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OLG München Urteil vom 10.04.2013 - 20 U 4749/12 - Einschränkungen beim „Smart-Key-System“ als Mangel
OLG München v. 10.04.2013: Einschränkungen beim „Smart-Key-System“ als Mangel wegen fehlender Beschaffenheit
Das OLG München (Urteil vom 10.04.2013 - 20 U 4749/12) hat entschieden:
- Enthält die jeweilige Prospektangabe keine Beschränkung auf die übliche Beschaffenheit und den Stand der Technik, so wird gemäß § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB die geschuldete Beschaffenheit über die übliche Beschaffenheit des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB angehoben. Die Soll-Beschaffenheit wird dann um Eigenschaften erweitert, die an sich nicht zur üblichen Beschaffenheit gehören; ein Käufer, der die Prospektangaben ernst nehmen darf, darf die dort beschriebenen Eigenschaften auch erwarten.
- Verspricht der Prospekt für einen Pkw, dass dank des Smart-Key-Systems das Fahrzeug schlüssellos geöffnet, verschlossen und gestartet werden kann, erwartet der Käufer, dass sich der Pkw tatsächlich und einschränkungslos ohne Schlüssel öffnen, verschließen und starten lässt. Dem gekauften Fahrzeug fehlt diese zugesicherte Eigenschaft, wenn das Smart-Key-System bei Störeinflüssen von Funkwellen (z.B. durch Mobilfunkmasten oder Bahnoberleitungen) ausfallen kann, und das Fahrzeug sich in diesen Fällen nicht einmal mehr durch die Funkfernbedienung entriegeln und verriegeln lässt, sondern auf den Notschlüssel zurückgegriffen werden muss.
- Bei Rückabwicklung eines Pkw-Kaufvertrages kann die Nutzungsentschädigung nach § 287 ZPO nach der Gesamtlaufleistung für je 1.000 km auf 0,4% bis 1,0% geschätzt werden.
Siehe auch Autokauf und Autokauf - Gewährleistung und Garantie beim Neuwagenkauf
Gründe:
I.
Der Darstellung eines Tatbestandes bedarf es nicht, denn der Wert der Beschwer der Parteien übersteigt 20.000 EUR nicht (§ 26 Nr. 8 EGZPO). Nach herrschender Meinung ist § 313 a ZPO, auf den § 540 Abs. 2 ZPO ausdrücklich verweist, auch auf Berufungsurteile anwendbar (Thomas/Putzo, ZPO, 33. Auflage 2012, § 313 a Rn. 2 und Zöller, ZPO, 29. Auflage 2012, § 313 a Rn. 2).
Die Klägerin hat zuletzt beantragt:
- Das Urteil des Landgerichts Landshut vom 24.10.2012 wird aufgehoben.
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 15.000 EUR abzüglich einer Nutzungsentschädigung bis zum Zeitpunkt der Rückgabe des Fahrzeugs in Höhe von 0,75 % von 15.000 € pro 1.000 gefahrene Kilometer nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 03.01.2011 zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe des Toyota Yaris 1.33 Multi Mode Edition, mariellengrau metallic (Fahrgestellnummer ...).
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere € 899,40 (außergerichtliche Rechtsanwaltskosten) nebst Zinsen von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist überwiegend begründet. Sie ist nur insoweit unbegründet, als Verzugszinsen vor Rechtshängigkeit und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nicht verlangt werden können.
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages aus §§ 434 Abs. 1 Satz 3, 437 Nr. 2, 323 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, weil der gekaufte Toyota Yaris hinsichtlich des Smart-Key-Systems nicht die Eigenschaft aufweist, die die Klägerin aufgrund der Prospektangaben erwarten konnte.
Es ist inzwischen unstreitig, dass das Smart-Key-System Teil der exklusiven Serienausstattung des streitgegenständlichen Toyota „Yaris Edition“ war und im Prospekt (Anlage zu Bl. 148 d.A.) wie folgt beschrieben war: „Smart-Key-System: schlüsselloses Öffnen/Verschließen der Türen und Starten des Motors per Start-Stop-Knopf.“ Aufgrund dieser Angabe darf der Käufer eines Yaris Edition erwarten, dass sich der Pkw tatsächlich und einschränkungslos ohne Schlüssel öffnen, verschließen und starten lässt.
Zwar gehören gemäß § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB Eigenschaften, die der Käufer aufgrund der Prospektangaben erwarten kann, „zu der Beschaffenheit nach Satz 2 Nr. 2 BGB“. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Käufer, der eine Sache kauft, deren Eigenschaften in einem Prospekt beschrieben sind, im Gewährleistungsschutz einem Käufer gleichgestellt ist, der ohne gesonderte Beschaffenheitsvereinbarung und Prospektangaben nur die übliche Beschaffenheit erwarten darf, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 04.03.2009, Az. VIII ZR 160/08, NJW 2009, 2056) begrenzt ist durch das, was Stand der Technik ist. Denn die Erwartungshaltung in § 434 Satz 2 Nr. 2 BGB wird durch das bestimmt, was der Käufer „nach der Art der Sache“ erwarten kann, während sie in § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB durch das bestimmt ist, was der Käufer aufgrund bestimmter Prospektangaben erwarten kann. Enthält die jeweilige Prospektangabe also nicht eine Beschränkung auf die übliche Beschaffenheit und den Stand der Technik, so wird gemäß § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB die geschuldete Beschaffenheit über die übliche Beschaffenheit des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB angehoben. Die Soll-Beschaffenheit wird dann um Eigenschaften erweitert, die an sich nicht zur üblichen Beschaffenheit gehören; denn ein Käufer, der die Prospektangaben ernst nehmen darf, darf die dort beschriebenen Eigenschaften auch erwarten (Palandt, BGB, 72. Auflage 2013, § 434 Rn. 31, 32; Beck OK BGB, § 434 Rn. 55, 76; Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, § 434 Rn. 27).
Der vorliegende Prospekt verspricht, dass dank des Smart-Key-Systems das Fahrzeug schlüssellos geöffnet, verschlossen und gestartet werden kann. Da er keinerlei Einschränkungen dahingehend enthält, dass bei Störeinflüssen von Funkwellen (z.B. durch Mobilfunkmasten oder Bahnoberleitungen) das System ausfallen kann und in diesen Fällen auf den Notschlüssel zurückgegriffen werden muss, muss ein Käufer mit diesen Einschränkungen auch nicht rechnen. Vielmehr darf er die Beschreibung ernst nehmen. Es mag dem Fachmann bekannt sein, dass insbesondere bei Fahrzeugen der A- und 0-Klasse das Smart-Key-System störanfällig ist (vgl. Aussage Sachverständiger H. in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 10.10.2012, S. 13 f./Bl. 94 f. d.A.). Ein durchschnittlicher Käufer muss dies jedoch nicht wissen, insbesondere muss er nicht damit rechnen, dass in solchen Situationen sich das Fahrzeug nicht einmal mehr über die normale Funkfernbedienung entriegeln und verriegeln lässt, sondern auf einen Notschlüssel zurückgegriffen werden muss, wie es hier der Fall ist (Aussage Sachverständiger H. Bl. 94 d.A.). Während allgemein bekannt ist, dass beispielsweise Mobilfunktelefone in Funklöchern versagen können, ist nicht allgemein bekannt, dass unter ungünstigem Einfluss von Funkwellen Fahrzeuge nicht mehr elektronisch schließbar sind.
Nach den für den Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindenden Feststellungen des Landgerichts (Urteil S. 5) funktioniert das Smart-Key-System des streitgegenständlichen Pkw vor dem Firmengebäude in Eching, in dem der Lebensgefährte der Klägerin tätig ist, in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht, vielmehr muss auf den Notschlüssel zurückgegriffen werden. Der Umstand, dass nicht die Klägerin als Käuferin, sondern ihr Lebensgefährte das Fahrzeug nutzt, ist unbeachtlich, da ein Käufer frei ist, das Fahrzeug anderen zur Nutzung zu überlassen; die Prospektangaben verlieren damit freilich ihre Geltung nicht.
Anhaltspunkte dafür, dass die Prospektangaben die Kaufentscheidung der Klägerin nicht beeinflussen konnten (s. § 434 Abs. 1 Satz 3 a.E. BGB), die diesbezügliche Kausalität also ausgeschlossen ist (Palandt aaO., § 434 Rn. 39), sind weder ersichtlich noch von der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten vorgetragen.
Da die Beklagte bereits mit Schreiben vom 27.09.2011 (wie auch in der Folgezeit) auf eine entsprechende Mängelrüge der Klägerin erklärte, dass das Smart-Key-System mangelfrei sei, bedurfte es einer Fristsetzung für eine Nachbesserung nicht (§ 437 Nr. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Der Rücktritt der Klägerin war auch nicht wegen Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Zwar tritt das Problem bislang fast ausschließlich auf dem Firmengelände in Eching auf, dort allerdings - wie vom Landgericht festgestellt - in der überwiegenden Zahl der Fälle. Die vom Sachverständigen genannten wahrscheinlichen Ursachen (Störeinflüsse durch Mobilfunkmast, Bahnoberleitung) sind auch nicht so außergewöhnlich, dass nicht auch mit Ausfällen an anderen Orten mit ähnlichen Störeinflüssen gerechnet werden muss. Vor allem aber ist die Pflichtverletzung deshalb erheblich, weil im Falle des Ausfalls des Smart-Key-Systems nicht einmal mehr die normale Fernbedienung verwendet werden kann, sondern auf einen verhältnismäßig kleinen Notschlüssel zurückgegriffen werden muss, und es ferner einiger Zeit bedarf, bis die Wegfahrsperre deaktiviert ist.
Der Rücktritt der Klägerin vom 26.10.2011 (Anlage K 4) war daher berechtigt.
Im Rahmen der Rückabwicklung ist gemäß § 346 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB für die gezogenen Nutzungen Wertersatz zu leisten. Für Pkw kann die Nutzungsentschädigung gemäß § 287 ZPO nach deren Gesamtlaufleistung für je 1.000 km auf 0,4 % bis 1,0 % des Anschaffungspreises geschätzt werden (Palandt aaO., § 346 Rn. 10 m.w.N.). Der Senat hält eine Bemessungsgrundlage von 0,75 %, wie sie zuletzt von der Klagepartei beantragt wurde, für angemessen. Der Einwand der Beklagten in erster Instanz, dass 1 % des Anschaffungspreises für 1.000 km anzusetzen wäre, würde eine aus Sicht des Senats zu niedrig geschätzte Gesamtlaufleistung von nur 100.000 km voraussetzen.
Soweit die Beklagte erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 10.04.2013 geltend gemacht hat, dass neben dem Pkw auch ein Satz Winterräder herauszugeben sei, und hierzu die verbindliche Bestellung vom 05.03.2011 (Anlage zum Protokoll) vorgelegt hat, konnte sie einen solchen Anspruch nicht nachweisen. Wie sich aus dem Aufbau der Bestellung ergibt, wurde der Toyota Yaris - ohne Winterräder - für 15.000 EUR verkauft (linke Spalte), während die Zugabe der Winterräder auf der rechten Spalte unter der Überschrift „Zahlungsweise und sonstige Vereinbarungen“ im Zusammenhang mit der Inzahlungnahme eines Seat Ibiza vereinbart wurde. Dies stützt die Behauptung der Klägerin, dass die zunächst verhandelte Gegenleistung für den Seat von 5.000,- EUR auf 4.550,- EUR herabgesetzt, dafür aber um die Zugabe von Winterrädern für den Toyota erweitert wurde. Mit der vorgelegten Bestellung hat die Beklagte, die ihre Ansprüche im Rahmen der Zug-um-Zug-Einrede der §§ 348, 320 BGB darzulegen und zu beweisen hat, die Behauptung der Klägerin jedenfalls nicht widerlegt und somit einen Anspruch auf Herausgabe der Winterräder nicht beweisen können.
Gemäß § 348 S. 1 BGB war die Beklagte daher zur Zahlung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw zu verurteilen.
2. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 BGB. Ein Anspruch auf Verzugszinsen vor Rechtshängigkeit besteht nicht, weil sich die Beklagte mangels Mahnung bezüglich der Rückzahlung nicht in Verzug befand.
Für den Berufungsantrag zu Ziffer 3. (außergerichtliche Rechtsanwaltskosten) besteht keine Anspruchsgrundlage, weil die Klägerin erst nach Einschaltung ihres Prozessbevollmächtigten zurückgetreten ist, sich die Beklagte mit der Rückzahlung des Kaufpreises also noch nicht in Verzug befand.
In diesem Umfang waren daher die Klage abzuweisen und die Berufung zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Nach den unbestrittenen Angaben der Klägerin wies das Fahrzeug am 08.03.2013 einen Kilometerstand von 12.600 km auf, der für den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auf 13.000 km aufgerundet wird. Die Nutzungsentschädigung beläuft sich somit derzeit auf 1.462,50 EUR, der Zahlungsanspruch deshalb auf 13.537,50 EUR. Mit den ursprünglich verlangten 14.866,35 EUR hat die Klägerin daher nur geringfügig zu viel gefordert, zumal zwischen 13.000 und 15.000 EUR kein Gebührensprung liegt. Die Beklagte hat daher die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 S. 1, 711, 713 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen dafür liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Revisionsgerichtes. Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung zu § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB zur üblichen Beschaffenheit, die sich am Stand der Technik orientiert, steht nicht entgegen, weil es vorliegend um die Anwendung des § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB geht.
Der Streitwert bestimmt sich nach § 47 S. 1 GKG. Er orientiert sich an dem ursprünglichen Berufungsantrag, der im Hinblick auf die Nutzungsentschädigung erst in der mündlichen Verhandlung vom 10.04.2013 reduziert wurde, dabei aber keinen Gebührensprung verursachte.