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OLG Oldenburg Beschluss vom 06.05.2015 - 2 Ss (OWi) 65/15 - Nichtherausgabe der Messdatei und Ablehnung eines entsprechenden Beweisantrags

OLG Oldenburg v. 06.05.2015: Nichtherausgabe der Messdatei und Ablehnung eines entsprechenden Beweisantrags


Das OLG Oldenburg (Beschluss vom 06.05.2015 - 2 Ss (OWi) 65/15) hat entschieden:
Wird dem Betroffenen nach einer Geschwindigkeitsmessung mit PoliscanSpeed eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen und gibt ihm die Verwaltungsbehörde trotz mehrfacher Anträge der Verteidigung die Messdatei nicht heraus, stellt eine Verurteilung durch das Amtsgericht unter Zurückweisung eines Beweisantrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens und ohne jede Begründung für die Nichtherausgabe der Messdatei eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, die zur Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG führt.


Siehe auch Akteneinsichtsrecht in die Bedienungsanleitungen und Geschwndigkeitsmessungen


Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 19.11.2014 eine Geldbuße von 70,00 € wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts verhängt.

In den Urteilsgründen wird ausgeführt, dass an der Richtigkeit der Messung aufgrund des Messprotokolls, des Eichscheins und des Messfotos kein Zweifel bestehe. Der Beweisantrag des Betroffenen sei deshalb als zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich zurückgewiesen worden. Weiter heißt es, der Betroffene sei auch nicht in seinem Recht auf rechtliches Gehör verletzt worden, indem dem von ihm beauftragten Sachverständigen nicht die Falldatei inkl. Passwort und Token übersandt worden sei. Der Verteidiger habe in der Hauptverhandlung erklärt, dass alle Aufzeichnungen aus dem gemessenen Gesamtabschnitt benötigt würden. Grundsätzlich umfasse das Akteneinsichtsrecht jedoch nur Teile der Aufzeichnungen, die den Verkehrsverstoß selbst dokumentieren. Das Akteneinsichtsrecht erstrecke sich jedoch nicht auf Aufzeichnungen, die Verkehrsvorgänge anderer Verkehrsteilnehmer betreffen. Somit seien die von dem Betroffenen begehrten Dateien nicht zu übersenden gewesen.

In seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde führt der Betroffene dazu aus, diese Rechtsauffassung sei falsch. Er habe in der mündlichen Verhandlung folgenden Beweisantrag gestellt:
"Zum Beweis dafür, dass die hier stattgefundene Geschwindigkeitsmessung mit dem Messsystem PoliScan Speed im konkreten Fall technisch fehlerhaft war, die gesamte Messung daher unverwertbar ist, weil das Messgerät als solches bereits fehlerhaft war, nicht ordnungsgemäß installiert worden ist, deshalb zu einer verzerrten Fotodarstellung geführt hat, was den Schluss dazu zulässt, dass der gesamte Messvorgang unverwertbar ist, im Übrigen hier ohnehin die Auswertung der stattgefundenen Messung mit einer nicht geeichten Auswertesoftware der Bußgeldstelle durchgeführt worden ist, weshalb auch die Auswertung - woraufhin schon das unscharfe und verzerrte Foto hinweist - fehlerhaft durchgeführt wurde, berufe ich mich auf das Gutachten des ... Sachverständigen ....".
Diesem Antrag hätte stattgegeben werden müssen. Auch die Ausführungen des Gerichts, das rechtliche Gehör sei durch die verweigerte Übersendung der Messdatei nicht verletzt worden, sei falsch. Der Verteidiger habe Anspruch darauf, dass ihm alle Dateien, die zur Erstellung eines Sachverständigengutachtens und damit zur Überprüfung der Korrektheit der Messung erforderlich seien, zugänglich gemacht würden. Dies werde von Gerichten sonst auch so gehandhabt, so dass die Zulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten sei. Da der Fall noch nicht entschieden sei, sei die Zulassung auch zur Fortbildung des Rechts erforderlich. Es sei auch niemals die Vorlage der Verkehrsvorgänge anderer Verkehrsteilnehmer verlangt worden, sondern nur die Falldatei des konkreten Vorgangs. Die Nichtübersendung sei mehrfach in Schriftsätzen gerügt worden. Auch das Gericht habe ja - erfolglos - die Bußgeldstelle gebeten, die Falldatei zur Verfügung zu stellen. Die Verteidigerrechte seien in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise massiv eingeschränkt worden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hält den Zulassungsantrag für unbegründet. Sie hat ausgeführt:
"Ein Zulassungsgrund liegt nicht vor. ... Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist dann gegeben, wenn das Gericht Tatsachen oder Beweismittel verwendet hat, zu denen der Betroffene vorher nicht gehört worden ist. Das ist hier nicht der Fall. Die in Rede stehenden Unterlagen waren vom Akteneinsichtsrecht der Verteidigung nicht erfasst, da sie nicht Bestandteil der Akten waren. Das Akteneinsichtsrecht beinhaltet auch nicht das Recht auf Erweiterung des Aktenbestandes (OLG Celle, Beschluss vom 28.3.2013, - 311 SsRs 9/13 - bei juris). Auch auf die Sachrüge kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht in Betracht. ... Mit den weiter erhobenen Verfahrensrügen kann der Rechtsbeschwerdeführer nicht gehört werden. Gerügt und mit Sachverständigengutachten unter Beweis gestellt wird, dass eine fehlerhafte Messung vorliegt und außerdem, dass dem Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines Gutachtens zur Fahreridentität nicht nachgegangen wurde. Beide Rügen sind ausschließlich mit der Verfahrensrüge geltend zu machen und folglich hier, da wegen §80 Abs. 2 NR. 1 OWiG eine Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen Fehlern bei den Rechtsnormen über das Verfahren nicht in Betracht kommt, nicht zulässig. Entsprechendes gilt, soweit ein Verstoß gegen die Verteidigerrechte gemäß § 338 Nr. 8 StPO in Betracht kommt. ...."


II.

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, da das angefochtene Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Die Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs, mit der die Ablehnung von zwei Beweisanträgen beanstandet wird, entspricht jedenfalls hinsichtlich der Ablehnung des Beweisantrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens bezüglich der Richtigkeit der Messung den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Danach muss der Tatsachenvortrag in der Rechtsbeschwerdebegründung dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung ermöglichen, ob der gerügte Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen zutrifft. Das ist hier noch der Fall. In der Begründung der Rechtsbeschwerde wird der Beweisantrag wiedergegeben, und ausgeführt, dass dem Betroffenen unter Verstoß gegen das rechtliche Gehör die Messdatei nicht zugänglich gemacht worden sei, obwohl dies mehrfach begehrt worden sei. Grundsätzlich muss zwar bei der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs dargelegt werden, was der Betroffene im Fall seiner Anhörung geltend gemacht hätte (vgl. Göhler a. a. O. § 80 Rnr. 16 c). Dazu, was nach Übersendung der Messdatei vorgetragen worden wäre, finden sich in der Rechtsbeschwerdebegründung keine Ausführungen. Das war hier aber auch nicht erforderlich. Anders als in den Fällen, in denen die Verteidigung eine Verletzung rechtlichen Gehörs wegen unterbliebener Zugänglichmachung in die Bedienungsanleitung des Messgerätes geltend macht – ist das vorenthaltene Beweismittel nicht öffentlich, sondern allein über Gericht bzw. Verwaltungsbehörde erhältlich. Da die Verwaltungsbehörde ungeachtet einer gerichtlichen Bitte die Herausgabe verweigert hatte, und das Gericht dem im Urteil im Ergebnis gefolgt war, war eine erneute Bitte unzumutbar und nicht erfolgversprechend, weshalb ihre Unterlassung die Rechtsbeschwerde nicht unzulässig macht (vgl. Cierniak/Niehaus, NStZ 2014, 526).

Ob das rechtliche Gehör verletzt ist, muss bereits im Zulassungsverfahren geprüft werden (Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 80 Rnr. 16 c). Die Prüfung ergibt im vorliegenden Fall, dass das Amtsgericht durch die Behandlung des vom Betroffenen in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrags das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzt hat. Zwar ist eine lediglich prozessordnungswidrige Behandlung von Beweisanträgen noch keine Verweigerung rechtlichen Gehörs. Nur die willkürliche Ablehnung eines Beweisantrags, also die Ablehnung ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Begründung, die unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist, verletzt das rechtliche Gehör (OLG Köln, VRS 99, 464; DAR 13, 530, jew .m.w.Nw).

Nach diesen Grundsätzen hat das Amtsgericht das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzt. Das beantragte Sachverständigengutachten konnte nicht ohne Verstoß gegen § 77 OWiG abgelehnt werden. Nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG kann das Gericht einen Beweisantrag ablehnen, wenn nach seinem pflichtgemäßen Ermessen die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Hier lagen zwar mit dem Messprotokoll, Eichschein und Messfoto diejenigen Unterlagen vor, die bei einem standardisierten Messverfahren grundsätzlich zum Nachweis des Geschwindigkeitsverstoßes genügen. Ein Beweisantrag wie der vom Betroffenen gestellte ist deshalb üblicherweise zu pauschal, so dass das Gericht ihn gem. § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG ablehnen kann.

Hier liegen jedoch besondere Umstände vor. Der Betroffene hatte vorprozessual mehrfach beantragt, ihm die Messdatei zugänglich zu machen. Wie in der Rechtsbeschwerdebegründung ausgeführt wird, war diese ihm von der Verwaltungsbehörde trotz zweifacher Aufforderung durch das Amtsgericht nicht übersandt und zuletzt mit der Begründung verweigert worden, man dürfe diese nicht übersenden. Das Amtsgericht führte dennoch den Termin durch, ohne dem Betroffenen in diesem oder zuvor die Messdatei zugänglich zu machen, und ging im Urteil nur wie oben wiedergeben auf die Frage ein.

Dabei war bereits rechtsfehlerhaft, dass dem Betroffenen nicht die Messdatei übersandt wurde. Da sie Grundlage und originäres, unveränderliches Beweismittel der Geschwindigkeitsmessung ist, ist sie - rechtzeitig vor dem Prozess - einem Betroffenen auf dessen Wunsch hin zugänglich zu machen (Cierniak, ZfSch 2012, 664 ff m.w.Nw., AG Stuttgart, Beschluss vom 29.12.11 – 16 OWi 3433/11 – juris; AG Senftenberg, DAR 11, 422; AG Cottbus, StrFo 2012, 409; AG Duderstadt, Beschluss vom 25.11.13, - 3 Owi 300/13 - juris; AG Fritzlar, ZfSch 15, 52; Geißler, DAR 14, 718). Es kann weiter dahinstehen, ob der Betroffene tatsächlich im Termin die Herausgabe auch weiterer Messdateien begehrt hat. Jedenfalls hat er weiterhin, wovon offenbar auch das Amtsgericht ausging, jedenfalls die Übersendung der Messdatei, die den ihm vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoß belegen soll, begehrt. Dazu, warum auch diese allein verweigert wird, äußert sich das Amtsgericht gar nicht. Vor diesem Hintergrund blieb dem Verteidiger keine Möglichkeit, einen präziseren Beweisantrag zu stellen, so dass dieser trotz seiner pauschalen Fassung nicht als "ins Blaue hinein gestellt" unbeachtlich bleiben konnte. Die Ablehnung des Antrags ohne jede Begründung, warum der Verteidigung die Messdatei betreffend den konkreten Vorgang nicht zugänglich gemacht wurde, ist schlechthin nicht nachvollziehbar. Sie ist deshalb im vorliegenden Fall - sicher einer Ausnahmekonstellation - als willkürlich einzustufen. Damit ist durch die Ablehnung des Beweisantrags das rechtliche Gehör verletzt. Es läßt sich auch nicht ausschließen, daß durch Einholung des Sachverständigengutachtens der Nachweis der Geschwindigkeitsüberschreitung erschüttert worden wäre, so dass das Urteil auch auf dem Verstoß gegen das rechtliche Gehör beruht.

Da dem Senat eigene Tatsachenfeststellungen verwehrt sind, ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.