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OLG Hamm Beschluss vom 15.09.2016 - III-3 RVs 70/16 - Voraussetzung für eine Versagung der Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB

OLG Hamm v. 15.09.2016: Voraussetzung für eine Versagung der Strafmilderung beim Fahren unter Alkoholeinfluss


Das OLG Hamm (Beschluss vom 15.09.2016 - III-3 RVs 70/16) hat entschieden:
  1. Voraussetzung für eine Versagung der Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ist stets, dass dem Angeklagten die Alkoholaufnahme zum Vorwurf gemacht werden kann; dies kommt in der Regel dann nicht in Betracht, wenn der Täter alkoholkrank ist oder ihn der Alkohol zumindest weitgehend beherrscht, wenn also in der aktuellen Alkoholaufnahme kein schulderhöhender Umstand gesehen werden kann.

  2. Bei der Trunkenheitsfahrt mit einem Roller handelt es sich um eine erhebliche Straftat im Sinne des § 64 StGB.

Siehe auch Alkohol im Verkehrsstrafrecht - Trunkenheitsfahrt - Fahruntüchtigkeit und Stichwörter zum Thema Alkohol


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Blomberg sprach den Angeklagten am 17. November 2015 von dem Vorwurf der fahrlässigen Trunkenheit im Straßenverkehr frei.

Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Detmold mit dem angefochtenen Urteil vom 23. Mai 2016 das Urteil des Amtsgerichts Blomberg vom 17. November 2015 aufgehoben und den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es dem Angeklagten für die Dauer von drei Monaten verboten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision des Angeklagten als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.


II.

1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

2. Das Urteil ist jedoch im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben.

a) Die Ausführungen, mit denen das Landgericht eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB versagt hat, sind nicht frei von Rechtsfehlern.

aa) Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang Folgendes ausgeführt:
"Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte infolge seiner massiven Alkoholisierung in seiner Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen, erheblich vermindert war, § 21 StGB. Gleichwohl hat die Kammer von der fakultativen Milderungsmöglichkeit der §§ 21, 49 Abs. 1 StGB keinen Gebrauch gemacht. Der Angeklagte trank, obwohl er damit rechnete, noch als Fahrer am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen. Vor diesem Hintergrund ist die Tat auch nicht allein deshalb als milder als der Normalfall zu werten, weil die alkoholische Beeinflussung recht hoch ist."
bb) Die Annahme verminderter Schuldfähigkeit begegnet im Hinblick auf die zutreffend berechnete Blutalkoholkonzentration von 2,99 Promille zum Tatzeitpunkt aus revisionsrechtlicher Sicht keinen Bedenken, wobei sich aus den Urteilsgründen nicht ergibt, ob der Sachverständige O auch zu diesem Punkt angehört wurde.

cc) Bedenken begegnet jedoch die Begründung, mit der das Landgericht die Strafrahmenverschiebung versagt hat.

(1) Zwar kann eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB abgelehnt werden, wenn die alkoholbedingt erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Täters auf selbst verschuldeter Trunkenheit beruht (BGH, Urteil vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, NStZ 2003, 480; Beschluss vom 7. Januar 2003 - 4 StR 490/03, NStZ-​RR 2003, 136; Beschluss vom 20. April 2005 - 5 StR 147/05, juris; Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, juris). Über die fakultative Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB entscheidet der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen aufgrund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände; wenn die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit auf zu verantwortender Trunkenheit beruht, stellt dies einen Umstand unter vielen dar, der in der Regel gegen eine Strafrahmenverschiebung sprechen kann. Die Entscheidung des Tatrichters unterliegt dabei nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Überprüfung.

(2) Die Frage, ob der Tatrichter, der die Strafrahmenverschiebung verweigern will, zusätzlich zu einem schuldhaften Sich-​Berauschen feststellen muss, dass sich aufgrund der persönlichen und situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten infolge der Alkoholisierung vorhersehbar signifikant erhöht hat (so BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, juris), ist derzeit Gegenstand eines Anfragebeschlusses des 3. Strafsenats vom 15. Oktober 2015 (3 StR 63/15, juris) an die übrigen Strafsenate, auf die der 5. Strafsenat mit Beschluss vom 1. März 2016 (5 ARs 50/15), der 4. Strafsenat mit Beschluss vom 28. April 2016 (4 ARs 16/15) und der 1. Strafsenat mit Beschluss vom 10. Mai 2016 (1 ARs 21/15) geantwortet haben. Einigkeit besteht dabei, dass Voraussetzung für eine Versagung der Strafrahmenverschiebung stets ist, dass dem Angeklagten die Alkoholaufnahme zum Vorwurf gemacht werden kann. Dies kommt in der Regel dann nicht in Betracht, wenn der Täter alkoholkrank ist oder ihn der Alkohol zumindest weitgehend beherrscht, wenn also in der aktuellen Alkoholaufnahme kein schulderhöhender Umstand gesehen werden kann (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2003 - 4 StR 490/03, NStZ-​RR 2003, 136; OLG Hamm, Beschluss vom 11. Oktober 2005 - 4 Ss 361/05, juris, Rdnr. 13).

(3) Dass diese Voraussetzungen hier vorliegen, hat das Landgericht nicht ausreichend festgestellt.

(a) Es bestehen bereits Bedenken, ob die Annahme der Vorwerfbarkeit in tatsächlicher Hinsicht von den Feststellungen getragen wird, denn Feststellungen zum Anlass der Fahrt mit dem Roller, zum Zeitpunkt des Tatentschlusses und zum Grad der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Alkoholisierung hat das Landgericht nicht getroffen.

(b) Nach den getroffenen Feststellungen liegt es zudem nahe, dass dem Angeklagten der Alkoholkonsum - wenn überhaupt - nur eingeschränkt zum Vorwurf gemacht werden kann, weil er zur Tatzeit alkoholkrank war. Aus den Urteilsgründen ergibt sich in diesem Zusammenhang, dass der Angeklagte bereits seit vielen Jahren Alkohol trinkt. Seine Einlassung, der Alkoholgenuss erfolge nicht regelmäßig, sondern er trinke nur, wenn er mit seinen Freunden zusammen sitze, was ein- bis zweimal im Monat vorkomme, steht im Widerspruch zu den übrigen Feststellungen, die nicht nur auf eine Alkoholgewöhnung, sondern auf eine massive Alkoholproblematik schließen lassen. Die Blutalkoholkonzentration betrug aufgrund der Rückrechnung zum Tatzeitpunkt 2,99 Promille wobei der der Angeklagte noch mit dem Roller fahren und mit den eingesetzten Polizeibeamten kommunizieren konnte, besondere Auffälligkeiten wurden dabei nicht festgestellt. Auch die Ergebnisse der ärztlichen Untersuchung, bei der die Blutalkoholkonzentration noch bei nahezu 2 Promille lag, waren unauffällig. Das Verhalten vor der Tat spricht ebenfalls für eine Alkoholproblematik, denn der Angeklagte hat nach den Feststellungen im Verlauf des Nachmittags erhebliche Mengen harten Alkohols in Gestalt einer 0,7 l Flasche Weinbrand mit einem Alkoholgehalt von 36 bis 38 % und sechs bis acht Portionsfläschchen eines Kräuterschnapses "Kümmerling" konsumiert. Hinzu tritt, dass der Angeklagte bereits fünfmal wegen Verkehrsdelikten im Zusammenhang mit Alkohol verurteilt wurde, zuletzt durch Urteil des Amtsgerichts Brakel vom 13. März 2013. Da der Angeklagte bereits am 18. April 1997 erstmals wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr verurteilt wurde, lässt dies auf einen langjährigen Alkoholmissbrauch schließen.

(c) Das Landgericht wird unter erneuter Hinzuziehung eines Sachverständigen zu klären haben, ob der Angeklagte alkoholkrank ist und ob angesichts einer etwaigen Alkoholabhängigkeit in der Alkoholaufnahme überhaupt ein Umstand gesehen werden kann, der es rechtfertigt, von der Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB abzusehen. In diesem Zusammenhang werden sich das Landgericht und der Sachverständige auch mit den den Vorverurteilungen zugrundeliegenden Straftaten näher auseinanderzusetzen haben.

b) Aus den oben dargelegten Gründen stellt es auch einen Rechtsfehler dar, dass das Landgericht die Frage einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB nicht geprüft hat.

aa) Zwar beschwert die Nichtanordnung der Maßnahme nach § 64 StGB den Angeklagten grundsätzlich nicht. Das Revisionsgericht ist allerdings bei einer zulässig erhobenen Revision nicht gehindert, das angefochtene Urteil aufzuheben, wenn eine Prüfung der Maßregel unterblieben ist, obwohl die tatrichterlichen Feststellungen zu einer solchen Prüfung gedrängt hätten (BGH, Beschluss vom 17. März 2009 - 3 StR 84/09, NStZ-​RR 2009, 252; OLG Celle, Beschluss vom 23. Juni 2014 - 32 Ss 83/14, juris); das Verbot der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 StPO) steht dem nicht entgegen, § 358 Abs. 2 S. 3 StPO. Da der Angeklagte hier die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen hat, ist sie aufgrund der allgemeinen Sachrüge vom Senat zu überprüfen.

bb) Die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB setzt die Gefahr voraus, dass der Angeklagte infolge seines Handelns erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Bei der Trunkenheitsfahrt des Angeklagten mit einem Roller handelt es sich um eine erhebliche Straftat im Sinne dieser Vorschrift (s. auch OLG Celle, Beschluss vom 23. Juni 2014 - 32 Ss 83/14, juris, Rdnr. 16). Der Angeklagte ist zu einem Zeitpunkt, zu dem die Straßen vorhersehbar nicht menschenleer sind, mit seinem Roller gefahren und war dabei ganz erheblich alkoholisiert. Ein solches Verhalten kann für andere Verkehrsteilnehmer mit erheblichen Gefahren verbunden sein.

cc) Die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt wird daher in der neuen Verhandlung unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) zu prüfen sein.

3. Aufgrund der aufgezeigten Mängel war daher das Urteil im Rechtsfolgenausspruch nach § 349 Abs. 4 StPO aufzuheben. Die Sache war an eine andere kleinen Strafkammer des Landgerichts Detmold zur erneuten Verhandlung und Entscheidung nach § 354 Abs. 2 StPO

zurückzuverweisen. 4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte sei Bewährungsversager, lässt sich anhand der zu den Vorstrafen getroffenen Feststellungen nicht überprüfen, sondern lediglich aus den mitgeteilten Daten schlussfolgern. In Bezug auf die maßgebliche Vorbelastung zu Ziffer 17 wird weder das Datum der Rechtskraft, noch die festgesetzte Bewährungszeit mitgeteilt. Der Bestand des Urteils wurde durch diesen Mangel jedoch nicht gefährdet. Da die Bewährungszeit nach § 56a Abs. 1 StGB zwei Jahre nicht unterschreiten darf, fällt die Tat vom 31. Juli 2015 bei einem Ende der Bewährungszeit am 12. März 2016 auf jeden Fall in die Bewährungszeit.

b) Mit Blick auf die Verhängung eines Fahrverbots und die Anordnung einer isolierten Sperrfrist gemäß § 69a Abs. 1 S. 3 StGB weist der Senat darauf hin, dass nicht festgestellt ist, dass der Verurteilte zum Tatzeitpunkt nicht über eine Fahrerlaubnis verfügte. Auch dieses Tatbestandsmerkmal lässt sich lediglich aus den mitgeteilten Tatsachen schlussfolgern, denn durch das Urteil des Amtsgerichts Brakel vom 13. März 2013 wurde eine Sperre für die Fahrerlaubnis bis zum 12. März 2015 festgesetzt. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte in der Zwischenzeit eine Fahrerlaubnis erworben haben könnte, bestehen nicht. Gleichwohl ist eine ausdrückliche Feststellung aus Gründen der Klarheit wünschenswert.