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Landgericht Münster Urteil vom 15.11.2016 - 15 O 152/15 - Rücktritt vom Fahrzeugkaufvertrag wegen eines Sachmangels in Form einer Geräuschentwicklung bei einem bestimmten Betriebszustand
LG Münster v. 15.11.2016: Rücktritt vom Fahrzeugkaufvertrag wegen einer Geräuschentwicklung bei einem bestimmten Betriebszustand
Das Landgericht Münster (Urteil vom 15.11.2016 - 15 O 152/15) hat entschieden:
Sofern bei dem Betrieb des erworbenen Fahrzeuges ein Geräusch auftritt, wenn das Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von 70 bis 80 km/h im siebten Gang leicht beschleunigt wird, hiermit aber nach dem Sachverständigengutachten ein korrespondierender technischer Mangel nicht vorliegt, stellt dieses auftretende Geräusch keine wesentliche Abweichung von der vertraglich geschuldeten, dem Stand der Technik entsprechenden Fehlerfreiheit des Fahrzeuges dar, so dass kein Mangel des Fahrzeuges gemäß § 434 BGB gegeben ist.
Siehe auch Autokauf - Gewährleistung und Garantie beim Neuwagenkauf und Stichwörter zum Thema Autokaufrecht
Tatbestand:
Der Kläger verlangt von der Beklagten, die in S ein Autohaus betreibt, die Rücknahme eines Fahrzeugs der Marke Audi vom Typ Q3, 2,0 TDI Quadro gegen Rückzahlung des durch ihn entrichteten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung. Die Herstellerin des Fahrzeugs ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten als Streithelferin beigetreten.
Mit Vertrag vom 26.10.2011 kaufte der Kläger bei der Beklagten das streitgegenständliche Fahrzeug mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer ... zu einem Gesamtpreis von 40.186,23 Euro. Das Auto wurde dem Kläger am gleichen Tag übergeben.
Knapp ein Jahr später, am 17.10.2012, stellte der Kläger das Fahrzeug bei der Beklagten vor. Er teilte mit, dass sich bereits nach kurzer Zeit gezeigt habe, dass bei einer Geschwindigkeit von etwa 70 bis 80 km/h und einer Fahrt im siebten Gang ungewöhnliche Geräusche aufträten. Mit anwaltlichem Schreiben vom 08.01.2013 ließ der Kläger die Beklagte zur Mangelbeseitigung auffordern. Die Beklagte wies etwaige Gewährleistungsansprüche des Klägers zurück.
Vor dem Amtsgericht S führte der Kläger daraufhin ein selbstständiges Beweisverfahren durch (Az. 0 H 0/00). Im Rahmen dieses Verfahrens erstattete der bestellte und vereidigte Sachverständige Herr Kfz-Mechanikermeister H unter dem 21.11.2013 ein Gutachten. Er stellte fest, dass am Fahrzeug des Klägers in einem Geschwindigkeitsbereich zwischen 70 und 80km/h im siebten Gang "fahrzeugspezifische Geräusche" zu hören seien. Nach durchgeführten Probefahrten beschrieb der Sachverständige das Geräusch dergestalt, dass bei einer Motordrehzahl von ca. 1.400 Umdrehungen bei geringem Beschleunigungsvorgang ein mahlendes, grollendes Geräusch hörbar gewesen sei, das bei betriebswarmem Motor fortwährend reproduziert werden könne. Die Untersuchung des Sachverständigen ergab, dass das Geräusch am deutlichsten aus dem Bereich des Verteilergetriebes zu hören war.
Nach dem Eindruck des Sachverständigen handelte es sich um ein Geräusch, das vergleichbar mit Geräuschen bei einem Getriebeschaden war. Aus diesem Grund ließ der Sachverständige bei einer Audi-Vertragswerkstatt das Getriebeöl und das Öl aus dem Verteilergetriebe ab und fing es auf, um feststellen zu können, ob sich Metall-Späne im Öl befanden. Dies war nicht der Fall. Einen technischen Mangel zu den aufgetretenen Geräuschen fand der Sachverständige nicht. Aus welchem Grund das Geräusch entstand, vermochte er nicht zu erklären. Der Sachverständige ermittelte unter Hinzuziehung eines Vergleichsfahrzeugs, dass ein Austausch des Getriebes nicht zur Beseitigung des Geräusches führte.
Auch im Rahmen eines Zusatzgutachtens vom 26.08.2014 und eines weiteren vom 28.04.2015 gelangte der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass sich die Ursache des festgestellten Geräusches nicht ohne eine Zusammenarbeit mit der Streithelferin ermitteln lasse. Von dieser seien für die Geräusche am klägerischen Fahrzeug keine Abhilfemaßnahmen vorgesehen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die drei der Klageschrift beigefügten Sachverständigengutachten verwiesen (Bl. 10-20 d. A.).
Mit Schreiben vom 24.09.2014 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Kaufvertrag. Die Beklagte lehnte eine Rückabwicklung des Vertrages ab. Am 12.10.2015 stellte der Kläger durch Nutzung des Informationssystems der Streithelferin fest, dass das streitgegenständliche Fahrzeug von dem so genannten "Abgasskandal" im Hause der Streithelferin betroffen ist.
Der Kläger ist der Ansicht, aufgrund des durch den Sachverständigen festgestellten Geräusches liege an dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein Mangel vor, der ihn zum Rücktritt von dem Kaufvertrag berechtige. Er hält die Berücksichtigung des Nutzungsersatzes für die mit dem Fahrzeug gefahrenen Kilometer - zuletzt unstreitig 90.097 - in Höhe von 10.186,23 Euro zu Gunsten der Beklagten für angemessen.
Der Kläger meint, die Mangelhaftigkeit des Fahrzeuges sei im Hinblick auf die Wertbildung und den Wiederverkaufswert des Fahrzeuges zu berücksichtigen. Außerdem stützt der Kläger den von ihm behaupteten Rückabwicklungsanspruch darauf, dass bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine ordnungsgemäße Abgassteuerung nicht gegeben sei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 30.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.10.2014 Zug um Zug gegen Rücknahme des Fahrzeuges der Marke Audi vom Typ Q3, 2,0 TDI Quadro mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer ... zu zahlen, sowie
festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte und die Streithelferin beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bestreitet das Vorliegen eines Mangels an dem Fahrzeug zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs. Sie ist der Auffassung, es handele sich bei dem vom Kläger als Mangel gerügten Geräusch um ein fahrzeugspezifisches Geräusch, das für diesen Fahrzeugtyp als Stand der Serie bezeichnet werden könne. Ein Wertverlust oder eine eingeschränkte Nutzbarkeit trete durch das Geräusch nicht ein. Die Wahrnehmung des Geräusches beruhe letztendlich auf einem subjektiven Störgefühl auf Seiten des Klägers. Dritte würden das Geräusch nicht bemerken, wenn man sie nicht explizit darauf aufmerksam mache. Selbst dann schleiche sich in der Regel ein Gewöhnungseffekt, wie bei dem Summen eines Kühlschranks, ein.
Das Gericht hat die Parteien im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 09.02.2016 persönlich angehört. Außerdem hat sich das Gericht im Rahmen eines Ortstermins vom 31.10.2016 im Beisein des Sachverständigen H, des Klägers und des Prozessbevollmächtigten der Beklagten einen persönlichen Eindruck von dem klägerseits monierten Geräusch verschafft. In diesem Rahmen ist der Sachverständige, der das Geräusch demonstriert hat, ergänzend gehört worden. Hinsichtlich des Inhalts und Umfangs der Anhörung sowie des durchgeführten Ortstermins wird auf die Protokolle vom 09.02.2016 und 31.10.2016 verwiesen (Bl. 54-58, 91-96 d. A.)
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der Kläger kann von der Beklagten nicht die Rückabwicklung des Kaufvertrages gemäß §§ 437 Nr. 2, 433, 434, 323 Abs. 1, Abs. 5 S. 2, 346 Abs. 1 BGB verlangen. Ein erheblicher Mangel des Fahrzeuges, der ihn gemäß §§ 434 Abs. 1, 437 Nr. 2, 323 Abs. 1, 323 Abs. 5 BGB zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigen würde, lässt sich nicht feststellen. Insbesondere kann in dem vom Kläger beanstandeten, beim Betrieb des Fahrzeug auftretenden Geräusch ein erheblicher Fehler, der den Wert des verkauften Kraftfahrzeugs oder seine Eignung zu der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung aufhebt, nicht gesehen werden. Auch in Anbetracht des Vorliegens des Geräusches weist das streitgegenständliche Fahrzeug eine Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache erwarten kann.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass bei dem Betrieb des verkauften Fahrzeugs ein Geräusch auftritt, wenn das Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von 70 bis 80 km/h im siebten Gang leicht beschleunigt wird (Drehzahl 1.400-1.500), und dass ein hiermit korrespondierender technischer Mangel nicht vorliegt. Dies hat der Sachverständige H im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens und auch anlässlich des Ortstermins festgestellt. Das Vorliegen eines solchen Geräusches wird durch die Beklagte nicht in Zweifel gezogen.
Das nur in einem ganz bestimmten Betriebszustand des Fahrzeugs auftretende Geräusch - nur bei leichter Beschleunigung im siebten Gang bei einer Geschwindigkeit von 70 bis 80 km/h - stellt keine wesentliche Abweichung von der vertraglich geschuldeten, dem Stand der Technik entsprechenden Fehlerfreiheit des verkauften Fahrzeuges dar. Zwar hat der Sachverständige vorliegend festgestellt, dass das vom Kläger monierte Geräusch so klinge, als habe das Fahrzeug einen angehenden Getriebeschaden. Angesichts der unstreitigen technischen Einwandfreiheit des Fahrzeugs reicht dies jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts nicht aus, um einen Mangel gemäß § 434 BGB anzunehmen, der die Erheblichkeitsgrenze des § 323 Abs. 5 BGB überschreitet.
Zwar kann ein Geräusch, das den Verdacht eines Defekts begründet, einen Sachmangel im Sinne von § 434 BGB darstellen, auch wenn kein technischer Defekt vorliegt (vgl. OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 06.11.2008, Az. 1 U 30/08, Rn. 35). Wenn das Fahrzeug so beschaffen ist, dass der Verdacht besteht, dass - möglicherweise - ein weitergehendes und bedeutsameres Problem im Motorenbereich besteht, so führt dies dazu, dass der Käufer das Fahrzeug - etwa nach einer gewissen Gebrauchszeit - schlechter hätte veräußern können, denn ein derartiger Verdacht wäre sodann auch bei Dritten entstanden (OLG Sachsen-Anhalt aaO, Rn. 33). Dies ist indes vorliegend nicht der Fall.
Nach dem persönlichen Eindruck, den das Gericht im Rahmen des Ortstermins am 31.10.2016 gewonnen hat, wirkt das auftretende Geräusch aufgrund seiner Lautstärke oder Frequenz nicht in einem nicht mehr hinzunehmenden Maße störend. Dies gilt auch in Ansehung der Tatsache, dass vorliegend die Anforderungen an ein Fahrzeug von dem Standard wie der Kläger es erworben hat höher sind als bei Fahrzeugen der Mittelklasse oder gar bei einem Kleinwagen. Vorliegend lässt sich nicht feststellen, dass das dem Kläger verkaufte Auto hinsichtlich der Geräuschentwicklung im Fahrbetrieb von dem für solche Fahrzeuge geltenden hohen Standard wesentlich abweicht.
Bei der Beurteilung fand insoweit Berücksichtigung, dass das beanstandete Geräusch zum einen nicht ständig während der Fahrt auftritt, sondern nur in einem ganz bestimmten Betriebszustand. Der Fahrer muss im Bereich von einer Geschwindigkeit zwischen 70 und 80 km/h im siebten Gang leicht beschleunigen. Außerdem ist das Geräusch so wenig auffällig, dass es von einem nicht dafür sensibilisierten Fahrzeuginsassen kaum wahrgenommen wird. Sogar das Gericht, dass angesichts des geführten Rechtsstreits für die Thematik sensibilisiert und aufgeschlossen war, hatte angesichts der übrigen normalen Fahrgeräusche Schwierigkeiten, das Geräusch beim Hören zu isolieren und wahrzunehmen. Insbesondere konnte das Geräusch von einem technischen Laien wie dem zuständigen Gericht nicht als störend empfunden werden. Aus Sicht des Gerichts konnte hier kein ungewöhnliches oder auffälliges Geräusch festgestellt werden, das sich vom sonstigen Klangbild des Fahrzeugs während der Fahrt deutlich unterschied.
In diesem Zusammenhang muss zwar Berücksichtigung finden, dass der Sachverständige H das Geräusch im Gegensatz zum Gericht identifizieren konnte. Allerdings räumte auch der Sachverständige ein, dass das Geräusch bei eingeschaltetem Radio oder der Klimaanlage nicht oder zumindest kaum hörbar sei. Eine nur gelegentlich unter ganz bestimmten Umständen kurzzeitig auftretende Veränderung des Motorgeräusches (leichte Veränderung des Klangbildes bei leichter Beschleunigung im siebten Gang und einer Geschwindigkeit zwischen 70 und 80 km/h), die zudem einem unbefangenen Fahrzeuginsassen nicht störend auffällt und von diesem allenfalls überhaupt erst bemerkt wird, wenn er durch Beschreibung und Hinweise dafür sensibilisiert worden ist, stellt auch bei einem Fahrzeug der Spitzenklasse keine nachteilige Abweichung vom vertraglich geschuldeten Stand der Technik dar und ist deshalb auch nicht als Mangel im Sinne des Gewährleistungsrechts anzusehen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.02.1996, Az. 22 U 202/95 = NJW-RR 1997,1211). Abzustellen ist insoweit nicht auf die Wahrnehmungen und Empfindungen eines fachlich geschulten Beobachters, der in bestimmten Betriebszuständen gezielt auf das Geräusch eines Motors achtet, nachdem er über dessen Eigenart und die Umstände seines Auftretens unterrichtet worden ist, sondern auf die Wahrnehmungen und Empfindungen eines durchschnittlichen, nicht besonders für das Geräusch sensibilisierten Fahrzeugführers oder -insassen (OLG Düsseldorf aaO). Daran gemessen ist ein erheblicher Mangel vorliegend abzulehnen.
Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 10.02.2016 den Rückabwicklungsanspruch auf eine nicht vorhandene ordnungsgemäße Abgassteuerung gestützt hat, liegt ersichtlich kein substantiierter Vortrag vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 101 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hat ihre Grundlage in § 709 ZPO. Der Streitwert wird auf einen Betrag in Höhe von 30.000,00 Euro festgesetzt.