Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

VGH München Urteil vom 12.04.2016 - 11 B 15.2180 - Anordnung eines Verkehrsverbots für Kraftfahrzeuge über 3,5 t

VGH München v. 12.04.2016: Anordnung eines Verkehrsverbots für Kraftfahrzeuge über 3,5 t


Der VGH München (Urteil vom 12.04.2016 - 11 B 15.2180) hat entschieden:
Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten. Das gleiche Recht haben sie zur Verhütung außerordentlicher Schäden an der Straße und zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen. Diese Befugnis wird aber dahin modifiziert, dass Voraussetzung für Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs eine besondere örtliche Gefahrenlage ist, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der Wohnbevölkerung durch Lärm und Abgase erheblich übersteigt. Hierzu müssen Lärm oder Abgase Beeinträchtigungen mit sich bringen, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen werden muss und damit zugemutet werden kann.


Siehe auch Straßenverkehrsrechtliche Anordnungen und Verkehrszeichen - Verkehrsschilder - Verkehrseinrichtungen - verkehrsrechtliche Anordnungen


Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung eines Verkehrsverbots für Kraftfahrzeuge über 3,5 t.

Die Beklagte erließ am 5. März 2013 aus Gründen der Sicherheit und Ordnung, zur Verhütung außerordentlicher Schäden an der Straße und zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen eine verkehrsrechtliche Anordnung zur Aufstellung des Verkehrszeichens 253 “Verbot für Kraftfahrzeuge über 3,5 t Gesamtgewicht außer PKW und Omnibusse“ mit Zusatzzeichen 1026-​39 “Betriebs- und Versorgungsdienst frei“ für die Markgrafenstraße und den Kirchenweg in ihrem Gemeindegebiet. Aufgrund der örtlichen Lage der Markgrafenstraße würden viele Verkehrsteilnehmer statt der Ortsdurchfahrt über die Kreisstraße die Markgrafenstraße bzw. den Kirchenweg befahren, um den Weg abzukürzen. Dadurch komme es zu Belästigungen der Anwohner insbesondere durch den Verkehrslärm schwerer Fahrzeuge. Einige Anwohner hätten sich diesbezüglich des Öfteren telefonisch bei der Verwaltungsgemeinschaft beschwert und um Abhilfe ersucht. Darüber hinaus sei der Bauzustand der Straße nicht auf einen Durchgangsverkehr in diesem Maße ausgelegt, weshalb es durch die starken und häufigen Belastungen der Straße im Wohnbaugebiet bereits zur außerordentlichen Schäden gekommen sei. Die Verkehrszeichen zur Umsetzung der verkehrsrechtlichen Anordnung wurden am 23. April 2013 aufgestellt.

Der Kläger ließ am 20. März 2014 Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach gegen die verkehrsrechtliche Anordnung erheben. Er wohne in dem durch die beiden Straßen erschlossenen Wohngebiet. Er sei Berufskraftfahrer und parke nach der Arbeit den Lkw seines Arbeitgebers auf dem Parkstreifen entlang der Markgrafenstraße. Auch besitze er einen Ford Ranchero, welcher als Lkw zugelassen sei. Sobald er diesen mit einem Anhänger fahre, überschreite er die 3,5 t-​Grenze. Es handle sich laut Bebauungsplan um ein allgemeines Wohngebiet, auch befänden sich drei gewerbliche Betriebe im streitgegenständlichen Gebiet. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass der streitgegenständlichen verkehrsrechtlichen Anordnung seien nicht gegeben. Feststellungen über die Größe und Intensität der Lärmbelastung, aber auch hinsichtlich der Verkehrssicherheit lägen nicht vor. Die Anordnung sei auch zur Verhütung außerordentlicher Schäden an den Straßen nicht notwendig. Die streitgegenständlichen Straßen seien für ein Nebeneinander der verschiedenen Verkehrsarten geeignet. Auch sei es ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte im streitgegenständliche Gebiet auch keinen Anwohnerverkehr zulasse oder wenigstens das Durchfahrtsverbotsschild erst nach dem Parkstreifen in der Markgrafenstraße anbringe.

Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags trug die Beklagte vor, die Markgrafenstraße sei die kürzeste Verbindung in südlicher bzw. in nördlicher Richtung und werde als Abkürzungsweg von vielen Verkehrsteilnehmern anstelle der an sich hierfür vorgesehenen Kreisstraße genutzt. Das führe zu erheblichem Verkehrslärm. Daher sei es erforderlich gewesen, die streitgegenständliche Anordnung zu erlassen, damit gerade der Schwerlastverkehr, also alle Fahrzeuge über 3,5 t Gesamtgewicht, diese Abkürzung nicht benutzten. Darüber hinaus sei der Bauzustand der Markgrafenstraße nicht für einen derartigen Durchgangsverkehr, insbesondere nicht für die Benutzung durch Lkw vom Straßenaufbau her ausgelegt. Die Anordnung sei auch zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen notwendig gewesen, da die Lärmbelästigung der Anwohner durch den Verkehrslärm schwerer Lkw überhandgenommen habe. Es sei daran zu denken, hier die Rechtsprechung zum sogenannten “Mautausweichverkehr“ heranzuziehen, da es auch hier primär um sogenannten Abkürzungsverkehr gehe. Konkrete Lärmmessungen seien insoweit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht erforderlich.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gab die Beklagte an, dass es in einem Zeitraum von etwa zwei Jahren ca. 20 Beschwerden von Anwohnern gegeben habe.

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 20. April 2015 ab. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung des streitgegenständlichen Verkehrsverbots lägen jedenfalls insoweit vor, als sich die Beklagte auf den Schutz der Bevölkerung vor Lärm durch Ausweichverkehr - verursacht durch Lkw - berufe, demgegenüber der Kläger keine eigenen qualifizierten Interessen anführen könne, welche im Rahmen der von der Beklagten zu treffenden Ermessensentscheidung berücksichtigungsfähig gewesen wären. Die Vorschrift des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO gebe dem einzelnen einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein straßenrechtliches Einschreiten, wenn Lärm oder Abgase Beeinträchtigungen mit sich brächten, die jenseits dessen lägen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen und damit zugemutet werden müsse. Damit korrespondierten das Recht und die Pflicht der Verkehrsordnungsbehörden, die Anwohner vor derartigen Beeinträchtigungen zu schützen. Der Vortrag der Beklagten, dass die von der streitgegenständlichen Anordnung betroffenen Straßen als Abkürzung genutzt würden, sei für das Gericht aufgrund des örtlichen Straßenverlaufs nachvollziehbar. Der „Schleichweg“ werde hier über Straßen genommen welche - nur - für die Erschließung des Wohngebiets konzipiert seien und denen jedenfalls keine Funktion für den Durchgangsverkehr (im Regelfall) zugedacht sei. Werde eine derartige Wohnerschließungsstraße bestimmungswidrig für den überörtlichen Verkehr in Anspruch genommen, sei ein derartiger Verkehr nicht mehr als ortsüblich anzusehen. Einen bei Gesamtbetrachtung nicht mehr ortsüblichen Verkehr und dessen Auswirkungen müssten Anlieger jedoch nicht mehr hinnehmen. Entgegen dem Klagevorbringen müsse die Unzumutbarkeit nicht zwingend und in jedem Fall durch Zählungen, Messungen oder Berechnungen dargetan werden, sondern sie könne sich schlicht aus der fehlenden Ortsüblichkeit ergeben. Ein Lkw-​Durchgangsverkehr durch ein planungsrechtlich festgesetztes allgemeines Wohngebiet nutze die Straße funktionswidrig, so dass die reine Tatsache des Vorliegens eines derartigen nicht funktionsgerechten Verkehrs zulässigerweise zu Lärmschutzmaßnahmen führen könne. Demgegenüber müsse das Interesse des Klägers als Anlieger zurücktreten.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ließ auf Antrag des Klägers mit Beschluss vom 30. September 2015 die Berufung gegen das Urteil zu. Für die in der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 5. März 2013 genannten Gründe der Sicherheit und Ordnung fehle es an jedwedem Tatsachenvortrag. Außerordentliche Schäden an der Straße würden in der Anordnung zwar genannt, solche seien aber nicht dokumentiert. Der bauliche Zustand der Straße werde nicht dargelegt. Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO - Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen - sei weder eine Lärmberechnung durchgeführt noch sei ermittelt worden, zu welcher Lärmminderung die Anordnung führe. Den Akten seien überhaupt keine Feststellungen über die Verkehrsbelastung der maßgeblichen Straßen zu entnehmen, geschweige denn Feststellungen über die Belastung durch Lkw-​Verkehr.

Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. April 2015 und das Verkehrszeichen 253 sowie das Zusatzzeichen 1026-​39 für die Markgrafenstraße und den Kirchenweg aufzuheben.
Zur Begründung trägt der Kläger unter Verweis auf die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung und unter teilweiser Wiederholung des Vorbringens vor dem Verwaltungsgericht vor, es sei nicht festgestellt, ob überhaupt ein Lkw-​Durchgangsverkehr vorliege. Der Kläger habe einen solchen noch nicht bemerkt. Es lägen noch nicht einmal glaubhafte Indizien vor, aus denen auf einen erhöhten Durchgangsverkehr geschlossen werden könne. Selbst bei Vorliegen eines Lkw-​Durchgangsverkehrs sei äußerst fraglich, dass es tatsächlich keiner Lärmmessungen bedürfe. Die Beklagte hätte für die erlassene Anordnung nicht nur feststellen müssen, dass eine Lärmbelästigung vorliege, sondern auch, dass der Lärm gerade durch den Lkw-​Verkehr verursacht werde. Der Kläger könne mit seinem Lkw nicht einmal mehr in die Nähe seines eigenen Grundstücks fahren. Das bedeute erhebliche unzumutbare Einschränkungen beim Be- und Entladen seines Lkws.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zu Begründung wiederholt sie unter Verweis auf ihre Erwiderung im Zulassungsverfahren das Vorbringen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren und verteidigt die Ausführungen im verwaltungsgerichtlichen Urteil. Sie betont, dass es grundsätzlich keiner Lärmmessungen bedürfe, wenn bereits die Ortsunüblichkeit des Verkehrs zu einer Unzumutbarkeit führe. Denklogisch verursache Schwerlastverkehr mehr Lärm als normaler Pkw-​Verkehr. Die Abkürzung werde vom Schwerlastverkehr gleichermaßen genutzt wie von normalem Pkw-​Verkehr.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten nach § 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat Erfolg.

1. Die Klage ist zulässig. Amtliche Verkehrszeichen i.S.d. §§ 41 und 42 Straßenverkehrs-​Ordnung (StVO) sind anfechtbare Verwaltungsakte in Form der Allgemeinverfügung (Art. 35 Satz 2 BayVwVfG). Sie verkörpern die ihnen zugrunde liegenden Anordnungen und werden mit ihrem Aufstellen (vgl. § 39 Abs. 1, § 45 Abs. 4 StVO) gegenüber den Verkehrsteilnehmern, die sich den von ihnen erfassten Streckenabschnitten nähern, bekannt gemacht und damit fortlaufend neu erlassen (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.1967 – VII C 18.66 – BVerwGE 27, 181; U.v. 13.12.1974 – VII C 19.71 – VRS 49, 70). Verkehrszeichen werden gemäß Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG gegenüber dem Verkehrsteilnehmer in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie ihm bekanntgegeben werden. Sind Verkehrszeichen so aufgestellt oder angebracht, dass sie ein durchschnittlicher Verkehrsteilnehmer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt schon mit einem raschen und beiläufigen Blick erfassen kann, äußern sie ihre Rechtswirkungen gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer (BVerwG, U.v. 23.9.2010 – 3 C 37.09 – BVerwGE 138, 21).

Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben, wenn – wie hier nach Art. 15 Abs. 2 AGVwGO i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO – die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens nicht erforderlich ist. Die Berechnung der Klagefrist richtet sich nach § 57 VwGO; mangels Rechtsmittelbelehrung beträgt die Klagefrist bei Anfechtung amtlicher Verkehrszeichen ein Jahr, § 58 Abs. 2 VwGO. Die Frist ist hier gewahrt, da die Klage innerhalb eines Jahres seit Aufstellung der Verkehrsschilder erhoben wurde.

2. Die Klage ist auch begründet. Die verkehrsrechtliche Anordnung der Beklagten vom 5. März 2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das verwaltungsgerichtliche Urteil war daher abzuändern und die verkehrsrechtliche Anordnung vom 5. März 2013 aufzuheben.

2.1 Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten. Das gleiche Recht haben sie zur Verhütung außerordentlicher Schäden an der Straße (§ 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StVO). Für die in der streitgegenständlichen Anordnung genannten Gründe der Sicherheit und Ordnung fehlt es an jedwedem Tatsachenvortrag. Außerordentliche Schäden an der Straße werden in der Anordnung zwar genannt; auch wurde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgebracht, dass bereits Schäden an der Straße entstanden wären, jedoch wurde weder vorgetragen noch ist in den Akten dokumentiert, dass der Verkehr mit Lkw über 3,5 t aufgrund des baulichen Zustands der Straße zu Schäden führen würde. Der bauliche Zustand der Straße wurde auch nicht dargelegt. Aus dem der verkehrsrechtlichen Anordnung beigelegten Lageplan ist nichts ersichtlich, was insbesondere hinsichtlich der Breite der Straße einem Lkw-​Verkehr darauf entgegenstehen könnte. Der Senat hat hierauf bereits im Berufungszulassungsbeschluss vom 30. September 2015 hingewiesen. Im Berufungsverfahren hat sich die Beklagte zu diesen Fragen nicht mehr geäußert, sodass eine weitere Aufklärung nicht veranlasst ist.

2.2 Nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Diese Befugnis wird durch § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO (vgl. BVerwG, B.v. 23.4.2013 – 3 B 59.12 – juris; BayVGH, B.v. 25.3.2015 – 11 ZB 14.2366 – juris) dahin modifiziert, dass Voraussetzung für Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs eine besondere örtliche Gefahrenlage ist, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der Wohnbevölkerung durch Lärm und Abgase erheblich übersteigt. Hierzu müssen Lärm oder Abgase Beeinträchtigungen mit sich bringen, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen werden muss und damit zugemutet werden kann.

Bei der Prüfung, welcher Verkehrslärmschutz im Einzelfall rechtlich zulässig und geboten ist, ist auf die gebietsbezogene Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit sowie auf das Vorhandensein bzw. Fehlen einer bereits gegebenen Lärmvorbelastung abzustellen. Die Grenze der zumutbaren Lärmbelastung, bei deren Überschreitung Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO in Betracht kommen, ist nicht durch auf Rechtsetzung beruhende Grenzwerte festgelegt. Auch durch die in den Vorläufigen Richtlinien für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm (Lärmschutz-​Richtlinien-​StV) vom 23. November 2007 (VkBl 2007, 767) enthaltenen Schallpegel wird diese Grenze, wie der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 4.6.1986 – 7 C 76.84 – BVerwGE 74, 234) entschieden hat (vgl. BayVGH, U.v. 26.11.1998 – 11 B 95.2934 – juris; U.v. 11.5.1999 – 11 B 97.695 – juris), nicht bestimmt. Ebenso wenig können die Vorschriften der Sechzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-​Immissionsschutzgesetzes (Verkehrslärmschutzverordnung – 16. BImSchV) vom 12. Juni 1990 (BGBl I S. 1036) bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmbelastung im Rahmen des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO unmittelbar angewendet werden. Diese Verordnung bestimmt durch Festlegung von Immissionsgrenzwerten die Schwelle der Zumutbarkeit von Verkehrslärm nämlich nur für den Bau und die wesentliche Änderung u.a. von öffentlichen Straßen (vgl. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 16. BImSchV). Desgleichen gelten die Richtlinien für den Verkehrslärmschutz an Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes – VLärmSchR 97 – vom 2. Juni 1997 (VkBl 1997, 434) lediglich für planerische Maßnahmen bei der Linienführung und Trassierung (Lärmschutz durch Planung), für bauliche Maßnahmen an der Straße (aktiver Lärmschutz) und an lärmbetroffenen baulichen Anlagen (passiver Lärmschutz) beim Neubau und bei der wesentlichen Änderung von Straßen (Lärmvorsorge) und zur Verminderung der Lärmbelastung an bestehenden Straßen (Lärmsanierung) sowie für die Entschädigung wegen verbleibender Beeinträchtigungen (vgl. insbesondere Abschnitte A. I., II.; B. IV.; C. VI. 11 bis 13; D. XIV., 36 f.; E. XVII.). Demgegenüber geht es bei § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO um straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen des Lärmschutzes für bestehende Straßen (siehe zum Ganzen: BayVGH, U.v. 21.3.2012 – 11 B 10.1657 – juris Rn. 27).

Die Immissionsgrenzwerte des § 2 Abs. 1 der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) können aber im Anwendungsbereich des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO als Orientierungspunkte für die Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze, deren Überschreitung die Behörde zu Maßnahmen ermächtigt, herangezogen werden (so ausdrücklich BVerwG, U.v. 22.12.1993 – 11 C 45.92 – NZV 1994, 244; vgl. ferner BayVGH, U.v. 26.11.1998 – 11 B 95.2934 – juris; U.v. 11.5.1999 – 11 B 97.695 – juris). Denn die Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung bringen ganz allgemein die Wertung des Normgebers zum Ausdruck, von welcher Schwelle an eine nicht mehr hinzunehmende Beeinträchtigung der jeweiligen Gebietsfunktion, zumindest auch dem Wohnen zu dienen, anzunehmen ist. Eine Unterschreitung der Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung ist danach jedenfalls ein Indiz dafür, dass die Lärmbelastung auch die Zumutbarkeitsschwelle in straßenverkehrsrechtlicher Hinsicht nicht erreicht (BayVGH, U.v. 21.3.2012 – 11 B 10.1657 – juris Rn. 28). § 2 Abs. 1 Nr. 2 der 16. BImSchV legt den Immissionsgrenzwert zum Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche beim Bau oder der wesentlichen Änderung öffentlicher Straßen in reinen und allgemeinen Wohngebieten und Kleinsiedlungsgebieten auf 59 dB(A) am Tag und 49 dB(A) in der Nacht fest.

Maßgeblich sind auch andere Besonderheiten des Einzelfalles; als eine solche Besonderheit ist höchstrichterlich (BVerwG, U.v. 4.6.1986 – 7 C 76.84 – BVerwGE 74, 234, 239) beurteilt worden, dass eine „Ortserschließungsstraße“ entgegen ihrer eigentlichen Funktion zunehmend vom überörtlichen Verkehr als sog. Schleichweg in Anspruch genommen wird und damit Lärmbelästigungen ausgelöst werden, die von den Anliegern reiner Wohnstraßen üblicherweise nicht hingenommen werden müssen. Denn Verkehrslärm, der von den Anliegern etwa einer Bundesfernstraße (einschließlich Ortsdurchfahrt) oder auch einer Staatsstraße bzw. einer Kreisstraße wegen ihrer der Widmung entsprechenden Verkehrsbedeutung ertragen werden muss, ist nicht ohne weiteres in gleicher Weise den Anliegern einer Ortserschließungsstraße zumutbar. Demgemäß haben die Straßenverkehrsbehörden u.a. darauf hinzuwirken, dass vom Durchgangsverkehr in erster Linie die dafür gewidmeten überörtlichen Straßen und nicht die örtlichen Erschließungsstraßen reiner Wohngebiete benutzt werden (siehe zum Ganzen: BVerwG, U.v. 15.2.2000 – 3 C 14.99 – NJW 2000, 2121 – juris Rn. 15; U.v. 4.6.1986 – 7 C 76.84 – BVerwGE 74, 234 – juris Rn. 26).

Hier handelt es sich bei den durch die verkehrsrechtliche Anordnung vom 5. März 2013 betroffenen Straßen nach übereinstimmendem Vortrag der Parteien um – auch als solche gewidmete – Ortsstraßen nach Art. 46 Nr. 2 BayStrWG (Ortserschließungsstraßen) in einem durch Bebauungsplan festgesetzten allgemeinen Wohngebiet. Dass Beschränkungen aufgrund von anderen als straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften bestehen, wurde nicht vorgetragen. Es kann offen bleiben, ob – insbesondere nach der Einfügung von § 45 Abs. 9 Sätze 1 und 2 StVO zum 1. September 1997 (ÄndVO v. 7.8.1997, VkBl 97, 690) – bei Ortserschließungsstraßen Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs aus Gründen der Ortsunüblichkeit eines Durchgangsverkehrs auch dann möglich sind, wenn die Immissionsgrenzwerte des § 2 Abs. 1 Nr. 2 der 16. BImSchV für reine und allgemeine Wohngebiete von 59 dB(A) am Tag und 49 dB(A) in der Nacht nicht überschritten sind. Denn eine verkehrsrechtliche Anordnung zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm setzt auch in diesem Fall voraus, dass in dem betreffenden Gebiet eine Lärmbelastung besteht, die von den Anliegern reiner Wohnstraßen üblicherweise nicht hingenommen werden muss. Es sind daher Feststellungen darüber zu treffen, welcher Bereich in welcher Größenordnung und Intensität von Verkehrslärm belastet ist (vgl. HessVGH, U.v. 31.3.1999 – 2 UE 2346/96 – NJW 1999, 2057; VG Stuttgart, B.v. 14.1.2004 – 10 K 4372/03 – juris). Allein die Widmung einer Straße als Ortsstraße in einem allgemeinen Wohngebiet berechtigt nicht, diese für den Lkw-​Verkehr zu sperren. Auch auf Ortsstraßen in Wohngebieten ist Lkw-​Verkehr grundsätzlich zulässig, und zwar – soweit nicht andere Gründe als Lärmschutz entgegenstehen, z.B. die Sicherheit des Verkehrs oder der bauliche Zustand der Straße – grundsätzlich auch als Durchgangsverkehr. Dieser ist nicht rechtswidrig (vgl. BayVGH, U.v. 18.2.2002 – 11 B 00.1769 – BayVBl 2003, 80). Dabei handelt es sich, wenn er nicht unzumutbare Ausmaße annimmt, auch nicht um atypischen Verkehr (vgl. OVG NW, U.v. 29.10.2008 – 8 A 3743/06 – DVBl 2009, 458 zu Motorrädern). Nach den Bestimmungen des § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 9 Sätze 1 und 2 StVO ist es nicht möglich, den Durchgangsverkehr – auch nicht den Durchgangsverkehr für Lkw über 3,5 t – aus Ortsstraßen wegen „Ortsunüblichkeit“ ohne nähere Prüfung auszuschließen.

Vor der Anordnung von Beschränkungen und Verboten des fließenden Verkehrs aus Lärmschutzgründen ist es daher grundsätzlich notwendig, die Lärmbelastung zu berechnen, was eine Erfassung der Verkehrsbelastung (Verkehrszählung) voraussetzt. Sodann ist zu berechnen, welche Lärmminderung durch die beabsichtigte verkehrsrechtliche Maßnahme erreicht wird (vgl. auch OVG Bremen, B.v. 21.6.2010 – 1 B 68/10 – juris Rn. 11).

Die Beklagte hat, wie sie gegenüber den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 13. Februar 2014 ausdrücklich eingeräumt hat, vor Erlass der streitgegenständlichen Anordnung keine Verkehrszählung und auch keine Lärmberechnung durchgeführt. Es kann offen bleiben, ob in jedem Fall eine Lärmberechnung durchgeführt werden muss oder ob sich die Straßenverkehrsbehörde auf die Ermittlung der Verkehrsmenge beschränken darf, weil sich hieraus genügend Anhaltspunkte für die Bewertung der Zumutbarkeit der Lärmbelastung ergeben (vgl. VGH BW, U.v. 16.5.1997 – 5 S 1842/95 – NZV 1997, 532). Denn es wurde im gesamten gerichtlichen Verfahren nicht einmal annähernd der Umfang der Verkehrsbelastung der maßgeblichen Straßen insgesamt oder durch durchfahrende Lkw vorgetragen. Dass sich innerhalb von zwei Jahren 20 Anwohner über die Belästigung durch durchfahrende Lkw beschwert haben, reicht für das streitgegenständliche Lkw-​Verbot nicht aus.

Im Übrigen ist die streitgegenständliche Anordnung allein schon deshalb rechtswidrig, weil auch der Verkehr von Lkw über 3,5 t für Anlieger verboten wurde. Dass es aus Lärmschutzgründen notwendig ist, insoweit auch den Lkw-​Anliegerverkehr im allgemeinen Wohngebiet zu verbieten, dürfte auszuschließen sein.

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

4. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine Gründe i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO vorliegen.


Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. der Empfehlung in Nr. 46.15 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anhang zu § 164 Rn. 14).