Das Verkehrslexikon

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OLG München Beschluss vom 04.10.2016 - 4 OLG 15 Ss 456/16 - Feststellungsumfang für eine Berufungsbeschränkung

OLG München v. 04.10.2016: Erforderlicher Feststellungsumfang für eine wirksame Berufungsbeschränkung auf das Strafmaß


Das OLG München (Beschluss vom 04.10.2016 - 4 OLG 15 Ss 456/16) hat entschieden:
Beschränkt sich das Erstgericht auf die Feststellungen allein zur Schuldform und unterlässt es die weiteren Feststellungen, ist eine Beschränkung des Rechtsmittels nach § 318 StPO unwirksam und der Berufungsrichter gehalten, den Sachverhalt unter Beachtung der revisionsrechtlichen Vorgaben vollumfänglich festzustellen.


Siehe auch Beschränkung des Rechtsmittels im Strafverfahren und Stichwörter zum Thema Verkehrsstrafsachen


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Ebersberg hat den Angeklagten mit Urteil vom 1. Oktober 2015 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet.

Zum Schuldspruch hat das Gericht des ersten Rechtszugs folgenden Sachverhalt festgestellt:
"Der Angeklagte fuhr am 23.8.2014 gegen 13:05 Uhr mit dem PKW VW Passat, Kennzeichen …, auf der ST 2580, km 2250 (Flughafentangente) im Gemeindebereich von Markt Schwaben, obwohl er infolge vorangegangenen Alkoholgenusses fahruntüchtig war. Beifahrerin war die Zeugin B V. Infolge seiner Alkoholisierung fuhr der Angeklagte mit überhöhter Geschwindigkeit und verlor die Kontrolle über sein Fahrzeug. Er geriet deshalb mit dem PKW auf die Gegenfahrbahn, auf der zu dieser Zeit E K mit seinem PKW Suzuki, Kennzeichen …, fuhr. E K konnte eine Frontalkollision mit dem PKW des Angeklagten nur durch eine sofortige Vollbremsung verhindern. Der Angeklagte lenkte sein Fahrzeug sodann wieder auf seine Fahrspur, ohne die Kontrolle über sein Fahrzeug zurückzugewinnen, touchierte infolgedessen die am rechten Straßenrand vorhandene Leitplanke und geriet ins Schleudern, wodurch er erneut in die rechte Leitplanke prallte. An der Leitplanke entstand hierdurch ein Sachschaden in Höhe von 1206 €. Eine bei dem Angeklagten am 23.8.2014 um 14:45 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,39 Promille."
Der Angeklagte hat dieses Urteil mit der Berufung angefochten und das Rechtsmittel auf das Strafmaß beschränkt. Am 22. Juni 2016 hat die Strafkammer des Landgerichts München II das Urteil des Amtsgerichts dahin abgeändert, dass die angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zum Wegfall gekommen ist.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch am gleichen Tag eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers vom 22. Juni 2016 Revision eingelegt, die er nach Urteilszustellung am 18. August 2016 begründet und auf die ausgeführte Sachrüge gestützt hat, mit der er die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch gerügt hat.


II.

Die nach § 333 StPO statthafte, im Übrigen nach §§ 337, 341 Abs. 1, 344, 345 StPO zulässige Revision erweist sich aufgrund der erhobenen Sachrüge als begründet.

Auf die Sachrüge hin prüft das Revisionsgericht nicht nur, ob das materielle Recht rechtsfehlerfrei auf den Urteilssachverhalt angewendet worden ist, sondern darüber hinaus von Amts wegen auch, ob Prozessvoraussetzungen gegeben sind oder Prozesshindernisse entgegenstehen. Zu dieser Prüfung zählt auch die Frage, ob eine vor dem Berufungsgericht erklärte Rechtsmittelbeschränkung nach § 318 StPO wirksam ist (OLG München Beschluss vom 8.6.2012, 4 StRR 97/12). Denn die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung ist eine Frage der Teilrechtskraft. Gerade bei Beschränkungen der Berufungen auf das Strafmaß umfasst diese Prüfung auch, ob der vom Amtsgericht festgestellt Sachverhalt auch in Hinsicht auf die Rechtsfolgen tragfähig ist oder insoweit Lücken aufweist (OLG München aaO).

Das Landgericht ist vorliegend davon ausgegangen, dass der Angeklagte nach seiner Erklärung in der öffentlichen Sitzung vom 22.6.2016 die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und damit das erstinstanzliche Urteil wirksam nur in Hinsicht auf das Strafmaß angefochten hat. Im Übrigen sei das Urteil des ersten Rechtszugs in Rechtskraft erwachsen.

Das ist von Rechts wegen zu beanstanden.

Insbesondere zu den Verkehrsdelikten hat der Senat in ständiger Rechtsprechung, an der jedenfalls derzeit festzuhalten ist, erkannt, dass der Tatrichter sich nicht auf Feststellungen beschränken darf, die nur die reine tatbestandsmäßige Schuldform betreffen. Vielmehr ist der Tatrichter wegen der Bedeutung für die Rechtsfolgen gehalten, Feststellungen auch zur Motivation der Tat, den konkreten Verkehrsverhältnissen bei Tatbegehung, insbesondere zu möglichen Gefährdungen anderer Straßenverkehrsteilnehmer, und zum Anlass der Tat zu treffen. Beschränkt sich das Erstgericht auf die Feststellungen allein zur Schuldform und unterlässt es die weiteren Feststellungen, ist eine Beschränkung des Rechtsmittels nach § 318 StPO unwirksam und der Berufungsrichter gehalten, den Sachverhalt unter Beachtung der revisionsrechtlichen Vorgaben vollumfänglich festzustellen. (OLG München aaO).

Die vom Amtsgericht Ebersberg getroffenen und unter I. dieses Beschlusses ausgewiesenen Feststellungen betreffen weitestgehend nur die reine Schuldform. Das Urteil des ersten Rechtszugs teilt nichts zur gefahrenen Fahrstrecke, zum Anlass der Fahrt und zur tatsächlichen Geschwindigkeit des Kfz mit. Nach Ansicht des Senats wären derartige Feststellungen notwendig, um den Anforderungen an einen alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte abwägenden Rechtsfolgenausspruch gerecht zu werden. Mithin war das Urteil lückenhaft und einer Beschränkung der Berufung nach § 318 StPO nicht zugänglich. Das hat die Berufungskammer verkannt.

Der Fall, dass das Revisionsgericht ausnahmsweise von der Aufhebung des Urteils absehen kann, wenn das Landgericht trotz des Irrtums über die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung die vollständigen Feststellungen selbst nachgeholt hat (Hanack in LR-​StPO 25. Aufl. § 337 Rdn. 55), liegt nicht vor. Denn das Berufungsurteil teilt dem Revisionsgericht nichts mit, was über die Feststellungen des Amtsgerichts hinausgeht.

Auch liegt nach Auffassung des Senats kein Fall vor, bei dem feststeht, dass die genannten Angaben in der Hauptverhandlung nicht gewonnen werden konnten. Das Berufungsurteil teilt keine dahingehenden Erkenntnisse mit, hinzukommt, dass angesichts des Umstandes, dass der Angeklagte nicht alleine gefahren ist, es sehr wahrscheinlich ist, dass entsprechende Erkenntnisse z.B. bei einer Befragung der Beifahrerin hätten gewonnen werden können.

Auf diesem Rechtsfehler beruht das angegriffene Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO) und ist daher gemäß § 353 Abs. 1 StPO i. V. m. § 349 Abs. 4 StPO samt den ihm zugrunde liegenden Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) aufzuheben. Das Verfahren war gemäß § 353 Abs. 2 StPO an eine andere Strafkammer des Landgerichts München II zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zurückzuverweisen.



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