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OLG Hamm Beschluss vom 06.01.2017 - I-32 SA 79/16 - Zur Zuständigkeit eines Landgerichts gemäß § 506 Abs. 1 ZPO ist im Gerichtsstandbestimmungsverfahren

OLG Hamm v. 06.01.2017: Zur Zuständigkeit eines Landgerichts gemäß § 506 Abs. 1 ZPO ist im Gerichtsstandbestimmungsverfahren


Das OLG Hamm (Beschluss vom 06.01.2017 - I-32 SA 79/16) hat entschieden:
Die Begründung der Zuständigkeit eines Landgerichts gemäß § 506 Abs. 1 ZPO ist im Gerichtsstandbestimmungsverfahren zu beachten, auch wenn der auf der Grundlage dieser Vorschrift vom Amtsgericht erlassene Verweisungsbeschluss ausnahmsweise nicht bindend ist, weil den Parteien kein rechtliches Gehör gewährt wurde.


Siehe auch Rechtliches Gehör und Stichwörter zum Thema Zivilprozess


Gründe:

I.

Der Kläger nimmt mit der Klage, die er vor dem Amtsgericht Q erhoben hat, die Beklagten aus einem Verkehrsunfall in Q gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz i.H.v. 2.489,38 EUR zuzüglich Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten in Anspruch. Die Beklagte zu 1 war nach dem Klagevorbringen Fahrerin und Halterin des unfallbeteiligten Kfz, die Beklagte zu 2 dessen Pflichtversicherer.

Die Beklagten haben Widerklage und Drittwiderklage erhoben, mit der sie den Kläger als Fahrer und Halter und die Drittwiderbeklagte - eine Versicherung mit Sitz in E - als Pflichtversicherer gesamtschuldnerisch auf Zahlung von 5.449,72 EUR sowie Zinsen hierauf und vorgerichtliche Anwaltskosten in Anspruch nehmen. Gleichzeitig haben sie beantragt, angesichts der Änderung der sachlichen Zuständigkeit durch die Erhebung der Widerklage, das Verfahren an das nunmehr zuständige Landgericht Q abzugeben.

Das Amtsgericht Q hat den Rechtsstreit ohne Anhörung der Gegenseite durch Beschluss vom 28.10.2016 gemäß den §§ 281, 506 ZPO an das Landgericht Q verwiesen. Durch Beschluss vom 10.11.2016 hat das Landgericht Q den Rechtsstreit an das Amtsgericht Q zurückverwiesen, da die Verweisung ohne die Anhörung des widerbeklagten Klägers und der Drittwiderbeklagten erfolgt sei.

Das Amtsgericht Q hat den Rechtsstreit dem Oberlandesgericht Hamm vorgelegt. In dem Vorlagebeschluss hat es die Auffassung vertreten, eine Anhörung sei entbehrlich gewesen, da § 506 ZPO einen eigenen Prüf- und/oder Beurteilungsspielraum nicht vorsehe und das Amtsgericht zwingend zu verweisen habe.


II.

Das Oberlandesgericht Hamm ist gemäß § 36 Abs. 1 ZPO zu der Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, da es das im Rechtszug zunächst höhere Gericht über dem Amtsgericht Q und dem Landgericht Q ist, die über die Zuständigkeit uneinig sind.

Die Voraussetzungen einer Bestimmung der Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Q als auch das Landgericht Q haben sich durch die Beschlüsse vom 28.10.2016 und vom 10.11.2016 im Sinne dieser Vorschrift rechtskräftig für unzuständig erklärt.

Zuständig ist das Landgericht Q.

Das folgt allerdings nicht aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses. Dieser ist mangels Anhörung nicht bindend gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO.

Zwingende Voraussetzung einer Verweisung ist im Hinblick auf Art. 103 GG, dass das Gericht den Verfahrensbeteiligten vor der Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Verweisungsbeschlüsse, die auf einer Versagung des rechtlichen Gehörs beruhen, sind nicht bindend (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Beschluss vom 10.12.1987 - I ARZ 809/87, NJW 1988,1794,1795, juris Rn. 4; Beschluss vom 11.08.2015 - X ARZ 174/15, BeckRS 2015, 14873 Rn. 13f.; Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 31. Aufl. 2016, § 281 ZPO Rn. 17a m.w.N.).

Die Pflicht zur Anhörung gilt auch für eine Verweisung nach § 506 Abs. 1 ZPO (Deppenkemper in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 506 ZPO, Rn. 11, beck-​online). Der Anspruch auf rechtliches Gehör vor einer Verweisung ist nicht abhängig davon, ob Voraussetzungen einer Norm (nach Auffassung des Gerichts) unzweifelhaft gegeben sind. Die Lage ist insoweit bei einer Verweisung nach § 506 Abs. 1 ZPO nicht anders als bei einer solchen nach § 281 Abs. 1 ZPO. Auch hier ist - anders als das Amtsgericht meint - der anderen Seite Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Die Zuständigkeit des Landgerichts Q folgt aber unmittelbar aus § 506 Abs. 1 ZPO. § 506 Abs. 1 ZPO begründet die Zuständigkeit des Landgerichts unter den dort genannten Voraussetzungen. Die Vorschrift stellt eine Ausnahme von der perpetuatio fori des § 261 Abs. 3 S. 2 ZPO dar und verpflichtet das Amtsgericht zur Verweisung (vgl. Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 31. Aufl. 2016, § 506 ZPO, Rn. 1). Diese Zuständigkeitsbegründung ist im Gerichtsstandsbestimmungsverfahren zu beachten, auch wenn der auf seiner Grundlage ergangene Verweisungsbeschluss (wie hier) ausnahmsweise nicht bindend ist.

Die Voraussetzungen des § 506 Abs. 1 ZPO liegen auch vor. Die Beklagten haben Widerklage und Drittwiderklage erhoben. Der Streitwert der Widerklagen gehört zur Zuständigkeit der Landgerichte. Die Beklagten haben mit der Bitte um "Abgabe" den erforderlichen Antrag auf Verweisung an das Landgericht gestellt. Der Kläger ist jedenfalls im hiesig

en Verfahren angehört worden und hat der Verweisung zugestimmt. Das Landgericht Q ist auch örtlich zuständig. Seine Zuständigkeit für die Drittwiderklage folgt jedenfalls aus § 32 ZPO. § 32 ZPO gilt auch für den Direktanspruch nach § 115 Abs. 1 VVG gegen den Pflichtversicherer (BGH, Beschluss vom 03.03.1983 - I ARZ 682/82, NJW 1983, 1799, beck-​online - zu § 3 Nr. 1 PflVG; Vollkommer in Zöller, a.a.O., § 32 ZPO Rn. 13 m.w.N.; Toussaint in: Beck'scher Online-​Kommentar ZPO, 22. Edition, Stand: 01.09.2016, § 32 ZPO Rn. 6, beck-​online m.w.N.).



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