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OLG Düsseldorf Beschluss vom 18.04.2016 - IV-3 RBs 36/16 - Keine Rückrechnungsmethode bei einer Atemalkoholmessung

OLG Düsseldorf v. 18.04.2016: BAK-Untergrenze für alkoholische Wirkung bei einer Trunkenheitsfahrt - keine Rückrechnungsmethode bei einer Atemalkoholmessung


Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 18.04.2016 - IV-3 RBs 36/16) hat entschieden:
  1. Ein Bußgeldbescheid bildet nur dann eine wirksame Verfahrensgrundlage, wenn der Betroffene anhand der Tatbeschreibung des Bußgeldbescheides, ohne Verwechslungsgefahr mit einem möglichen gleichartigen anderen Fehlverhalten, erkennen kann, wegen welches nach der Lebensauffassung einheitlichen geschichtlichen Vorgangs er zur Verantwortung gezogen werden soll. Bei dem Bußgeldvorwurf nach § 24c Abs. 1 StVG reichen Angaben zum Vorfallort und die Vorfallzeit, das Fehlen der Angaben zur Höhe der Atemalkoholkonzentration begründet kein Verfahrenshindernis.

  2. Eine Wirkung i.S.d. § 24c Abs. 1 2. Alt. StVG kann erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 0,2‰ oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,1 mg/L angenommen werden.

  3. Eine Methode zur Rückrechnung bei einer Atemalkoholmessung ist wissenschaftlich nicht gesichert. Sämtliche Erfahrungen zur Rückrechnung auf den Tatzeitpunkt beruhen auf Blutalkoholberechnungen und sind nicht auf die Atemalkoholmessung direkt übertragbar.

Siehe auch Trunkenheitsfahrt - Fahruntüchtigkeit und Bußgeldbescheid - Inhaltsangaben - Konkretisierung des Vorwurfs


Gründe:

I.

Der Betroffenen ist durch das Amtsgericht wegen fahrlässigen Fahrens unter der Wirkung eines alkoholischen Getränkes während der Probezeit in Tateinheit mit fahrlässigem Fahren ohne die vorgeschriebenen M+S Reifen bei Eis- oder Reifglätte bzw. Schneematsch zu einer Geldbuße von 275,00 € verurteilt worden.

Dem liegt folgender vom Amtsgericht festgestellter Sachverhalt zugrunde:

Der Betroffene befuhr am 27. Dezember 2014 gegen 23:00 Uhr mit einem Kraftfahrzeug die A.Str. in W.. Der Betroffene besaß zu diesem Zeitpunkt die Fahrerlaubnis auf Probe und war 19 Jahre alt. Dabei führte er das Fahrzeug, obwohl er zuvor ein alkoholisches Getränk zu sich genommen hatten und unter dessen Wirkung er noch Stand. Es herrschten niedrige winterliche Temperaturen unter dem Gefrierpunkt; zudem hat es an dem Tag zuvor geschneit und die umliegenden Felder waren schneebedeckt, so dass zumindest Reif-​, wenn nicht Schnee- oder Eisglätte vorlag. Der Betroffene fuhr sich sodann auf einer an die A.Str. angrenzenden Feldfläche ca. 25 m von der Straße entfernt mit seinem Fahrzeug fest. Er ging dann zu Fuß in die Stadt zurück, um Hilfe zu holen. Er kehrte mit einer Schaufel zurück und versuchte das Fahrzeug frei zu schaufeln. Die Zeugin PHK V., PK W. und PK K. sowie PK‘in S. wurden sondern von einem dritten Melder am 28. Dezember 2014 gegen 2:56 Uhr zur Örtlichkeit gerufen. Das Fahrzeug des Betroffenen war zu diesem Zeitpunkt mit Sommerreifen ausgerüstet. Die gemessene Atemalkoholkonzentration mittels Dräger Alcotest 7110 Evidential betrug am 28. Dezember 2014 um 3:45 Uhr und um 3:48 Uhr in Mittelwert 0,08 mg/l (Messung 1: 0,088 mg/l, Messung 2: 0,080 mg/l). Die durch den Zeugen K. durchgeführten Tests ergaben bei dem Betroffenen Gleichgewichtsunsicherheiten, falsches Zeiteinschätzen und starkes Zittern. Auch waren seine Augen gerötet und der Mund trocken. Das Ergebnis der entnommenen Blutprobe zeigte keine Einnahme von Betäubungsmitteln.

Der Einzelrichter hat die auf die Verfahrens- und Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zugelassen und gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern zur Entscheidung übertragen.


II.

1. Ein Verfahrenshindernis besteht nicht. Der Bußgeldbescheid vom 27. Januar 2015 (Bl. 1 d.A.) bildet eine wirksame Verfahrensgrundlage. Insoweit dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Entscheidend ist, dass der Betroffene anhand der Tatbeschreibung des Bußgeldbescheides erkennen kann, wegen welches nach der Lebensauffassung einheitlichen geschichtlichen Vorgangs er zur Verantwortung gezogen werden soll und dass insoweit eine Verwechslung mit einem möglichen gleichartigen anderen Fehlverhalten desselben Betroffenen ausgeschlossen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 17. September 2012, IV 3 RBs 100/12). Diesen Anforderungen genügt der hier zu beurteilende Bußgeldbescheid. Er enthält Angaben über die dem Betroffenen zu Grunde liegenden Verkehrsordnungswidrigkeiten, den Vorfallort und die Vorfallzeit. Die konkrete Angabe der Höhe der festgestellten Atemalkoholkonzentration ist nicht zwingend notwendig.

2. Nach § 24c Abs. 1 StVG handelt ordnungswidrig, wer in der Probezeit nach § 2a StVG oder vor Vollendung des 21. Lebensjahres als Führer eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr alkoholische Getränke zu sich nimmt oder die Fahrt antritt, obwohl er unter der Wirkung eines solchen Getränks steht. Nach Abs. 2 handelt ordnungswidrig auch, wer die Tat fahrlässig begeht. Diesen Tatbestand hat der Betroffene nach den Feststellungen des Amtsgerichts erfüllt. Die Angabe in den Urteilsgründen, der Betroffene habe sich noch in der Probezeit befunden, kann der Senat nicht nachprüfen, da das Urteil nicht mitteilt, wann die Fahrerlaubnis erteilt wurde. Die nach § 2a StVG zweijährige Probezeit beginnt mit der Erteilung der Fahrerlaubnis, und zwar auch dann, wenn sie mit einer Auflage gemäß § 48a Abs. 2 FeV (begleitetes Fahren mit 17 Jahren) versehen ist (vgl. Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., 2015, StVG, § 2a, Rn. 21). Sie könnte bei dem zur Tatzeit 19 Jahre und 9 Monate alten Betroffenen bereits abgelaufen gewesen sein. Das Urteil beruht hierauf jedoch nicht, da der Tatbestand auch deshalb erfüllt ist, weil der Betroffene zur Tatzeit das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte und weil das Amtsgericht für die Bemessung der Rechtsfolgen keine dem Betroffenen nachteiligen Schlüsse daraus gezogen hat, dass der Betroffene sowohl noch keine 21 Jahre alt war, als auch noch während der Probezeit gehandelt habe (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 18. März 2013 – 1 Ss 661/12 –, Rn. 14, juris).

3. Zurecht geht das Amtsgericht davon aus, dass der Betroffene zur Tatzeit unter der Wirkung von Alkohol stand.

Eine Wirkung im Sinne des § 24c Abs. 1 Alt. 2 StVG kann erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 0,2 Promille oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,1 mg/l angenommen werden. Obwohl § 24c Abs. 1 StVG keine Grenzwerte festlegt, ging der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-​Drs 16/5047, S. 9) im Anschluss an einen Vorschlag der Alkohol-​Kommission der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (BA 2007, 169, 170) davon aus, dass eine Wirkung unterhalb von 0,2 Promille bzw. 0,1 mg/l aus messtechnischen und medizinischen Gründen grundsätzlich ausscheidet. Das Schrifttum hat sich dem im Wesentlichen angeschlossen (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 24c StVG Rn. 11; Krumm NJW 2015, 1863, 1864; Janker DAR 2013, 398; ders. DAR 2007, 497, 499; Hufnagel NJW 2007, 2577, 2578). Der Senat ist in Anschluss an das Kammergericht Berlin (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 15. Februar 2016 – 3 Ws (B) 538/15, 3 Ws (B) 538/15 - 122 Ss 142/15 –, Rn. 5, juris) der Auffassung, dass die in der Gesetzesbegründung genannten Werte jedenfalls nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft die Untergrenze darstellen, ab der eine Wirkung erst angenommen werden kann.

4. Diesen Grenzwert hat der Betroffene hier überschritten.

Wie bei der Atemalkoholmessung eine Rückrechnung vorzunehmen ist, ist wissenschaftlich nicht geklärt. Wissenschaftliche vertretbare und rechtlich relevante Rückrechnungen auf den Tatzeitpunkt beruhen sämtlich auf Erfahrungen mit Blutalkoholberechnungen und sind auf Atemalkohol nicht direkt übertragbar (vgl. die gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin und der Deutschen Gesellschaft für toxikologische und forensische Chemie, BA, 2008, S. 249, 250; KG Berlin a.a.O., Rd. 28; König in: Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 316 StGB, Rd. 55). Jedoch liegen hier zwischen der Fahrt um 23:00 Uhr und der Messung der Atemalkoholkonzentration vier Stunden und 45 Minuten. Selbst unter Berücksichtigung größter Sicherheitszuschläge sowohl bei der Zeitberechnung als auch bei dem Rückrechnungswert, muss die zur Tatzeit vorhandene Atemalkoholkonzentration mindestens 0,1 mg/l betragen haben; andernfalls wäre faktisch gar kein Alkoholabbau über diese lange Zeitdifferenz eingetreten.

5. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Beschwerderechtfertigung im Übrigen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers ergeben.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 S. 1 StPO).