Das Verkehrslexikon

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VGH München Beschluss vom 26.09.2016 - 11 CS 16.1566 - Für das Ergreifen der Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG gilt das Tattagsprinzip

VGH München v. 26.09.2016: Für das Ergreifen der Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG gilt das Tattagsprinzip


Der VGH München (Beschluss vom 26.09.2016 - 11 CS 16.1566) hat entschieden:
Für das Ergreifen der Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG gilt das Tattagsprinzip. Danach hat die zuständige Behörde auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat, sofern sie rechtskräftig geahndet wird (§ 4 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 5 StVG). Bei der Berechnung des Punktestands werden Zuwiderhandlungen nur dann berücksichtigt, wenn deren Tilgungsfrist im Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit noch nicht abgelaufen war (§ 4 Abs. 5 Satz 6 StVG). Spätere Verringerungen des Punktestands auf Grund von Tilgungen bleiben unberücksichtigt.


Siehe auch Das Fahreignungs-Bewertungssystem - neues Punktsystem und Die Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde


Gründe:

Die Beschwerde, mit der sich der Antragsteller gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B mit Unterklassen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) wendet, hat keinen Erfolg.

Zur Beschwerdebegründung macht der Antragsteller geltend, die mit zwei Punkten bewertete und einer Geldbuße von 160,- Euro sowie einem einmonatigen Fahrverbot geahndete Ordnungswidrigkeit vom 29. März 2014 (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 34 km/h), die nach Auffassung des Landratsamts in Verbindung mit weiteren, später begangenen Ordnungswidrigkeiten zum Erreichen von acht Punkten geführt habe, dürfe nicht zu seinen Lasten berücksichtigt werden, weil der insoweit ergangene Bußgeldbescheid vom 8. April 2014 bereits am 25. April 2014 rechtskräftig geworden und die nach damaligem Recht geltende zweijährige Tilgungsfrist am 25. April 2016 und somit vor Erlass des Bescheids abgelaufen sei. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts komme es für Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem auf den Eintritt der Rechtskraft des Bußgeldbescheids an.

Aus dieser Begründung, auf die sich die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die erhobene Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 30. Mai 2016 Aussicht auf Erfolg hätte und deshalb die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die gemäß § 4 Abs. 9 StVG sofort vollziehbare Entziehung der Fahrerlaubnis anzuordnen und hinsichtlich der im Bescheid angeordneten sofortigen Vollziehung der Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins wiederherzustellen wäre. Ergeben sich mit der Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit acht oder mehr Punkte nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem, gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen mit der Folge, dass ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen ist (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG). Für das Ergreifen der Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG gilt das Tattagsprinzip. Danach hat die zuständige Behörde auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat, sofern sie rechtskräftig geahndet wird (§ 4 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 5 StVG). Bei der Berechnung des Punktestands werden Zuwiderhandlungen nur dann berücksichtigt, wenn deren Tilgungsfrist im Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit noch nicht abgelaufen war (§ 4 Abs. 5 Satz 6 StVG). Spätere Verringerungen des Punktestands auf Grund von Tilgungen bleiben unberücksichtigt (§ 4 Abs. 5 Satz 7 StVG).

Der Antragsteller hat nach der Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts vom 12. April 2016 mit der zuletzt begangenen und mit zwei Punkten bewerteten Ordnungswidrigkeit vom 10. Oktober 2015 (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km/h) insgesamt acht Punkte erreicht. Zuvor hatte ihn das Landratsamt nach Erreichen von vier Punkten gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG mit Schreiben vom 11. Februar 2015 ordnungsgemäß ermahnt und nach Erreichen von sechs Punkten gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG mit Schreiben vom 7. Mai 2015 ordnungsgemäß verwarnt. Der Antragsteller hat daher das Stufensystem nach § 4 Abs. 5 StVG korrekt durchlaufen.

Der Antragsteller kann gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis auch nicht mit Erfolg einwenden, es dürfe nicht zu seinen Lasten gehen, dass sich die Rechtslage zwischen dem Eintritt der Rechtskraft des Bußgeldbescheids am 25. April 2014 und dessen Eintragung im Fahreignungsregister am 10. Juni 2014 durch Verlängerung der Tilgungsfrist von zwei (§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVG in der bis zum 30.4.2014 geltenden Fassung) auf fünf Jahre (§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b StVG n.F.) zu seinen Ungunsten geändert habe. Zum einen war die Tilgungsfrist für die Ordnungswidrigkeit vom 29. März 2014 im Zeitpunkt der Begehung der letzten, zur Entziehung der Fahrerlaubnis führenden Ordnungswidrigkeit am 10. Oktober 2015 weder nach altem noch nach neuem Recht abgelaufen. Zum anderen bestimmt die Übergangsregelung des § 65 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 StVG ausdrücklich, dass auf Entscheidungen, die bis zum Ablauf des 30. April 2014 begangene Zuwiderhandlungen ahnden und – wie hier – erst ab dem 1. Mai 2014 im Fahreignungsregister gespeichert werden, die ab dem 1. Mai 2014 geltenden Vorschriften anzuwenden sind. Gegen diese Regelung bestehen auch unter den Gesichtspunkten der Gleichbehandlung und des Vertrauensschutzes nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Vielmehr ist es sachgerecht, sämtliche Eintragungen aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und zur möglichst weitgehenden Anwendung der neuen gesetzlichen Regelung ab der Rechtsänderung dem neuen Recht zu unterwerfen (BayVGH, B.v. 18.5.2015 – 11 BV 14.2839 – juris Rn. 30-38; ebenso OVG NW, B.v. 20.8.2015 – 16 B 678.15 – juris; OVG Berlin-Bbg., B.v. 2.6.2015 – OVG 1 S 90.14 – juris; NdsOVG, B.v. 20.7.2015 – 12 ME 78.15 – juris; SächsOVG, B.v. 17.12.2015 – 3 B 328.15 – juris; OVG Hamburg, B.v. 16.11.2015 – 4 Bs 207.15 – juris).

Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).