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AnwGH Köln Entscheidung vom 20.03.2017 - 1 AnwG 40/16 - Zusätzliche berufsrechtliche Ahndung eines Rechtsanwalts bei Unfallflucht

AnwGH Köln v. 20.03.2017: Zusätzliche berufsrechtliche Ahndung eines Rechtsanwalts bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort


Der AnwGH Köln (Entscheidung vom 20.03.2017 - 1 AnwG 40/16) hat entschieden:
Ein außerhalb des Berufes liegendes Verhalten eines Rechtsanwaltes, das eine rechtswidrige Tat oder eine mit Geldbuße bedrohte Handlung darstellt, ist nach § 113 Abs. 2 BRAO eine anwaltsgerichtlich zu ahnende Pflichtverletzung, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls im besonderen Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen des Rechtssuchenden in einer für die Ausübung der Anwaltstätigkeit bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem äußeren Verhalten, seinen Folgen und dem Grad des Verschuldens muss die Tat aus der Sicht eines aufgeschlossenen und unvoreingenommenen Rechtssuchenden im besonderen Maße geeignet sein, gerade in Bezug auf die anwaltliche Tätigkeit des Betroffenen dessen Ansehen und Vertrauenswürdigkeit in bedeutsamer Weise zu beeinträchtigen.


Siehe auch Unfallflucht (unerlaubtes Entfernen vom Unfallort) im Strafrecht und Stichwörter zum Thema unerlaubtes Entfernen vom Unfallort


Gründe:

I.

Herr Rechtsanwalt D. ist 50 Jahre alt. Er ist seit dem pp. 1997 als Rechtsanwalt zugelassen und unterhält eine Kanzlei in K.

Zu seinen Einkommensverhältnissen verweist er auf die Angaben im strafrechtlichen Verfahren. Die Annahmen der Staatsanwaltschaft seien seinerzeit zu hoch gewesen, jetzt in Ordnung.

II.

Die Hauptverhandlung vom 20.03.2017 ergab folgenden Sachverhalt:

1. Herr Rechtsanwalt D. fuhr am 26.09.2015 gegen 19.40 Uhr mit dem von ihm geführten Fahrzeug BMW 5er-Reihe, amtliches Kennzeichen pp. von einer höher gelegenen Etage in die erste Etage des Parkhauses H. Straße pp. in 5. K.. Dort versuchte er im flachen Winkel zwischen einem rechts mit der Fahrzeugfront nach vorne eingeparkten Porsche Cayenne, amtliches Kennzeichen pp. und einer links befindlichen Betonsäule vorwärts in eine Parktasche einzuparken. Als er ungefähr zur Hälfte eingeparkt hatte, kam es zur Kollision der vorderen rechten Stoßstange des von Herrn Rechtsanwalt D. geführten BMW mit der rechten Beifahrertür des Porsche Cayenne. Durch den Zusammenstoß, der ein knirschendes Geräusch auslöste, wurde der Porsche Cayenne deutlich sichtbar bewegt und dessen Alarmanlage ausgelöst. Herr Rechtsanwalt D. legte sofort den Rückwärtsgang ein und zog in einem Zug aus der Parklücke. Er fuhr sodann in die dritte Etage des Parkhauses, parkte dort sein Fahrzeug ab und ging einkaufen. Der gesamte Vorgang wurde vom Zeugen O. aus dessen direkt gegenüber, ca. 10 m entfernt gelegenem Büro beobachtet, wobei der Zeuge O. den Vorgang schon vor der Kollision beobachtete und ein deutliches Knirschen durch die Kollision wahrnahm. Das Parkhaus war zum Unfallzeitpunkt durch Leuchtenreihen über den Parktaschen und der Fahrbahn ausreichend ausgeleuchtet. Durch die Kollision entstand ein Fremdschaden in Höhe von 7.570,21 EUR. Der Zeuge O. lief dem von Herrn Rechtsanwalt D. geführten Fahrzeug noch nach und fand dieses später auf der dritten Etage vor. Er stellte hierbei einen Schaden an der Stoßstange vorne rechts fest.

2. Nachdem Herr Rechtsanwalt D. seinen Einkauf getätigt hatte, begab er sich wieder zu seinem Fahrzeug und fuhr in Richtung Ausfahrt an der Unfallstelle vorbei. Hierbei nahm er die zwischenzeitlich zum Unfallort gekommene Unfallgeschädigte wahr, die durch Gesten und Rufe - Herr Rechtsanwalt D. verstand ungefähr „Ist das der?“ - auf sich aufmerksam machte. Herr Rechtsanwalt D. hielt jedoch nicht an, sondern fuhr mit Eile aus dem Parkhaus aus, wobei er dabei noch seinen rechten Außenspiegel an einer Betonsäule beschädigte.

3. Gegen Herrn Rechtsanwalt D. wurde durch „rechtskräftigen“ Strafbefehl des AG Köln pp. eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50,00 EUR sowie ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt.

Dieser in der Hauptverhandlung festgestellte Sachverhalt beruht auf den Einlassungen des Angeschuldigten sowie der Aussage des in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen O. und der in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen CD-ROM der Videoüberwachungsanlage des Parkhauses.

III.

Durch sein Verhalten hat sich Herr Rechtsanwalt D. Pflichtverletzungen nach §§ 43, 113 Abs. 2, 115b BRAO i. V. m. § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig gemacht.

1. Nach § 43 BRAO hat der Rechtsanwalt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und sich innerhalb und außerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen. Dabei ist es allgemeine Berufspflicht des Rechtsanwalts, nicht nur im Bereich der Kerntätigkeit des Anwalts sondern auch im außerberuflichen Bereich die allgemeinen Gesetze zu achten (Feuerich/Weyland, § 43 BRAO Rn. 16). Zu diesen vom Rechtsanwalt zu achtenden Gesetzen gehört auch § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB.

Herr Rechtsanwalt D. hat sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung am 26.09.2015 einer Verkehrsunfallflucht nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig gemacht. Aufgrund der Aussage des Zeugen O. und der Inaugenscheinnahme der CD-ROM der Videoüberwachungsanlage des Parkhauses ist erwiesen, dass es zur Kollision mit dem Porsche kam und Herr Rechtsanwalt D. sich im Anschluss vom Unfallort entfernte, ohne Feststellungen zum Unfall und seiner Unfallbeteiligung zu ermöglichen.

Den objektiven Tatbestand der Unfallflucht hat Herr Rechtsanwalt D. i

m Rahmen seiner eigenen Einlassung auch nicht in Zweifel gezogen. Herr Rechtsanwalt D. handelte insofern auch vorsätzlich, jedenfalls mit dem insofern ausreichenden Eventualvorsatz. Dieses steht zur Überzeugung der Kammer nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung fest. Die Kollision war für Herrn Rechtsanwalt D. akustisch, visuell und taktil wahrnehmbar. So nahm der Zeuge O. seinem ca. 10 m entfernten Büro ein knirschendes Geräusch durch die Kollision war. Die Kammer sieht die Aussage des Zeugen O. auch als glaubhaft und den Zeugen als glaubwürdig an. Selbst wenn seine Aussage in Bezug auf die spätere Aufnahme durch die Polizei oder das Datum des Unfallgeschehens unsicher war und der Zeuge auch keine Erinnerung an ein Auslösen der Alarmanlage des Porsche Cayenne hatte, so waren seine Angaben zum Kerngeschehen doch eindeutig und ohne Belastungstendenz. Zum selbst erlebten Kerngeschehen konnte er Detailangaben erinnern.

Die Kollision war für Herrn Rechtsanwalt D. auch visuell wahrnehmbar. So ergab die Inaugenscheinnahme der CD-ROM der Videoüberwachungsanlage eine deutliche Bewegung des Porsche Cayenne und jedenfalls ein Auslösen der Alarmanlage des Porsche Cayenne in Gestalt der Aktivierung aller Warnblinkleuchten.

Schließlich war die Kollision für Herrn Rechtsanwalt D. auch taktil wahrnehmbar. Hiervon ist die Kammer schon dadurch überzeugt, dass durch die Kollision das gerichtsbekannt schwere Fahrzeug Porsche Cayenne deutlich bewegt wurde. Zum anderen dokumentieren die Bilder des Schadens am Porsche Cayenne sowie das Einlegen des Rückwärtsgangs durch Herrn Rechtsanwalt D., dass der von ihm geführte BMW durch die Kollision und das Hindernis des Porsche Cayenne nicht weiter nach vorn bewegt werden konnte.

Soweit Herr Rechtsanwalt D. demgegenüber einen Vorsatz in Abrede gestellt hat, waren seine Einlassungen nicht geeignet, Bedenken der Kammer dazu zu begründen, dass er vorsätzlich handelte. Die Kammer ist vielmehr nach der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass Herr Rechtsanwalt D. jedenfalls mit Eventualvorsatz handelte und die Verwirklichung des objektiven Tatmerkmals einer Unfallflucht billigend in Kauf nahm. Herr Rechtsanwalt D. hat sich selbst wiederholt dahingehend eingelassen, dass da etwas war, das er allerdings nicht als Kollision gewertet habe. Es sei in der Situation natürlich eine Irritation passiert, weshalb er in den Rückwärtsgang gegangen sei. Dass er aus der Parklücke abgehauen sei. habe an dem Alarm gelegen, Er habe Zweifel energisch unterdrückt. Unabhängig davon, ob diese Einlassung eine Schutzbehauptung oder eine bewusste Fehlverarbeitung darstellt, sieht die Kammer auch aufgrund dieser Einlassungen von Herrn Rechtsanwalt D. es als bewiesen an, dass er die Kollision bemerkte und jedenfalls billigend in Kauf nahm, sich ohne Ermöglichung der gebotenen Feststellungen vom Unfallort zu entfernen.

Ein außerhalb des Berufes liegendes Verhalten eines Rechtsanwaltes, das eine rechtswidrige Tat oder eine mit Geldbuße bedrohte Handlung darstellt, ist nach § 113 Abs. 2 BRAÖ eine anwaltsgerichtlich zu ahnende Pflichtverletzung, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls im besonderen Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen des Rechtssuchenden in einer für die Ausübung der Anwaltstätigkeit bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem äußeren Verhalten, seinen Folgen und dem Grad des Verschuldens muss die Tat aus der Sicht eines aufgeschlossenen und unvoreingenommenen Rechtssuchenden im besonderen Maße geeignet sein, gerade in Bezug auf die anwaltliche Tätigkeit des Betroffenen dessen Ansehen und Vertrauenswürdigkeit in bedeutsamer Weise zu beeinträchtigen (Feuerich/Weyland, § 113 BRAO, Rn. 18).

Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung sieht die Kammer solche besonderen Umstände des Einzelfalls vorliegend gegeben. Schon das Tatgeschehen selbst weist nach Auffassung der Kammer besondere Umstände auf, wenn Herr Rechtsanwalt D. nach Verursachung eines erheblichen Schadens die Unfallflucht nicht etwa durch unmittelbares Ausfahren aus dem Parkhaus, sondern ein verstecktes Abparken des Fahrzeuges zwei Etagen höher und zeitlich verzögertes Ausfahren aus dem Parkhaus verwirklichte. Herr Rechtsanwalt D. hat darüber hinaus durch sein Verhalten bei der Ausfahrt aus dem Parkhaus das Unrecht perpetuiert. Bei der Ausfahrt aus dem Parkhaus nahm er an dem Ort, an dem er nach seiner eigenen Einlassung zuvor jedenfalls das Auslösen der Alarmanlage des Porsche Cayenne bemerkt hatte, zwei Personen, nämlich die Unfallgeschädigte und den Zeugen O. wahr. Er bemerkte auch die Gesten der Unfallgeschädigten und deren Rufe, deren Inhalt er selbst in der Hauptverhandlung mit „Ist das der?“ oder so ähnlich wiedergab. Dennoch sah Herr Rechtsanwalt D. keinen Anlass, sein Fahrzeug anzuhalten, sondern fuhr nach der Aussage des Zeugen O. eilig aus dem Parkhaus aus, wobei er bei der Ausfahrt noch seinen Außenspiegel an einer Betonsäule beschädigte. Neben dieses Tatnachverhalten tritt das Verhalten von Herrn Rechtsanwalt im Rahmen der Unfallregulierung, die hierdurch verzögert wurde. Diese Gesamtumstände des Einzelfalls führen nach Auffassung der Kammer dazu, dass das Verhallen von Herrn Rechtsanwalt D. im besonderen Maße geeignet war, Achtung und Vertrauen der Rechtssuchenden in einer für die Ausübung der Anwaltstätigkeit bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.

3. Einer Ahndung des Verhaltens von Herrn Rechtsanwalt D. steht auch § 115b S. 1 BRAO nicht entgegen. Nach § 115b S. 1 BRAO ist dann, wenn durch ein Gericht oder eine Behörde eine Strafe, eine Disziplinarmaßnahme, eine berufsgerichtliche Maßnahme oder eine Ordnungsmaßnahme verhängt worden ist, von einer anwaltsgerichtlichen Ahndung wegen desselben Verhaltens abzusehen, wenn nicht eine anwaltsgerichtliche Maßnahme zusätzlich erforderlich ist, um den Rechtsanwalt zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen der Rechtsanwaltschaft zu wahren. Eine zusätzliche anwaltsgerichtliche Ahndung kommt dabei nur in Betracht, wenn beide Voraussetzungen nebeneinander vorliegen (Feuerich/Weyland, § 115b BRAO, Rn. 30).

Das Verhalten von Herrn Rechtsanwalt D. wurde bereits durch den rechtskräftigen Strafbefehl des AG Köln in Form einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50,00 EUR sowie eines Fahrverbotes von zwei Monaten geahndet. Nach dem aus der Hauptverhandlung gewonnenen Eindruck vom Persönlichkeitsbild von Herrn Rechtsanwalt D. es die Kammer jedoch für geboten, ihn durch eine zusätzliche Ahndung für die Zukunft zu einem berufsrechtlich akzeptablen Verhalten anzuhalten. Die Kammer ist davon überzeugt, dass Herrn Rechtsanwalt D. nur durch die zusätzliche anwaltsgerichtliche Ahndung die Dimension seines Fehlverhaltens vor Augen geführt werden kann. Der zusätzlichen Ahndung bedarf es auch zur Wahrung des Ansehens der Rechtsanwaltschaft. Durch sein Tatnachverhalten bei der Ausfahrt aus dem Parkhaus und sein Verhalten im Rahmen der Unfallregulierung ist das Fehlverhalten auch jedenfalls im Verhältnis zur Unfallgeschädigten und den an der Unfallregulierung Beteiligten, darunter der Haftpflichtversicherung des von Herrn Rechtsanwalt D. geführten Fahrzeuges bekannt geworden.

IV.

Unter Gesamtwürdigung aller Umstände waren die anwaltsgerichtlichen Maßnahmen des Verweises und einer Geldbuße in Höhe von 400,00 EUR gemäß §§ 113 Abs. 2, 114 BRAO zu verhängen.

Die Verhängung der Maßnahmen des Verweises und der Geldbuße in Höhe von 400,00 EUR berücksichtigt den Umstand, dass Herrn Rechtsanwalt D. ein erhebliches Fehlverhalten zur Last fällt. Sein Verhalten bei der Unfallflucht selbst in Gestalt des versteckten Abparkens des Fahrzeuges zwei Etagen höher wie auch sein Tatnachverhalten, bei dem er die Unfallgeschädigte ignorierte und bei der eiligen Ausfahrt noch seinen rechten Außenspiegel beschädigte, und sein zu einer Verzögerung der Unfallregulierung folgendes Verhalten begründen eine besondere Schwere der Pflichtverletzung.

Zugunsten von Herrn Rechtsanwalt D. war zu berücksichtigen, dass bereits eine Ahndung durch Strafbefehl des AG Köln pp. in Gestalt der Verhängung von 30 Tagessätzen zu je 50,00 EUR sowie eines Fahrverbotes von zwei Monaten erfolgte und eine sicherlich empfindliche Ahndung darstellt.

Die Maßnahmen des Verweises und der Geldbuße in Höhe von 400,00 EUR waren dabei notwendig aber auch ausreichend, um den Pflichtverstoß zu ahnden und Herrn Rechtsanwalt D. zur Einhaltung der anwaltlichen Berufspflichten anzuhalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 Abs. 1 BRAO.