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Verwaltungsgericht Regensburg Urteil vom 20.02.2017 - RO 8 K 16.1708 - gelegentlicher Cannabiskonsum und Trennungsgebot
VG Regensburg v. 20.02.2017: Gelegentlicher Cannabiskonsum und Verstoß gegen das Trennungsgebot
Das Verwaltungsgericht Regensburg (Urteil vom 20.02.2017 - RO 8 K 16.1708) hat entschieden:
Bereits der einmalige Verstoß des gelegentlichen Cannabiskonsumenten gegen das Trennungsgebot nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV führt zwingend zur Entziehung der Fahrerlaubnis.
Siehe auch Nachweis von fehlendem Trennvermögen zwischen gelegentlichem Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme und Stichwörter zum Thema Cannabis
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen den Bescheid des Landratsamts Schwandorf vom 27.10.2016, mit welchem ihm die Fahrerlaubnis entzogen worden ist.
Der 1991 geborene Kläger war zuletzt Inhaber einer Fahrerlaubnis (Klassen B, M, L und S). Am 3.6.2016 gegen 20.05 Uhr wurde er auf der A 93 bei Weiden einer verdachtsunabhängigen Kontrolle durch die Polizei unterzogen. Ein im Hinblick auf drogentypische Auffälligkeiten durchgeführter Drogenvortest verlief positiv. Die anschließend durchgeführte Blutentnahme ergab nach dem Gutachten vom 7.7.2016 einen THC-Wert von 20 ng/ml, einen 11-Hydroxy-THC-Wert von 7,8 ng/ml und einen THC-Carbonsäure-Wert von 69 ng/ml. Bei der Kontrolle war der Kläger außerdem im Besitz von 1,79 g Marihuana. Gegenüber den Polizeibeamten äußerte er sich als Betroffener, er habe am vorangegangenen Wochenende drei bis vier Joints geraucht.
Mit Bescheid vom 27.10.2016 - auf den Bezug genommen wird - entzog das Landratsamt Schwandorf dem Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis, verfügte die unverzügliche Ablieferung des Führerscheins und drohte für den Fall der nicht fristgerechten Ablieferung ein Zwangsgeld von 250 Euro an. Der Kläger sei gelegentlicher Cannabiskonsument. Er habe selbst eingeräumt, am Wochenende vor der Kontrolle drei bis vier Joints geraucht zu haben, die gutachtlich festgestellten Werte (THC-Carbonsäure-Wert von 69 ng/ml) bei der Kontrolle fünf Tage danach belegten einen weiteren Konsum. Die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen stehe ausweislich des Vorfalls vom 3.6.2016 fest. Am 7.11.2016 hat der Kläger seinen Führerschein bei der Behörde abgegeben.
Mit Schriftsätzen seiner Bevollmächtigten vom 4.11.2016 hat der Kläger vorliegende Klage erheben und zugleich einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen lassen. Der Kläger sei bisher unauffällig gewesen, sein Cannabiskonsum habe sich nicht auf die Verkehrssicherheit ausgewirkt. Dem Kläger drohe der Verlust des Arbeitsplatzes.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Landratsamts Schwandorf vom 27.10.2016 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Beschluss vom 22.11.2016 – RO 8 S 16.1709 hat das Gericht den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und beigezogenen Behördenakten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 20.2.2017 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Entziehung der Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheids) ist rechtmäßig.
a) Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV. Danach ist ohne Ermessensspielraum die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann der Fall, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegt und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Mit den Auswirkungen von Cannabiskonsum auf die Fahreignung befasst sich Nr. 9.2 der Anlage 4 zur FeV. Gemäß Nr. 9.2.1 fehlt bei der regelmäßigen Einnahme von Cannabis die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis besteht nach Nr. 9.2.2 die Fahreignung des Betroffenen nur dann, wenn der Cannabiskonsum vom Fahren getrennt wird (Trennungsgebot), kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen stattfindet und keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen. Nach der Nr. 3 der Vorbemerkungen zu dieser Anlage gelten diese Bewertungen für den Regelfall.
aa) Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV.
Der Kläger war gelegentlicher Cannabiskonsument. Gelegentliche Einnahme von Cannabis im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV liegt vor, wenn tatsächlich mindestens zwei Mal Cannabis in voneinander unabhängigen Konsumakten eingenommen wurde (st. Rspr. des BayVGH: vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2006 – 11 CS 05.1453; BayVGH, B.v. 5.3.2009 – 11 CS 08.3046; BayVGH, B.v. 13.12.2010 – 11 CS 10.2873). Nach seinen Angaben gegenüber der Polizei hat der Kläger fünf Tage vor der Kontrolle vom 3.6.2016 drei bis vier Joints geraucht. Nach den im Gutachten vom 7.7.2016 festgestellten Werten muss – wie die Behörde zutreffend ausführt – danach und vor der Fahrt am 3.6.2016 ein weiterer Cannabiskonsum stattgefunden haben. Auch das Mitführen von Marihuana spricht für mindestens gelegentlichen Cannabiskonsum. Zudem legt der festgestellte THC-Carbonsäure-Wert mindestens gelegentlichen Cannabiskonsum nahe. Jedenfalls ist aber im Falle der Teilnahme eines Kraftfahrzeugführers am Straßenverkehr unter der Einwirkung von Cannabis zur Verneinung der Fahreignung eine weitere Aufklärung durch Ermittlungen zur Häufigkeit seines Konsums nur dann geboten, wenn der Betroffene ausdrücklich behauptet und substantiell darlegt, er habe erstmals Cannabis eingenommen und sei somit weder gelegentlicher noch regelmäßiger Konsument. Erst wenn hierzu substantiierte Darlegungen erfolgen, ist seine Glaubhaftigkeit unter Würdigung sämtlicher Fallumstände zu überprüfen, denn die Kombination von erstmaligem Cannabiskonsum, anschließender Verkehrsteilnahme unter Einwirkung des erstmalig konsumierten Stoffs und schließlich der Feststellung dieses Umstandes bei einer Verkehrskontrolle unter Berücksichtigung der relativ geringen polizeilichen Kontrolldichte spricht insgesamt deutlich für einen nur sehr selten anzunehmenden Fall. Vor diesem Hintergrund bedarf es einer ausdrücklichen Behauptung mit substantiierten Darlegungen dazu, dass es sich bei der festgestellten Einnahme von Drogen tatsächlich um einen erstmaligen Konsum gehandelt hat (vgl. BayVGH, B.v. 28.5.2013 – 11 ZB 13.607 m.w.N.). Einen diesen Anforderungen entsprechende einmaligen Probierkonsum behauptet selbst der Kläger nicht. Gegen eine solche Fallgestaltung sprechen auch schon die näheren Umstände bei der polizeilichen Kontrolle am 3.6.2016 (gutachtlich festgestellte Werte, Angaben des Klägers zum Konsum, Mitführen von Marihuana).
Der Kläger war auch nicht in der Lage, zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs zu trennen (Trennungsgebot), wie sich aus dem Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter Einfluss von Cannabis am 3.6.2016 ergibt.
Entgegen dem Vortrag des Klägers ergibt sich aus den festgestellten Werten auch eine verkehrsrelevante Beeinträchtigung durch Cannabis. Für einen Verstoß gegen das Trennungsgebot ist grundsätzlich entscheidend, ob der Betroffene objektiv unter dem Einfluss einer Cannabiskonzentration am Straßenverkehr teilgenommen hat, bei der nach wissenschaftlichen Erkenntnissen davon ausgegangen werden muss, dass sich das Risiko von Beeinträchtigungen, die negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben, signifikant erhöht. Von mangelndem Trennungsvermögen ist insoweit bereits dann auszugehen, wenn ein gelegentlicher Cannabiskonsument ein Fahrzeug mit einem THC-Wert von mindestens 1,0 ng/ml führt (BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13; BayVGH, B.v. 10.3.2015 – 11 CS 14.2200). Es kommt nicht darauf an, ob sich der Betroffene subjektiv fahrtüchtig fühlte und er mit einer Fahrt mit dem Kraftfahrzeug nach seinem Cannabiskonsum rechnen musste. Maßgeblich ist allein, ob der Fahrerlaubnisinhaber objektiv im Zeitpunkt der motorisierten Teilnahme am Straßenverkehr unter einem rechtserheblichen Einfluss von THC stand und das Führen eines Kraftfahrzeugs durch ihn damit mit einem drogenkonsumbedingten erhöhten Gefahrenpotential einher ging (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2006 – 11 CS 05.2009; BayVGH, B.v. 17.11.2008 – 11 CS 08.2157). Diese Risikoerhöhung für die Verkehrssicherheit bestand bei der Fahrt des Klägers am 3.6.2016, wie das Ergebnis der Blutuntersuchung mit einem festgestellten THC-Wert von 20 ng/ml belegt.
bb) Gemäß § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt bei feststehender Nichteignung die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens. Die Entziehung ist selbst ohne eine Auffälligkeit im Verkehr zwingend vorgeschrieben, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Wirtschaftliche Nachteile infolge der Entziehung der Fahrerlaubnis, einschließlich des Verlustes des Arbeitsplatzes, haben gegenüber dem öffentlichen Interesse keine Bedeutung; Billigkeitserwägungen können nicht entgegengesetzt werden. Im Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis spielt auch der Nachweis abstinenten Verhaltens nach der Drogenfahrt grundsätzlich keine Rolle (vgl. dazu grundlegend: BayVGH, B.v. 9.5.2005 – 11 CS 04.2526). Gemäß Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV kann frühestens nach einem Jahr nachgewiesener Abstinenz von einer Wiedererlangung der Fahreignung ausgegangen werden. Damit der Betroffene nach Ablauf der Jahresfrist nicht alsbald wieder in ein früheres, rechtswidriges und gefahrenträchtiges Konsumverhalten zurückfällt, setzt die Wiedererlangung der Fahreignung darüber hinaus die Prognose voraus, dass die Verhaltensänderung von Dauer ist. Das lässt sich nur bejahen, wenn zu einer positiven Veränderung der körperlichen Befunde ein stabiler, tief greifender Einstellungswandel hinzutritt, der es wahrscheinlich macht, dass der Betroffene auch in Zukunft die notwendige Abstinenz einhält (so die Begründung zu Abschnitt 3.12.1 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung). Das erfordert - gegebenenfalls neben ärztlichen Feststellungen - eine psychologische Bewertung (vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2005 - 11 CS 04.2526). Ausnahmen von der Regelvermutung der Anlage 4 zur FeV sind nur dann anzuerkennen, wenn in der Person des Betäubungsmittelkonsumenten Besonderheiten bestehen, die darauf schließen lassen, dass seine Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr sicher, umsichtig und verkehrsgerecht zu führen, sowie sein Vermögen, zwischen dem Konsum von Betäubungsmitteln und der Teilnahme am Straßenverkehr zuverlässig zu trennen, nicht erheblich herabgesetzt sind. Beispielhaft werden in Satz 2 der Vorbemerkung 3 der Anlage 4 zur FeV besondere menschliche Veranlagung, Gewöhnung, besondere Einstellung oder besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen genannt, durch die z.B. eine Kompensation drogenbedingter Einschränkungen erfolgen kann. Es obliegt dem Betroffenen, durch schlüssigen Vortrag die besonderen Umstände darzulegen und nachzuweisen, die ein Abweichen von der Regelvermutung rechtfertigen sollen (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2007 - 11 CS 06.2028). Solche Umstände wurden aber weder dargetan noch sind sie sonst ersichtlich.
b) Nach Auffassung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs (vgl. B.v. 29.8.2016 – 11 CS 16.1460; B.v. 14.9.2016 11 CS 16.1467) ist es allerdings offen und deshalb in einem Hauptsacheverfahren zu klären, ob bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten eine erstmalige Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr mit einem Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss mit einer THC-Konzentration von 1 ng/ml oder mehr, die aber nicht zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis durch ein Strafgericht geführt hat, die Fahrerlaubnisbehörde die Fahr-erlaubnis nach § 11 Abs. 7 FeV entziehen muss oder ob entsprechend dem Vorgehen bei fahrerlaubnisrechtlichem Alkoholmissbrauch (§ 13 FeV i.V.m. Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV) nur eine medizinisch-psychologische Untersuchung nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV angeordnet werden kann. Das Gericht teilt diese Bedenken des Obergerichts nicht.
aa) Nach § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV ist die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen, wenn der Inhaber zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Die Ungeeignetheit ergibt sich für die hier einschlägigen Fälle aus Anlage 4 zur FeV (Nr. 8 Alkohol und Nr. 9 Drogen), welche wiederum auf der fachlichen Grundlage der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit Heft M 115) und der erstellten Beurteilungskriterien (Hrsg. Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie - DGVP) entwickelt worden ist. Für Alkoholmissbrauch ergibt sich die Ungeeignetheit aus Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV. Ein gelegentlicher Cannabiskonsument, der unter Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug führt, erweist sich nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV als ungeeignet. Steht die Ungeeignetheit fest, ist für eine weitere Aufklärung kein Raum (§ 11 Abs. 7 FeV), die Fahrerlaubnis ist zwingend zu entziehen. Nur wenn Zweifel hinsichtlich der Eignung bestehen, die Ungeeignetheit aber noch nicht feststeht, sieht der Gesetzgeber hingegen allgemein (§ 11 FeV) oder speziell (§ 13 FeV bei Alkohol und § 14 FeV bei Drogen) eine weitere Aufklärung vor.
bb) Auch wenn der Normgeber nach der Verordnungsbegründung (BR-Drs. 302/08, S. 57 f. und 62 f.) die Vorschriften hinsichtlich Alkohol- und Cannabiskonsums ausdrücklich angleichen wollte, so hat er eine derartige Angleichung nur im Rahmen der §§ 13 und 14 FeV vorgenommen. Eine Angleichung der §§ 13 und 14 FeV in den Fällen, die der weiteren Aufklärung bedürfen, ergibt sich – soweit hier einschlägig – einmal aus § 13 Satz 1 Nr. 2a und § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV sowie weiter aus § 13 Satz 1 Nr. 2b und § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV. Ein Vergleich von § 13 Satz 1 Nr. 2b FeV mit Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV wäre hingegen sachfremd. Ob die angestrebte Angleichung der §§ 13 und 14 FeV hinreichend geglückt ist, kann hier offen bleiben. Eine weitere Aufklärung nach den §§ 13 und 14 FeV hätte sich jedenfalls am Maßstab der Begutachtungsleitlinien zu orientieren, wie er auch in Anlage 4 zur FeV zum Ausdruck kommt. Selbst wenn man also im vorliegenden Fall eine weitere Aufklärung nach § 14 FeV fordern wollte, müsste sich aus dem bekannten Sachverhalt schon gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zwingend die Ungeeignetheit des Klägers ergeben.
cc) Eine Angleichung von Nr. 8.1 und Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist hingegen nicht erfolgt. Ein (weitergehender) Wille des Verordnungsgebers, dass mit der angestrebten Angleichung der §§ 13 und 14 FeV auch ein Abweichen von den Vorschriften zur Ungeeignetheit in Anlage 4 zur FeV gewollt sein sollte, ist nicht ersichtlich. Ein solches Abweichen von Wortlaut und Systematik der Anlage 4 zur FeV wäre auch auf keine fachliche (medizinische oder psychologische) Grundlage gestützt. Die seit September 1995 entwickelten Begutachtungsleitlinien werden hinsichtlich ihrer fachlichen Grundlagen fortlaufend überprüft. Die letzte - digital verfügbare - Überarbeitung (Stand: Dezember 2016) erfolgte in den Kapiteln 3.4 "Herz- und Gefäßkrankheiten" und 3.11 "Tagesschläfrigkeit". Ein fachlich begründeter Änderungsbedarf für die Kapitel 3.13 „Alkohol“ und 3.14 „Betäubungsmittel und Arzneimittel“ (gültig ab Februar 2000) wird offensichtlich nicht gesehen.
dd) Mit den §§ 13 und 14 FeV bzw. mit Nr. 8 und Nr. 9 der Anlage 4 zur FeV hat der Normgeber aus sachlichen Gründen in Wortlaut und Struktur differenzierte Regelungen getroffen. Eine Auslegung über den Wortlaut hinaus ist den Gerichten verwehrt. Ein weitgehender Gleichlauf der Vorschriften bei feststehendem Alkoholmissbrauch und bei feststehendem gelegentlichem Cannabiskonsum aus Nr. 8.1 und Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist ebenfalls erkennbar. Beide Fallgruppen gehen dem Wortlaut nach im Grundsatz von einem einmaligen Verstoß gegen das Trennungsgebot aus. Im Hinblick auf die in den Begutachtungsleitlinien herausgearbeiteten Unterschiede zwischen Alkohol- und Cannabiskonsum ergibt sich aber dann die in Nr. 8 und Nr. 9 der Anlage 4 zur FeV zum Ausdruck kommende Differenzierung, ebenso wie bei den §§ 13 und 14 FeV. Zu Recht weist auch der Bayer. Verwaltungsgerichtshof auf die unterschiedlichen Wirkungsweisen der Substanzen hin und bestätigt damit die gebotene differenzierte Regelung.
Die Begutachtungsleitlinien führen zu Nr. 3.13 „Alkoholmissbrauch“ (gültig ab Februar 2000) unter „Leitsätze“ u.a. aus:
„Von Missbrauch ist insbesondere in folgenden Fällen auszugehen:
- in jedem Fall (ohne Berücksichtigung der Höhe der Blutalkoholkonzentration), wenn wiederholt ein Fahrzeug unter unzulässig hoher Alkoholwirkung geführt wurde,
- nach einmaliger Fahrt unter hoher Alkoholkonzentration (ohne weitere Anzeichen einer Alkoholwirkung),
- wenn aktenkundig belegt ist, dass es bei dem Betroffenen in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Verkehrsteilnahme zu einem Verlust der Kontrolle des Alkoholkonsums gekommen ist.“
Zur „Begründung“ heißt es dann:
„Bereits Blutalkoholkonzentrationen mit Werten ab 0,3 ‰ können zu einer Herabsetzung der Reaktionsfähigkeit und zur Veränderung der Stimmungslage mit Kritikminderung führen, so dass ein erhöhtes Verkehrsrisiko von derart beeinflussten Kraftfahrern ausgeht. Bei 0,8 ‰ liegt das Risiko in der Regel um das Vierfache höher als bei nüchternen Verkehrsteilnehmern. Fahruntüchtigkeit liegt bei jedem Kraftfahrzeugfahrer mit Werten höher als 1 ‰ vor.
Werden Werte um oder über 1,5 ‰ bei Kraftfahrern im Straßenverkehr angetroffen, so ist die Annahme eines chronischen Alkoholkonsums mit besonderer Gewöhnung und Verlust der kritischen Einschätzung des Verkehrsrisikos anzunehmen. Bei solchen Menschen pflegt in der Regel ein Alkohol-problem vorzuliegen, das die Gefahr weiterer Alkoholauffälligkeit im Straßenverkehr in sich birgt. Auch wiederholte Auffälligkeiten unter Alkohol im Straßenverkehr innerhalb weniger Jahre begründen einen solchen Verdacht, selbst wenn die Werte wesentlich geringer sind.
Ferner besteht, wegen der allgemeinen Verfügbarkeit des Alkohols, bei Alkoholabhängigkeit und -missbrauch generell eine hohe Rückfallgefahr, so dass im Einzelfall strenge Maßstäbe anzulegen sind, bevor eine positive Prognose zum Führen von Kraftfahrzeugen gestellt werden kann.
Diese erfordert tragfähige Strategien für die Entwicklung der Kontrolle über den Alkoholkonsum als Voraussetzung zur Trennung von Alkoholkonsum und Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr, wie sie z. B. in geeigneten Kursen oder Therapien vermittelt werden. In der Regel hat in solchen Fällen eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den Ursachen und der Entwicklung des früheren Alkoholmissbrauchs zu erfolgen.
Häufiger Alkoholmissbrauch führt zur Gewöhnung an die Giftwirkung und damit zur Unfähigkeit einer realistischen Einschätzung der eigenen Alkoholisierung und des hierdurch ausgelösten Verkehrsrisikos.
Im Spätstadium des chronischen Missbrauchs kann es insbesondere zu Störungen fast aller Organsysteme, und zwar vorwiegend zu hepatischen, gastrointestinalen und kardialen Manifestationen kommen. In der Regel erweisen sich jedoch bei der Begutachtung die psychischen und psychosozialen Ursachen und Folgen des chronischen Alkoholmissbrauchs als weit bedeutsamer. Es kann zu krankhaften Persönlichkeitsveränderungen mit abnormer Entwicklung der affektiven und emotionalen Einstellung gegenüber der Umwelt kommen, wobei Selbstüberschätzung, Gleichgültigkeit, Nachlässig-keit, Erregbarkeit, Reizbarkeit etc. zu beobachten sind.
Besteht eine Alkoholabhängigkeit, so ist die Fähigkeit zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen generell aufgehoben. Voraussetzung einer positiven Prognose ist eine erfolgreiche Entwöhnungsbehandlung mit entsprechender Nachsorge.“
Soweit hier einschlägig ist demnach aus medizinisch-psychologischer Sicht bei wiederholten Trunkenheitsfahrten oder bei einer Trunkenheitsfahrt mit hoher Alkoholkonzentration (ab 1,5 ‰) von Alkoholmissbrauch auszugehen. Eine Ausnahme vom Grundsatz der Einmaligkeit ergibt sich also für einmalige Trunkenheitsfahrten unter 1,5 ‰. Dies findet fachlich seine Rechtfertigung darin, dass der rechtlich und gesellschaftlich tolerierte Alkoholgenuss mit dem über lange Zeit in der Bevölkerung verankerten Bewusstsein einhergeht, dass dabei die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt werden kann und sich daher Alkoholkonsum und Führen eines Fahrzeugs grundsätzlich ausschließen. Ein diesbezüglich fehlendes Problembewusstsein und damit eine nicht mehr zu verantwortende Risikoerhöhung für den öffentlichen Straßenverkehr ist aus fachlicher Sicht u.a. bei wiederholten Trunkenheitsfahrten anzunehmen. Bei einem „einmaligen Ausrutscher“ unter 1,5 ‰ geht man hingegen davon aus, dass das Problembewusstsein durchaus noch in hinreichender Weise vorhanden ist bzw. durch die gesetzlich vorgesehenen Sanktionen (wie etwa nach § 24a StVG oder §§ 316, 315c StGB) in hinreichendem Maße wiederhergestellt werden kann.
Die Begutachtungsleitlinien führen zu Nr. 3.14 „Betäubungsmittel und Arzneimittel“ (gültig ab Februar 2000) unter „Leitsätze“ u.a. aus:
„Wer gelegentlich Cannabis konsumiert, ist in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerecht zu werden, wenn er Konsum und Fahren trennen kann, wenn kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen und wenn keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen.“
Nach dem Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien von Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Schriftenreihe Fahreignung, 2. Auflage, unter Nr. 3.12 Begründung 1.1 „Unterschiede zum Alkoholmissbrauch“ ist es im Wesentlichen auf die Gefährlichkeit der Substanzen, die fehlende subjektive Wirkungskontrolle, die Illegalität der Substanzen und die geringe Sanktionswahrscheinlichkeit im Straßenverkehr zurückzuführen, dass der Konsum von Betäubungsmitteln für die Beurteilung der Fahreignung anders zu bewerten ist als der Alkoholkonsum. So könne nach näher zitierten Studien davon ausgegangen werden,
„dass sich noch keine vergleichbare stabile Kultur des Trennens von Konsum und Verkehrsteilnahme etabliert hat, wie dies bei der Mehrzahl der Alkoholkonsumenten der Fall ist. ... Die Verkehrsgefährlichkeit des Drogenkonsums lässt sich primär aus dem Wirkungsspektrum der Einzelsubstanz erschließen, ... Die Eignungsbedenken, die ein Drogenkonsum auslöst, resultieren also aus der gegebenen Unkontrollierbarkeit des Stoffes und seiner Wirkungen (Rausch und Nachhallwirkungen) ... Die Besonderheit, dass gelegentliche Cannabiskonsumenten aus verwaltungsrechtlicher Sicht noch als fahrgeeignet eingeschätzt werden, ist einerseits dem Umstand zuzurechnen, dass Cannabiskonsum bei Jugendlichen sehr verbreitet ist, dass eine Vielzahl der Konsumenten nur zu wenigen Anlässen und sehr kurzzeitig konsumieren (Probierkonsum) und andererseits der bei Cannabiskonsum zumindest noch im Ansatz vorhandenen Möglichkeit, die Qualität des konsumierten Stoffes und damit die Wirkstoffdosis selbst abschätzen zu können. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass es nach dem Konsum von Cannabis ebenfalls zu atypischen Rauschverläufen und psychotomimetischen Folgen des Konsums kommen kann. In den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung wird gewiss keine Verharmlosung des Cannabiskonsums angestrebt, wenn der Tatsache Rechnung getragen wird, dass bei seltenem Konsum geringer Mengen Cannabis prinzipiell die Möglichkeit besteht, den Konsum und die Verkehrsteilnahme zu trennen. ...“
Der Konsument müsse nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 20.6.2002 – 1 BvR 2062/96 jedoch zu einer Trennung von Konsum und Verkehrsteilnahme in der Lage sein.
ee) Aus der differenzierten fachlichen Betrachtung ergeben sich die differenzierten rechtlichen Regelungen in Nr. 8.1 und Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV bzw. in den §§ 13 und 14 FeV.
Der gelegentliche Konsum von Alkohol oder Cannabis für sich allein ist fahrerlaubnisrechtlich ohne Relevanz. Bei Cannabis kommt eine weitere Aufklärung durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV in Betracht, wenn – ohne Verkehrsteilnahme als Fahrzeugführer! – weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen. Wird unter beachtlichem Einfluss der jeweiligen Substanz ein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt, so ist zu differenzieren:
Die einmalige Trunkenheitsfahrt unter 1,6 ‰ führt zu keinen fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahmen. Von Missbrauch ist nach den Begutachtungsleitlinien (Nr. 3.13.1) bei Alkohol u.a. in jedem Fall bei einer wiederholten Trunkenheitsfahrt auszugehen. Aus fahrerlaubnisrechtlicher Sicht ist bei Alkohol ein die Fahreignung ausschließender (§ 11 Abs. 7 FeV) Missbrauch nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV erst gegeben, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können (Trennungsvermögen). Als Folge sieht § 13 Satz 1 Nr. 2b (oder c) FeV eine Aufklärung durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten vor.
Bei Cannabis ergibt sich nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV aus der fehlenden Trennung von Konsum und Fahren hingegen schon bei der ersten Fahrt unter Cannabiseinfluss die Fahrungeeignetheit, eine weitere Aufklärung ist nicht veranlasst (§ 11 Abs. 7 FeV). Der Unterschied zur einmaligen Alkoholfahrt drückt sich gesetzessystematisch dadurch aus, dass in Nr. 8.1 (Alkohol) das Trennungsvermögen zusätzlich noch zu prüfen ist (Spalte 1), während bei Nr. 9.2.2 (gelegentlicher Cannabiskonsum) der Verstoß gegen das Trennungsgebot zwingend zur Fahrungeeignetheit führt (Spalte 2 und 3). Daher finden sich bei Nr. 9.2.2 nur die Tatbestandsmerkmale Fahren und Konsum, während bei Nr. 8.1 das weitere Tatbestandsmerkmal Trennungsvermögen hinzukommt. Wenn Fahren und Konsum feststehen, ist das individuelle künftige Trennungsvermögen also nur noch bei Alkohol im Rahmen von § 13 FeV aufzuklären.
Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV ist unabhängig davon eine Aufklärung durch Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vorzunehmen, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr nach § 24a StVG begangen wurden. Ein Anwendungsbereich für § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV ist dann gegeben, wenn nach einem ersten Verstoß gegen § 24a Abs. 2 StVG (hier: Fahrt unter Cannabiseinfluss), der in Anwendung der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Fahrungeeignetheit geführt hat, eine Fahrerlaubnis nach Vorlage eines positiven Gutachtens neu erteilt worden ist und dann ein weiterer Verstoß nach § 24a Abs. 1 StVG (Fahrt unter Alkoholeinfluss) begangen worden ist.
Die unterschiedliche Beurteilung der ersten Fahrt unter Cannabiseinfluss gegenüber der einmaligen Trunkenheitsfahrt findet ihre Rechtfertigung darin, dass bei Cannabis ein über lange Zeit gewachsenes und stabiles Problembewusstsein in weiten Teilen der Verkehrsteilnehmer nicht ausgeprägt ist, und dass im Hinblick auf THC-Gehalt, Umfang, Ausprägung und Dauer der Wirkung von Cannabis eine zuverlässige Einschätzung selbst von Konsumenten nicht möglich ist. In der gerichtlichen Praxis bestätigt sich dies immer wieder dadurch, dass selbst langjährige Gelegenheitskonsumenten mit beachtlichen Werten beim Führen von Kraftfahrzeugen angetroffen werden, die sich dann dahingehend einlassen, der letzte Konsum liege Tage zurück und sie hätten nicht mehr mit einer Beeinträchtigung der Verkehrstüchtigkeit gerechnet. Ein vorläufiges Belassen der Fahrerlaubnis etwa unter Anordnung von Auflagen, im Rahmen eines Eilrechtsschutzverfahrens ist wegen der hohen Bedeutung der Verkehrssicherheit problematisch und kann Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer gefährden, weil zumindest wochenlang offen bleibt, ob der Fahrerlaubnisinhaber den gerichtlichen Auflagen überhaupt nachkommen will und kann. Es leuchtet nicht ein, warum über längere Zeit eine erhebliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zu Gunsten eines Einzelnen hinzunehmen sein soll, der bereits durch die Teilnahme am Straßenverkehr unter Betäubungsmitteleinfluss gezeigt hat, dass von ihm ein erhöhtes Risiko für Leib und Leben Dritter ausgeht. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass auch die Antragsteller in den zitierten Fällen (BayVGH a.a.O.) über längere Zeit weiter am Straßenverkehr teilgenommen haben, ohne dann die Auflagen des Obergerichts tatsächlich zu erfüllen. Daher muss es zur Überzeugung des Gerichts dabei bleiben, dass auch ein einmaliger Verstoß des gelegentlichen Cannabiskonsumenten gegen das Trennungsgebot seine Fahrungeeignetheit zur Folge hat.
2. Die Anordnung zur Ablieferung des Führerscheins (Nr. 2 des Bescheids) ist rechtmäßig.
Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 StVG erlischt mit der Entziehung die Fahrerlaubnis, nach § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG ist nach der Entziehung der Führerschein der Fahrerlaubnisbehörde abzuliefern.
3. Schließlich ist auch die auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG beruhende Androhung von Zwangsgeld (Nr. 4 des Bescheids) rechtlich nicht zu beanstanden.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Zulassung der Berufung: § 124 a Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO im Hinblick auf BayVGH, B.v. 29.8.2016 – 11 CS 16.1460; B.v. 14.9.2016 11 CS 16.1467.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt