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Landgericht Magdeburg Urteil vom 16.07.2015 - 11 O 332/15 - Haftung eines aus einer Einsatzkolonne nach links ausscherenden Feuerwehrfahrzeugs

LG Magdeburg v. 16.07.2015: Zur Haftung eines aus einer Einsatzkolonne nach links ausscherenden Feuerwehrfahrzeugs


Das Landgericht Magdeburg (Urteil vom 16.07.2015 - 11 O 332/15) hat entschieden:
Ein Verkehrsunfall, der bei einer Kolonnenfahrt von Feuerwehrfahrzeugen eingetreten ist, ist für den Fahrer des Feuerwehrfahrzeuges nicht unvermeidbar gewesen, soweit dieser von der rechten Fahrspur, ohne das auf der linken Fahrspur befindliche Fahrzeug zu beachten, nach links rübergezogen hat und es dabei auf dem linken Fahrstreifen zur Kollision gekommen ist. Ein unabwendbares Ereignis ergibt sich insoweit nicht aus dem Umstand, dass ein Verkehrsteilnehmer ohne die Vorfahrt der Fahrzeugkolonne zu beachten, auf die Fahrbahn eingebogen ist, was den Fahrer des Feuerwehrwagens zu einem Spurwechsel nach links veranlasste.


Siehe auch Sonderrechte - Einsatzfahrzeuge - Rettungsfahrzeuge und Fahrstreifenwechsel - Spurwechsel


Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Folgen aus einem Verkehrsunfall.

Am 10. Juni 2013 gegen 18.10 Uhr befuhr eine Kolonne von etwa 50 Fahrzeugen der Feuerwehr die B 71 (M Ring) in Fahrtrichtung Stendal, die Straße ist zweispurig. Die Kolonne fuhr mit Blaulicht. Der Versicherungsnehmer der Klägerin fuhr auf den Ring auf, ordnete sich in die Kolonne ein und wechselte sodann umgehend auf die linke Fahrspur. Als er sich auf Höhe des Fahrzeuges MAN mit dem Kennzeichen: ... befand, um es zu überholen, scherte dieses Feuerwehrfahrzeug, gesteuert vom Beklagten zu 1., plötzlich nach links aus und es kam zu einer Kollision mit beiden Fahrzeugen, wobei der Versicherungsnehmer der Klägerin mit seinem Fahrzeug in die Leitplanke geriet. Ursache für das Ausscheren war das Auffahren auf die B 71 an der Auffahrt Mittagstraße durch die Verkehrsteilnehmerin K mit ihrem Fahrzeug ..., die auf die B 71 aufgefahren war, ohne die Vorfahrtsberechtigung der dort befindlichen Kolonne von Feuerfahrzeugen zu beachten. An dem Fahrzeug des Versicherungsnehmers der Klägerin entstand ein Schaden von insgesamt 6.465,00 € (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert und Einbehalt). Diesen erstattete die Klägerin als Kaskoversicherer und meldete ihre Ansprüche am 18.03.2013 gegenüber dem beklagten Landkreis an. Der Kommunale Schadensausgleich wies die Ansprüche für den Landkreis zurück.

Die Klägerin bestreitet, dass sich die Feuerwehrfahrzeugkolonne in einem hoheitlichen Einsatz befunden habe. Das Unfallereignis sei für den Fahrer des Feuerwehrfahrzeuges nicht unabwendbar gewesen, hilfsweise stütze sie ihren Anspruch auf § 904 Satz 2 BGB.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie 6.465,00 € sowie außergerichtliche Mahnkosten in Höhe von 5,00 € jeweils zuzüglich Zinsen in Höhe von Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.465,00 € seit dem 24.09.2014 und im Übrigen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie behaupten, dass eine Haftung des Beklagten zu 1. aufgrund hoheitlicher Tätigkeit nicht vorliege und dass im Übrigen eine Haftung nicht bestehe, da der Versicherungsnehmer der Klägerin ebenfalls auf der Auffahrt, auf der sich die Verkehrsteilnehmerin K befunden habe, auf die B 71 aufgefahren, sofort nach rechts und dann auf die linke Spur gezogen sei, um die Kolonne zu überholen, ohne die Vorrechte des Verbandes zu beachten. Insofern bestehe wie bei der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.10.1984, NJW 1985, S. 490, keine Haftung.

Ergänzend wird auf die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist weitgehend begründet.

Die Klägerin hat aus übergegangenem Recht als Kaskoversicherer nach § 86 VVG einen Anspruch gegen den Beklagten zu 2. als Halter des am Unfall beteiligten Feuerwehrfahrzeuges. Die Haftung beruht auf §§ 839 BGB, 34 GG i. V. m. 7, 17, 18 StVG. Bei der Teilnahme am Straßenverkehr, auch bei hoheitlichem Handeln, gelten die allgemeinen Straßenverkehrsregeln. Dass es sich um eine hoheitliche Tätigkeit handelt, folgt daraus, dass bei Fahrzeugen, die eine Ausstattung mit Sonderrechten haben, im Zweifel bei allen Fahrten von hoheitlichen Aktivitäten auszugehen ist, es sei denn, sie sind eindeutig rein privat gewesen. Im vorliegenden Fall behauptet der beklagte Landkreis, es habe sich um einen Einsatz im Rahmen des Katastrophenschutzes gehandelt. Das wäre eine hoheitliche Tätigkeit. Der Klägerin hat auch nicht vereinzelt dargetan, dass die gesamte Kolonne, deren Erscheinen ihr Versicherungsnehmer beschrieben hat, mit einer rein privaten Tätigkeit beschäftigt gewesen wäre. Es wäre mehr als fernliegend.

Allerdings ist in diesem Zusammenhang bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges ein Sachschaden entstanden, nämlich an dem Fahrzeug des Versicherungsnehmers der Klägerin. Dieses Ereignis war für den Fahrer des Feuerwehrfahrzeuges auch vermeidbar. Er ist von der rechten Fahrspur, ohne den auf der linken Fahrspur befindlichen Versicherungsnehmer der Klägerin zu beachten, nach links rübergezogen, so dass es zur Kollision auf dem linken Fahrstreifen kam. Er hätte ohne weiteres auf der rechten Spur verbleiben können. Allein der Umstand, dass zu diesem Zeitpunkt die Verkehrsteilnehmerin K mit ihrem Fahrzeug auf den Stadtring in M, nämlich die B 71, auffuhr, ohne die Vorfahrt der Kolonne der Feuerwehrfahrzeuge zu beachten, führt nicht dazu, dass es ein unabwendbares Ereignis ist. Zwar hat der Bundesgerichtshof am 30.10.1984, 6 ZR 73/82 = NJW 985, S. 490 ff., entschieden, dass ein Motorradfahrer, der vor einem plötzlich auf seine Fahrbahn verkehrsordnungswidrig auffahrenden PKW ausweichen muss und die Gegenfahrbahn in Anspruch nimmt und dabei ein entgegenkommendes Fahrzeug streift, sich auf die Unabwendbarkeit der Schäden an dem Gegenverkehr berufen kann, wenn er eine Kollision mit dem auf seine Fahrspur auffahrenden Fahrzeug nicht vermeiden konnte, wenn der Motorradfahrer damit rechnen konnte, an dem entgegenkommenden Fahrzeug vorbeizukommen, er also bewusst die für ihn risikoärmere Alternative gewählt hat: statt eines voraussehbar schweren Verkehrsunfalls mit nur eventuelle leichteren Schäden davonzukommen. So ist die Situation vorliegend aber nicht. Das Fahrzeug der Beklagten und der Fahrer waren nicht in einer Bedrohungssituation wie ein Motorradfahrer. Sondern der Fahrer des von seiner Ausstattung her größeren Fahrzeug und hat hier für sich ausgesucht, ob es zu einem Unfall mit dem auf die rechte Fahrspur auffahrenden Fahrzeug kommen wird oder aber zu einem Unfall mit dem links überholenden, ohne dass zu erkennen ist, dass es unterschiedliche Risikoerwägungen gegeben hätte. Dass das Auffahren auf das Fahrzeug der Frau K zwangsläufig gravierender und insbesondere für die Insassen des Feuerfahrzeuges bedrohlicher gewesen wäre, ist nicht zu erkennen. Die Unabwendbarkeit liegt aber nicht vor, wenn der Unfallverursacher sich ein von mehreren gleichmäßig voraussehbar Geschädigten aussucht und nur diesem ein Schaden zufügt.

Auch unter dem Gesichtspunkt des § 17 StVG ist nicht von einer Mithaftung des Versicherungsnehmers der Klägerin auszugehen. Selbst wenn er auf derselben Auffahrt aufgefahren ist wie die Unfallverursacherin, Frau K, und dann sofort auf die rechte und dann die linke Fahrspur gewechselt hat, ist dieser möglicher Verstoß gegen § 27 StVO eben nicht haftungserhöhend im Sinne des § 17 StVG anzulasten. Diese Norm soll bewirken, dass der Verband als solcher geschützt ist und einheitlich angesehen wird. Er soll aber nicht davor schützen, dass einzelne Fahrzeuge des Verbandes einen Verkehrsverstoß wie im vorliegenden Fall begehen und es nur deshalb nicht zu einem Schaden gekommen wäre, weil das andere Fahrzeug sich nicht auf der linken Fahrspur befunden hätte, sondern noch auf der Auffahrt gestanden hätte. Insofern ist der Schutzzweck der Norm des § 27 StVO ein anderer. Im Übrigen ist abzuwägen der vergleichsweise grobe Verstoß, auch wenn er nicht schuldhaft ist durch den Fahrer des Feuerwehrfahrzeuges, sondern darauf beruht, dass ihm die Verkehrsteilnehmerin K die Vorfahrt genommen hat, mit dem Versicherungsnehmer der Klägerin, dem im Übrigen kein Vorwurf zu machen ist. Bei Abwägung dieser Verursachungsanteile geht die Kammer von einer vollständigen Haftung des Halters des Feuerwehrfahrzeuges aus.

Die Schadenshöhe ist nicht bestritten.

Soweit Ansprüche gegen den Fahrer selbst, den Beklagten zu 1., geltend gemacht werden, ist die Klage ist unbegründet, bei hoheitlichen Aktivitäten haftet der Beamte im haftungsrechtlichen Sinne nicht persönlich.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB. Verzug ist jedenfalls eingetreten durch die Ablehnung der Ansprüche durch den KSA, dessen Verhalten sich die Beklagte zu 2. zurechnen lassen muss. Soweit die Klägerin Mahnkosten in Höhe von 5,00 € geltend macht, kämen diese grundsätzlich in Betracht. Allerdings hat sie keine Mahnung vortragen, so dass die Klage insoweit abzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 11, 711, 709 ZPO.



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