Das Verkehrslexikon
Kammergericht Berlin (Beschluss vom 12.04.2017 - 3 Ws (B) 31/17 - 162 Ss 18/17 - Rechtskrafterstreckung auf doppelrelevante Tatsachen
KG Berlin v. 12.04.2017: Rechtskrafterstreckung auf doppelrelevante Tatsachen bei einer wirksamen Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch
Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 12.04.2017 - 3 Ws (B) 31/17 - 162 Ss 18/17) hat entschieden:
Wird die Rechtsbeschwerde in Bußgeldsachen wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt, erwachsen die tatrichterlichen Feststellungen zu der Dauer der Rotphase im Rahmen eines Verstoßes gegen ein rotes Wechsellichtzeichen als so genannte doppelrelevante Tatsachen in Rechtskraft und sind damit für das weitere Verfahren, insbesondere für die Frage, ob die Voraussetzungen eines Regelfahrverbots nach § 25 Abs. 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV i.V.m. der Anlage (zu § 1 Abs. 1 BKatV) Abschnitt I. lfd. Nr. 132.3 BKat vorliegen, bindend. An einer gegenteiligen Rechtsprechung des Senats (vgl. etwa VRS 129, 25) wird nicht festgehalten.
Siehe auch Die Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen im Bußgeldverfahren und Der qualifizierte Rotlichtverstoß
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Tiergarten hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 11. April 2016 wegen einer fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit (eines sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoßes) eine Geldbuße von 225,00 Euro gemäß §§ 37 Abs. 2 (zu ergänzen: Nr. 1 Satz 7), 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, (zu ergänzen: §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV i.V.m. der Anlage (zu § 1 Abs. 1 BKatV) Abschnitt I lfd. Nr. 132.3 BKat) i.V.m. § 24 (zu ergänzen: Abs. 1) StVG festgesetzt und von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen. Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
„Am 25.8.2015 passierte der Betroffene um 11:15 Uhr mit dem PKW ..., amtliches Kennzeichen ..., in B. den Kreuzungsbereich S./M.-Straße. Dabei missachtete er das Rotlicht der für ihn geltenden Lichtzeichenanlage. Die Rotphase dauerte bereits länger als 1 Sekunde an. Die Feststellung des Rotlichtverstoßes erfolgte mittels einer geeichten Stoppuhr.“
Die Beweise hat das Amtsgericht u.a. wie folgt gewürdigt, wobei die Beweiswürdigung auch Sachverhaltsfeststellungen enthält:
„Der Zeuge PHK M. hat bekundet, die Zeitzählung mittels geeichter digitaler Stoppuhr bei Umschaltung auf Rotlicht ausgelöst zu haben, die zweite Auslösung sei dann erfolgt, wenn ein Fahrzeug mit der Vorderachse die Haltelinie passiert habe. Von der gemessenen Zeit werde dann bei Fertigung der Ordnungswidrigkeitenanzeige ein Sicherheitszuschlag von 0,5 Sekunden abgezogen, die bereinigte Zeit werde dann im Bußgeldbescheid zugrunde gelegt. Die auf der Stoppuhr angezeigte Zeit habe somit 2,07 Sekunden betragen.
Der Zeuge bestätigte die geänderte Verkehrsführung, die Geschwindigkeit sei nach seiner Erinnerung an besagter Stelle bei einer Gelbzeit von 2 Sekunden auf 30 km/h reduziert gewesen und die linke Fahrspur in eine Linksabbiegerspur umgewandelt worden.
Aus den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen, an deren Glaubwürdigkeit mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nicht zu zweifeln ist, ergibt sich für das Gericht ohne jeden Zweifel, dass der Betroffene mit seinem PKW die Haltelinie passiert hat, als die maßgebliche Lichtzeichenanlage bereits länger als 1 Sekunde Rotlicht abstrahlte. Der von der gemessenen Zeit abgezogene Toleranzwert von 0,5 Sekunden geht sogar zugunsten des Betroffenen über die zu gewährende Toleranz hinaus. Zu gewähren ist ein Toleranzabzug von 0,3 Sekunden zuzüglich der doppelten Eichfehlergrenze nach Anl. 19 Ziff. 3.1 zur EichO, was hier einer zu gewährenden Toleranz von 0,32 Sekunden entspräche.“
Ferner hat das Gericht ausgeführt:
„Der Betroffene hat seine Aufmerksamkeit aufgrund der geänderten Verkehrsführung kurzfristig auf den rückwärtigen Verkehr gerichtet, um sein Fahrverhalten dem geänderten Straßenverlauf anzupassen und sich in die Geradeausspur einzufädeln und aufgrund dieser nicht vorhersehbaren Ablenkung das Umschalten auf Rotlicht bei verkürzter Gelbphase schlichtweg übersehen. Unter Berücksichtigung dessen, dass bei einer angenommenen Geschwindigkeit von 30 km/h in 2 Sekunden ein Weg von 16,66 Metern zurückgelegt wird, ist die von dem Betroffenen geschilderte Situation auch nachvollziehbar und lässt keine Plausibilitätszweifel entstehen. Der von dem Betroffenen begangene Verstoß ist deshalb als Augenblicksversagen aufgrund besonderer Umstände einzustufen und stellt somit keinen groben bzw. beharrlichen Pflichtverstoß dar.“
Auf die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin hat der Senat (vgl. Beschluss vom 7. Juli 2016 – 3 Ws (B) 358/16 –) das vorgenannte Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen. Nach erneuter Durchführung der Hauptverhandlung hat das Amtsgericht mit Urteil vom 5. Dezember 2016 eine Geldbuße von 225,00 Euro festgesetzt, dem Betroffenen gemäß § 25 Abs. 1 StVG für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen und eine Wirksamkeitsbestimmung gemäß § 25 Abs. 2a StVG getroffen. Das Urteil des Amtsgerichts beruht auf einer erneuten vollumfänglichen Beweisaufnahme, wobei das Amtsgericht zu identischen Sachverhaltsfeststellungen zum Schuldspruch wie bei der erstgenannten Verurteilung gelangte. Die Ausführungen zur Beweiswürdigung standen im Einklang mit den Feststellungen des ersten Urteils.
Zur Person des Betroffenen hat das Amtsgericht in den Gründen des zuletzt genannten Urteils angegeben:
„Der Betroffene ist ... Jahre alt und beruflich als … tätig. Er ist v. und Vater von ... Kindern im Alter von ... Jahren. Verkehrsrechtlich ist er bislang einmal in Erscheinung getreten. Mit Rechtskraft vom 27.7.2014 wurde gegen ihn wegen Missachtung des Überholverbotes eine Geldbuße von 70,- € festgesetzt.“
Im Hinblick auf das verhängte Fahrverbot hat das Amtsgericht ausgeführt, dass ein Augenblicksversagen nicht vorliege. Es hat festgehalten:
„Der Betroffene erkannte die veränderte Verkehrsführung und hätte sein Fahrverhalten dieser mit der gebotenen besonderen Vorsicht anpassen müssen. Wenn er sich nunmehr, wie bekundet, aufgrund eines beabsichtigten Spurwechsels nach hinten orientierte, hätte er sich nach erfolgter Einordnung vor Überfahren der Haltelinie nochmals vergewissern müssen, dass die für ihn geltende Lichtzeichenanlage tatsächlich noch Grünlicht abstrahlte. Dieses hat er nach eigenem Bekunden nicht getan. Dieses Versäumnis begründet jedoch noch nicht die Annahme eines Augenblicksversagens, sondern ist auf bloßes Außerachtlassen der erforderlichen Sorgfalt zurückzuführen, welches den Fahrlässigkeitsvorwurf begründet. Eine 2 Sekunden dauernde Gelbphase ermöglicht bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h ein gefahrloses Anhalten.
Das Fahrverbot stellt auch keine Härte außergewöhnlicher Art dar, welche das Absehen von dieser Anordnung oder ihre Kompensation durch Erhöhung der Geldbuße geboten hätte. Nach dem Vorbringen des Betroffenen benötigt dieser für seine Berufsausübung eine Fahrerlaubnis. Eine wirtschaftliche konkrete Existenzgefährdung durch die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots ist jedoch nicht erkennbar. Dem Betroffenen ist es nach eigenen Angaben möglich, 2 bis 3 Wochen Urlaub zu nehmen. Es ist ihm auch durchaus zuzumuten, diesen nicht, wie beabsichtigt, im Sommer zu nehmen, sondern zeitlich der Verhängung des Fahrverbotes anzupassen. Dass er innerhalb des Urlaubs kein Fahrzeug führen kann, hat er als private Unannehmlichkeit hinzunehmen. Damit bliebe nur noch ein geringerer Zeitraum übrig, den es für den Betroffenen beruflich ohne Fahrerlaubnis zu überbrücken gelte. Hinsichtlich seiner Verpflichtung gegenüber der ...- Logistic wäre es möglich, anderweitige Fahrer heranzuziehen. Dieses verlangt zwar aufgrund zu treffender Dispositionen einen gewissen zeitlichen Vorlauf. Da der Betroffene jedoch vorliegend innerhalb des gesetzlichen Zeitrahmens nicht bereits vorher durch ein Fahrverbot belangt wurde, konnte ihm nach § 25 Abs. 2 a StVG der Vollstreckungsaufschub von 4 Monaten ab Rechtskraft der Entscheidung gewährt werden. Auch hierdurch ist der Betroffene in der Lage, sich auf die Durchführung der Nebenfolge vorzubereiten. Es wäre dem Betroffenen sogar zuzumuten, zur Überwindung etwaiger Engpässe einen Kredit aufzunehmen. Übrig bliebe somit, dass der Betroffene für 1 Woche, maximal 2 Wochen seiner Tätigkeit für das ...- Amt nicht nachkommen könnte. Dass sich daraus bereits eine insgesamte Existenzgefährdung begründet, ist weder nachgewiesen noch erkennbar, zumal es sich diesbezüglich auch nur um einen Teilbereich seiner Tätigkeit handelt.
Dem Betroffenen waren etwaige Auswirkungen eines Fahrverbots bei Tatbegehung bekannt, es lag also ganz bei ihm, sich diesem Risiko nicht auszusetzen und sich verkehrskonform zu verhalten.“
Gegen das zuletzt genannte Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Dezidierte Feststellungen zur Dauer der Rotphase bei Begehung des Rotlichtverstoßes seien im Rahmen der jüngsten Hauptverhandlung nicht getroffen worden. Er ist der Ansicht, unter Berücksichtigung des Zweifelgrundsatzes hätte das Gericht von einem bereinigten Messwert von 1,07 Sekunden ausgehen müssen. Im Hinblick auf die verbleibende Reaktionszeit sei von einem Augenblicksversagen auszugehen. Ferner komme das Fahrverbot einem Berufsverbot gleich, gefährde seine wirtschaftliche Existenz und sei auch im Hinblick auf den Zeitablauf seit Begehung der Verkehrsordnungswidrigkeit nicht verhältnismäßig.
Der Einzelrichter des Bußgeldsenats hat die Sache nach § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil im Rahmen der Nachprüfung des Urteils des Amtsgerichts Tiergarten vom 5. Dezember 2016 zur Fortbildung des Rechts die Klärung der Rechtsfrage geboten ist, ob es sich bei der Dauer der Rotphase im Rahmen eines Rotlichtverstoßes um eine „doppelrelevante Tatsache“ handelt, die im Falle der horizontalen Teilrechtskraft der innerprozessualen Bindungswirkung unterliegt.
II.
Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die auf die allgemeine Sachrüge erfolgte Überprüfung des Urteils vom 5. Dezember 2016 zeigt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf.
1. Infolge der wirksamen Rechtsmittelbeschränkung durch die Amtsanwaltschaft sind die im Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 11. April 2016 getroffenen Feststellungen zum sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoß gemäß §§ 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV, Anlage (zu § 1 Abs. 1 BKatV) Abschnitt I lfd. Nr. 132.3 BKat i.V.m. §§ 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 und Abs. 2a StVG in Rechtskraft erwachsen. Dass das Amtsgericht die aufgrund der wirksamen Rechtsmittelbeschränkung eingetretene innerprozessuale Bindungswirkung verkannt und zu Unrecht über den dem Schuldspruch zugrunde liegenden Lebenssachverhalt nochmals Beweis erhoben hat, gefährdet den Bestand des angefochtenen Urteils nicht. Die dort getroffenen Feststellungen stehen nicht im Widerspruch zu den Feststellungen in dem Urteil vom 11. April 2016. Der Senat weist klarstellend darauf hin, dass Beweisanträge, die sich gegen den rechtskräftigen Schuldspruch gerichtet hätten, unzulässig gewesen wären.
a) Entsprechend den im Strafprozessrecht entwickelten Grundsätzen ist im Ordnungswidrigkeitenrecht eine Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid (vgl. § 67 Abs. 2 OWiG) oder eine Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch grundsätzlich möglich (vgl. Senge in KK, OWiG 4. Aufl., § 79 Rn. 143). Die im Falle der wirksamen Beschränkung mit der horizontalen Teilrechtskraft einhergehende innerprozessuale Bindungswirkung (vgl. Schäfer/Sander/Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 5. Aufl., Rn. 1339) umfasst dabei zunächst alle jene Umstände der Sachverhaltsdarstellung, in denen die gesetzlichen Merkmale der dem Betroffenen zur Last gelegten Ordnungswidrigkeit gefunden werden (vgl. BGH NJW 1982, 1295; Schäfer/Sander/Gemmeren a.a.O., Rn. 1341). Hätte dabei von mehreren Tatsachen bereits ein Teil ausgereicht, um ein Tatbestandsmerkmal zu erfüllen, so unterfallen gleichwohl alle der Bindungswirkung (vgl. BGH a.a.O.). Somit erstreckt sich die Bindungswirkung nicht nur auf das Mindestmaß an Tatsachen, ohne die der Schuldspruch überhaupt keinen Bestand hätte. Vielmehr werden von ihr auch solche Tatsachen erfasst, die nur den Schuldumfang betreffen, durch die jedoch die rechtliche Bewertung nicht in Frage gestellt wird (vgl. BGH NJW 1979, 54 und NJW 1982, 1295). Bei einem rechtskräftigen Schuldspruch sind etwa die festgestellte Vorsatzart (vgl. BGHSt 10, 71), der Grad des Fahrlässigkeitsvorwurfes (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 1978 – 2 StR 632/78 – und NJW 1982, 1295), das vom Erstgericht festgestellte Maß der Pflichtwidrigkeit oder die festgestellte Schadenshöhe bindend (vgl. BGH NStZ 1981, 448 und NJW 1982, 1295). Über die genannten Tatumstände hinaus, die die gesetzlichen Merkmale der dem Betroffenen zur Last gelegten Tat ausfüllen oder auszufüllen geeignet sind, entfalten auch die Bestandteile der Sachverhaltsschilderung innerprozessuale Bindungswirkung, aus denen der Tatrichter im Rahmen der Beweiswürdigung seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten abgeleitet hat (vgl. BGH NJW 1982, 1295 und NStZ 2015, 182 m.w.H.). Ferner nehmen aber auch jene Teile der Sachverhaltsschilderung an der Bindungswirkung teil, die das Tatgeschehen im Sinne eines geschichtlichen Vorgangs näher beschreiben. Hiervon erfasst sind beispielsweise Umstände, die der Tatausführung das entscheidende Gepräge gegeben haben. Der geschichtliche Vorgang, der dem Schuldspruch zugrunde liegt, bildet ein geschlossenes Ganzes, aus dem nicht Einzelteile herausgegriffen und zum Gegenstand neuer, abweichender Feststellungen gemacht werden dürfen (vgl. BGH NJW 1982, 1295; BGHR StPO § 353 Abs. 2 Teilrechtskraft 3; NStZ-RR 1996, 203; NStZ 1999, 259; Beschluss vom 16. Mai 2002 – 3 StR 124/02 –, juris [vgl. hierzu Becker, NStZ-RR 2003, 97] und BGH NStZ-RR 2006, 317). Von der innerprozessualen Bindungswirkung werden schließlich auch die „doppelrelevanten Umstände“, die zugleich für die Schuldfrage und die Rechtsfolgenbemessung von Bedeutung sind, erfasst (vgl. BGHSt 24, 274; NJW 1981, 589; KG StraFo 2013, 289; OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 1996, 309). Auch sie binden den Rechtsmittelrichter, weil es sich um Umstände handelt, die (auch) Grundlage für den Schuldspruch sind (vgl. BayObLG NStZ 2000, 53; Paul in KK, StPO 7. Aufl., § 318 Rn. 9; Schäfer/Sander/Gemmeren a.a.O., Rn. 1576). Nur Feststellungen, die für den Schuldspruch unwesentlich sind, entfalten keine Bindungswirkung; dazu gehören beispielsweise Feststellungen zu Vor- und Nachtaten (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 2000, 178; Paul a.a.O., § 318 Rn. 9-11).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen stand bereits durch das im Schuldspruch rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts vom 11. April 2016 mit bindender Wirkung fest, dass die Rotphase der Lichtzeichenanlage bereits länger als eine Sekunde andauerte, als der Beschwerdeführer die Haltelinie überfuhr. In dieser Feststellung erschöpfte sich jedoch die innerprozessuale Bindungswirkung des Urteils nicht. Da das Amtsgericht in der Beweiswürdigung dieses Urteils erkennbar zum Ausdruck brachte, dass es aufgrund der Zeugenaussagen von einem Messwert von 2,07 Sekunden (abzüglich einer Toleranz von 0,5 Sekunden: 1,57 Sekunden) bei dem Passieren der Haltelinie mit der Vorderachse des vom Betroffenen geführten Fahrzeugs ausging, stand dieser Messwert infolge der wirksamen Rechtsfolgenbeschränkung als ein den Schuldumfang kennzeichnendes Element des einheitlichen geschichtlichen Vorgangs bindend fest. Sämtliches Rügevorbringen des Betroffenen, das darauf gerichtet ist, dieses Element des feststehenden Sachverhalts in Frage zu stellen, geht fehl.
Das in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV i.V.m. der Anlage (zu § 1 Abs. 1 BKatV) Abschnitt I. lfd. Nr. 132.3 BKat enthaltene Regelbeispiel (qualifizierter Rotlichtverstoß) entfaltet sowohl für die Schuldfrage als auch für den Rechtsfolgenausspruch Relevanz. Bei der Dauer der Rotphase im Rahmen eines Rotlichtverstoßes handelt es sich (ebenso wie beispielsweise bei der Höhe einer Geschwindigkeitsüberschreitung im Rahmen einer Verkehrsordnungswidrigkeit wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, vgl. Senat VRS 130, 244) nach der h.M., welcher der Senat folgt, um eine „doppelrelevante Tatsache“, die der innerprozessualen Bindungswirkung im Falle der horizontalen Teilrechtskraft unterliegt. An einer gegenteiligen Rechtsprechung (vgl. etwa Senat VRS 129, 25) wird nicht festgehalten.
aa) Die Einordnung der in der BKatV aufgeführten Regelbeispiele als doppelrelevant erfolgte im Ergebnis durch die höchstrichterliche Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Entwicklung einer einheitlichen Systematik und Dogmatik des Regelfahrverbots bei Geschwindigkeitsüberschreitungen und Rotlichtverstößen.
Nach Einführung der BKatV herrschte in der obergerichtlichen Rechtsprechung zunächst die Ansicht vor, der Erfüllung einer Katalogtat komme keine Indizwirkung für die Anordnung eines Fahrverbots zu; vielmehr müsse der Tatrichter in jedem Einzelfall prüfen und darstellen, aus welchen Gründen mittels der Verhängung einer Geldbuße der gewünschte erzieherische Aspekt nicht erreicht werden könne (vgl. Deutscher, NZV 1997, 18 m.w.H.). Die restriktive Rechtsprechung beruhte auf der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Juli 1969 (vgl. BVerfG NJW 1969, 1623), in welcher die Regelung des § 25 Abs. 1 StVG zwar für verfassungsgemäß erachtet, jedoch zugleich hervorgehoben wurde, von der Verhängung eines Fahrverbots dürfe erst dann Gebrauch gemacht werden, wenn feststehe, dass die erzieherische Einwirkung auf das Verkehrsverhalten mittels Geldbuße nicht erreicht werden könne (vgl. BVerfG a.a.O.; vgl. Deutscher, NZV 1997 a.a.O.).
Grundlegend hat zunächst der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 28. November 1991 zum Fahrverbot im Bereich der BKatV und damit zusammenhängend zur systematischen und dogmatischen Einordnung der Regelungen in der BKatV Stellung genommen (vgl. BGH NZV 1992, 117). Nach § 26a Satz 2 StVG a.F. sei der Verordnungsgeber ermächtigt gewesen, verbindlich festzulegen, dass bei Vorliegen bestimmter Tatbestände neben einem Bußgeld ein Fahrverbot in der Regel anzuordnen sei. Im Sinne der Ermächtigungsnorm konkretisiere die entsprechende Regelung über das Fahrverbot in der BKatV die Anordnungsvoraussetzungen eines Fahrverbots nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG als Regelmaßnahme. Die Erfüllung eines der Tatbestände des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 BKatV a.F., so der Bundesgerichtshof, indiziere deshalb auf der Tatbestandsebene das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG. Aber auch dann sei ein Fahrverbot nicht zwingend. Denn auch beim Vorliegen eines Regelfalls nach Maßgabe der Regelungen in der BKatV eröffne § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG auf der Rechtsfolgenseite einen Ermessensspielraum, wodurch für die Bewertung des Einzelfalls genügend Raum bleibe.
Das Bundesverfassungsgericht hat daran anschließend mit der wegweisenden Entscheidung am 24. März 1996 die einheitliche Systematik und die dogmatische Verankerung des Regelfahrverbots weiter vorangetrieben (vgl. BVerfG NStZ 1996, 391; vgl. Deutscher, NZV 2007, 161). Es führte aus, § 26a StVG a.F. habe dem Verordnungsgeber den in der BKatV beschrittenen Weg gewiesen, in Anwendung der im Strafrecht geläufigen, verfassungsrechtlich unbedenklichen Regelbeispielstechnik die tatbestandlichen Voraussetzungen grober oder beharrlicher Pflichtverstöße im Sinne des § 25 Abs. 1 StVG zu konkretisieren, ohne die Gerichte an die Indizwirkung des Regelbeispiels zu binden und ohne die Fälle grober oder beharrlicher Pflichtverstöße abschließend zu bestimmen. Dem Richter verbleibe vielmehr, im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls, in objektiver und subjektiver Hinsicht zu bestimmen, ob das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in solchem Maße abweicht, dass das Fahrverbot unangemessen wäre, mithin eine unverhältnismäßige Reaktion auf objektiv verwirklichtes Unrecht und subjektiv vorwerfbares Verhalten darstelle.
bb) In Teilen der Literatur (grundlegend: vgl. Deutscher, NZV 1997, 18; NZV 2007, 161; NZV 2015, 366; NZV 2016, 209; vgl. ferner: Bauer/Heugel, Bußgeldkatalog mit Punktesystem 10. Aufl., IV Fahrverbot Rn. 154 f.; Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht 24. Aufl., § 25 StVG Rn. 14 ff.; Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen 3. Aufl., § 1 Rn. 15) wird in Anknüpfung an die referierte Rechtsprechung zwischen der Vermutungswirkung auf der Tatbestandsebene sowie der Regelwirkung auf der Rechtsfolgenebene unterschieden und somit die „Doppelrelevanz“ der entsprechenden Feststellungselemente des BKat angenommen. § 4 Abs. 1 BKatV i.V.m. dem BKat konkretisiere danach die Vorgaben des § 25 Abs. 1 StVG in zweifacher Hinsicht (vgl. Deutscher, NZV 1997, 18 und NZV 2007, 161): Zum einen werde das normative Tatbestandsmerkmal „grobe Pflichtwidrigkeit“ durch Aufzählung einiger genau umschriebener Verkehrsverstöße, die generell besonders gefährlich seien, inhaltlich ausgefüllt. Im Falle ihres Vorliegens werde ein grober Pflichtenverstoß vermutet (tatbestandsbezogene Vermutungswirkung). Die grobe Pflichtwidrigkeit setze dabei kumulativ das Vorliegen von zwei Elementen voraus: Objektiv müsse eine besondere Gefährlichkeit des Verstoßes vorliegen (Erfolgsunwert) und subjektiv ein gesteigert nachlässiges, leichtsinniges oder gleichgültiges Verhaltens feststellbar sein (Handlungsunwert). Entsprechend verlange danach eine beharrliche Pflichtverletzung als Erfolgsunwert einen zumindest wiederholt begangenen Verstoß, der zugleich als Handlungsunwert erkennen lasse, dass es an der für die Teilnahme am Straßenverkehr erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und notwendigen Einsicht in zuvor begangenes und geahndetes Unrecht fehlt. Die Vermutungswirkung des Regelfalls entfalle beispielsweise, wenn seine objektive Erfüllung nicht subjektiv auf einer gesteigerten Fahrlässigkeit oder dem Fehlen von rechtstreuer Gesinnung und Einsicht, sondern etwa lediglich auf einem Augenblicksversagen beruhe. Wegen der Vermutungswirkung seien nähere Feststellungen allerdings nur dann erforderlich, wenn entsprechende Anhaltspunkte vorlägen. Liege hingegen objektiv und subjektiv ein Regelfall vor, greife zum anderen die rechtsfolgenbezogene Regelwirkung ein. Danach sei die Erforderlichkeit des Fahrverbots zur Einwirkung auf den Betroffenen und dessen Angemessenheit mit Blick auf die damit für den Betroffenen verbundenen Folgen in aller Regel gegeben, wobei die Regelwirkung im Einzelfall (z.B. bei Härtefällen) widerlegbar sei.
cc) Nur vereinzelt wird die Doppelrelevanz der Regelbeispiele der BKatV in der obergerichtlichen Rechtsprechung ausdrücklich thematisiert, etwa im Rahmen von Rechtsmittelbeschränkungen (vgl. OLG Rostock NJ 2016, 165 [Volltext bei juris]), wonach tatrichterliche Feststellungen zur Höhe einer Geschwindigkeitsüberschreitung bei einer wirksamen Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch in Rechtskraft erwachsen und als „doppelrelevante Tatsachen“ für die Frage, ob ein gesetzlich normiertes Regelfahrverbot vorliegt, bindend werden (vgl. Anmerkung Sandherr, NJ 2016, 166) oder im Rahmen der Unterscheidung zwischen der tatbestandsbezogenen Vermutungswirkung und der rechtsfolgenbezogenen Regelwirkung bei der Prüfung eines Fahrverbots (vgl. OLG Bamberg NStZ-RR 2011, 256; OLG Hamm, Beschlüsse vom 21. Dezember 2011 – III-3 RBs 326/11 –, juris und 28. März 2012 – III-3 RBs 19/12 –, juris).
Die ganz überwiegende Zahl der Entscheidungen der Oberlandesgerichte setzt die genannte Doppelwirkung bzw. Doppelrelevanz, teils unter Hinweis auf die vorgenannte Rechtsprechung, stillschweigend voraus (vgl. Senat, Beschlüsse vom 11. Oktober 1999 – 3 Ws (B) 502/99 –, juris;30. Oktober 2013 – 3 Ws (B) 524/13 –; 2. Januar 2014 – 3 Ws (B) 652/13 –, juris; 17. Februar 2015 – 3 Ws (B) 24/15 –, juris; VRS 130, 244; VRS 130, 249 und 11. Januar 2017 – 3 Ws (B) 659/16 –; BayObLG VRS 98, 288 und Beschluss vom 4. September 2000 – 1 ObOWi 443/00 –, juris; OLG Dresden DAR 2003, 181; HansOLG Hamburg NZV 2005, 209; OLG Hamm, Beschluss vom 19. August 2008 – 5 Ss OWi 493/08 –, juris; OLG Jena VRS 112, 359; OLG Karlsruhe NZV 1996, 206; OLG Saarbrücken, Beschlüsse vom 14. April 2010 – Ss (B) 29/10, 51/10 – und 28. August 2013 – Ss (B) 74/13, 64/13 (OWi) –; OLG Stuttgart DAR 2015, 539; OLG Zweibrücken VRS 110, 292).
dd) In Teilen der Literatur wird die Doppelrelevanz der Regelbeispiele in Abrede gestellt. So wird die Auffassung vertreten, die BKatV habe „keine eigene tatbestandliche Qualität“ und sei den Bestimmungen des StVG, der StVO und der StVZO nur als zusätzliche, generelle Zumessungsregelung „aufgepropft“ worden (vgl. Mitsch in KK, OWiG 4. Aufl., § 17 Rn. 95; vgl. auch Schall, NStZ 1986, 1). Noch weitergehend wird vereinzelt – im eindeutigen Widerspruch mit der vorgenannten höchstrichterlichen Rechtsprechung – die Ansicht vertreten, der BKat habe nicht die Aufgabe, die in Betracht kommenden Zuwiderhandlungen tatbestandsmäßig näher zu konkretisieren, und sei lediglich Zumessungsregel (vgl. Rebmann/Roth/Herrmann OWiG 3. Aufl. Stand: September 2016, § 17 Rn. 31; König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 44. Aufl., § 37 StVO Rn. 53; Krenberger, jurisPR-VerkR 23/2016 Anm. 5, die beiden zuletzt genannten jeweils in Anlehnung an Senat VRS 129, 25).
Die Vertreter der Literaturansicht, die der Doppelrelevanz ablehnend gegenüber stehen, setzen sich nicht erkennbar mit der oben genannten höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinander. Nur vereinzelt wird der eigene Standpunkt näher begründet (so bei Schall a.a.O.). Als Argument gegen die „Verschiebung der Tatbestandsnormen“ in die BKatV wird vorgebracht, die in § 26a StVG a.F. enthaltene Verordnungsermächtigung beziehe sich ausdrücklich (nur) auf „Regelsätze für Geldbußen“, was aus dem Wortlaut und der amtlichen Begründung der Norm folge. Ferner würden in der BKatV die einschlägigen Rechtsgrundlagen (etwa das StVG) zitiert, was ebenfalls gegen die Tatbestandsqualität der Verordnung spreche. Verkehrsordnungswidrigkeiten könnten zudem, auch nach Einführung der BKatV, weiterhin mit einem Verwarnungsgeld anstelle einer Geldbuße geahndet werden, was ebenfalls gegen die Einschätzung angeführt werden könne, dass die BKatV als eine neue Form zur Erfassung der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Sanktionen Geldbuße bzw. Fahrverbot zu verstehen sei. Vielmehr sei sie lediglich als Richtlinie für die Zumessung dieser Rechtsfolgen einzustufen (vgl. Schall a.a.O.).
ee) Der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung begründeten Annahme einer Doppelwirkung der Regelbeispiele in der BKatV sowie der daran anschließenden Unterscheidung zwischen tatbestandsbezogener Vermutungswirkung und rechtsfolgenbezogener Regelwirkung ist zu folgen. Die Auffassung überzeugt durch ihre differenzierte systematische Betrachtungsweise und entspricht dem Regelungsverständnis des Gesetzgebers. Die hiergegen von der abweichenden Ansicht geäußerten Bedenken überzeugen nicht. Denn die Gefahr einer „Verschiebung der Tatbestandsnormen“ von der eigentlichen gesetzlichen Grundlage in die BKatV, wie von den Vertretern dieser Literaturansicht (vgl. Schall a.a.O.) befürchtet, besteht bei Anwendung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze nicht, im Gegenteil. Ausdrücklich hat der Bundesgerichtshof beispielsweise ausgeführt, dass die Vorschrift des § 25 Abs. 1 StVG auch nach Inkrafttreten der BKatV im Ordnungswidrigkeitenrecht die alleinige Rechtsgrundlage für die Verhängung des Fahrverbots bleibe (vgl. BGH NZV 1992, 117). Das BVerfG entschied ergänzend, die in der BKatV enthaltenen Sanktionen sollten den im Gesetz bereits hinreichend bestimmten Rahmen nur ausfüllen, nicht überschreiten. Es sollten nur Verkehrsverstöße, die unter den heutigen Bedingungen des Straßenverkehrs als besonders gefahrenträchtig erscheinen, und verantwortungsloses Verhalten, das seinem Ausmaß nach den besonderen Pflichtenappell des Fahrverbots fordere, normativ vorbewertet werden. Die Bestimmungen hielten sich im Rahmen der Tatbestandvoraussetzungen und damit im Ermächtigungsrahmen des formellen Gesetzes (vgl. BVerfG NStZ 1996, 391).
Soweit die Vertreter der abweichenden Ansicht auf einen Vergleich mit § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB abstellen, der eine ähnlich regelbeispielsbezogene Struktur wie die Regelungen der BKatV aufweise, keine eigene tatbestandliche Qualität habe und als Strafzumessungsregel diene (vgl. Mitsch a.a.O.), so überzeugt dies nicht, um die Doppelwirkung der Regelbeispiele der BKatV in Frage zu stellen. So ist anerkannt, dass das Rechtsmittelgericht bei einer wirksamen Beschränkung des Rechtsmittels auf den Strafausspruch an die Feststellungen gebunden ist, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen eines Regelbeispiels für einen besonders schweren Fall des § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB ergibt, wenn diese Feststellungen Tatsachen betreffen, die auch dem Schuldspruch zugrunde liegen, also doppelrelevant sind. Darunter fallen nicht nur äußere Tatmodalitäten wie etwa die in § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 und 4 StGB aufgeführten Regelbeispiele (vgl. BGHSt 29, 359), sondern vielmehr alle Teile der Sachverhaltsdarstellung, die das Tatgeschehen im Sinne eines geschichtlichen Vorgangs näher beschreiben. Dementsprechend erfasst die Bindungswirkung auch die Feststellung der Ziele und Beweggründe des Täters (vgl. KG StraFo 2013, 289; Hanack in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 353 Rn. 29, vgl. auch oben).
2. Die Bemessung der Rechtsfolgen liegt grundsätzlich im Ermessen des Tatrichters, weshalb sich die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht darauf beschränkt, ob der Tatrichter von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2001, 278).
Im Rahmen dieses Prüfungsumfanges hält der Rechtsfolgenausspruch des Amtsgerichts rechtlicher Nachprüfung stand. Das Festsetzen der Geldbuße in Höhe von 225,00 Euro und die Anordnung eines einmonatigen Regelfahrverbots weisen keinen Rechtfehler zu Lasten des Betroffenen aus.
a) Das Amtsgericht hat sich bei der Bemessung der Geldbuße am Regelsatz des Bußgeldkataloges orientiert und die verkehrsrechtliche Vorahndung zu Ungunsten des Betroffenen berücksichtigt. Fehler beim Ausüben des tatrichterlichen Ermessens bei der Bußgeldbemessung sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
b) Auch die Verhängung des Fahrverbots hält der rechtlichen Überprüfung stand.„
Liegen – wie hier – die Voraussetzungen der §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV i.V.m. der Anlage (zu § 1 Abs. 1 BKatV) Abschnitt I lfd. Nr. 132.3 BKat vor, unter denen ein Fahrverbot als regelmäßige Denkzettel- und Erziehungsmaßnahme angeordnet werden soll, so ist grundsätzlich von einer groben Pflichtverletzung des betroffenen Kraftfahrers im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG auszugehen; sie ist in diesen Fällen bereits indiziert (tatbestandsbezogene Vermutungswirkung, vgl. oben).Die Gerichte haben diese Vorbewertung des Verordnungsgebers zu beachten. Diese Bindung der Sanktionspraxis dient der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen. Der Tatrichter ist in diesen Fällen gehalten, ein Fahrverbot anzuordnen. Ein Absehen von der Anordnung eines Fahrverbots wegen Wegfalls des Erfolgs- oder Handlungsunwerts (vgl. oben) kommt nur dann in Betracht, wenn entweder besondere Ausnahmeumstände in der Tat (z.B. atypischer Rotlichtverstoß wegen Ausschlusses einer Gefahrenlage) oder in der Persönlichkeit des Betroffenen (z.B. Augenblicksversagen beim Rotlichtverstoß) offensichtlich gegeben sind und deshalb erkennbar nicht der von § 4 BKatV erfasste Normalfall vorliegt. Eine Widerlegung der Regelwirkung auf der Rechtsfolgenseite (vgl. oben) ist dann in Betracht zu ziehen, wenn eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände, die in ihrer Gesamtheit eine Ausnahme zu begründen vermögen, vorliegen oder wenn die durch die Anordnung eines Fahrverbots bedingte erhebliche Härte oder gar eine Härte außergewöhnlicher Art eine solche Entscheidung als nicht gerecht erscheinen lassen (vgl. Senat, Beschluss vom 24. Februar 2016 – 3 Ws (B) 95/16 –). Dem tatrichterlichen Beurteilungsspielraum sind jedoch der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit wegen enge Grenzen gesetzt und die gerichtlichen Feststellungen müssen die Annahme eines Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. Senat VRS 108, 286; Beschlüsse vom 2. Juni 2014 – 3 Ws (B) 285/14 – und 11. Januar 2017 – 3 Ws (B) 659/16 –).
Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht.
aa) Das Amtsgericht hat die genannten Maßstäbe beachtet und ist zutreffend davon ausgegangen, dass – anders als der Verteidiger meint – keine Anhaltspunkte für die Annahme eines Augenblicksversagens und somit für einen Wegfall des Handlungsunwertes vorliegen. Unter einem Augenblicksversagen kann nur ein kurzfristiges Fehlverhalten bzw. Außerachtlassen der unter den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt verstanden werden (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 4. November 2004 – 3 Ss OWi 518/04 –, juris). Rechtsfehlerfrei ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Betroffene nach dem Erkennen der geänderten Verkehrsführung sein Fahrverhalten hätte anpassen müssen. Die von ihm wahrgenommene Veränderung der Verkehrssituation hätte für den Betroffenen Anlass zur Verringerung seiner Geschwindigkeit und zu erhöhter Aufmerksamkeit sein müssen, womit er auf die Ampelschaltung hätte reagieren können. Dennoch ist der Betroffene laut feststehender Sachverhaltsschilderung in dem Urteil des Amtsgerichts vom 11. April 2016 mit einer unangemessen hohen Geschwindigkeit weitergefahren, ohne nach dem Spurwechsel auf die Lichtzeichenanlage zu achten. Auf ein sogenanntes Augenblicksversagen kann sich jedoch derjenige nicht berufen, der – wie hier – durch sein vorheriges sorgfaltswidriges Verhalten selbst in grob nachlässiger Weise zu seiner eigenen Unaufmerksamkeit beigetragen hat (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Februar 2003 – 1 Ss 167/02 –, juris LS).
bb) Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Anordnung der Maßregel für den Betroffenen eine ganz außergewöhnliche Härte darstellt, die er nicht durch ihm zumutbare Maßnahmen abfedern kann (vgl. Senat, Beschlüsse vom 19. Juni 2013 – 3 Ws 127/13 –; 20. August 2013 – 3 Ws 422/13 –; 30. Oktober 2013 – 3 Ws (B) 524/13 –; 18. Juni 2014 – 3 Ws (B) 311/14 –; 31. Oktober 2014 – 3 Ws (B) 487/14 – und NJW 2016, 1110) und somit die rechtsfolgenbezogene Regelwirkung wegfällt. Dass der Betroffene als selbständiger Kraftfahrer und Unternehmer auf seinen Führerschein beruflich angewiesen ist, hat das Tatgericht berücksichtigt und die dafür geltenden Rechtsgrundsätze zutreffend angewandt. Dem Betroffenen war damit auch die Bedeutung des Führerscheins für seine Berufstätigkeit bekannt, dennoch hat er ihn leichtfertig infolge mangelnder Verkehrsdisziplin riskiert. In einem solchen Fall kann er sich grundsätzlich nicht darauf berufen, er sei auf die Fahrerlaubnis angewiesen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Beschlüsse vom 24. April 2014 – 3 Ws (B) 211/14 –; 22. März 2015 – 3 Ws (B) 132/15 –; 13. Mai 2015 – 3 Ws (B) 42/15 –; 14. Juli 2015 – 3 Ws (B) 307/15 – und 11. Januar 2017 – 3 Ws (B) 659/16 –). Ein Ausnahmefall liegt nur dann vor, wenn dem Betroffenen infolge des Fahrverbots der Arbeitsplatzverlust droht und diese Konsequenz nicht durch zumutbare Vorkehrungen abgewendet oder vermieden werden kann (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. VRS 117, 197; VRS 127, 74 und Beschlüsse vom 13. Mai 2015 – 3 Ws (B) 42/15 – und 11. Januar 2017 – 3 Ws (B) 659/16 –). Auch dafür gab es nach den allein maßgeblichen Urteilsgründen keine Anhaltspunkte. Soweit der Vortrag des Rechtsbeschwerdeführers urteilsfremdes Vorbringen enthält, kann er damit keine Berücksichtigung finden.
cc) Der Zeitablauf seit der Tatbegehung am 25. August 2015 steht der Verhängung eines Fahrverbots nicht entgegen.
Wann bei langer Verfahrensdauer wegen des Zeitablaufs allein oder zusammen mit anderen Umständen die Verhängung eines Fahrverbots nicht mehr in Betracht kommt, ist eine Frage des Einzelfalls, die einen gewissen Beurteilungsspielraum eröffnet. In aller Regel dürfte dieser Zeitpunkt nach etwa zwei Jahren erreicht sein; eine starre Grenze besteht jedoch nicht. Der Zeitraum von zwei Jahren ist lediglich ein Anhaltspunkt dafür, dass eine tatrichterliche Prüfung, ob das Fahrverbot seinen erzieherischen Zweck im Hinblick auf den Zeitablauf noch erfüllen kann, nahe liegt. Sie ist dann anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betroffenen liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Oktober 2011 – 3 Ws (B) 475/11 –; 25. März 2015 – 3 Ws (B) 19/15 – und 2. Oktober 2015 – 3 Ws (B) 505/15 –; OLG Bamberg, Beschluss vom 10. März 2011 – 2 Ss OWi 1889/10 –, juris).
Die Grenze von zwei Jahren war hier bei Erlass des amtsgerichtlichen Urteils bei weitem noch nicht erreicht. Nach Würdigung der Gesamtumstände war das Amtsgericht trotz der mehr als ein Jahr und drei Monate zurückliegenden Tatbegehung und des Umstandes, dass die Verfahrensverzögerung nicht im Einflussbereich des Betroffenen lag, auch nicht gehalten, den erzieherischen Zweck des Fahrverbots näher zu prüfen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.