Das Verkehrslexikon
OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 27.07.2016 - OVG 1 S 50.16 - Entziehung einer Fahrerlaubnis auf Probe und Bindungswirkung
OVG Berlin-Brandenburg v. 27.07.2016: Zur Lösung von einer rechtskräftigen Entscheidung über die Ordnungswidrigkeit bei der Entziehung einer Fahrerlaubnis auf Probe
Das OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 27.07.2016 - OVG 1 S 50.16) hat entschieden:
Der Gesetzgeber hat zum Erreichen des Ziels, Gefahren im Verkehr zu unterbinden, der Fahrerlaubnisbehörde nicht eine individuelle Würdigung aller Umstände im Einzelfall aufgegeben, wie es dem Antragsteller offenbar vorschwebt, sondern die Entziehung der Fahrerlaubnis auf Probe an genau bestimmte Tatbestände geknüpft; dabei ist die Behörde an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder Ordnungswidrigkeit gebunden (§ 2a Abs. 2 Satz 2 StVG). Die Verwaltungsgerichtsbarkeit überprüft lediglich die Rechtmäßigkeit der behördlichen Maßnahme. Ist der Behörde eine Lösung vom rechtskräftigen Bußgeldbescheid (vgl. § 84 OWiG) verboten, darf das Gericht nicht seinerseits die Ordnungswidrigkeit in Zweifel ziehen und die nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Abwägung auf diese Zweifel stützen.
Siehe auch Fahrerlaubnis auf Probe - Probezeit - Probeführerschein und Bindungswirkung der Straf- bzw. Bußgeldentscheidung
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.
Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur die dargelegten Gründe. Gemessen an dem hiernach durch den Beschwerdevortrag begrenzten Prüfungsstoff hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Entziehung der auf Probe erteilten Fahrerlaubnis anzuordnen, zu Recht abgelehnt. Die mit dem Rechtsbehelf innerhalb der Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO vorgetragenen Gründe rechtfertigen eine Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht.
Der Antragsteller wendet sich nicht gegen den rechtlichen Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts, wonach aus § 2a Abs. 6 StVG eine gesetzliche Vermutung für ein überwiegendes öffentliches Interesse an sofortiger Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis auf Probe (§ 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG) folge. Er meint lediglich, dass in seinem Fall aus besonderen Gründen das Interesse an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs überwiege. Der Antragsteller führt als besonderen Grund einzig die Behauptung an, dass der mit rechtskräftigem Bußgeldbescheid geahndete Verstoß vom 17. September 2015 nicht von ihm, sondern von Herrn L... begangen worden sei. Ein Wiedereinsetzungsantrag im Ordnungswidrigkeitenverfahren sei noch unbeschieden.
Dieser Umstand ist allerdings schon vom Verwaltungsgericht gewürdigt worden, das ihm keine Bedeutung beimaß unter Hinweis auf die in § 2a Abs. 2 StVG verankerte Bindung an die rechtskräftige Entscheidung über die Ordnungswidrigkeit.
Dem hält der Antragsteller entgegen, dass es „schließlich entscheidend darum geht, ob zu erwarten ist, dass der Antragsteller weiter im Verkehr auffällig sein wird.“ Für seine Auffassung gibt es keinen Anhalt im Gesetz. Der Gesetzgeber hat zum Erreichen des Ziels, Gefahren im Verkehr zu unterbinden, der Fahrerlaubnisbehörde nicht eine individuelle Würdigung aller Umstände im Einzelfall aufgegeben, wie es dem Antragsteller offenbar vorschwebt, sondern die Entziehung der Fahrerlaubnis auf Probe an genau bestimmte Tatbestände geknüpft; dabei ist die Behörde an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder Ordnungswidrigkeit gebunden (§ 2a Abs. 2 Satz 2 StVG). Die Verwaltungsgerichtsbarkeit überprüft lediglich die Rechtmäßigkeit der behördlichen Maßnahme. Ist der Behörde eine Lösung vom rechtskräftigen Bußgeldbescheid (vgl. § 84 OWiG) verboten, darf das Gericht nicht seinerseits die Ordnungswidrigkeit in Zweifel ziehen und die nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Abwägung auf diese Zweifel stützen.
Das aus dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes folgende Ergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte der Norm bestätigt. Wie es in der amtlichen Begründung heißt, bestehe die Bindung für die Behörde „in vollem Umfang“ und seien auch die Gerichte, die nur die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen der Behörde beurteilten, an die genannten Entscheidungen gebunden (BT-Drs. 13/6914, S. 67). Auch der Blick auf andere Vorschriften bekräftigt das Auslegungsergebnis. Der Gesetzgeber hat schon im benachbarten § 3 Abs. 4 StVG die Bindungswirkung abweichend ausgestaltet und im Bundesdisziplinargesetz ausdrücklich eine Lösung des Gerichts von den an sich bindenden Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Straf- oder Bußgeldverfahren vorgesehen, wenn diese „offenkundig unrichtig“ sind (§ 57 Abs. 1 Satz 2 BDG; nicht für das behördliche Verfahren, vgl. § 23 Abs. 1 BDG). Das Fehlen einer vergleichbaren Formulierung in § 2a StVG spricht gegen die vom Antragsteller angestrebte Lockerung der Bindung an die rechtskräftige Entscheidung.
Ob angesichts dieses Auslegungsergebnisses nach Sinn und Zweck des § 2a Abs. 2 StVG gleichwohl unter bestimmten engen Voraussetzungen eine Lösung von der rechtskräftigen Entscheidung bei offenkundiger Unrichtigkeit zulässig und geboten sein könnte (offen gelassen von OVG Hamburg, Beschluss vom 18. September 2006 – 3 Bs 298/05 – NJW 2007, 1225 <1225> = juris Rn. 6; VGH Mannheim, Beschluss vom 5. Februar 2013 – 10 S 2292/12 – NJW 2013, 1754 <1754> = juris Rn. 4; OVG Münster, Beschluss vom 28. August 2013 – 16 B 904/13 – juris Rn. 8 ff.; siehe auch Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 2a StVG Rn. 30 mit weiteren Nachweisen), bedarf hier keiner Festlegung. Denn anhand der dem Senat allein vorliegenden Akte der Fahrerlaubnisbehörde und der mit der Beschwerde eingereichten Unterlagen ist der Bußgeldbescheid nicht als offenkundig unrichtig auszumachen. Daneben könnte dem Antragsteller auch der Umstand, dass er sich nicht rechtzeitig mit einem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid gewandt hatte, zum Nachteil gereichen (so jedenfalls das OVG Hamburg, Beschluss vom 18. September 2006 – 3 Bs 298/05 – NJW 2007, 1225 <1225> = juris Rn. 7).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).