Das Verkehrslexikon

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Landgericht Arnsberg Beschluss vom 25.10.2016 - 2 Qs 71/16 - Unerlaubtes Entfernens vom Unfallort nur auf öffentlichem Straßenraum

LG Arnsberg v. 25.10.2016: Unerlaubtes Entfernens vom Unfallort nur auf öffentlichem Straßenraum


Das Landgericht Arnsberg (Beschluss vom 25.10.2016 - 2 Qs 71/16) hat entschieden:
Der Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort setzt voraus, dass die Tat im öffentlichen Straßenverkehr begangen worden ist. Der hintere Teil eines Betriebsgeländes, der allein der An- und Ablieferung von Waren dient und nur durch Öffnen einer Eingangsschranke erreicht werden kann, ist nicht als öffentlicher Verkehrsgrund anzusehen.


Siehe auch Unfallflucht (unerlaubtes Entfernen vom Unfallort) im Strafrecht und Öffentlicher und nichtöffentlicher Verkehr


Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft B legt dem Beschuldigten unerlaubtes Entfernen vom Unfallort zur Last. Er soll am Morgen des 12.08.2016 ein Rolltor der Fa. T in U beschädigt haben, an dem ein Sachschaden von ungefähr 2.800 Euro entstanden sein soll. Bei der Unfallörtlichkeit handelt es sich um den hinteren Teil des Betriebsgeländes der Fa. T, auf dem sich drei Anlieferungstore befinden. Der Zugang zu diesem Teil des Betriebsgeländes ist mit Ein- und Ausfahrtsschranken versehen. Der unmittelbare Bereich vor den Rolltoren ist abgesenkt, mit Betonoberfläche versehen und mit Fahrstreifen für die anliefernden Lastkraftwagen gekennzeichnet.

Die Staatsanwaltschaft B hat beim Amtsgericht B -Ermittlungsrichter- die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis beantragt, weil der Beschuldigte einer Straftat nach § 142 StGB vorläufig verdächtig sei und dringende Gründe für die Annahme bestünden, ihm werde in der Hauptverhandlung die Fahrerlaubnis entzogen werden.

Das Amtsgericht hat dem Antrag stattgegeben und dem Beschuldigten mit Beschluss vom 07.10.2016 vorläufig die Fahrerlaubnis entzogen und den Führerschein beschlagnahmt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es bestünde der dringende Verdacht, der Beschuldigte habe am Tattag ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt, einen Unfall mit erheblichem Fremdschaden verursacht und sich vorsätzlich unerlaubt vom Unfallort entfernt.

Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner am 13.10.2016 eingelegten Beschwerde.

Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.


II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Dem Beschuldigten darf nach § 111a StPO die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass ihm die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen werden wird. Es muss dringender Tatverdacht und ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass das Gericht den Beschuldigten für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen hält. Nach derzeitigem Ermittlungsstand liegt nach Auffassung der Kammer kein dringender Tatverdacht vor. Es steht aufgrund der bisher erhobenen Beweismittel nicht fest, dass das gegenständliche Unfallereignis einen Unfall im Straßenverkehr im Sinne von § 142 StGB darstellt.

Der Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort setzt voraus, dass die Tat im öffentlichen Straßenverkehr begangen worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Verkehrsraum öffentlich, wenn er entweder für jedermann ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten oder aber zumindest für eine allgemein bestimmbare größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen und auch so benutzt wird (OLG Hamm, Beschluss vom 04.03.2008, 2 Ss 33/08, NZV 2008, 257; OLG Köln, Beschluss vom 06.06.2000, Ss 227/00). Umfasst werden zwar demnach nicht nur Verkehrsflächen, die nach dem Wegerecht des Bundes und der Länder dem allgemeinen Straßenverkehr gewidmet sind, sondern auch solche, deren Benutzung durch eine nach allgemeinen Merkmalen bestimmte größere Personengruppe ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse am Straßengrund oder auf eine verwaltungsrechtliche Widmung durch den Berechtigten ausdrücklich oder faktisch zugelassen wird. Bei der Prüfung der Frage, ob eine Duldung der Benutzung durch einen darüber hinausgehenden Personenkreis vorliegt, ist nicht auf den inneren Willen des Verfügungsberechtigten, sondern auf die für etwaige Benutzer erkennbaren äußeren Gegebenheiten abzustellen (BGH, Urteil vom 04.03. 2004, 4 StR 377/03, BGHSt 49, 128-​130).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der hintere Teil des Betriebsgeländes der Fa. T, der allein der An- und Ablieferung von Waren dient, nach dem derzeitigen Ermittlungsstand nicht als öffentlicher Verkehrsgrund anzusehen:

Der Teil des Betriebsgeländes ist nur bei Durchfahren einer Schranke zugänglich. Auf die Skizze Bl. 6 d.A. und die Videographien Bl. 9 - 11 und 19/20 d.A., welche die räumliche Situation vor den Rolltoren und die Ein- und Ausfahrtsschranken verdeutlichen, wird Bezug genommen. Demnach ist der Zugang zur Betriebsfläche von dem Öffnen der Eingangsschranke abhängig. Gerade diese Zugangsbegrenzung zeigt, dass das Betriebsgelände nicht für jedermann zugänglich ist. Auch aufgrund der weiteren Örtlichkeit ist ersichtlich, dass der hintere Teil des Betriebsgeländes allein dem Warenverkehr dient und somit nur einem beschränkten Zuliefererkreis zugänglich gemacht wird. Eine für jedermann ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmbare größere Personengruppe zur Benutzung zugelassene und auch so benutzte Fläche kann die Kammer vor diesem Hintergrund nicht feststellen.

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und ebenfalls angeordnete Beschlagnahme des Führerscheins waren daher aufzuheben. Der Antrag auf vorläufige Entziehung war abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO.