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Landgericht Berlin Beschluss vom 10.05.2016 - 528 Qs 35/16 - Hinweis des Verteidigers als Rechtfertigung für Ausbleiben des Betroffenen im Termin

LG Berlin v. 10.05.2016: Hinweis des Verteidigers als Rechtfertigung für Ausbleiben des Betroffenen im Termin


Das Landgericht Berlin (Beschluss vom 10.05.2016 - 528 Qs 35/16) hat entschieden:
Ein Ausbleiben des Betroffenen im Termin kann im Ordnungswidrigkeitenverfahren dann als entschuldigt i.S.d.§ 74 Abs. 2 OWiG anzusehen sein, wenn es auf einem Rat oder Hinweis des Verteidigers beruht. - Die dem Fernbleiben zugrunde liegende Rechtfertigung in das (grundsätzlich berechtigte) Vertrauen bzgl. solcher Informationen findet seine Grenzen jedoch dann, wenn sich dem Betroffenen nach der konkreten Sachlage Zweifel aufdrängen müssen, ob die Äußerung seines Verfahrensbevollmächtigten zutreffend ist. Bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieser Auskunft, muss dem durch Nachfrage beim Gericht nachgegangen werden; anderenfalls ist der Betroffene nicht entschuldigt.


Siehe auch Säumnis des Betroffenen bzw. Angeschuldigten in der Hauptverhandlung im OWi- oder Strafverfahren und Anwaltsverschulden - Haftung des Rechtsanwalts gegenüber dem Mandanten


Gründe:

I.

Mit der Begründung seines unentschuldigten Nichterscheinens in der Hauptverhandlung verwarf das Amtsgericht Tiergarten in Berlin mit Urteil vom 11. Februar 2016 den Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 28. August 2015. Den daraufhin unter dem 18. Februar 2016 gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wies das Gericht mit dem angefochtenen Beschluss vom 4. März 2016, zugestellt am 24. März 2016, als unzulässig zurück.


II.

Die sofortige Beschwerde vom 31. März 2016 ist zulässig - insbesondere wurde sie rechtzeitig eingelegt -, in der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung eines Termins nach §§ 74 Abs. 4, 46 Abs. 1 OWiG; §§ 44, 45 StPO sind nicht gegeben.

Mit der eingereichten anwaltlichen Versicherung vom 18. Februar 2016 lag - entgegen der Auffassung des Amtsgerichts - zwar ein zur Zulässigkeit des Antrages führendes Mittel der Glaubhaftmachung vor. Weder wird hierdurch jedoch eine Entschuldigung glaubhaft gemacht noch entschuldigen sonstige Gründe das Ausbleiben des Beschwerdeführers im Hauptverhandlungstermin am 11. Februar 2016. Hierfür genügt insbesondere nicht die (anwaltlich versicherte) Mitteilung des Verteidigers gegenüber dem Betroffenen, in der auf den Folgetag anberaumten Hauptverhandlung nicht erscheinen zu müssen, da er - der Verteidiger - "beabsichtige", in dieser einen Antrag auf Entbindung von dem persönlichen Erscheinen zu stellen.

Zwar ist in Ordnungswidrigkeitenverfahren überwiegend anerkannt, dass ein Ausbleiben im Termin dann als entschuldigt iSd.§ 74 Abs. 2 OWiG anzusehen sein kann, wenn es auf einem Rat oder Hinweis des Verteidigers beruht (KG Berlin, Beschluss vom 9. Mai 2012 - 3 Ws (B) 260/12 - 162 Ss 81/12 -; OLG Hamm, Beschluss vom 31. Januar 2013 - III-​1 RBs 178/12 -; juris, m.w.N.). Die dem zugrunde liegende Rechtfertigung durch das (grundsätzlich berechtigte) Vertrauen in solche Informationen findet seine Grenzen jedoch dann, wenn sich dem Betroffenen nach der konkreten Sachlage Zweifel aufdrängen müssen, ob die Äußerung seines Verfahrensbevollmächtigten zutreffend ist (KG, a.a.O.). Bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieser Auskunft, muss dem durch Nachfrage beim Gericht nachgegangen werden; anderenfalls ist der Betroffene nicht entschuldigt (OLG Hamm, Beschluss vom 6. März 2006 - 4 Ss OWi 44/06 -, juris, m.w.N.).

In der vorliegenden Konstellation mussten sich für den Beschwerdeführer solche erheblichen Zweifel an der Verlässlichkeit der erst am Abend vor der Hauptverhandlung erfolgten Mitteilung seines Verteidigers aufdrängen. Bereits über drei Monate zuvor hatte er vom Gericht die Terminsladung - ohne Entbindung von der Erscheinenspflicht - erhalten. Insbesondere da sein Verteidiger ihm - dem Inhalt der anwaltlichen Versicherung vom 18. Februar 2016 zufolge - nicht von einem bereits gestellten Antrag, sondern lediglich von der Absicht, im Termin einen Antrag auf Entbindung von der Erscheinenspflicht stellen zu wollen, berichtet hatte, konnte der Betroffene in der konkreten Situation nicht in ausreichendem Maß davon überzeugt sein, dass das Gericht sein Ausbleiben tatsächlich als entschuldigt ansehen würde. Für ihn war erkennbar, dass eine positive Bescheidung dieses kurzfristigen Antrages in keiner Weise sicher zu erwarten war und er der sich aus dem Gesetz ergebenden Anordnung daher weiterhin zu folgen hatte oder sich zumindest beim Gericht nach etwaigen Veränderungen hätte erkundigen müssen. Unter Berücksichtigung des erst auf 12.30 Uhr des Folgetages anberaumten Termins zur Hauptverhandlung wäre ihm eine Kontaktaufnahme auch unschwer möglich gewesen. Schließlich wären dem in Berlin wohnhaften Beschwerdeführer selbst durch eine Teilnahme am Termin, die sich im Nachhinein aufgrund positiver Antragsbescheidung als nicht notwendig dargestellt hätte, nach Aktenlage keine übermäßigen Nachteile erwachsen.Die hiesige Situation unterscheidet sich letztlich auch betreffend des in der Hauptverhandlung gestellten Aussetzungsantrages erheblich von der vielfach für eine Entschuldigung als ausreichend angesehenen Konstellation, dass der Verteidiger rechtzeitig vor dem Termin einen begründeten Verlegungsantrag stellt - z.B. wegen seiner Verhinderung -, über den das Gericht nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat. Einem solchen Antrag soll bei einem bestreitenden Betroffenen sogar in der Regel zu entsprechen sein (KG, a.a.O.). Es kann dahinstehen, ob vorliegend der Aussetzungsantrag begründet war. Denn jedenfalls aufgrund der E-​Mail des Abteilungsrichters vom 10. Februar 2016, in der er Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle in der Zeit kurz vor dem Termin angeboten, aber auch eine mögliche Unterbrechung der Hauptverhandlung zur weitergehenden Akteneinsicht erwähnt hatte, konnte der Verteidiger nicht ernsthaft von einer positiven Bescheidung des Aussetzungsantrages ausgehen. Dass er dem Beschwerdeführer dennoch mit einer solchen Erwartung den Rat erteilte, nicht zum Termin zu erscheinen, wird indes auch nicht zur Entschuldigung vorgetragen.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG; § 473 Abs. 1 StPO.