Das Verkehrslexikon

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OLG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 28.06.2017 - OVG 1 S 27.17 - Cannabiskonsum und erstmaliger Trennungsverstoß

OVG Berlin-Brandenburg v. 28.06.2017: Fahrerlaubnisentziehung bei gelegentlichem Cannabiskonsum und erstmaligem Trennungsverstoß


Das OLG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 28.06.2017 - OVG 1 S 27.17) hat entschieden:

   Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist der Inhaber einer Fahrerlaubnis ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn er gelegentlich Cannabis konsumiert und nicht in der Lage ist, zwischen dem Konsum von Cannabis und der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr zu trennen (vgl. hierzu auch Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV). Einer vorherigen Begutachtung des Fahrerlaubnisinhabers bedarf es in einem solchen Fall vor der Entziehung der Fahrerlaubnis grundsätzlich nicht.

Zwar sind an der Richtigkeit dieser Auffassung mit Blick auf die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV in jüngster Zeit Zweifel geäußert worden (vgl. VGH München, Urteil vom 25. April 2017 - 11 BV 17.33 - juris Rn. 19 ff.). Dies veranlasst den Senat jedoch - jedenfalls im vorliegenden Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - nicht, von seiner bisherigen Rechtsauffassung abzurücken (vgl. hierzu auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 7. April 2017 - 12 ME 49.17; VGH Mannheim, Beschluss vom 7. März 2017 - 10 S 328.17).


Siehe auch
Das Vorgehen der Fahrerlaubnisbehörde bei gelegentlichem Cannabiskonsum
und
Nachweis von fehlendem Trennvermögen zwischen gelegentlichem Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme - auch durch den aktiven THC-Wert


Gründe:

Der Antragsteller erstrebt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung seiner Fahrerlaubnis (Bescheid des Antragsgegners vom 23. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2017), nachdem eine bei ihm im Rahmen einer Verkehrskontrolle entnommene Blutprobe einen THC-​Gehalt von 8,8 ng/ml aufgewiesen hatte und ein daraufhin von ihm zur Frage u.a. des Konsumverhaltens angefordertes und in der Folgezeit auch eingereichtes ärztliches Gutachten vom 13. Januar 2017 unter Berücksichtigung der Angaben des Antragstellers zu dem Ergebnis gekommen war, dass der aktenkundigen Drogenauffälligkeit des Antragstellers ein mindestens gelegentlicher Cannabiskonsum zugrunde liege. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung der von ihm erhobenen Klage gegen den Entziehungsbescheid wiederherzustellen, abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg. Die allein zu prüfenden Beschwerdegründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Entziehungsbescheid (ohne oder - im Sinne seines Hilfsantrags - gegen Auflagen) wiederherzustellen bzw. anzuordnen.




1. Der Antragsteller macht zur Begründung seiner Beschwerde zunächst geltend, ein gelegentlicher Cannabiskonsum als Voraussetzung für die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV sei nicht belegt, weshalb sein Privatinteresse an der Beibehaltung der Fahrerlaubnis das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Entziehungsbescheides überwiege.

a. Hierzu führt er aus, weder sei bei ihm ein Wert von mindestens 75 ng/ml THC-​COOH nachgewiesen worden, noch könne aus anderen Gründen davon ausgegangen werden, dass er mindestens zweimal Cannabis in voneinander unabhängigen Konsumakten eingenommen habe.

Dieses Vorbringen rechtfertigt es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 23. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2017 wiederherzustellen bzw. anzuordnen. Zwar trifft es zu, dass nicht belegt ist, dass sich im Blutserum des Antragstellers ein Wert von 75 ng/ml THC-​COOH befunden hat. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller sei als gelegentlicher Konsument von Cannabis anzusehen, ist bei summarischer Prüfung gleichwohl nicht zu beanstanden. Für einen gelegentlichen Cannabiskonsum spricht vielmehr das vom Antragsteller im Verwaltungsverfahren eingereichte ärztliche Gutachten, das sich - aufforderungsgemäß - u.a. mit dessen Konsumverhalten befasst und diesbezüglich zu dem Ergebnis gekommen ist, dass ein „mindestens gelegentlicher Cannabiskonsum“ bei ihm gegeben sei. Soweit der Antragsteller die diesem Ergebnis zugrunde liegende Feststellung angreift, er habe gegenüber der Gutachterin angegeben, dass er „alle zwei Jahre mal an einem Joint ... mitgezogen habe“, und diesbezüglich auf seine eidesstattlichen Versicherungen vom 3. März und 15. Mai 2017 verweist, wonach er „lediglich von früher erzählt“ habe, „wo bei Geburtstagsfeiern mal ein Joint die Runde gemacht“ habe, woran er sich „jedoch nicht beteiligt habe“, stellt dies das Vorliegen eines gelegentlichen Cannabiskonsums nicht durchgreifend in Zweifel. Die Beschwerde legt bereits nicht plausibel dar, wie es zu einem derartigen Missverständnis der Angaben des Antragstellers durch die Gutachterin gekommen sein soll. Unabhängig davon leidet die Überzeugungskraft der Darlegungen des Antragstellers daran, dass die genannten eidesstattlichen Versicherungen einander in wesentlichen Teilen widersprechen und eine von ihnen inhaltlich unrichtig sein muss. So versichert der Antragsteller mit eidesstattlicher Versicherung vom 3. März 2017 noch, die Feier, bei der es zum Konsumakt gekommen sei, sei am „19. März 2016“ gewesen, während sie in der eidesstattlichen Versicherung vom 15. Mai 2017 - nachdem das Verwaltungsgericht die bisherigen Schilderungen des Antragstellers als unplausibel verworfen hatte - „am 20.03.2016“ stattgefunden haben soll. Dies offenbart, dass der Antragsteller für das Ziel des Erhalts seiner Fahrerlaubnis auch nicht davor zurückschreckt, inhaltlich unrichtige Angaben zu machen. Darauf, dass bei ihm zudem bei der Verkehrskontrolle ca. fünf Gramm Marihuana aufgefunden wurden, was sich nur schwer mit dem behaupteten erstmaligen Probierkonsum am 20. März 2016 in Einklang bringen lässt, kommt es danach nicht mehr an.




b. Ist danach bei summarischer Prüfung schon durch das genannte Gutachten ein gelegentlicher Cannabiskonsum des Antragstellers belegt, so gehen die weiteren Einwände des Antragstellers gegen die diesbezügliche Annahme des Verwaltungsgerichts ins Leere. Unabhängig davon überzeugen seine Erklärungen dafür, dass er sich nicht sogleich auf einen erstmaligen Probierkonsum berufen habe, aber auch inhaltlich nicht. Der Antragsteller trägt hierzu vor, bei dem Einwand eines erstmaligen Cannabiskonsums handele es sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht um eine bloße Schutzbehauptung. Er habe sich nur wegen der „Umstände…, unter denen die Verkehrskontrolle stattgefunden habe“, nicht sogleich auf einen Erstkonsum berufen. Er habe sich noch in einem Probearbeitsverhältnis befunden und Angst gehabt, wegen der von den Polizeibeamten für erforderlich gehaltenen Blutprobe nicht rechtzeitig auf Arbeit erscheinen zu können. Da sich die Polizeibeamten angeboten hätten, ihn rechtzeitig zum Bahnhof zu bringen, wenn er „den Bluttest jetzt schnell und freiwillig mache und hierfür unterschreibe“, habe er sich mit einer Blutprobe einverstanden erklärt. Insoweit sei seine Notlage ausgenutzt worden. Darüber hinaus sei er nicht darüber belehrt worden, dass grundsätzlich eine Anordnung durch den Richter erforderlich sei. Zudem sei bei ihm der Eindruck erweckt worden, dass lediglich „ein momentanes Fahrproblem“ vorliege, nicht aber der Verlust der Fahrerlaubnis drohe. Diese Darlegungen machen den Umstand, dass sich der Antragsteller im Rahmen der Verkehrskontrolle nicht sogleich auf das Vorliegen eines erstmaligen Probierkonsums berufen hat, nicht plausibel. Die Angabe eines erstmaligen Probierkonsums wäre, wenn sie der Wahrheit entsprochen hätte, vielmehr auch angesichts der geschilderten Vorgänge möglich und zu erwarten gewesen.

Auch Gründe, die einer Verwertung der dem Antragsteller entnommen Blutprobe und des auf diese Weise ermittelten THC-​Wertes im Rahmen des vorliegenden Verfahrens entgegenstünden, sind den Darlegungen des Antragstellers nicht zu entnehmen. Eine rechtlich relevante unlautere Einwirkung der Polizeibeamten auf den Antragsteller im Rahmen der Blutentnahme legt die Beschwerde nicht mit der gebotenen Substanz dar. Der Hinweis des Antragstellers darauf, dass es einer Belehrung über die Notwendigkeit der Herbeiführung einer richterlichen Anordnung bedurft hätte, verkennt insoweit bereits das Vorliegen einer entsprechenden Belehrung auf der vom Antragsteller unterzeichneten Einwilligungserklärung.

2. Auch die weitere Rüge des Antragstellers, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könne nicht davon ausgegangen werden, dass ihm das Vermögen fehle, zwischen Konsum und Fahren zu trennen, verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Der Antragsteller trägt hierzu vor, er habe sich in der fraglichen Nacht in einer Ausnahmesituation befunden, da sich seine langjährige Freundin kurz zuvor von ihm getrennt habe. Er sei während der „Party“ noch davon ausgegangen, dass er mit einem von ihm namentlich benannten Kollegen zu seiner Arbeitsstelle mitfahren könne. Da dieser jedoch kurzfristig erkrankt und er - der Antragsteller - in Sorge gewesen sei, bei Nichterscheinen am nächsten Morgen auch noch seine Arbeitsstelle zu verlieren, habe er sich ans Steuer gesetzt. Dies habe er seinem Verfahrensbevollmächtigten erst im Anschluss an den Beschluss des Verwaltungsgerichts offenbart.

Abgesehen davon, dass auch diese Schilderungen des Antragstellers im Lichte des oben genannten Erklärungsverhaltens bei der Abgabe eidesstattlicher Versicherungen zu betrachten sind, sind die fraglichen Darlegungen rechtlich unerheblich. Nach der Rechtsprechung des Senats liegt ein Trennungsverstoß vor, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber mit einer THC-​Konzentration von 1,0 ng/ml (oder mehr) im Blutserum am Straßenverkehr teilgenommen hat (vgl. Urteil vom 16. Juni 2016 - OVG 1 B 37.14 - juris Rn. 17 ff.). Dies trifft auf den Antragsteller zu. Auf die Gründe, weshalb sich der Fahrerlaubnisinhaber zur Verkehrsteilnahme entschlossen hat, kommt es insoweit nicht an.

Auch der Hinweis des Antragstellers, dass er „gar keine Abstinenz einhalten“ müsse, „sofern er … gelegentlich Cannabis konsumieren würde, sofern er Konsum und Führen eines Kraftfahrzeuges ausreichend trennen“ könne, geht vor dem Hintergrund des danach gegebenen Trennungsverstoßes ins Leere.

3. Schließlich verweist der Antragsteller auch ohne Erfolg darauf, dass er „lediglich einmal nicht zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeuges im öffentlichen Straßenverkehr getrennt“ habe. Er führt hierzu aus, es sei fraglich, ob der Fahrerlaubnisinhaber „bereits bei einer einzelnen Fahrt unter Cannabis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen“ angesehen werden könne, oder ob nicht - so wie in vergleichbaren Fällen von Alkoholmissbrauch - „zunächst ein Fahreignungsgutachten … angeordnet werden“ müsse. Für § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV bliebe nämlich „keinerlei Anwendungsbereich“, wenn bereits der erstmalige Verstoß gegen das Trennungsgebot bei gelegentlichem Cannabiskonsum zur sofortigen Entziehung der Fahrerlaubnis führe. Auch dies rechtfertigt zugunsten des Antragstellers keine andere Entscheidung.


Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. nur Urteil vom 16. Juni 2016, a.a.O.; vgl. ferner Beschluss vom 3. Februar 2010 - OVG 1 S 234.09 - juris Rn. 4) ist der Inhaber einer Fahrerlaubnis ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn er gelegentlich Cannabis konsumiert und nicht in der Lage ist, zwischen dem Konsum von Cannabis und der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr zu trennen (vgl. hierzu auch Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV). Einer vorherigen Begutachtung des Fahrerlaubnisinhabers bedarf es in einem solchen Fall vor der Entziehung der Fahrerlaubnis grundsätzlich nicht. Zwar sind an der Richtigkeit dieser Auffassung mit Blick auf die vom Antragsteller genannte Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV in jüngster Zeit Zweifel geäußert worden (vgl. VGH München, Urteil vom 25. April 2017 - 11 BV 17.33 - juris Rn. 19 ff.). Dies veranlasst den Senat jedoch - jedenfalls im vorliegenden Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - nicht, von seiner bisherigen Rechtsauffassung abzurücken (vgl. hierzu auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 7. April 2017 - 12 ME 49.17 - juris Rn. 7; VGH Mannheim, Beschluss vom 7. März 2017 - 10 S 328.17 - juris Rn. 4). Insbesondere hat die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV auch dann Anwendungsfälle, wenn bereits der erstmalige Trennungsverstoß zum Verlust der Fahrerlaubnis führt (vgl. z.B. OVG Lüneburg, a.a.O.).




Die vom Antragsteller gerügten Rechtsfehler ließen die Erfolgsaussichten eines nachfolgenden Hauptsacheverfahrens zudem allenfalls als offen erscheinen. Wollte man solche offenen Erfolgsaussichten hier zugunsten des Antragstellers annehmen, so wäre die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Entziehungsbescheid gleichwohl nicht gerechtfertigt. Denn in diesem Fall ginge die dann gebotene allgemeine Folgenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus. Es entspricht nämlich der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass dem Schutz von Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer Vorrang gegenüber den Individualinteressen eines Fahrerlaubnisinhabers einzuräumen ist, dessen Fahreignung - wie hier - zumindest erheblichen Zweifeln unterliegt (vgl. nur Senatsbeschluss vom 21. Juni 2017 - OVG 1 S 24.17 - BA S. 3).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).



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