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OVG Münster Beschluss vom 03.12.2015 - 16 E 817/15 - Entziehung der Fahrerlaubnis wegen nicht fristgerechter Vorlage einer fachärztlichen Stellungnahme
OVG Münster v. 03.12.2015: Entziehung der Fahrerlaubnis wegen nicht fristgerechter Vorlage einer fachärztlichen Stellungnahme
Das OVG Münster (Beschluss vom 03.12.2015 - 16 E 817/15) hat entschieden:
Gemäß Nr. 4.5.1 der Anlage 4 FeV fehlt die Kraftfahreignung bei einer in Ruhe auftretenden Herzleistungsschwäche durch angeborene oder erworbene Herzfehler oder sonstige Ursachen. Tritt die Herzleistungsschwäche nur bei gewöhnlichen Alltagsbelastungen und bei besonderen Belastungen auf (Nr. 4.5.2 der Anlage 4 FeV), kommt eine bedingte Eignung zu Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 in Betracht, bei der Beschränkungen und/oder Auflagen vorzusehen sind. Bei einem hochgradigen Herzklappenfehler, der die körperliche und seelische Belastbarkeit erheblich einschränkt, muss die Behörde die Fahreignung durch die Anforderung einer fachärztlichen Stellungnahme weiter aufklären.
Siehe auch Krankheiten und Fahrerlaubnis und Stichwörter zum Thema Fahrerlaubnis und Führerschein
Gründe:
Die Beschwerde, über die im Einverständnis der Beteiligten die Berichterstatterin entscheidet (§ 125 Abs. 1 i. V. m. § 87a Abs. 2 und 3 VwGO), ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass er keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat, weil die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst und nur dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe verweigert werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen ist, aber doch fern liegt. Dabei dürfen die Fachgerichte die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder -verteidigung mit Blick auf den aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit nicht überspannen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung in der Hauptsache zugeführt werden können.
Std. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, vgl. etwa Kammerbeschluss vom 28. Januar 2013 - 1 BvR 274/12 -, juris, Rn. 13 f., mit weiteren Nachweisen.
Gemessen an diesen Maßstäben kann dem Kläger zugemutet werden, die Weiterverfolgung seines Klagebegehrens aus finanziellen Gründen aufzugeben.
Die Klage, die auf die Aufhebung der Entziehungsverfügung der Beklagten vom 11. Juni 2015 gerichtet ist, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne Erfolg bleiben. Die Beklagte durfte gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf das Fehlen der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen beim Kläger schließen, nachdem dieser ihrer Aufforderung, ein Gutachten eines Facharztes für Kardiologie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation beizubringen, nicht nachgekommen ist. Die Beklagte war entgegen der Auffassung des Klägers gemäß § 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 Satz 1 und 2 FeV i. V. m. Nr. 4.5 der Anlage 4 FeV zu der Begutachtungsanordnung berechtigt. Nach dieser Vorschrift ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines Gutachtens an, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Solche Bedenken bestehen insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 hinweisen. Entsprechende Tatsachen ergeben sich aus dem ärztlichen Attest des den Kläger behandelnden Internisten Dr. L. vom 11. November 2014. Danach leidet der Kläger unter einer fortgeschrittenen Erkrankung seines Herzens mit einem hochgradigen Herzklappenfehler, der Durchblutungsstörungen der Herzmuskulatur und Rhythmusstörungen verursacht. Gemäß Nr. 4.5.1 der Anlage 4 FeV fehlt die Kraftfahreignung bei einer in Ruhe auftretenden Herzleistungsschwäche durch angeborene oder erworbene Herzfehler oder sonstige Ursachen. Tritt die Herzleistungsschwäche nur bei gewöhnlichen Alltagsbelastungen und bei besonderen Belastungen auf (Nr. 4.5.2 der Anlage 4 FeV), kommt eine bedingte Eignung zu Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 in Betracht, bei der Beschränkungen und/oder Auflagen vorzusehen sind.
Da nach dem ärztlichen Attest vom 11. November 2014 bei dem Kläger ein hochgradiger Herzklappenfehler vorliegt, der dessen körperliche und seelische Belastbarkeit erheblich einschränkt, konnte die Beklagte jedenfalls nicht ausschließen, dass die Herzleistungsschwäche des Klägers durchaus in Ruhe auftritt und seine Fahreignung gemäß Nr. 4.5.1 der Anlage 4 FeV ausgeschlossen ist. Selbst wenn bei dem Kläger lediglich eine Herzleistungsschwäche i. S. v. Nr. 4.5.2. der Anlage 4 FeV vorliegen sollte, musste die Beklagte davon ausgehen, dass bei ihm aufgrund der sich aus dem ärztlichen Attest ergebenden Beeinträchtigungen ein stabiles Leistungsniveau nur bedingt gewährleistet ist, oder dass nur besondere Bedingungen die Gefahr des plötzlichen Versagens abwenden können. Vor diesem Hintergrund musste die Beklagte das ärztliche Attest vom 11. November 2014 zum Anlass nehmen, weiter aufzuklären, ob und gegebenenfalls unter welchen Auflagen und Beschränkungen, etwa regelmäßige ärztliche Kontrollen, Nachuntersuchungen in bestimmten Fristen, Beschränkungen auf einen Fahrzeugtyp oder Umkreis- und Tageszeitbeschränkungen (Nr. 4.5.2. der Anlage 4 FeV) der Kläger den Anforderungen beim Führen eines Kraftfahrzeugs gerecht werden kann.
Vgl. Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, gültig ab 1. Mai 2014, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, Heft M 115 = http://www.bast.de/DE/FB-U/Fachthemen/BLL/ Begutachtungsleitlinien-2014, Nr. 3.4.5 und Nr. 2.1 sowie im Hinblick auf die in dem Attest erwähnten Herzrhythmusstörungen Nr. 3.4.1.
Zu diesem Zweck hat die Beklagte den Kläger zunächst mit Schreiben vom 19. Dezember 2014 und erneut vom 28. Januar 2015 unter Fristsetzung aufgefordert, eine ausführliche ärztliche Bescheinigung eines Facharztes für Kardiologie mit der Diagnose, einer Auflistung der verordneten Medikamente und einer Aussage über die Kraftfahreignung vorzulegen. Als der Kläger auf diese Aufforderungen nicht reagierte, hat die Beklagte ohne Rechtsfehler unter dem 23. Februar 2015 gemäß § 11 Abs. 2 FeV die Begutachtung durch einen Kardiologen mit verkehrsmedizinischer Qualifikation angeordnet. Denn nachdem eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch eine fachärztliche Bescheinigung an der fehlenden Mitwirkung des Klägers gescheitert war, musste sich die Beklagte zur Klärung der berechtigten und vom Kläger nicht ausgeräumten Eignungszweifel der in § 11 Abs. 2 FeV vorgesehenen behördlichen Begutachtungsanordnung bedienen.
Auch im Übrigen ist die Begutachtungsanordnung nicht zu beanstanden, insbesondere hat die Beklagte die formalen Erfordernisse eingehalten und den Kläger nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV auf die Folgen einer Untersuchungsverweigerung bzw. einer Nichtvorlage des Gutachtens innerhalb der angegebenen Frist hingewiesen.
Die Beklagte war schließlich auch nicht im Hinblick auf das Schreiben des Klägers vom 26. Mai 2015, mit dem er auf die Anhörung zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV reagierte, daran gehindert, aus der Nichtvorlage des rechtmäßig angeforderten Gutachtens auf die Nichteignung des Klägers zu schließen. Etwas anderes könnte lediglich dann gelten, wenn für die Nichtbeibringung des angeforderten Gutachtens ausnahmsweise ein ausreichender Grund bestünde.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 1985 - 7 C 26.83 - , NJW 1985, 2490 = juris, Rn. 18; OVG NRW, Beschluss vom 10. Juli 2002 - 19 E 808/01 -, NWVBl. 2003, 231 = juris, Rn. 6; Bay. VGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2005 - 11 CS 04.2438 -, juris, Rn. 25; vom 7. November 2006 - 11 ZB 05.3034 -, juris, Rn. 19 und vom 6. Februar 2009 - 11 CS 08.2459 -, juris, Rn. 18.
Dies ist hier nicht der Fall. Dem Schreiben ist nicht zu entnehmen, dass der Kläger aus ihm nicht vorwerfbaren Gründen gehindert war, das angeforderte Gutachten zu erbringen. Er hat sich insoweit darauf beschränkt, der Beklagten mitzuteilen, dass bei ihm nach der Einstellung des Versteigerungsverfahrens keinerlei gesundheitliche Schwierigkeiten vorlägen, die auf eine Fahruntüchtigkeit schließen ließen. Damit sind keine Umstände dargetan, die eine nicht fristgerechte Beibringung des Gutachtens rechtfertigen könnten. Denn aus dem Schreiben ergibt sich lediglich die in keiner Weise durch ärztliche Unterlagen belegte persönliche Einschätzung des Klägers, dass er nach Einstellung der Versteigerung gesundheitlich nicht mehr beeinträchtigt sei.
Vgl. in diesem Zusammenhang Bay. VGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2005, a. a. O.
Die Behauptung im Klageverfahren, der Kläger habe auf die Anforderung des Gutachtens nicht reagiert, weil er davon ausgegangen sei, dass der Fahrerlaubnisbehörde ein im Versteigerungsverfahren eingeholtes nervenärztliches Gutachten übersandt werde, entbehrt jeder nachvollziehbaren Grundlage. Dagegen spricht bereits, dass der Kläger die Aufforderung Ende Februar 2015 erhalten hat, mit der Bitte, die Einverständniserklärung umgehend, und das angeforderte Gutachten binnen zwei Monaten zu übersenden. Die nervenärztliche Untersuchung fand jedoch erst am 16. April 2015 statt. Darüber hinaus hat der Kläger dieses Gutachten in seinem Schreiben vom 26. Mai 2015 überhaupt nicht erwähnt. Davon wäre aber auszugehen, wenn er tatsächlich im Hinblick auf dieses Gutachten eine weitere kardiologische Begutachtung für erlässlich gehalten haben sollte.
Auch der Umstand, dass der Kläger in diesem Schreiben um Benachrichtigung gebeten hat, falls die Beklagte die Stellungnahme eines Facharztes mit "Verkehrsmedizinischer Qualifikation" zur Fahrtüchtigkeit des Klägers für notwendig halte, hinderte die Beklagte nicht, von der Nichtbeibringung des Gutachtens auf die fehlende Kraftfahreignung des Klägers zu schließen. Da es sich bei diesem Schluss um einen Akt der Beweiswürdigung handelt, sind allerdings bei der Entscheidung auch nach der Anforderung des Gutachtens eingetretene neue Tatsachen zu berücksichtigen, soweit diese für die Frage von Bedeutung sind, ob der Betroffene den Beweis grundlos vereitelt und hieraus auf seine fehlende Kraftfahreignung geschlossen werden kann. Um eine solche Tatsache handelt es sich etwa, wenn der Betroffene das Gutachten zwar zunächst nicht fristgerecht beibringt, sich der Begutachtung aber nachträglich stellt und das Gutachten vorlegt.
Vgl. zu einer nachträglichen Vorlage des Gutachtens im Widerspruchsverfahren: OVG NRW, Beschluss vom 10. Juli 2002, a. a. O., juris, Rn. 8 f.
Gibt der Betroffene demgegenüber nachträglich lediglich seine Bereitschaft zu erkennen, das angeordnete Gutachten nunmehr erstellen zu lassen und vorzulegen, steht diese Absichtserklärung der Annahme der fehlenden Fahreignung nach § 11 Abs. 8 FeV nicht entgegen. Diese Schlussfolgerung kann vielmehr nur durch die tatsächliche Erbringung der geschuldeten Mitwirkungshandlung, also durch Beibringung des Gutachtens, entkräftet werden.
Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 6. Februar 2009, a. a. O., Rn. 19; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 1. März 1993 - 10 S 67/93 -, NZV 1993, 327 = juris, Rn. 3.
Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Der Kläger hat nicht einmal seine Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, das fachärztliche Gutachten erstellen zu lassen. Er hat vielmehr um Mitteilung dazu gebeten, ob eine fachärztliche Stellungnahme für erforderlich gehalten werde. Darüber hinaus hat er die Einverständniserklärung, die er anlässlich der Beibringungsanordnung mit der Bitte um umgehende Rücksendung erhalten hat, nicht vorgelegt. Auch im Übrigen sind seinem Schreiben keine belastbaren Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass er nicht aufgrund einer gravierenden Herzerkrankung in seiner Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt ist. So hat er dem Schreiben vom 26. Mai 2015 nicht einmal eine von ihm bereits Ende Dezember 2014 und Ende Januar 2015 erbetene fachärztliche Stellungnahme beigefügt.
Dass der Kläger schließlich zur Begründung seiner Klage das am 16. April 2015 erstellte nervenärztliche Gutachten vorgelegt hat, stellt keine nachträgliche Erbringung der geschuldeten Mitwirkungshandlung dar. Denn das Gutachten ist von einem Arzt für Neurologie und Psychiatrie sowie für Psychotherapie und nicht von einem Kardiologen erstellt worden. Gegenstand der Begutachtung war nicht die Herzerkrankung des Klägers und deren Entwicklung bei seelischer und körperlicher Anstrengung, sondern die Frage, ob der Kläger seine Drohung, sich im Fall der Versteigerung seines Hauses umzubringen, voraussichtlich wahr machen werde. Der Gutachter hat ferner zu der Herzerkrankung weder einen Befund erhoben, noch eine Diagnose gestellt. Er verweist lediglich auf ein weiteres ärztliches Attest des Hausarztes Dr. L. vom 15. Dezember 2014. Danach liege bei dem Kläger eine Erkrankung vor, bei der jedwede unkontrollierbare körperliche oder seelische Anstrengung zu einer plötzlichen Bewusstseinsstörung oder zum plötzlichen Herztod führen könne. Der Kläger sei hierüber aufgeklärt. Weitere Schutzmaßnahmen lägen außerhalb der hausärztlichen Möglichkeiten. Zu der Behandlung des Klägers wegen einer Herzerkrankung ist dem Gutachten nur zu entnehmen, dass er seinen eigenen Angaben nach täglich eine Tablette Ramipril 2,5 mg gegen seinen erhöhten Blutdruck einnimmt.
Da aufgrund von § 11 Abs. 8 FeV bereits aus der Nichtbeibringung des angeforderten Gutachtens auf die fehlende Kraftfahreignung des Klägers geschlossen werden kann, gehen seine Einwände gegen eine vorweggenommene Beweiswürdigung in Bezug auf ein noch zu erstellendes Gutachten ins Leere. Die Erstellung eines solchen Gutachtens hat er vielmehr selbst seit Ende Februar 2015 grundlos verweigert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO sowie aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).