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OLG Zweibrücken Beschluss vom 18.01.2016 - 1 OLG 1 Ss 106/15 - Gleichsetzung des Umtauschs eines Führerscheins ist einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis
OLG Zweibrücken v. 18.01.2016: Gleichsetzung des Umtauschs eines Führerscheins ist einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis
Das OLG Zweibrücken (Beschluss vom 18.01.2016 - 1 OLG 1 Ss 106/15) hat entschieden:
Der Umtausch eines Führerscheins durch eine Fahrerlaubnisbehörde eines EU- oder EWR-Mitgliedstaates ist einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis gleichzusetzen, wenn die Fahrerlaubnisbehörde des ausstellenden Staates hierbei die Gültigkeitsdauer verlängert.
Siehe auch EU-Führerschein - Fahren ohne Fahrerlaubnis und Umausch bzw. Umschreibung einer EU-Fahrerlaubnis in eine Fahrerlaubnis anderer EU-Mitgliedsstaaten
Gründe:
Das Amtsgericht Landau in der Pfalz hat den Angeklagten mit dem angefochtenen Urteil wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig gesprochen und gegen ihn eine Geldstrafe verhängt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zu einem (vorläufigen) Erfolg.
I.
Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
„Am 08.04.2015 nahm der Angeklagte am Straßenverkehr teil mit dem PKW amtliches Kennzeichen …. Er führte das Fahrzeug um 13.15 Uhr in der Neustadter Straße. Der Angeklagte legte den kontrollierenden Polizeibeamten eine Driving Licence vor. Dem Angeklagten selbst war die Fahrerlaubnis entzogen worden und die Sperrfrist lief bis zum 29.09.2013“.
Das Amtsgericht hat ferner festgestellt, dass
„der Angeklagte als Berufstätiger in der Bundesrepublik Deutschland ganzjährig am Arbeitsleben teilnimmt auf dem Gebiet des deutschen Nationalstaates“.
Der in Ablichtung in die schriftlichen Urteilsgründe hineinkopierten Driving Licence ist zu entnehmen, dass diese von einer britischen Behörde am 17.03.2015 ausgestellt worden ist. Sie enthält ferner unter der Ziffer „4b“ die Datumsangabe „16.03.2025“ und hinter den Fahrerlaubnisklassen „B“ und „BE“ in der Spalte „10“ das Datum „09.06.09“ sowie in der Spalte „12“ den Vermerk „70D“.
Das Amtsgericht hat tragend darauf abgestellt, dass die dem Angeklagten am 09.06.2009 ausgestellte (deutsche) Fahrerlaubnis rechtskräftig entzogen worden war und nicht im Wege der Umschreibung „wieder in Rechtsgültigkeit“ erwachsen sei. Dem stehe nicht entgegen, dass im EU-Ausland erteilte Fahrerlaubnisse im Inland anzuerkennen seien, da der Angeklagte keine (neue) Fahrerlaubnis in Großbritannien erworben habe sondern lediglich ein Dokument, das die bisher erteilte Fahrerlaubnisklasse ausweise.
Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
II.
1. § 28 Abs. 1 S. 1 FeV bestimmt, dass Inhabern einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 FeV in der Bundesrepublik Deutschland haben, im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen dürfen. Dies gilt nach dem Wortlaut der Vorschrift allerdings u.a. nicht für diejenigen, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten (§ 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV) oder denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht entzogen worden ist (§ 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV).
§ 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV bedarf jedoch mit Blick auf das EU-Recht und die Rechtsprechung des EuGH einschränkender Auslegung. Denn die Art. 2 Abs. 1 und 11 Abs. 4 der zum Zeitpunkt der Ausstellung der Driving Licence bereits geltenden 3. EU-Führerschein-Richtlinie (2006/126/EG) sind dahingehend auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehren, die Anerkennung der Gültigkeit des einer Person, die Inhaber einer ihr in seinem Hoheitsgebiet entzogenen früheren Fahrerlaubnis war, außerhalb einer ihr auferlegten Sperrfrist für die Neuerteilung dieser Fahrerlaubnis von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins auch dann abzulehnen, wenn die Voraussetzungen eines ordentlichen Wohnsitzes im Hoheitsgebiet des letztgenannten Mitgliedstaates eingehalten wurde (EuGH NJW 2012, 1935). Damit hat sich durch die 3. EU-Führerschein-Richtlinie für ab dem 19.01.2009 ausgestellte Führerscheine die Rechtslage insoweit nicht zum davor geltenden Recht (vgl. hierzu EuGH NJW 2006, 2173; BVerwG NJW 2009, 1689) geändert; § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV bleibt weiterhin für Fälle, in denen die ausländische Fahrerlaubnis erst nach Ablauf der Sperrfrist erworben wurde, nicht anwendbar (OLG München NZV 2012, 553; OLG Hamm NStZ-RR 2013, 113, 114; Dauer in Hentschel/König/Dauer, StVR, 43. Aufl., FeV § 28 Rn. 40; a.A. noch BayVGH, Beschl. v. 05.08.2010 - 11 CS 10.1188, juris Rn. 18; Mosbacher/Gräfe NJW 2009, 801, 804).
2. Entgegen der in der Antragsschrift geäußerten Rechtsansicht der Generalstaatsanwaltschaft kann die Gültigkeit der vom Angeklagten vorgelegten Driving Licence nicht allein mit dem Argument versagt werden, diese sei lediglich im Wege des Umtauschs erworben worden. Zwar hat das Amtsgericht mit Blick auf die Eintragung „70D“ (vgl. Ziff. 3 des Anhangs I zur 3. EU-Führerschein-Richtlinie) rechtsfehlerfrei dargelegt, dass - jedenfalls - die hier relevante Fahrerlaubnis der Klasse B im Wege des Umtauschs unter Bezugnahme auf eine am 09.06.2009 erteilte (und später rechtskräftig entzogene) deutsche Fahrerlaubnis ausgestellt worden ist. Beim Umtausch eines deutschen in einen britischen Führerschein handelt es sich jedoch jedenfalls dann nicht lediglich um die Ausgabe eines die - entzogene - deutsche Fahrerlaubnis bestätigenden Dokuments sondern um die (materielle) Ausstellung einer neuen Fahrerlaubnis, wenn diese - wie hier - erstmals mit einer zeitlichen Beschränkung verbunden wird.
a) Ob mit dem Umtausch eines Führerscheins ohne weiteres eine Neuerteilung verbunden ist, ist umstritten (verneinend: OLG Oldenburg NJW 2011, 3315; VG Bayreuth, Beschl. v. 01.08.2013 - B 1 E 13.369, juris Rn. 52; bejahend: BVerwG NJW 2013, 487; OLG München DAR 2012, 341; Thür. OLG NZV 2013, 509; Dauer aaO Rn. 23; vgl. zum Streitstand daneben die Nachweise bei OLG Stuttgart NStZ-RR 2015, 182).
b) Nach Ansicht des OLG Stuttgart (aaO.) ist jedenfalls aber dann der Umtausch eines Führerscheins einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis gleichzusetzen, wenn die Fahrerlaubnisbehörde des ausstellenden Staates hierbei die Gültigkeitsdauer verlängert. Dieser Auffassung tritt der Senat bei. Denn jedenfalls in dieser Fallkonstellation bescheinigt die (ausländische) Fahrerlaubnisbehörde nicht lediglich den Bestand der von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis, sondern erweitert das Recht des Führerscheininhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen in zeitlicher Hinsicht. Nichts anderes kann nach Ansicht des Senats gelten, wenn die ausländische Fahrerlaubnisbehörde eine ursprünglich zeitlich unbeschränkt erteilte Fahrerlaubnis erstmals mit einer Gültigkeitsdauer i.S.d. Art. 7 der 3. EU-Führerschein-Richtlinie versieht. Denn hierdurch dokumentiert die ausländische Fahrerlaubnisbehörde, dass sie (auch) in den materiellen Gehalt des Rechts zum Führen von Kraftfahrzeugen eingreifen und diesen verändern will. Die hier, ausweislich des in die Urteilsgründe einkopierten Führerscheins, dort unter Nr. 4b (vgl. Ziff. 3 des Anhangs I zur 3. EU-Führerschein-Richtlinie), gem. Art. 7 Abs. 2 a der 3. EU-Führerschein-Richtlinie erfolgte zeitliche Beschränkung der Gültigkeitsdauer bis zum 16.03.2025 spricht danach für die Annahme, dass es sich bei der dem Angeklagten ausgestellten Driving Licence auch materiell um eine britische und nicht um eine durch einen britischen Führerschein lediglich dokumentierte deutsche Fahrerlaubnis handelt.
c) Für ein solches Verständnis spricht zudem die Auslegung der 3. EU-Führerschein-Richtlinie. Die unionsrechtlichen Regelungen zum Umtausch eines „Führerscheins“ nach Wohnsitznahme des Inhabers in einem anderen Mitgliedstaat legen den Schluss zumindest nahe, dass mit einem Umtausch die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis verbunden ist (so i.E. auch BVerwG NJW 2013, 487, 488). Nach Art. 11 Abs. 1 der 3. EU-Führerschein-Richtlinie kann der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins, wenn er seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat begründet hat, einen Antrag auf Umtausch seines Führerscheins in einen gleichwertigen Führerschein stellen; es ist dann Sache des umtauschenden Mitgliedstaates zu prüfen, ob der vorgelegte Führerschein tatsächlich gültig ist. Nach Abs. 3 leitet der umtauschende Mitgliedstaat den abgegebenen Führerschein anschließend an die zuständige Stelle des Mitgliedstaats, der ihn ausgestellt hat, zurück. Es ist dem aufnehmenden Mitgliedstaat dabei erlaubt, im Rahmen des Umtauschs seine eigenen Vorschriften bezüglich Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung des Führerscheins anzuwenden (Art. 11 Abs. 2 der 3. EU-Führerschein-Richtlinie). Dies belegt, dass der aufnehmende Staat nicht lediglich das Fortbestehen eines in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Rechts zum Führen von Kraftfahrzeugen feststellt, sondern in gewissem Umfang Einfluss auf dessen Bestand und Reichweite nehmen kann (ebenso zur insoweit inhaltsgleichen Regelung der 2. EU-Führerschein-Richtlinie: BVerwG NJW 2013, 487, 488). Hinzu kommt, dass Art. 11 der 3. EU-Führerschein-Richtlinie in seinem Absatz 5 für den Fall, dass die Führerscheinsurkunde verloren gegangen oder gestohlen wurde – was die materielle Berechtigung unberührt lässt – mit dem Begriff der „Ersetzung“ eine von dem Begriff des Umtauschs abweichende Formulierung gewählt und hierfür eine gesonderte Regelung getroffen hat (vgl. BVerwG aaO.). Dies spricht, ebenso wie die Verwendung des ansonsten im Zusammenhang mit der Ersterteilung der Fahrerlaubnis stehenden Begriffs des „Ausstellens“ in Art. 11 Abs. 4 der 3. EU-Führerschein-Richtlinie ebenfalls dafür, dass der Umtausch die Erteilung einer Fahrerlaubnis des ausstellenden Staates umfasst.
3. Unerheblich ist, ob der Angeklagte die Ausstellung der britischen Driving Licence rechtsmissbräuchlich erlangt hat. Denn von dem gemeinschaftsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz dürfen nach der Rechtsprechung des EuGH nur unter den von ihm abschließend bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen gemacht werden; die Absicht eines Fahrerlaubnisbewerbers, die möglicherweise strengeren Erteilungsvoraussetzungen seines Heimatlandes zu umgehen, und der daran geknüpfte Einwand des Rechtsmissbrauchs führt nicht dazu, dass der Aufnahmemitgliedstaat ohne Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht die Anerkennung der im Ausland erteilten Fahrerlaubnis verweigern kann (vgl. BVerwG NJW 2010, 1828, 1829 m. Anm. Dauer zu einem Fall der Neuerteilung). Den deutschen Behörden ist es danach nicht gestattet, selbst zu prüfen, ob die Erteilungsvoraussetzungen vorgelegen haben (Dauer in Hentschel/König/Dauer aaO. Rn. 23). Mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH (NJW 2012, 1935) sowie die unter Ziff. 2 dargelegten Grundsätze gilt dies auch in Fällen der Umschreibung.
4. Die dem Angeklagten ausgestellte Driving Licence stünde einer Verurteilung wegen eines Vergehens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis danach nur dann nicht entgegen, wenn zum Zeitpunkt der Erteilung die Voraussetzungen eines ordentlichen Wohnsitzes (vgl. hierzu: Art. 12 der 3. EU-Führerschein-Richtlinie sowie § 7 Abs. 1 FeV) im Hoheitsgebiet des ausstellenden Staates nicht eingehalten gewesen wären (vgl. § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV sowie EuGH NJW 2012, 1935). Grundlage einer entsprechenden Feststellung können dabei nur die Angaben im Führerschein selbst oder vom Ausstellungsmitgliedsstaat herrührende unbestreitbare Informationen sein; diesen kann ein Geständnis des Angeklagten gleich stehen (OLG München, Beschl. v. 30.03.2012 - 4StRR 32/12, juris Rn. 37).
Feststellungen zur Beachtung des Wohnsitzerfordernisses hat das Amtsgericht nicht getroffen. Diese waren hier indes schon deshalb nicht entbehrlich, weil konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV gegeben waren (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2013, 113). Nach den Feststellungen des Amtsgericht hat der Angeklagte (wohl bereits zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Ausstellung der Driving Licence) auf dem Gebiet der Bundesrepublik gearbeitet hat. Der Senat kann vor diesem Hintergrund nicht ausschließen, dass durch die Einholung von Informationen der britischen Behörden, insbesondere von Zoll-, Polizei- und Steuerbehörden, weitere Erkenntnisse gewonnen werden können. Der vom Revisionsführer in diesem Zusammenhang herausgestellte Umstand, dass in Großbritannien kein Melderegister geführt werde, steht dem nicht entgegen; insoweit können sich zu berücksichtigende Informationen auch aus anderen Erkenntnissen der britischen Behörden ergeben (vgl. hierzu OLG Stuttgart, Urt. v. 05.02.2015 - 4 Ss 697/14, juris Rn. 19 - in NStZ-RR 2015, 182 insoweit n. abgedr.).
Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Kommt der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter zu der Feststellung, dass der Ausnahmetatbestand des § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV erfüllt ist, werden Feststellungen auch zum subjektiven Tatbestand erforderlich sein.