Das Verkehrslexikon

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OLG Nürnberg Beschluss vom 21.10.2015 - 1 OLG 2 Ss 182/15 - Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch bei Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis

OLG Nürnberg v. 21.10.2015: Vorlage an den Bundesgerichtshof zur Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch bei Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis


Das OLG Nürnberg (Beschluss vom 21.10.2015 - 1 OLG 2 Ss 182/15) hat entschieden:
Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:
Kann ein Angeklagter seine Berufung wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränken, wenn er wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden ist (§ 21 Absatz 1 Nummer 1 StVG) und sich die Feststellungen darin erschöpfen, dass er wissentlich an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit ein Fahrzeug bestimmter Marke und mit einem bestimmten Kennzeichen geführt habe, ohne die dazu erforderliche Fahrerlaubnis zu besitzen?


Siehe auch Die Beschränkung des Rechtsmittels in Strafsachen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Stichwörter zum Thema Verkehrsstrafsachen


Gründe:

I.

Das Amtsgericht – Strafrichter – Fürth verurteilte die Angeklagte am 24. Juli 2014 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und wegen Betruges in je vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten, deren Vollzug es nicht zur Bewährung aussetzte. Zu den Fahrten ohne Fahrerlaubnis stellte der Strafrichter in seinem Urteil fest:
„II. [...] 2. In den nachfolgend genannten Einzelfällen fuhr die Angeklagte mit fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeugen auf öffentlichen Straßen, obwohl sie, wie sie wusste, die erforderliche Fahrerlaubnis nicht hatte. [...] Im Einzelnen handelt es sich um folgende Fahrten:
2.1. Am 28.04.2011 gegen 14.27 Uhr auf der L... Straße in M...mit dem PKW ..., amtliches Kennzeichen ...

2.2. Am 13.09.211 [soll heißen: 13.09.2011] gegen 6.45 Uhr auf der Straße „...“ in S... mit demselben PKW ...

2.3. Am 28.10.2011 gegen 6.38 Uhr auf der Straße ‚ „...“ in S... mit dem PKW ..., amtliches Kennzeichen: ...

2.4. Am 13.12.2011 gegen 14.50 Uhr mit dem PKW ..., amtliches Kennzeichen ..., auf der Straße „...“ in S...“.
In der Beweiswürdigung des Urteils findet sich zu der Fahrt am 28. April 2011 noch die Feststellung, dass der rechtskräftige Bußgeldbescheid, aus dem der Strafrichter auf die Tat schloss, den Vorwurf zum Inhalt gehabt habe, die Angeklagte habe „ihr dreijähriges Kind ohne vorschriftsmäßige Sicherung“ befördert. Zu der Fahrt am 13. September 2011 stellte der Strafrichter in der Beweiswürdigung zusätzlich fest, dass die Tat am ersten Schultag nach den Sommerferien begangen worden sei und sich neben der Angeklagten „deren Kinder“ in dem Auto befunden hätten. Zu der Fahrt am 28. Oktober 2011 enthält die Beweiswürdigung noch die Feststellungen, dass die Angeklagte von der Straße „...“ in die B... Straße abgebogen sei, dort am Straßenrand mit laufendem Motor stehengeblieben sei und versucht habe, „sich wegzuducken“, als ein Zeuge vorbeigefahren sei (jener Zeuge, auf dessen Angaben der Strafrichter seine Überzeugung von der Tat stützte). ― Weitere Feststellungen zu den Fahrten ohne Fahrerlaubnis enthält das Urteil nicht.

Gegen dieses Urteil legte die Angeklagte über ihren Verteidiger form- und fristgerecht Berufung ein. Sie wurde am 8. Dezember 2014 vom Landgericht Nürnberg-Fürth – 4. Strafkammer – gemäß § 329 Absatz 1 Satz 1 StPO ohne Verhandlung zur Sache verworfen. Nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kam es vor derselben Strafkammer am 13. April 2015 zur Berufungshauptverhandlung. In ihr beschränkte die Angeklagte die Berufung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch (Teilrücknahme nach § 302 StPO). Die Kammer verwarf die Berufung mit Urteil vom selben Tage mit der Maßgabe als unbegründet, dass die Gesamtfreiheitsstrafe auf ein Jahr ermäßigt werde.

Hinsichtlich des Schuldspruchs betrachtete die Kammer die Feststellungen des Strafrichters als bindend und zitierte sie in ihrem Urteil wörtlich. Für den Schuldspruch wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis umfasst dieses Zitat die auch hier (oben) im Wortlaut wiedergegebene Passage (nicht hingegen das hier aus der Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Urteils Wiedergegebene). Für den Rechtsfolgenausspruch stellt das Berufungsurteil unter anderem fest – in der Hauptverhandlung wurde offenbar ein Auszug aus dem Bundeszentralregister verlesen –, dass die Angeklagte am 26. Oktober 2010 vom Amtsgericht Bad Kissingen wegen Betruges zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, deren Vollzug das Amtsgericht für fünf Jahre zur Bewährung ausgesetzt habe. Festgestellt wird ferner, dass dieses Urteil am 19. Juni 2012 rechtskräftig geworden sei. Alle in vorliegender Sache abgeurteilten Taten wurden vor dem 19. Juni 2012 begangen, so dass die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 StGB in Betracht kam. Sie wird in dem Berufungsurteil indes nicht erörtert, und es finden sich dort auch keine sonstigen Feststellungen zu § 55 StGB.

Gegen das Berufungsurteil hat die Angeklagte über ihren Verteidiger fristgerecht Revision eingelegt. Sie beantragt, das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache an eine andere Strafkammer zurückzuverweisen. Die Angeklagte rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Diese Rügen werden nicht weiter ausgeführt.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision gemäß § 349 Absatz 2 StPO als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen. Mit Blick auf die Verurteilung durch das Amtsgericht Bad Kissingen sei es nicht nötig gewesen, gemäß § 55 StGB eine Gesamtstrafe zu bilden oder dies zu prüfen. Denn aus einem Aktenvermerk und dem Protokoll der Berufungshauptverhandlung ergebe sich, dass die Kammer erfolglos versucht habe, bis zur Hauptverhandlung die Akten des Verfahrens vor dem Amtsgericht Bad Kissingen beizuziehen. Ein weiteres Warten auf diese Akten würde das Verfahren wesentlich verzögert haben. Daher habe die Kammer verhandeln und auf die Prüfung des § 55 StGB verzichten dürfen. ― Die Angeklagte und ihr Verteidiger hatten Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen, haben sich aber nicht geäußert.

II.

Der Senat hält die Revision für statthaft und auch im übrigen für zulässig – zumindest hinsichtlich der Sachrüge –, beabsichtigt aber, sie als unbegründet zu verwerfen. Auch den Rechtsfolgenausspruch hält der Senat für rechtsfehlerfrei. Zwar hat die Kammer § 55 StGB in den Gründen des angefochtenen Urteils nicht erörtert, obwohl es sich nach den Feststellungen aufdrängte, die Anwendung dieser Norm zu prüfen. Jedoch ist in solchen Fällen davon auszugehen, dass dem erkennenden Gericht die notwendigen Unterlagen zu der Vorverurteilung und deren Vollstreckung nicht rechtzeitig zugänglich waren und dass das Gericht deshalb die nachträgliche Gesamtstrafenbildung zu Recht dem Beschlussverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO überlassen hat (BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 4 = NStZ 2005, 32 [ebd.] mit weiteren Nachweisen). Will ein Beschwerdeführer etwas anderes geltend machen, hat er dies mit einer Verfahrensrüge zu tun, die den Anforderungen des § 344 Absatz 2 Satz 2 StPO genügen muss (BGH am angegebenen Ort). Eine solche wurde in diesem Verfahren nicht erhoben. Zudem hat die Generalstaatsanwaltschaft unter Hinweis auf die Akten mitgeteilt, dass die Kammer tatsächlich erfolglos versucht hatte, die nötigen Unterlagen beizuziehen.

III.

Gehindert sieht sich der Senat an dieser Entscheidung durch einen Beschluss und ein Urteil des Oberlandesgerichts München vom 8. Juni 2012 beziehungsweise 18. Februar 2008 (4 StRR 97/12 und 4 StRR 202/07) sowie durch ein Urteil des Oberlandesgerichts Bamberg vom 25. Juni 2013 (3 Ss 36/13).

1. Beide Gerichte meinen, dass nach einer amtsgerichtlichen Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Absatz 1 Nummer 1 StVG) der Angeklagte seine Berufung nur dann wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränken könne, wenn das Amtsgericht zu der fraglichen Fahrt – oder den fraglichen Fahrten – Feststellungen getroffen habe, die über Ort und Zeit der Fahrt, die Identität des Fahrzeugs sowie jenen Umstand hinausgingen, dass der Angeklagte nicht im Besitz der nötigen Fahrerlaubnis gewesen sei und vorsätzlich gehandelt habe.

In der Frage, welche zusätzlichen Feststellungen zu treffen seien, unterscheiden sich die angeführten Entscheidungen nicht wesentlich. Nach dem Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 8. Juni 2012 hat der Tatrichter Feststellungen auch zur Fahrstrecke zu treffen, zu den Beweggründen und zum Anlass der Tat sowie zu den Verkehrsverhältnissen bei ihrer Begehung; insbesondere dazu, ob andere Verkehrsteilnehmer gefährdet worden seien. In seinem Urteil vom 18. Februar spricht das Oberlandesgericht allgemein von den „Gegebenheiten der Fahrt“ und führt aus, dass zu ihnen folgende Umstände zählen könnten (folglich nicht müssen): der Anlass der Fahrt, ihre tatsächliche sowie beabsichtigte Länge und Dauer, die Beweggründe des Täters (mit Beispielen), ob er von anderen zu der Fahrt verleitet wurde, wie er zu seinem Fahrzeug kam, seine Fahrtgeschwindigkeit, ob Versicherungsschutz bestand sowie die Verkehrsbedeutung der befahrenen Straße(n). Zudem schränkt das Oberlandesgericht seine Rechtsansicht in diesem Urteil insofern ein, als es die fraglichen Feststellungen nur dann als erforderlich erachtet, soweit sie dem Tatrichter möglich sind. Daraus folgt, dass das Oberlandesgericht München einen Rechtsfehler nur dann annimmt, wenn jene Feststellungen fehlen und nicht nachvollziehbar und vollständig dargelegt wird, warum.

Das Oberlandesgericht Bamberg verlangt in seinem Urteil vom 25. Juni 2013 Feststellungen zu den Beweggründen des Täters, zu den Verkehrsverhältnissen bei der Tat, zu deren Anlass, dazu, ob andere Verkehrsteilnehmer gefährdet wurden, sowie „gegebenenfalls“ zu „weiteren Umständen der Tat“, zu denen das Gericht unter anderem die tatsächliche oder beabsichtigte Länge und Dauer der Fahrt zählt. Auch das Oberlandesgericht Bamberg schränkt seine Forderung ein: Die fraglichen Feststellungen habe der Tatrichter „jedenfalls dann“ zu treffen, wenn sie „ohne weiteres möglich“ seien. Hieraus folgt wiederum, dass ein Rechtsfehler nur dann vorliegen soll, wenn jene Feststellungen fehlen und das Urteil zu den Ursachen schweigt. ― Ferner macht das Oberlandesgericht Bamberg die Einschränkung, dass solche Feststellungen „jedenfalls dann“ getroffen werden müssten, wenn sie „für den Schuldumfang erkennbar von ausschlaggebender Bedeutung“ seien. Dieser Passus soll sich aber wohl nur auf die oben aufgeführten „weiteren Umstände der Tat“ der beziehen. Denn zu den anderen, zuvor genannten Umständen – Beweggründe, Tatanlass, Verkehrsverhältnisse, Gefährdungen – heißt es, sie seien „wegen ihrer wesentlichen Bedeutung für den Schuldumfang“ festzustellen, und das heißt offenbar: stets festzustellen (jedenfalls sofern dies ohne weiteres möglich ist).

Alle drei Entscheidungen halten eine Berufungsbeschränkung für unwirksam, wenn dem erstinstanzlichen Urteil die besagten zusätzlichen Feststellungen fehlen (ergänze: und sich ihm auch nicht entnehmen lässt, dass sich das Gericht um die Feststellungen bemüht hätte). Der Berufungsrichter sei dann gehalten, die Berufung als eine unbeschränkte zu behandeln und den Sachverhalt vollumfänglich festzustellen. Verkenne er dies, sei sein Urteil in der Revision grundsätzlich aufzuheben. Hiervon könne nur abgesehen werden, wenn der Berufungsrichter trotz seines Irrtums alle erforderlichen Feststellungen selbst getroffen habe. In seinem Urteil vom 18. Februar 2008 räumt das Oberlandesgericht München dem Berufungsrichter offenbar ein, lediglich ergänzende Feststellungen zu treffen, also die erstinstanzlichen Feststellungen zu übernehmen. In seinem Beschluss vom 8. Juni 2012 tut es das allerdings nicht mehr, und das Oberlandesgericht Bamberg verwehrt dem Berufungsrichter in seinem Urteil vom 25. Juni 2013 ausdrücklich, nur ergänzende Feststellungen zu treffen, und verpflichtet ihn, die Entscheidungsgrundlage vollständig neu zu ermitteln.

Die oben wiedergegebene Rechtsansicht trägt die drei angeführten Entscheidungen: Jede dieser Entscheidungen hebt das vorinstanzliche Urteil auf, weil es die geforderten Feststellungen nicht enthalte (ergänze: und nicht erkennen lasse, dass sich die Vorinstanz um sie bemüht hätte).

Auch dem Urteil des Amtsgerichts Fürth vom 24. Juli 2014 fehlen Feststellungen der Art, wie sie die Oberlandesgerichte München und Bamberg verlangen. Der Teil des Urteils, der oben wörtlich wiedergegeben wurde (unter I), enthält nur Feststellungen zu Orten und Zeiten der Taten, zu Marken und Kennzeichen der Fahrzeuge sowie dazu, dass die Angeklagte jeweils wissentlich ohne die nötige Fahrerlaubnis auf öffentlichen Straßen fuhr. Auch in der Beweiswürdigung finden sich nur rudimentär weitere Feststellungen (vgl. oben unter I). Und das Urteil lässt nicht erkennen, dass sich der Strafrichter bemüht hätte, weitere Tatumstände zu ermitteln. Insgesamt genügen die Feststellungen des Urteils daher nicht den Anforderungen der Oberlandesgerichte München und Bamberg. Insbesondere ist den Feststellungen des Urteils nicht vollständig zu entnehmen, aus welchen Beweggründen und aus welchem Anlass die Angeklagte jeweils fuhr, ob Dritte auf sie eingewirkt hatten, wie lange die Fahrten dauerten oder dauern sollten, wie lang die tatsächlichen oder beabsichtigten Fahrstrecken waren, welche Verkehrsverhältnisse herrschten und ob andere gefährdet wurden. Lediglich für zwei der vier abgeurteilten Fahrten lassen die Feststellungen Vermutungen zu hinsichtlich des Tatanlasses und hinsichtlich etwaiger Gefährdungen Dritter, da von der Beförderung eines Kindes „ohne vorschriftsmäßige Sicherung“ die Rede ist beziehungsweise davon, dass die Angeklagte ihre Kinder am ersten Schultag befördert habe. Das genügt den Anforderungen der Oberlandesgerichte München und Bamberg aber allenfalls teilweise, und für die beiden anderen Fahrten fehlen zusätzliche Feststellungen ganz.

Hätte der Senat seiner Entscheidung die Rechtsansicht zugrunde zu legen, die von den Oberlandesgerichten München und Bamberg in den drei angeführten Entscheidungen vertreten wird, müsste er das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 13. April 2015 vollständig aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverweisen.

2. Der Senat folgt der Rechtsansicht der Oberlandesgerichte München und Bamberg nicht, weil die Frage, ob eine Berufungsbeschränkung wirksam sei, unabhängig von den Fragen beurteilt werden muss, ob die erste Instanz ihrer Aufklärungspflicht aus § 244 Absatz 2 StPO nachgekommen sei und die Beweise ohne Darstellungsmängel gewürdigt habe.

Zutreffend nehmen beide Oberlandesgerichte an, dass es bei einem Fahren ohne Fahrerlaubnis für den Schuldumfang und damit für den Strafausspruch auf Umstände ankommen kann, die über Ort und Zeit der Fahrt, Marke und Kennzeichen des Fahrzeugs sowie darüber hinausgehen, dass der Angeklagte vorsätzlich ohne die nötige Fahrerlaubnis fuhr. Auch kommen als Umstände dieser Art solche in Betracht, die in den drei angeführten Entscheidungen der Oberlandesgerichte genannt werden: Anlass und Dauer der Fahrt, die tatsächliche oder geplante Fahrstrecke und so fort. Eine abschließende Aufzählung ist kaum möglich, da die Lebenssachverhalte dafür zu vielgestaltig sind. Versäumt es die erste Instanz entgegen § 244 Absatz 2 StPO, ihre Beweisaufnahme auf derartige Umstände zu erstrecken, so hat das Berufungsgericht diese Feststellungen zu treffen.

Wird in einem solchen Fall die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt, kommt es für die Wirksamkeit dieser Beschränkung darauf an, ob sich die fraglichen Feststellungen treffen lassen, ohne in Widerspruch zu jenen Feststellungen der Vorinstanz zu geraten, die den Schuldspruch tragen (OLG Koblenz NZV 2013, 411 [412] mit weiteren Nachweisen und zustimmender Anmerkung Sandherr; zustimmend auch König in der Festschrift für von Heintschel-Heinegg [2015] S. 257 [260 f.]). Oft ist dies möglich. Macht etwa der Angeklagte eine atypisch kurze Fahrstrecke und -dauer geltend, weil er das Fahrzeug nur umgeparkt habe, lässt sich das in der Regel klären, ohne den erstinstanzlichen Feststellungen zu Tatort und Tatzeit zu widersprechen. Entsprechendes gilt, wenn die Staatsanwaltschaft eine besonders lange Fahrstrecke und -dauer behauptet, etwa eine Autobahnfahrt von München nach Hamburg. In solchen Fällen kann das Berufungsgericht den Schuldspruch rechtskräftig werden lassen. Erst recht gilt dies, wenn sich das Berufungsgericht nicht einmal zu bemühen braucht, Feststellungen zu treffen, die auch den Schuldspruch berühren könnten. Dies ist der Fall, wenn das Berufungsgericht entweder keinen hinreichenden Anlass dafür hat, in die fragliche Richtung zu ermitteln, oder wenn kein geeignetes Beweismittel ersichtlich ist. So mag das Vorbringen des Angeklagten, er habe das Fahrzeug nur umgeparkt, unsubstantiiert bleiben und so keine Ermittlungspflicht auslösen. Ebenso verhält es sich, wenn das Berufungsgericht sicher ist, dass die behaupteten Umstände selbst dann nicht zu bestimmenden Strafzumessungsfaktoren im Sinne des § 267 Absatz 3 Satz 1 StPO würden, wenn sie sich erweisen ließen (vgl. OLG Koblenz am angegebenen Ort). Der Fall, dass kein geeignetes Beweismittel ersichtlich ist, läge etwa dann vor, wenn die Staatsanwaltschaft einen Zeugen benennt, um eine Autobahnfahrt von München nach Hamburg zu beweisen, und dieser Zeuge in der Berufungshauptverhandlung von einem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, ohne dass sich ein anderes Beweismittel anböte.

Anders verhält es sich, wenn die Beweisaufnahme ergibt, dass mindestens eine jener Feststellungen der Vorinstanz unrichtig ist, die den Schuldspruch tragen. Wird vom Berufungsgericht zum Beispiel ein Zeuge zu der Frage vernommen, ob der Angeklagte das Fahrzeug tatsächlich nur umgeparkt habe, und stellt sich dabei heraus, dass der Tatort ein anderer war als von der Vorinstanz festgestellt, hat das Berufungsgericht die Berufung als unbeschränkt zu behandeln und sämtliche Feststellungen selbst zu treffen. Dies gebietet der Grundsatz, dass rechtskräftige strafgerichtliche Feststellungen in ein und derselben Sache widerspruchsfrei sein müssen (vgl. BGHSt. 29, 359 [365, 366]; BGHR StPO § 353 Abs. 2 Teilrechtskraft 13 mit weiteren Nachweisen; zur hier erörterten Fallgestaltung OLG Koblenz NZV 2013, 411 [412] mit zustimmender Anmerkung Sandherr).

Unschädlich ist, dass es so zu einer Frage des Einzelfalles wird, ob eine Berufungsbeschränkung wirksam ist. Denn dass dies der Fall sein kann, ist für die Beschränkung von Rechtsmitteln allgemein anerkannt (vgl. etwa BGHSt. 38, 362 [364 f.]; 29, 359 [368]; BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 1). Und es ist ebenso unproblematisch, wenn sich erst in der Beweisaufnahme vor dem Berufungsgericht entscheidet, ob eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch wirksam bleibt (OLG Koblenz NZV 2013, 411 [412] mit zustimmender Anmerkung Sandherr; im Ergebnis auch Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 13. Juli 2009 – 1 Ss 47/09, Leitsatz und unter II, zitiert nach juris [dort Leitsatz und Rn. 6]). Denn es ist kein Grund dafür ersichtlich, dass schon zu Beginn der Berufungshauptverhandlung ein für allemal feststehen müsste, ob eine Beschränkung der Berufung wirksam ist. Sicher sein müssen die Verfahrensbeteiligten insoweit erst, wenn das Gericht die Sitzung unterbricht, um sich zur Urteilsberatung zurückzuziehen.

In der Revision gelten dann die allgemeinen Regeln. Ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war, bleibt dem Beschwerdeführer die Möglichkeit, eine Aufklärungsrüge zu erheben mit der Begründung, das Berufungsgericht habe nicht oder nur unzureichend ermittelt, ob besondere Umstände von jener Art zu berücksichtigen gewesen wären, die in den Entscheidungen der Oberlandesgerichte München und Bamberg genannt werden. Ist das Revisionsgericht der gleichen Ansicht, hebt es das Urteil auf und verweist zu erneuter Verhandlung zurück. Entsprechendes gilt für eine Darstellungsrüge. Da die Berufung wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt gewesen ist, kann auch die neue Berufungshauptverhandlung zunächst nur den Rechtsfolgen gelten. Allerdings hat das Berufungsgericht wieder zu beachten, was oben schon ausgeführt ist: Solange die Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch ohne Widerspruch bleiben zu den Feststellungen, welche die erste Instanz für den Schuldspruch getroffen hatte, bleibt auch die Berufungsbeschränkung wirksam. Andernfalls bleibt sie dies nicht und das Berufungsgericht hat vollumfänglich eigene Feststellungen zu treffen.

Hat das Berufungsgericht zu Unrecht eine wirksame Berufungsbeschränkung angenommen – also Feststellungen getroffen, die den Feststellungen der ersten Instanz zum Schuldspruch widersprechen –, hebt das Revisionsgericht das Urteil insgesamt auf und verweist folglich zu einer neuen Verhandlung sowohl über den Schuld- als auch über den Rechtsfolgenausspruch zurück. ― Es ist daher insgesamt keine Notwendigkeit zu erkennen, in Fällen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch schon dann als unwirksam zu betrachten, wenn sich die erste Instanz für den Schuldspruch auf Feststellungen dazu beschränkt, wo und wann der Angeklagte mit welchem Fahrzeug vorsätzlich ohne die nötige Fahrerlaubnis gefahren sei.

Ferner müsste dies in der Praxis zu einer Fülle unnötiger Urteilsaufhebungen führen. Denn die weitaus meisten amtsgerichtlichen Verurteilungen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis enthalten zum Schuldspruch nur die besagten Mindestfeststellungen (König in der Festschrift für von Heintschel-Heinegg [2015] S. 257 [258, 264]). Dies auch zu Recht: § 267 Absatz 1 Satz 1 StPO verpflichtet den Richter lediglich, jene Tatsachen festzustellen, die den gesetzlichen Straftatbestand erfüllen. Darüber hinaus „soll“ der Richter nach Satz 2 dieser Norm etwaige Indiztatsachen nennen, die ihn auf die Haupttatsachen haben schließen lassen, und muss er nach Absatz 3 die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Er hat aber keine Pflicht, sich zu sämtlichen denkmöglichen Umständen zu äußern, die bei abstrakter Betrachtung, wenn sie denn vorlägen, seine Entscheidung hätten beeinflussen können. Weder verpflichtet ihn § 244 Absatz 2 StPO, ohne Anhaltspunkte in Richtung sämtlicher solcher Umstände zu ermitteln; dies wäre bei Massendelikten wie dem Fahren ohne Fahrerlaubnis und Trunkenheitsfahrten (für die Entsprechendes zu gelten hätte) in der Praxis auch unverhältnismäßig aufwendig (König am angegebenen Ort S. 261 f.; Sandherr, Anmerkung zu OLG Koblenz NZV 2013, 411 [413]). Noch ist ein Richter verpflichtet, sich zu theoretisch denkbaren Umständen zu verhalten, die in seinem Fall keine Rolle spielen. Soweit er hinsichtlich solcher Umstände schweigt, kann dies Begleiterscheinung eines Aufklärungs- oder Darstellungsmangels sein. Es kann aber auch alles seine Ordnung haben – und hat es meist. Wo aber ein Aufklärungs- oder Darstellungsmangel vorliegt, hat das Berufungsgericht wie beschrieben die Möglichkeit und Pflicht, die Berufung als unbeschränkt zu behandeln, selbst wenn sie beschränkt eingelegt wurde. Und wenn es dies nicht tut oder selbst seine Aufklärungs- oder Darstellungspflichten verletzt, kann hierauf die Revision gestützt werden.

IV.

Daher ist die Sache gemäß § 121 Absatz 2 Nummer 1 Alternative 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung der in der Beschlussformel formulierten Frage vorzulegen.