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Landgericht Kleve Urteil vom 04.12.2015 - 5 S 47/15 - Anforderungen an die Darlegung bei Vorschäden mit Schadensüberlagerungen
LG Kleve v. 04.12.2015: Anforderungen an die Darlegung bei Vorschäden mit Schadensüberlagerungen
Das Landgericht Kleve (Urteil vom 04.12.2015 - 5 S 47/15) hat entschieden:
Ist ein unfallgeschädigtes Fahrzeug von (nicht unerheblichen) Vorschäden betroffen, die den geltend gemachten Schaden überlagern, muss der Kläger zur Begründung seines Ersatzbegehrens nicht nur den Umfang der Vorschäden im Einzelnen darlegen, sondern auch spezifiziert vortragen, welche Reparaturmaßnahmen in der Vergangenheit zur vollständigen und ordnungsgemäßen Beseitigung der Vorbeeinträchtigungen durchgeführt worden sind und ob eventuelle Reparaturmaßnahmen jeweils in Übereinstimmung mit den gutachterlichen Instandsetzungsvorgaben standen.
Siehe auch Alt- bzw. Vorschäden am Fahrzeug und Reparaturschaden
Gründe:
I.
Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 1. Juli 2014 auf der Stormstraße in Moers ereignete.
Gegen 11:10 Uhr befuhr der Kläger mit seinem Fahrzeug, Pkw Mercedes Benz ML 270 CDI, amtliches Kennzeichen ..., die Stormstraße und passierte die Parkbucht in Höhe der Hausnummer 142. Aus einer der Parkbuchten fuhr die Beklagte zu 1) mit dem Kfz des Beklagten zu 2), Pkw Peugeot, amtliches Kennzeichen ..., bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert, rückwärts heraus, wodurch es zur Kollision mit dem Klägerfahrzeug kam. Die Parteien streiten darum, ob durch den Unfall der geltend gemachte Schaden an der rechten Fahrzeugseite entstanden ist.
Zum Fahrzeugschaden holte der Kläger ein Gutachten des Sachverständigenbüros ... GmbH ein. Dort werden die Netto-Reparaturkosten mit einem Betrag von 3.866,61 EUR angegeben (und einer Wertverbesserung von 92,04 EUR netto). Wegen des Inhalts des Gutachtens vom 2. Juli 2014 wird auf die Anlage B-1 des Schriftsatzes der Beklagten vom 8. Dezember 2014 verwiesen (Bl. 26-45 GA).
Im Juli 2013 hatte das Klägerfahrzeug bereits einen Verkehrsunfall, bei dem es zu Beschädigungen im Bereich der rechten Fahrzeugseite gekommen war. Dieser Schaden wurde ebenfalls von dem Sachverständigenbüro ... GmbH begutachtet. Der Sachverständige errechnete damals Netto-Reparaturkosten von 3.688,15 EUR. Wegen des Inhalts des Gutachtens vom 25. Juli 2013 wird auf die Anlage B-2 Bezug genommen (Bl. 46-65 GA).
Mit anwaltlichem Schreiben vom 5. August 2014 forderte der Kläger von der Beklagten zu 3) Zahlung des Sachschadens von 3.866,61 EUR sowie eine Auslagenpauschale von 25 EUR bis zum 18. August 2014 (Bl. 8 f.). Mit der Klage begehrt der Kläger die Zahlung dieser Beträge nebst Zinsen und Anwaltskosten (zuzüglich Zinsen).
Der Kläger hat behauptet, dass an dem Fahrzeug ein Sachschaden von insgesamt 3.866,61 EUR netto entstanden sei. Es werde bestritten, dass es durch das streitgegenständliche Schadensereignis nicht zu einer Schadensvertiefung gekommen sei. Eine Vorschädigung sei im Zeitpunkt des Vorfalls nicht vorhanden gewesen. Nach dem Vorfall aus 2013 habe er, der Kläger, den Schaden unmittelbar nach dem Unfall in einem Kfz-Betrieb in O... (Auto ...) in der Zeit von Samstagmorgens bis zum darauf folgenden Mittwochmittag beheben lassen. Zum Zeitpunkt der Kollision am 1. Juli 2014 hätten daher Vorschäden in dem Kollisionsbereich nicht Vorgelegen bzw. seien fachgerecht beseitigt gewesen. Im Jahr 2013 habe ein Aufprallschaden vorgelegen, bei dem hier in Rede stehenden Schaden handele es sich um einen Streifschaden. Ein unbeschädigtes Fahrzeug sei durch den Vorfall vom 1. Juli 2014 beschädigt worden. Der Schadensbefund in dem Gutachten vom 25. Juli 2013 sei vor der Kollision vom 1. Juli 2014 beseitigt worden. Eine den Anforderungen aus dem Gutachten des Sachverständigen ... vom 25. Juli 2013 entsprechende Reparatur sei vor der Kollision vom 1. Juli 2014 durchgeführt worden.
Die Beklagten haben behauptet, das Klägerfahrzeug sei im schadensbetroffenen Bereich bereits so vorgeschädigt gewesen, dass es durch das streitgegenständliche Schadensereignis nicht zu einer Schadensvertiefung gekommen sei. Jedenfalls lasse sich aufgrund eines nicht offenbarten Vorschadens der Schadensumfang nicht feststellen. Es werde Schadensersatz in einem vorgeschädigten Bereich verlangt, ohne den Anforderungen der Rechtsprechung zur Darlegung dieses Vorschadens und einer gegebenenfalls erfolgten Reparatur genüge zu tun.
Das Amtsgericht hat durch Urteil vom 14.04.2015 die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht zu. Der Kläger habe vor dem Hintergrund der teilweisen Überlagerung der Schadensbereiche aus zwei Unfällen nicht substantiiert dargelegt, dass die mit der Klage geltend gemachten Schäden in voller Höhe durch den streitgegenständlichen Unfall entstanden seien. Insbesondere habe der Kläger nicht konkret vorgetragen, wann, auf welche Weise, mit welchem Aufwand und unter Einsatz welchen Materials Reparaturmaßnahmen an seinem Fahrzeug vorgenommen worden seien. Die bloße Wiederholung der Maßnahmen, die ein Privatsachverständiger in seinem Gutachten für erforderlich gehalten habe, genüge dem nicht. Denn die Arbeitsaufstellung zeige nicht den tatsächlichen Reparaturweg. Vor diesem Hintergrund sei auch kein Beweis zu erheben gewesen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Das Amtsgericht habe in seiner Entscheidung die Darlegungslast des Klägers überspannt. Das Amtsgericht habe übersehen, dass der Kläger vorgetragen habe, dass er unmittelbar nach dem Unfall im Jahr 2013 sein verunfalltes Fahrzeug in der Zeit von Samstagmorgens bis zum folgenden Mittwoch in einer Kfz-Werkstatt nach O... zu Reparatur verbracht habe. Damit habe er vorgetragen, wann der Vorschaden beseitigt worden sei. Im Übrigen läge nahe, dass der Kläger bei den Reparaturarbeiten nicht zugegen gewesen sei. Die Beweislast, dass eine nicht ordnungsgemäße Reparatur durchgeführt worden sei, läge bei den Beklagten. Insoweit werde auch darauf hingewiesen, dass der Sachverständige Vorschäden nicht festgestellt habe. Zur Vorlage einer Reparaturkostenrechnung sei ein Geschädigter nicht verpflichtet. Auch die Lichtbilder des Gutachtens gäben wieder, dass der Erstschaden aus 2013 beseitigt worden sei. Aufgrund der vom Kläger dargelegten Tatsachen wäre Beweis zu erheben gewesen.
Die Beklagten halten das Urteil des Amtsgerichts dagegen für zutreffend.
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Es ist nicht ersichtlich, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO).
1) Dem Kläger steht gegen die Beklagten der geltend gemachte Zahlungsanspruch i.H.v. 3.891,61 € aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 823 BGB, 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG nicht zu.
Das Amtsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil das Fahrzeug des Klägers von Vorschäden mit Schadensüberlagerungen betroffen war und das Vorbringen des Klägers zu den von ihm behaupteten vollständigen und fachgerechten Reparaturen der Vorschäden nicht hinreichend ist, so dass ein unfallbedingter Schaden nicht feststellbar ist.
Ist ein unfallgeschädigtes Fahrzeug von (nicht unerheblichen) Vorschäden betroffen, die den geltend gemachten Schaden überlagern, muss der Kläger zur Begründung seines Ersatzbegehrens nicht nur den Umfang der Vorschäden im Einzelnen darlegen, sondern auch spezifiziert vortragen, welche Reparaturmaßnahmen in der Vergangenheit zur vollständigen und ordnungsgemäßen Beseitigung der Vorbeeinträchtigungen durchgeführt worden sind und ob eventuelle Reparaturmaßnahmen jeweils in Übereinstimmung mit den gutachterlichen Instandsetzungsvorgaben standen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.02.2015, Az. 1 U 32/14 sowie Urteil vom 06.05.2014, Az. I-1 U 160/13). Andernfalls kann die unfallbedingte Schadenshöhe grundsätzlich auch nicht nach § 287 ZPO geschätzt werden (OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.05.2014, Az. I-1 U 160/13 unter Hinweis auf KG NZV 2010, 579; KG DAR 2013, 46).
Das Fahrzeug des Klägers hat erhebliche Vorschäden im Anstoßbereich erlitten. Ausweislich des von den Beklagten zur Akte gereichten Schadensgutachtens des Sachverständigenbüros ... GmbH vom 02.07.2014, dort Seite 4, sollen der Kotflügel vorne rechts, die Tür vorne rechts, die Tür hinten rechts, die Seitenwand hinten rechts und das Rad hinten rechts beschädigt sein. Der Anstoß- und Schadensbereich deckt sich im Wesentlichen mit dem Anstoß- und Schadensbereich des Vorschadens. Dort soll der Pkw Mercedes ML ausweislich des Schadensgutachtens desselben Sachverständigenbüros vom 25.07.2013 (dort Seite 4 ff.) ebenfalls in den Bereichen der Tür vorne rechts, der Tür hinten rechts, der Seitenwand hinten rechts und des Rads hinten rechts beschädigt worden sein. Soweit dort die Bezeichnung "links" statt "rechts" verwendet wurde, handelte es sich um eine offensichtliche Falschbezeichnung, wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat und von den Parteien nicht in Abrede gestellt worden ist. Gegen die Feststellung des Amtsgerichts, dass das Fahrzeug von relevanten Vorschäden mit Schadensüberlagerung betroffen ist, wendet sich der Kläger mit der Berufung auch nicht.
Die vollständige und ordnungsgemäße Behebung der Vorschäden mit Schadensüberlagerung hat der Kläger nicht hinreichend bzw. in nicht zulässiger Weise dargelegt, weshalb das Amtsgericht zutreffend keinen Beweis erhoben hat. Das hiergegen gerichtete Berufungsvorbringen des Klägers ist unbegründet.
Allein die aufgestellte pauschale Behauptung einer sachgerechten Reparatur ohne Darlegung der einzelnen Reparaturschritte genügt nicht und eine etwaige Beweisaufnahme würde auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinauslaufen (LG Düsseldorf, Urteil vom 01.10.2013, Az. 2b O 183/12). Erforderlich ist - entgegen dem Berufungsvorbringen - vielmehr, dass zunächst die Vorschäden einzelnen, d.h. die konkret beschädigten Fahrzeugteile und die Art ihrer Beschädigungen, dann die für die Beseitigung erforderlichen einzelnen und schließlich die tatsächlich vorgenommenen Reparaturschritte dargelegt werden (OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.02.2015, Az. 1 U 32/14). Insofern genügt auch nicht die bloße Bezugnahme auf die Ausführungen in einem eingeholten Sachverständigengutachten, wie etwa dem des Sachverständigenbüros ... vom 25.07.2013 im vorliegenden Fall. Denn hierdurch wird der konkrete Reparaturweg (die einzelnen Arbeitsschritte im Zusammenhang) nicht hinreichend substantiiert beschrieben.
Allein ein Vergleich der den Gutachten beigefügten Lichtbildern stellt keinen tauglichen Nachweis für eine fachgerechte Reparatur dar. Sie ersetzen weder substantiierten Vortrag zu den im Einzelnen vorgenommenen Reparaturen, noch ergibt sich aus ihnen, dass die Reparaturen vollständig und insbesondere fachgerecht ausgeführt worden sind. Selbst ein lediglich optisch einwandfreier Zustand lässt sich nämlich auch ohne eine vollständige und fachgerechte Reparatur mit einfachen Mitteln kostengünstig herstellen.
Auch aus dem vorgelegten Schadensgutachten ergibt sich nicht, dass die Vorschäden vollständig und fachgerecht beseitigt worden sind. In dem Schadensgutachten des Sachverständigenbüros ... GmbH vom 02.07.2014 findet sich auf Seite 3 unter "Vorschäden" lediglich die Angabe "das Fahrzeug weist kleinere Lackkratzer und Gebrauchsspuren auf. Des Weiteren wurden ohne eingehende - und kostenaufwändige - Untersuchungen augenscheinlich keine offen zu legenden Schäden mehr festgestellt". Demnach wurde das Fahrzeug von dem Sachverständigen auf reparierte Vorschäden nicht näher untersucht. Dies war ersichtlich auch nicht vom Gutachterauftrag umfasst.
Auch ist es nicht möglich, anhand der Schadensbeschreibung im Gutachten vom 02.07.2014 etwaige über den Vorschaden hinausgehende (neue) Schäden zu isolieren und betragsmäßig zu erfassen. Welche einzelnen Positionen aus dem Gutachten vom 02.07.2014 jedenfalls mit dem Unfall vom 01.07.2014 im Zusammenhang stehen sollen, lässt sich ohne weiteren Sachvortrag hierzu nicht feststellen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.07.2012, Az.: 1 W 19/12)
Nach alledem war das Amtsgericht auch nicht gehalten, ein Sachverständigengutachten einzuholen bzw. Zeugen zu vernehmen. Zu Recht hat das Amtsgericht hierin einen unzulässigen Ausforschungsbeweis gesehen, weil das Vorbringen des Klägers bereits unsubstantiiert ist.
2) Mangels Hauptanspruchs bestehen auch die materiellen Nebenforderungen nicht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 3.891,61 Euro