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OLG Hamm Urteil vom 20.10.2015 - I-28 U 91/15 - Örtliche Zuständigkeit bei Rückabwicklung des Gebrauchtwagen-Kaufvertrags
OLG Hamm v. 20.10.2015: Örtliche Zuständigkeit bei Rückabwicklung des Gebrauchtwagen-Kaufvertrags
Das OLG Hamm (Urteil vom 20.10.2015 - I-28 U 91/15) hat entschieden:
Bei der Rückabwicklung eines Kaufvertrages über einen Gebrauchtwagen liegt der Gerichtsstand des Erfüllungsortes dort, wo sich das Fahrzeug im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung vertragsgemäß befindet, d.h. regelmäßig am Wohnsitz des Käufers.
Siehe auch Stichwörter zum Thema Autokaufrecht und Erfüllungsort der Nacherfüllung beim Fahrzeugkauf
Gründe:
I.
Die Parteien streiten über die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über ein Gebrauchtfahrzeug vom Typ Saab 900 Cabriolet.
Dieses Fahrzeug befand sich im Besitz des Beklagten, der in Q wohnt. Er bot das Cabriolet im September 2014 über das Internet zum Kauf an. Der Kläger, der in M wohnt, wurde auf das Inserat aufmerksam. Er nahm in Q eine Fahrzeugbesichtigung vor und einigte sich mit dem Beklagten darauf, das Cabriolet zum Preis von 5.650,00 EUR zu kaufen. Nach entsprechender Barzahlung verbrachte der Kläger das Fahrzeug nach M.
Bei dem Kläger entstand zu Hause nach Durchsicht der Fahrzeugpapiere der Eindruck, dass die im Kaufvertrag vom 07.09.2014 angegebene "Gesamtlaufleistung: 173.000 km" unzutreffend sei und das Fahrzeug tatsächlich eine erheblich höhere Laufleistung aufweise. Noch bevor er die Zulassung des Fahrzeugs auf seinen Namen veranlasst hatte, erklärte der Kläger am 09.09.2014 den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte den Beklagten auf, das Cabriolet bis zum 20.09.2014 in M abzuholen.
Nachdem der Beklagte sich nicht auf eine Rückabwicklung des Kaufvertrags einließ, erhob der Kläger vor dem Landgericht Bielefeld eine Klage, mit der er beantragt hat,
- den Beklagten zu verurteilen, an ihn 5.650,00 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszins seit dem 14.10.2014 zzgl. vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 571,44 EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über Basiszins seit dem 14.10.2014 zu zahlen
- festzustellen, dass sich der Beklagte mit der Rücknahme des PKW Saab 900 Cabriolet, amtliches Kennzeichen ..., Fahrzeugident-Nr. ... wie auch der zugehörigen Fahrzeugpapiere in Annahmeverzug befindet.
Der Beklagte hat die Zuständigkeit des angerufen Gerichts gerügt und beantragt,
den Rechtsstreit an das Landgericht Potsdam zu verweisen.
Das Landgericht hat den Kläger mit Verfügung vom 19.12.2014 darauf hingewiesen, dass es die vom Beklagten vorgetragenen Bedenken hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit teile, und nachgefragt, ob der Kläger gleichfalls die Verweisung an das Landgericht Potsdam beantrage. Darauf hat der Kläger ablehnend reagiert. Das Landgericht hat unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Hinweises Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt.
Darin hat der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 28.04.2015 als unzulässig abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass seine örtliche Zuständigkeit fehle. Insbesondere liege im Bezirk des Landgerichts Bielefeld nicht der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO). Bei der Rückabwicklung eines Kaufvertrages könne nicht von einem einheitlichen Erfüllungsort am Belegenheitsort der gekauften Sache ausgegangen werden; vielmehr seien die Leistungspflichten gem. § 269 ZPO grundsätzlich gesondert zu bestimmen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht Zug um Zug die Rückgabe bzw. -übereignung des Fahrzeugs beantragt habe. Auch der mutmaßliche Parteiwille sei nicht darauf ausgerichtet, dass die Kaufsache nach Übergabe an den Käufer an dessen Wohnsitz verbleibe. Die Praktikabilität spreche eher gegen einen dortigen Gerichtsstand, weil es in Gebrauchtwagenfällen häufig auf den Arglisteinwand ankäme und Zeugen aus dem Umfeld des Verkäufers vernommen werden müssten. Ein entscheidendes Kriterium für einen Gerichtsstand am Wohnsitz des Käufers könne auch nicht darin gesehen werden, dass man ihn als vermeintliches "Opfer" einer Pflichtverletzung des Verkäufers belohnen müsse.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers. Er trägt darin vor, dass die Klageabweisung durch Prozessurteil rechtsfehlerhaft gewesen sei. Dem Beklagten sei im Übrigen bekannt gewesen, dass das Saab Cabriolet von der Ehefrau des Klägers habe genutzt werden sollen, also "relativ stationär" am Wohnsitz des Klägers.
Soweit das Landgericht einen Zug-um-Zug-Antrag vermisst habe, hätte Anlass bestanden, insoweit einen richterlichen Hinweis zu erteilen. Wäre dies geschehen, so wäre der Hauptsacheantrag - wie nunmehr in der Berufungsinstanz geschehen - umgestellt worden.
Der Kläger beantragt,
das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und nach Feststellung der Zuständigkeit des Landgerichts Bielefeld die Sache an das Landgericht Bielefeld zur anderweiten Entscheidung in der Hauptsache zurückzuverweisen, wobei der Hauptsacheantrag dahingehend ergänzt werde, dass der Beklagte zu verurteilen sei, an ihn 5.650,00 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszins seit dem 14.04.2014 zzgl. vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 571,44 EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über Basiszins seit dem 14.10.2014 Zug um Zug gegen Rücknahme des PKW Saab 900 Cabrio, Fahrzeugident-NR. ... zu zahlen,
hilfsweise den Rechtsstreit zur Entscheidung über den vorstehenden Antrag und den Feststellungsantrag I. Instanz an das Landgericht Potsdam zu verweisen,
ganz hilfsweise in der Sache auch zur Hauptsache unter Berücksichtigung des oben ergänzten Antrags selbst zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bekräftigt das landgerichtliche Urteil mit näheren Ausführungen. Er bestreitet mit Nichtwissen, dass bei Vertragsschluss über eine "relativ stationäre" Verwendung des Saab Cabriolets am Wohnsitz des Klägers gesprochen worden sei. Das ergebe sich nicht aus dem Vertragstext.
Nach Zustimmung der Parteien hat der Senat mit Beschluss vom 17.09.2015 das schriftliche Verfahren angeordnet mit Schriftsatzfrist bis zum 08.10.2015.
Wegen der näheren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Inhalt des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
Sie führt zu der tenorierten Aufhebung und Zurückverweisung, weil in dem angefochtenen Urteil zu Unrecht nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden wurde (§ 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO).
1. Das Landgericht hätte die Klage nicht wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit als unzulässig abweisen dürfen. Der Kläger konnte vielmehr gem. § 35 ZPO nach seiner Wahl die Klage vor dem Landgericht Bielefeld erheben, weil dort der Gerichtsstand des Erfüllungsortes gegeben ist (§ 29 Abs. 1 ZPO).
Nach der Regelung des § 29 Abs. 1 ZPO ist für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis - auch - das Gericht des Ortes zuständig, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist. Der insofern maßgebliche Ort richtet sich nach dem materiellen Recht (BGH NJW 2011, 2056 - juris-Tz. 29).
Nach dem vom Kläger zur Klagebegründung vorgetragenen Sachverhalt soll ihm gegen den Beklagten ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreis von 5.650,00 EUR zustehen, weil er wirksam von dem Kaufvertrag über das Saab 900 Cabriolet zurückgetreten sei.
Das materielle Recht enthält keine abschließende Regelung, an welchem Ort die hier streitige Verpflichtung zur Rückzahlung des Kaufpreises zu erfüllen ist. Abzustellen ist vielmehr auf § 269 Abs. 1 BGB. Danach richtet sich der Ort für die Leistung nach der von den Parteien getroffenen Bestimmung oder nach den Begleitumständen, die sich insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses ergeben. Wenn sich insoweit keine Feststellungen treffen lassen, bildet der Wohnsitz des Verkäufers, der vermeintlich die Rückzahlung des Kaufpreises schuldet, den maßgeblichen Leistungsort.
Die Parteien haben bei Abschluss des Kaufvertrages zwar keine ausdrückliche Bestimmung getroffen, wie im Falle der Rückabwicklung des Vertrages zu verfahren sei. Ihnen kann allerdings der mutmaßliche Wille unterstellt werden, dies nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen zu tun. Dabei ergibt sich aus §§ 346, 323, 440, 434, 433 BGB, dass der Käufer selbst bei wirksamer Ausübung des gesetzlichen Rücktrittsrechts keinen uneingeschränkten Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises hat, sondern dass dieser Anspruch vom Verkäufer nur Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung der Kaufsache zu erfüllen ist.
Der Kläger hat zwar erstinstanzlich keinen solchen Zug-um-Zug-Antrag gestellt, weil das Landgericht den gem. § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO gebotenen richterlichen Hinweis auf eine entsprechende Klageumstellung unterlassen hat. Der Kläger hat dies allerdings erwartungsgemäß mit der Berufungsbegründung nachgeholt und für den Fall der Zurückverweisung angekündigt, die Rückzahlung des Kaufpreises nur Zug um Zug gegen Fahrzeugrückgabe beanspruchen zu wollen. Diese neue Antragstellung ist nunmehr für die Beurteilung entscheidend, ob die Klage als zulässig anzusehen und deshalb eine Zurückverweisung vorzunehmen ist (Ball, in: Musielak/Voit ZPO, 12. Aufl. 2015, § 538 Rnr. 25).
Wenn man vor diesem Hintergrund davon ausgeht, dass hier nach einem wirksamen Rücktritt die ausgetauschten Leistungen Zug um Zug rückabzuwickeln sind, dann steht wiederum rechtlich außer Frage, dass der Beklagte als Verkäufer verpflichtet ist, das - unterstellt: - mangelhafte Fahrzeug bei dem Kläger in M abzuholen (Reinking/Eggert Der Autokauf, 12. Aufl. 2014, Rnr. 1220). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll der Verkäufer dann auch bei dieser Gelegenheit der Fahrzeugabholung Zug um Zug seine Verpflichtung zur Rückzahlung des Kaufpreises erfüllen.
Dieses mutmaßlich auch von den Parteien so gewollte Prozedere spricht dafür, bei der Rückabwicklung eines Autokaufs im Rahmen des § 29 Abs. 1 ZPO einen einheitlichen Gerichtsstand des Erfüllungsortes dort anzunehmen, wo sich das gekaufte Fahrzeug im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung vertragsgemäß befindet - nämlich regelmäßig am Wohnsitz des Käufers. Dies entspricht zu Recht der vorherrschenden Auffassung (BGH NJW 1983, 1479 - juris-Tz. 14; OLG Schleswig, Urt. 3 U 99/11 vom 04.09.2012; OLG Düsseldorf, Beschl. 22 W 19/13 vom 17.07.2013; OLG Köln DAR 2011, 260; OLG Karlsruhe MDR 2013, 898; OLG Nürnberg, Urt. 2 U 2074/08 vom 20.02.2009; OLG Bamberg ZfSch 2013, 568; OLG München MDR 2014, 450; Palandt/Grüneberg BGB, 74. Aufl. 2015, § 269 Rnr. 16; Reinking/Eggert a.a.O. Rnrn. 1217f, 1264; Zöller/Vollkommer ZPO, 30. Aufl. 2014; ZPO § 29 Rnr. 25 "Kaufvertrag").
Für die abweichende Rechtsansicht des Landgerichts, der Gerichtsstand des Erfüllungsortes liege am Wohnsitz des Beklagten in Q, lassen sich dagegen keine tragfähigen Umstände anführen:
Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch die nach § 439 BGB vom Verkäufer vorrangig geschuldete Nacherfüllung grundsätzlich an dessen Betriebs- oder Wohnsitz vorzunehmen ist (BGH NJW 2011, 2278). Das lässt aber nicht den Rückschluss zu, dass dort auch die spätere Rückabwicklung des Kaufvertrages zu erfolgen hat. Vielmehr wird sich im Gegenteil das Scheitern der Nacherfüllung als Rücktrittsvoraussetzungen in der Regel erst dann feststellen lassen, wenn der Käufer das Fahrzeug im Anschluss an den Nacherfüllungsversuch wieder zur bestimmungsgemäßen Verwendung zurückerhalten hat.
Auch die vom Landgericht angeführten Erwägungen zur Prozessökonomie vermögen keinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Verkäufers zu begründen. Abgesehen davon, dass sich der Erfüllungsort i.S.d. § 29 Abs. 1 ZPO - wie dargestellt - nach dem materiellen Recht richtet (BGH NJW 2004, 54 - juris-Tz. 12), müssen auch nicht bei jeder Rückabwicklungsklage - wie offenbar das Landgericht meint - "Arglistzeugen" am Wohnort des Verkäufers vernommen werden. Vielmehr richtet sich der erforderliche prozessuale Aufwand nach den Umständen des Einzelfalles. So wird es im Streitfall zur Klärung der relevanten Frage, ob das Saab Cabriolet eine zugesagte Gesamtlaufleistung nicht aufweist, möglicherweise auf die Vernehmung der Vorbesitzer ankommen, die nicht zwangsläufig aus Q kommen müssen. Außerdem wird möglicherweise das Gutachten eines Kfz-Sachverständigen einzuholen sein, bei dem ein Auseinanderfallen des Standorts des zu untersuchenden Fahrzeugs und des Gerichtsortes regelmäßig zu Mehrkosten führt.
2. Der Rechtsstreit ist noch nicht entscheidungsreif, so dass keine eigene Sachentscheidung des Senats in Betracht kommt.
III.
Auch eine Kostenentscheidung durch den Senat ist nicht veranlasst.
IV.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Im Übrigen hat der Senat nur i.S.d. § 545 Abs. 2 ZPO über die Frage der Zuständigkeit entschieden, die der Revision nicht zugänglich ist (BGH NJW 2003, 2917).