöhnung des Betroffenen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.05.2008 - 3 C 32.07 -BVerwGE 131, 163). Liegen somit gravierende, derzeit nicht ausgeräumte Zweifel an der Eignung der Antragstellerin zum Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr vor, besteht wegen der von der Verkehrsteilnahme eines ungeeigneten Kraftfahrers ausgehenden erheblichen Gefahren für hochrangige Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit anderer ein dringendes öffentliches Interesse an der sofortigen Unterbindung seiner weiteren Teilnahme am Straßenverkehr. Die mit dieser Entscheidung für die Antragstellerin verbundenen Nachteile für ihre private Lebensführung und eine etwa noch ausgeübte berufliche Tätigkeit müssen von ihr im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Verkehrssicherheit und der hier in Rede stehenden hochrangigen Rechtsgüter hingenommen werden.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen Nr. 1.5 und Nrn. 46.3 sowie 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt u.a. als Sonderbeilage zu Heft 1 von VBlBW 2014).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.