Das Verkehrslexikon
Landgericht Frankfurt (Oder) Urteil vom 30.09.2013 - 15 S 145/12 - Parkplatzunfall - geradliniger Fahrweg als bevorrechtigte Straße
LG Frankfurt (Oder) v. 30.09.2013: Parkplatzunfall - Geltung der Regelung "rechts vor links" - geradliniger Fahrweg als bevorrechtigte Straße
Das Landgericht Frankfurt (Oder) (Urteil vom 30.09.2013 - 15 S 145/12) hat entschieden:
- Wege auf einem Parkplatz haben Straßencharakter mit der Folge, dass § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO anwendbar ist, wenn eine Parkplatzfläche stark strukturiert ist in markierte Parkflächen und dazwischen liegende rechtwinklige Wege, die erkennbar zum Erreichen und Verlassen der Parkflächen befahren werden.
- Allein der Umstand, dass ein Fahrweg geradlinig über den gesamten Parkplatz führt und etwas breiter ist, als die übrigen Wege des Parkplatzes, reicht nicht aus, um insoweit von einer gesonderten Straße ausgehen zu können, gegenüber der die übrigen Benutzer der Parkplatzwege sich nach § 10 StVO verhalten müssten. Maßgeblich ist das äußere Erscheinungsbild. Sind keine weiteren Abgrenzungskriterien vorhanden, wie etwa Bordsteinkanten, und abweichende Pflasterung, so gilt rechts vor links und nicht § 10 StVO.
- Ist der Vorfahrtsberechtigte, wie es § 1 Abs. 1 StVO gebietet, langsam und mit Bremsbereitschaft auf dem Parkplatz gefahren, während das beim Wartepflichtigen nicht festgestellt werden konnte, so kann bei einer Kollision eine alleinige Haftung des Wartepflichtigen gerechtfertigt sein.
Siehe auch Zur Geltung der Vorfahrtregel "rechts vor links" auf Parkplätzen und in Parkhäusern und Unfälle auf Parkgelände
Gründe:
I.
Die Parteien streiten über die Haftung aus einem Verkehrsunfall, der sich am 21.8.2010 auf der einem Baumarkt vorgelagerten Verkehrsfläche ereignete. Die Fahrwege der beteiligten Fahrzeuge kreuzten sich, wobei dass klägerische Fahrzeug von einer rechts gelegenen Parkplatzfläche kam.
Strittig ist im Kern die Frage, ob der von der Beklagten befahrene Weg noch als Teil der Parkplatzfläche anzusehen ist oder als gesonderter Weg und welche konkrete Vorfahrtsregelung in der Situation Anwendung findet.
Das Amtsgericht hat die alleinige Haftung aus dem Unfall bei den Beklagten gesehen und zur Begründung ausgeführt, dass im Ergebnis die Grundregel „rechts vor links“ gelte. Da hier der Kläger unstreitig von rechts kam, hätte die Beklagte dem Kläger Vorfahrt gewähren müssen, was unstreitig nicht passiert ist. Der Argumentation der Beklagten, dass der von ihr befahrene Weg nicht mehr Teil des Parkplatzes gewesen sei, ist das Amtsgericht nicht gefolgt. Zudem ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass die Fahrspuren eindeutigen Straßencharakter haben, so dass die allgemeine Regelung aus § 8 Abs. 1 S. 1 StVO entsprechend gelte. Zwar sei diese Regelung durch den Grundsatz der gegenseitige Rücksichtnahme nach § 1 StVO überlagert, weil sich der Unfall auf einem Parkplatz ereignet habe. Die Beklagte sei jedoch nicht mit stetiger Bremsbereitschaft und Schrittgeschwindigkeit gefahren.
Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
Mit der Berufung verfolgen die Beklagten das Ziel der Klageabweisung. Sie sind der Auffassung, dass das Amtsgericht die Unfallörtlichkeit und die sich daraus ergebenden rechtlichen Schlussfolgerungen nicht zutreffend gewürdigt habe. Sie vertiefen insoweit ihre bereits erstinstanzliche Argumentation. Angemessen sei es, von einer jeweils hälftigen Haftungsverteilung auszugehen, so dass die Beklagten im Ergebnis dem Kläger nichts mehr schulden.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Zutreffend ist das Amtsgericht von einer alleinigen Haftung der Beklagten gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 2 StVG ausgegangen, weil die Beklagten das weit überwiegende Verschulden am Zustandekommen des streitgegenständlichen Unfalls trifft. Zutreffend hat das Amtsgericht insoweit auf die Grundregel des § 8 Abs. 1 S. 1 StVO abgestellt, wonach das von rechts kommende Fahrzeug in Ermangelung anderer Vorfahrtsregelungen grundsätzlich die Vorfahrt genießt. Hier ist das klägerische Fahrzeug unstreitig von rechts gekommen, ohne dass die Beklagte diesem Vorfahrt gewährt hätte. Zutreffend ist das Amtsgericht auch davon ausgegangen, dass das Rücksichtnahmegebot aus § 1 Abs. 1 StVO hier nicht zu einem anderen Ergebnis führt. Was das Fahrverhalten des klägerischen Fahrzeugs angeht, ist allenfalls streitig, ob es zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes bereits stand oder sich nur leicht vorwärts bewegt hatte. Es kann insoweit von einer lediglich langsamen Fahrbewegung und einer Bremsbereitschaft ausgegangen werden. Hinsichtlich des Fahrverhaltens der Beklagten muss dagegen davon ausgegangen werden, dass diese noch nicht einmal den Versuch gemacht hatte, dem Kläger dessen Vorfahrt zu gewähren. Vielmehr ist die Beklagte schlicht geradeaus weitergefahren und hat lediglich versucht, dem Kläger seitlich auszuweichen. In dieser Situation kann also gerade nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte, wie dies geboten wäre, mit stetiger Bremsbereitschaft und Schrittgeschwindigkeit gefahren werden wäre. Denn dann wäre es der Beklagten ohne weiteres möglich gewesen, zu halten und dem Kläger die Vorfahrt zu gewähren. Aus der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergibt sich, dass die Beklagte einen solchen Versuch schon gar nicht unternommen hatte. Die Beklagte kann sich insoweit auch nicht auf die in der Einfahrt befindliche Geschwindigkeitsbegrenzung von 10 km/h berufen. Denn insoweit handelt es sich nur um die Höchstgeschwindigkeit; wenn sich aufgrund der Parkplatzsituation eine geringere angemessene Geschwindigkeit ergibt, rechtfertigt das Verkehrsschild nicht ein Überschreiten dieser angemessenen Geschwindigkeit.
Ebenso wie das Amtsgericht kommt das Berufungsgericht zu dem Schluss, dass der von der Beklagten befahrene Weg als Teil der Parkplatzfläche angesehen werden muss und nicht etwa als von diesem abgegrenzte, in irgendeiner Form bevorrechtigte Straße. Maßgeblich ist insoweit das äußere Erscheinungsbild an der Unfallstelle. Anhand der zur Akte gereichten Lichtbilder lässt sich unschwer erkennen, dass der Straßenbelag (Pflasterung) auf der gesamten Parkplatzfläche identisch und ebenerdig ist und sich darauf weder Bordsteinkanten noch andere Erhöhungen oder Abtrennungen finden, die den von der Beklagten befahrenen Weg als vom Parkplatz abgesondert ausweisen. Rechts und links des Weges befinden sich jeweils großräumige Parkflächen, der Weg führt mitten durch den Parkplatz hindurch. Das einzige insoweit für die Rechtsauffassung der Klägerin sprechende Merkmal ist, dass die Pflasterung entlang des Weges eine gerade schmale Fuge aufweist, die als Markierung des Fahrwegs angesehen werden kann. Dies hindert jedoch das Überfahren in keiner Weise und reicht allein nicht aus, um insoweit von einer gesonderten Straße ausgehen zu können. Auch der Umstand, dass beim Einfahren in das Gelände kein Verkehrsschild ersichtlich ist, welches auf einen Parkplatz hinweist, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Denn jedenfalls befinden sich ganz offensichtlich rechts und links von dem von der Beklagten befahrenen Weg große Parkplatzflächen, was angesichts der Positionierung unmittelbar vor einem Baumarkt auch nicht ungewöhnlich erscheint. Das Gericht verkennt nicht, dass die Geradlinigkeit und Breite des von der Beklagten befahrenen Weges dazu verleitet anzunehmen, man könne diesen zügig und ungestört durchfahren, ohne auf den seitlich herannahenden Verkehr achten zu müssen. Diese Annahme ist rechtlichen jedoch unzutreffend. Dies führt im Ergebnis dazu, dass nicht von einem Einfahren im Sinne von § 10 StVO durch den Kläger ausgegangen werden kann.
Das Berufungsgericht teilt auch die Rechtsauffassung des Amtsgerichts, dass die Wege auf dem Parkplatz Straßencharakter haben, weshalb § 8 Abs. 1 S. 1 StVO anwendbar ist. Insoweit wird zunächst auf die vom Amtsgericht zutreffend zitierte obergerichtliche Rechtsprechung Bezug genommen. Aus den eingereichten Fotos ergibt sich, dass die Parkplatzfläche insgesamt sehr klar strukturiert und genau unterscheidbar ist, welche Flächen zum Abstellen von Fahrzeugen und welche Flächen zum Befahren gedacht sind. Denn die Parkflächen sind jeweils durch einen breiten weißen Streifen sehr deutlich markiert; sie sind nebeneinander bzw. in Gruppen zusammengehörig geordnet. Die dazugehörigen Wege sind geradlinig und rechtwinklig zueinander angeordnet und so gestaltet, dass jede Parkplatzfläche über einen solchen Weg erreicht werden kann. Die entsprechenden Wege sind recht breit und gut befahrbar, so dass unmittelbar der äußere Eindruck einer durchdachten Ordnung der zu befahrenen Wege entsteht. Insoweit muss jedem Verkehrsteilnehmer ohne Weiteres klar sein, welche Flächen zum Parken und welche zum Befahren gedacht sind und wo mit entsprechendem Verkehr zu rechnen ist. Soweit hier und in der obergerichtlichen Rechtsprechung von „Straßencharakter“ die Rede ist, bedeutet dies nicht, dass es um die Aufnahme von durchgehendem fließenden Verkehr geht. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Wege als solche auf dem Parkplatz eindeutig erkennbar sind und wie Straßen befahren werden können, was nicht bei jedem Parkplatz der Fall ist. Weisen die Wege solche Eigenschaften auf, spricht im Ergebnis nichts gegen die entsprechende Anwendung der Regelungen der StVO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.