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OLG Frankfurt am Main Beschluss vom 11.08.2016 - 2 Ss OWi 562/16 - Verwertung der Falldatei einer Geschwindigkeitsmessung
OLG Frankfurt am Main v. 11.08.2016: Verwertung der Falldatei einer Geschwindigkeitsmessung und Einsichtsrecht des Betroffenen
Das OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 11.08.2016 - 2 Ss OWi 562/16) hat entschieden:
- Die Verwaltungsbehörde ist "Herrin der Falldatei".
- Beweismittel für einen Geschwindigkeitsverstoß ist das Messbild in der Gerichtsakte.
- Die Verwaltungsbehörde hat die Authentizität der Falldatei mit dem Messbild sicherzustellen.
- Die Auswertung (Umwandlung der Falldatei in das Messbild und Bewertung) ist von der nach § 47 Abs. 1 OWiG i. v. m. § 26 Abs. 1 StVG zuständigen Behörde vorzunehmen. Ist das nicht sichergestellt, kann das Tatgericht nach § 69 Abs. 5 OWiG verfahren.
- Der Betroffene hat ein Recht auf Einsicht in "seine Falldatei" bei der Verwaltungsbehörde.
- Das Gericht ist grundsätzlich nicht verpflichtet die "Falldatei" im Gerichtsverfahren beizuziehen.
Siehe auch Akteneinsichtsrecht in die Bedienungsanleitungen und Geschwndigkeitsmessungen
Gründe:
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer außerorts begangenen vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (um 45 km/h) zu einer Geldbuße von 320,-- Euro verurteilt und ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats verhängt.
Die nach § 79 I Nr. 1, 2 OWiG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sowie in gleicher Weise begründete Rechtsbeschwerde bleibt wie die Generalstaatsanwaltschaft i.E. zutreffend ausgeführt hat, ohne Erfolg.
Die Rechtsbeschwerdeschrift gibt jedoch Anlass zu nachfolgenden Ausführungen des Senats:
I.
1. Zur Frage der Verwertbarkeit von Falldatei und Messbild
Die Rüge der unzulässigen Verwertung des in der Akte befindlichen, ausgedruckten Messbildes erweist sich bereits als unzulässig, weil mit den Ausführungen zu dieser Rüge keine Verfahrenstatsachen vorgetragen werden, die einen Verfahrensverstoß schlüssig darlegen. So fehlt es u.a. bereits an der Darlegung des behaupteten Widerspruchs. Das Lichtbild ist auch nicht nur in Augenschein genommen, sondern nach den Urteilsausführungen nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO in Bezug genommen und damit zum Bestandteil der Urteilsurkunde gemacht worden. Die Behauptung, dass das ausgedruckte Messbild in der Akte kein verwertbares Beweismittel sei, ist darüber hinaus sowohl im Tatsächlichen als auch im Rechtlichen unzutreffend.
Das Beweismittel ist nach ständiger Rspr. des Senats (vgl. z.B. OLG Frankfurt B. v. 03.03.2016 - 2 Ss-OWi 1059/15; B.v. 28.04.2016 - 2 Ss-OWi 190/16), die vom Messgerät erzeugte Falldatei in ihrer in der Akte befindlichen ausgedruckten Form. Die Falldatei wird vom Messgerät in digitalisierter Form erzeugt und ist ohne Auswertesoftware nicht lesbar. Erst die Umwandlung der Datei in eine lesbare Form durch die Auswertesoftware macht sie zu einem gerichtlich verwertbaren Beweismittel, das die Überzeugungsbildung nach § 261 StPO, die Bezugnahmemöglichkeit nach § 267 Abs. 1 S.3 StPO und die notwendige Darlegung in den Urteilsgründen für eine Überprüfung durch den Senat ermöglicht. Zur Sicherstellung der Authentizität der digitalen Falldatei mit dem daraus für die Gerichtsakte generierten Messbild nebst dazugehörigen Messdaten bedarf auch die Auswertesoftware einer Zulassung (bzw. Konformitätsbewertung) durch die Physikalisch Technische Bundesanstalt. Aus dem gleichen Grund muß auch die Auswertung nach den Maßgaben des § 47 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 26 Abs. 1 StVG durch die Verwaltungsbehörde erfolgen. Verstößt die Verwaltungsbehörde gegen diese gesetzlichen Vorgaben, führt dies nicht automatisch zur Unverwertbarkeit der Auswertung. Es entfallen lediglich die verfahrensrechtlichen Erleichterungen. Das Gericht kann das Verfahren nach § 69 Abs. 5 OWiG zur Nachholung der gesetzlich vorgesehenen Auswertung durch die Verwaltungsbehörde an diese zurückverweisen. Macht das Gericht davon keinen Gebrauch, kann es auch die Auswertung in der Hauptverhandlung nachholen lassen, da die Falldatei mit den maßgeblichen Messdaten nach wie vor vorhanden ist. Einen Anspruch darauf hat der Betroffene grundsätzlich nicht. Es verbleibt bei den Anforderungen des § 77 OWiG.
2. Zur Frage der fehlenden Prüfbarkeit von Messfehlern durch die Verteidigung
Die Rüge, mit denen die fehlerhafte Zurückweisung von drei in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträgen beanstandet wird, ist ebenfalls unzulässig.
Die mit der Rechtsbeschwerdebegründung mitgeteilten Verfahrenstatsachen genügen auch hier nicht den Darlegungsanforderungen, die an die Erhebung einer Verfahrensrüge im Sinne von § 344 Abs. 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 OWiG gestellt werden (vgl. zu den Anforderungen BGHSt 2, 168, S. 169; 19, 273, S. 27; NStZ-RR 2010, 316-317 ).
Den sog. Beweisanträgen liegen nur Behauptungen zu Grunde, die nicht durch Tatsachen gestützt sind. Bei einem standardisierten Messverfahren - wie vorliegend - kann das Gericht nach ständiger Rspr. aller Oberlandesgerichte in Deutschland von der Richtigkeit der Messung ausgehen, wenn keine Tatsachen vorgetragen werden, die beim Gericht Zweifel an der Richtigkeit der Messung aufkommen lassen. Dass die Verteidigung "Zweifel" hat ist rechtlich irrelevant. Maßgeblich nach § 261 StPO ist alleine die Überzeugung des Gerichts.
Die Behauptung fehlender Prüfbarkeit durch die Verteidigung und damit der fehlenden Möglichkeit die verlangten "Tatsachen" vortragen zu können, ist unrichtig.
Der Betroffene hat nach ständiger Rechtsprechung des Senats selbstverständlich ein Einsichtsrecht in die "nur" ihn betreffende digitalisierte Falldatei, auch wenn sie nicht Aktenbestandteil ist. Das ist aber keine Frage der Akteneinsicht bei Gericht, oder des Prüfungsumfangs des Gerichts in der Hauptverhandlung, sondern es handelt sich um ein im Vorfeld der Hauptverhandlung an die Verwaltungsbehörde zu richtendes Gesuch.
Die Verwaltungsbehörde ist gem. § 47 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 26 Abs. 1 StVG Herrin der digitalisierten "Falldatei". Die Verwaltungsbehörde hat einem Einsichtsgesuch in die digitalisierte "Falldatei" nachzukommen, da die "Falldatei" die Messdaten enthält, die das Messgerät zum Tatzeitpunkt erzeugt hat und auf denen der Tatnachweis beruhen soll. Dem Betroffenen muss von der Verwaltungsbehörde grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt werden, die "Falldatei" zumindest auf Übereinstimmung mit dem in der Bußgeldakte befindlichen "Messbild" zu überprüfen. Sollte die Verteidigung "unspezifische" Bedenken gegen die Richtigkeit der Messung haben, kann sie diese anhand der Falldatei überprüfen und dann die notwendigen Tatsachen vorbringen, mit denen die Zulassung der PTB und die Eichung durch die Eichämter, mit denen die Messrichtigkeit und Messbeständigkeit des Geräts bestätigt worden sind, erschüttert werden können. Erst wenn sich aus der vom Betroffenen vorzunehmenden Prüfung konkrete tatsachenbegründete Anhaltspunkte für Messfehler ergeben, muss sich das Gericht damit beschäftigen. Da die Messrichtigkeit und Messbeständigkeit bei Messungen in einem standardisierten Messverfahren von der PTB und den Eichämter bereits grundsätzlich garantiert ist, führt diese Darlegungslast beim Betroffenen auch nicht zur Umkehrung der Unschuldsvermutung. Der Betroffene greift vielmehr die gegen ihn streitende eindeutige Beweislage an. Dafür ist er konkret darlegungspflichtig, wenn er damit vor Gericht Gehör finden will.
Wird der Antrag auf Beiziehung der "Falldatei" erst in der Hauptverhandlung gestellt, fehlt es an diesem notwendigen tatsachenfundierten Vortrag und das Gericht kann weiterhin von der Messrichtigkeit und Messbeständigkeit des Geräts ausgehen, da die sachverständige Begutachtung durch PTB und Eichämter nicht erschüttert ist.
Da die "Falldatei" verschlüsselt ist und zur Auswertung ein bestimmtes Auswerteprogramm benötigt, obliegt es der Verwaltungsbehörde, die im Besitz der "Falldatei" ist, zu entscheiden wie sie dem Anspruch auf Einsicht nachkommt. Sie ist zumindest verpflichtet, in den Räumen der Verwaltungsbehörde die Einsicht in die vom Messgerät erzeugten digitalisierten Falldatei des Betroffenen zu gewähren und dort das Auswerteprogramm, mit dem die Auswertung vorgenommen wird zur Verfügung zu stellen. Gibt es Uneinigkeit über den Umfang oder die Art und Weise der Einsicht, ist der Rechtsbehelf nach § 62 OWiG in Anspruch zu nehmen. Die Entscheidung des nach § 68 OWiG zuständigen Gericht ist nach § 62 Abs. 2 S. 3 OWiG unanfechtbar.
Macht die Verteidigung von ihren Möglichkeiten - wie vorliegend - keinen Gebrauch und kann sie deswegen auch keine tatsachenbegründeten Zweifel anbringen, sondern erschöpft sich in unsubstantiierten Behauptungen, die teilweise auch urteilsfremd sind, stellt dies keinen "Verstoß gegen das faire Verfahren" dar, wie behauptet wird, sondern ein Versäumnis der Verteidigung, dass ggf. einen Anwaltsverschulden begründen kann.
II.
Die auf die Sachrüge hin anzustellende, umfassende Überprüfung der angefochtenen Entscheidung läßt keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen weder im Schuld- noch im Rechtsfolgenausspruch erkennen.
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts tragen den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung zur äußeren und zur inneren Tatseite.
Hinsichtlich der Zuverlässigkeit des Messergebnisses belegen die getroffenen Feststellungen, dass die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Messung gegeben waren. Auch die Fahrereigenschaft des Betroffenen hat das Amtsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt.
Durch eine förmliche Bezugnahme auf die Messfotos gem. § 267 Abs. 1 S.3 StPO hat die Tatrichterin eine Einbeziehung in die Urteilsgründe vorgenommen und der Senat kann aus eigener Anschauung feststellen, dass die Messfotos von ausreichender Qualität für die Fahreridentifizierung sind. Eine Beschreibung, was auf dem Messbild zu sehen ist, bedarf es insoweit nicht. Die Übereinstimmung des Betroffenen mit dem Fahrerbild ist eine tatrichterliche Bewertung, deren Überprüfung dem Senat auf Sachrüge entzogen ist, da sie zu einer unzulässigen Rekonstruktion der Hauptverhandlung führen würde.
Auch die Annahme von Tatvorsatz ist entgegen dem Rügeangriff der Rechtsbeschwerde unter den festgestellten Tatumständen nicht nur naheliegend und damit rechtlich nicht zu beanstanden, sie ist vorliegend zwingend. Die sehr sorgfältigen Ausführungen des Amtsgerichts lassen keinen anderen Schluss zu. Der Betroffene ist mit 125 km/h statt der erlaubten 80 km/h in die Verschwenkung einer Baustelleneinfahrt mit besonderen Sicherungsmaßnahmen und einem vorangegangenem Geschwindigkeitstrichter hineingefahren. Damit liegt der sog. doppelte Vorsatz auf der Hand.
Schließlich weist auch der Rechtsfolgenausspruch keine der Rechtsbeschwerde zum Erfolg verhelfenden Rechtsfehler auf.