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OLG Hamm Urteil vom 06.04.2017 - 6 U 2/16 - Kollision zwischen Krad und Fußgängerin

OLG Hamm v. 06.04.2017: Haftungsverteilung bei Kollision zwischen Krad und fahrbahnüberquerender Fußgängerin


Das OLG Hamm (Urteil vom 06.04.2017 - 6 U 2/16) hat entschieden:
  1. Rechtsgrundlage für die Abwägung der Verursachungsbeiträge und die Bildung einer Quote ist vorliegend nicht § 17 StVG, der nur bei einer Schadensverursachung durch mehrere Kraftfahrzeuge, nicht aber bei einem Verkehrsunfall zwischen einem Kraftfahrzeug und einem Fußgänger anwendbar ist, sondern § 254 BGB.

  2. Kommt es zu einer Kollision zwischen einer die Fahrbahn überquerenden Fußgängerin und einem von ihr aus Unaufmerksamkeit übersehenen, für sie von rechts kommenden Krad, überwiegt der Verschuldensanteil der Fußgängerin (Haftung 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Fußgängerin).

Siehe auch Fahrbahnüberquerung durch Fußgänger und Haftungsabwägung - Bildung der Mithaftungsquoten


Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall. Die damals 47-​jährige Klägerin beabsichtigte am Morgen des 19.06.2012 gegen 7:15 Uhr, in A als Fußgängerin die Z-​Straße in Höhe der Hausnummer ### zu überqueren. Dabei führte sie ihren Hund an der Leine. Sie bemerkte nicht, dass sich von ihr aus gesehen rechts auf der Z-​Straße ein Kraftrad der Marke X in Fahrtrichtung BAB ## näherte, welches von der Beklagten 1) (zugleich Halterin) geführt wurde und bei der Beklagten 2) haftpflichtversichert war. Noch bevor die Klägerin die gegenüberliegende Straßenseite erreichte, wurde sie von dem Kraftrad erfasst, auf die Fahrbahn geschleudert und nicht unerheblich verletzt. Sie wurde in der Zeit vom 19. bis zum 25.06.2012 stationär im Krankenhaus behandelt.

Die Klägerin erlitt infolge des Unfalls folgende Körperverletzungen, welche medikamentös behandelt wurden:
- Commotio cerebri (mit Kopfschmerzen und Übelkeit)
- Kopfplatzwunde
- Lagerungsschwindel (infolge der Gehirnerschütterung, mit Druckgefühl auf beiden Ohren)
- Beckenprellung
- Handgelenksprellung links
Mit dem Zahlungsantrag zu 1) macht die Klägerin folgende Schadenspositionen geltend:

Kosten des durch den Unfall getöteten Hundes: 1.000 EUR
Haushaltsführungsschaden (ein Monat): 1.000 EUR
Eigenbeteiligung für die Zeit der stationären Krankenhausbehandlung
(7 Kalendertage zu je 10 EUR):
70 EUR


Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte 1) habe den Unfall allein verschuldet. Sie hat behauptet, sie habe vor Überqueren der Straße zunächst ca. 1 - 2 Minuten am linken Fahrbahnrand gestanden und den Verkehr beobachtet. Sie sei erst losgegangen, als sie sicher gewesen sei, die Fahrbahn gefahrlos überqueren zu können. Zu diesem Zeitpunkt sei das Kraftrad der Beklagten 1) noch nicht sichtbar gewesen. Die Beklagte 1) sei 80 km/h schnell gefahren, und habe damit die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erheblich überschritten. Außerdem habe sie ihre Geschwindigkeit nicht den Verkehrsverhältnissen angepasst. Dieser Verstoß wiege so stark, dass ein mögliches Mitverschulden der Klägerin dahinter zurücktrete.

Die Klägerin hat behauptet, durch den Unfall sei ihr Hund, ein Kurzhaar-​Collie, derart schwer verletzt worden, dass er noch am gleichen Tag seinen Verletzungen erlegen sei. Der Hund habe - insbesondere aufgrund seiner guten Erziehung - zum Zeitpunkt des Unfalls einen Wert von 1.000 EUR besessen.

Die Klägerin hat die Auffassung geäußert, es sei ein Schmerzensgeld von mindestens 3.500 EUR angemessen. In diesem Zusammenhang seien schmerzensgelderhöhend der bis August 2012 andauernde Lagerungsschwindel, mögliche Spätfolgen der Verletzungen und der unfallbedingte Verlust des geliebten Hundes zu berücksichtigen. Auch sei zu berücksichtigen, dass sie befürchtet habe, dass durch den Unfall ihre Vorerkrankung, ein Kurzdarm-​Syndrom, wieder hervorgerufen werde. Darüber hinaus sei schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen, dass zwischenzeitlich die Tochter der Klägerin, die mittlerweile 18-​jährige Y, aufgrund des Unfalls eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt habe, welche psychotherapeutischer Behandlung bedürfe. Diese posttraumatische Belastungsstörung der Tochter bedinge wiederum eine psychische Belastung der Klägerin.

Die Klägerin hat ferner behauptet, ihr sei infolge des Unfalls für die Dauer eines Monats ein Haushaltsführungsschaden entstanden, weil sie während des 7-​tägigen stationären Klinikaufenthalts gänzlich und anschließend teilweise nicht in der Lage gewesen sei, den Haushalt zu führen. Zum Haushalt zählen - unstreitig - der Ehemann der Klägerin sowie die damals 13 und 15 Jahre alten Kinder. Die Familie bewohnt - unstreitig - ein Einfamilienhaus mit Garten. Im Rahmen der Haushaltsführung führt die Klägerin - unstreitig - die von ihr auf Bl. 6 der Akten aufgeführten Haushaltstätigkeiten aus.

Hinsichtlich der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten hat die Klägerin die Auffassung vertreten, die Geltendmachung einer 1,5 fachen Geschäftsgebühr sei angemessen, weil es sich bei dem Rechtsstreit um eine Angelegenheit mit überdurchschnittlich vielen Schadenspositionen und rechtlichen Problemen handele, bei welcher der Mittelwert zugrundezulegen sei.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Feststellungsantrag sei wegen wahrscheinlicher Dauerfolgen zulässig.

Die Klägerin hat beantragt,
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 2.070 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.08.2012 zu zahlen,

  2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, 3.500 EUR aber nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.08.2012 zu zahlen,

  3. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin aus dem Unfallereignis vom 19.06.2012 gegen 7:15 Uhr auf der Z-​Straße in Höhe der Hausnummer ###, A, entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist,

  4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Klägerin von einer Vergütungsforderung der Rechtsanwälte M & Partner i.H.v. 627,13 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten haben die Auffassung geäußert, die Klägerin habe den Unfall allein verschuldet, indem sie entgegen § 25 StVO beim Überqueren der Straße nicht die ihr obliegende Sorgfalt und den Vorrang der Beklagten 1) beachtet habe. Die Beklagten haben behauptet, die Klägerin habe die Straße überquert, ohne auf den Verkehr zu achten und sei plötzlich losgelaufen. Sie sei beim Überqueren offensichtlich ganz auf den für sie von links kommenden Bürgerbus konzentriert gewesen, so dass sie - was unstreitig ist - bei Überqueren der Mitte der Fahrbahn nicht noch einmal nach rechts geschaut habe. Die Beklagte 1) hingegen treffe kein Verschulden an dem Unfall. Die Betriebsgefahr des Kraftrades trete hinter dem groben Verschulden der Klägerin zurück.

Die Beklagten haben hinsichtlich des Haushaltsführungsschadens einen wöchentlichen Zeitaufwand von 70 Stunden bestritten und eingewandt, während des stationären Krankenhausaufenthalts hätte die Klägerin ohnehin den Haushalt nicht führen müssen. Hinsichtlich der geltend gemachten Eigenbeteiligung bei der Krankenhausbehandlung haben die Beklagten eingewandt, die Klägerin müsse sich ersparte Eigenaufwendungen, wie etwa ersparte Verpflegungskosten, in Höhe von kalendertäglich 10 EUR entgegenhalten lassen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen E, B und C. Als sachverständige Zeugin ist Frau Dr. V vernommen worden. Das Landgericht hat ein verkehrsanalytisches Gutachten des Sachverständigen Prof. T und ein medizinisches Sachverständigengutachten des Dr. Y eingeholt. Der Sachverständige Prof. T hat ein schriftliches Gutachten erstattet. Der Sachverständige Dr. Y hat ein schriftliches Gutachten sowie eine schriftliche ergänzende Stellungnahme verfasst und sein Gutachten zudem mündlich erläutert.

Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die Klage sodann abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne nicht festgestellt werden, dass die Beklagte 1) den Unfall schuldhaft herbeigeführt habe. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten zur Unfallrekonstruktion des Prof. T und den Angaben der Zeugen E und B habe nicht nachgewiesen werden können, dass die Beklagte 1) sich mit erheblich überhöhter Geschwindigkeit (mindestens 80 km/h) der Unfallstelle genähert habe. Sofern nach dem Sachverständigengutachten der Beklagten 1) eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 5 km/h (55 km/h statt erlaubter 50 km/h) nachgewiesen werden könne, habe nicht festgestellt werden können, dass sich diese nur geringe Überschreitung in Bezug auf die Unfallfolgen kausal ausgewirkt habe.

Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass die Beklagte 1) den Unfall durch ein fehlerhaftes Brems- bzw. Ausweichverhalten verschuldet habe. Das bloße Betreten der Fahrbahn durch die Klägerin habe die Beklagte 1) nicht notwendigerweise zu der Annahme veranlassen müssen, die Klägerin werde unter Missachtung des Vorrechts der Beklagten 1) in einem Zug die gesamte Fahrbahn überqueren. Die Beklagte 1) habe deshalb erst durch das zügige Überqueren der Fahrbahn ab Erreichen des Bereichs der Fahrbahnmitte ein Warnsignal erhalten und dann entsprechend mit der Vollbremsung reagiert.

Gegenüber dem nicht nachweisbaren Verschulden der Beklagten 1) stehe fest, dass die Klägerin ihrerseits den Unfall durch einen zumindest fahrlässigen Verstoß gegen § 25 StVO schuldhaft herbeigeführt habe, weil sie das Vorrecht der Beklagten 1) nicht beachtet habe. Die Betriebsgefahr des Motorrads der Beklagten 1) werde durch dieses überwiegende Verschulden der Klägerin völlig verdrängt.

Mit ihrer Berufung wendet sich die Klägerin gegen das angefochtene Urteil und verfolgt ihre erstinstanzlich gestellten Anträge weiter. Sie rügt, das Landgericht habe verkannt, dass die Beklagte 1) durch Einhalten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit den Unfall hätte vermeiden können, weil sie in einem solchen Fall bereits vor dem Kollisionsort zum Stehen gelangt wäre (räumliche Vermeidbarkeit) bzw. wegen späteren Eintreffens die Klägerin sich bereits außerhalb des Kollisionsorts befunden hätte (zeitliche Vermeidbarkeit). Vor diesem Hintergrund sei auch eine nur geringe Geschwindigkeitsüberschreitung relevant. Im Übrigen wiederholt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Vortrag zur Schadenshöhe.

Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des am 12.11.2015 verkündeten Urteils des Landgerichts Essen, Az. 2 O 323/12
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 2.070 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.08.2012 zu zahlen,

  2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, 3.500 EUR aber nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.08.2012 zu zahlen,

  3. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin aus dem Unfallereignis vom 19.06.2012 gegen 7:15 Uhr auf der Z-​Straße in Höhe der Hausnummer ###, A, entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist,

  4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Klägerin von einer Vergütungsforderung der Rechtsanwälte M & Partner i.H.v. 627,13 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
und verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat die Klägerin und die Beklagte 1) persönlich angehört sowie Beweis erhoben durch Anhörung des Sachverständigen Prof. T im Senatstermin.


II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist teilweise begründet und führt insoweit zu der aus dem Tenor ersichtlichen Abänderung des landgerichtlichen Urteils. Im Übrigen ist die Berufung als nicht begründet zurückzuweisen.

1. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte 1) Schadensersatzansprüche aus § 7 StVG, § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB und aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 2 StVO zu. Gegen die Beklagte 2) ergeben sich entsprechende Ansprüche der Klägerin aus § 115 VVG.

Rechtsgrundlage für die Abwägung der Verursachungsbeiträge und die Bildung einer Quote ist vorliegend nicht § 17 StVG, der nur bei einer Schadensverursachung durch mehrere Kraftfahrzeuge, nicht aber bei einem Verkehrsunfall zwischen einem Kraftfahrzeug und einem Fußgänger anwendbar ist, sondern § 254 BGB (vgl. Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-​StrVerkR, 1. Aufl. 2016, § 17 StVG, Rn. 10; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., 2015, § 17 StVG Rn. 3).

a) Auf Seiten der Beklagten sind neben der Betriebsgefahr des Motorrads ein fahrlässiger Geschwindigkeitsverstoß sowie ein Reaktionsverschulden zu berücksichtigen. Der Senat kann offenlassen, ob die Beklagte 1) sich der Unfallstelle mit einer noch weiter überhöhten Geschwindigkeit als 55 km/h genähert hat, was aus ihren eigenen Angaben gegenüber dem Senat folgen würde, wonach sie neben der Hinterradbremse auch die Vorderradbremse betätigt haben will. Denn bereits mit der nachgewiesenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 5 km/h liegt ein schuldhafter Verstoß der Beklagten 1) gegen § 3 StVO vor. Die Anhörung des Sachverständigen im Senatstermin hat ergeben, dass die Beklagte 1) bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h den Kollisionsort erst 0,17 Sekunden später, also zu einem Zeitpunkt erreicht hätte, zu dem die Klägerin sich bereits auf dem Bürgersteig befunden hätte, denn diese hätte nur noch 0,15 Sekunden bis zum Erreichen des Bürgersteiges benötigt. Damit hat sich die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit unfallursächlich ausgewirkt.

Darüber hinaus hätte die Beklagte 1), wie der Sachverständige im Senatstermin anschaulich dargelegt hat, den Unfall vermeiden können, indem sie sofort auf das Betreten der Straße durch die Klägerin (Signalposition I) reagiert hätte. Dabei wäre es ausreichend gewesen, Gas wegzunehmen, was zu einem Geschwindigkeitsabbau von 10 km/h und zu einem um 1 Sekunde späteren Eintreffen am Kollisionsort geführt hätte. Eine Angleichs- oder Vollbremsung wäre dann noch nicht einmal notwendig gewesen. Zu einer solchen Gaswegnahme wäre die Klägerin aufgrund ihrer allgemeinen Rücksichtnahmepflicht auch verpflichtet gewesen. Bei unachtsamem Verhalten eines Fußgängers bestehen Brems- und Ausweichpflicht sowie die Notwendigkeit, die Geschwindigkeit herabsetzen, sobald der Fahrer sieht, dass ein Fußgänger die Straße betritt. Darüber hinaus darf sich ein Kraftfahrer nicht ohne weiteres darauf verlassen, dass Fußgänger in der Fahrbahnmitte oder vor seiner Fahrbahnbegrenzung noch warten werden, um ihn vorbeifahren zu lassen (OLG München, Urteil vom 16. September 2016 - 10 U 750/13 -, Rn. 7, juris). Es sind vorliegend keine Umstände gegeben, aufgrund derer die Beklagte 1) hätte darauf vertrauen dürfen, dass die Klägerin auf der Mitte der Straße anhalten und sie vorbeifahren lassen werde. Vielmehr legten die nur relativ geringe Breite der Straße, der entgegenkommende Bürgerbus, das zügige Gehen der Klägerin und der Umstand, dass die Klägerin beim Überqueren zu keinem Zeitpunkt in Richtung der Beklagten 1) blickte, eine gegenteilige Annahme nahe. Die Beklagte 2) hätte daher bereits unmittelbar nach Betreten der Straße durch die Klägerin ihre Geschwindigkeit durch Gaswegnahme reduzieren müssen und hätte dadurch den Unfall verhindern können.

b) Die Klägerin muss sich als Mitverschulden einen fahrlässigen Verstoß gegen ihre aus § 25 Abs. 3 StVO folgende Verpflichtung zur sorgfältigen Beachtung des Fahrzeugverkehrs bei Überquerung der Straße entgegenhalten lassen. Aufgrund dieses Gebotes hätte es der Klägerin oblegen, nicht nur vor dem Betreten der Straße, sondern auch während des Überquerens den Verkehr in beiden Richtungen zu überwachen und spätestens ab der Straßenmitte erneut nach rechts zu blicken, um sich zu vergewissern, ob ein gefahrloses Voranschreiten möglich ist (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 13.04.2010 - 4 U 425/09 - NJW 2010, 2525).

c) Der deutlich ins Gewicht fallende Verstoß der Klägerin gegen den Vorrang der Beklagten 1) stellt die maßgebliche Unfallursache dar und überwiegt die auf Seiten der Beklagten zu berücksichtigende Betriebsgefahr sowie den gegenüber dem klägerischen Verschulden leichter wiegenden Geschwindigkeitsverstoß und das Reaktionsverschulden der Beklagten 1). Der Senat hält unter Abwägung sämtlicher Verursachungsbeiträge die Bildung einer Quote von 1/3 (Beklagte) zu 2/3 (Klägerin) für angemessen.

2. Die Klägerin kann den ihr entstandenen Haushaltsführungsschaden gemäß § 843 Abs. 1 BGB lediglich in folgendem Umfang erstattet verlangen: Für die Zeit der siebentägigen stationären Heilbehandlung steht der Klägerin ausgehend von einer Wochenstundenzahl von 52 Stunden bei Einstufung in Anspruchstufe 2 (Mittel; 4-​Personen-​Haushalt) der Tabelle 1 von Pardey (Der Haushaltsführungsschaden, 8. Auflage) sowie unter Berücksichtigung ersparter Aufwendungen bei Eigenversorgungsanteilen von einem Viertel ein Anspruch auf Ersatz von 39 Arbeitsstunden (=52 * 3/4) zu. Dies entspricht bei dem von der Klägerin angesetzten Stundensatz von 6,50 EUR einem Betrag von 253,50 EUR, welcher um die Haftungsquote von 1/3 auf 84,50 EUR zu bereinigen ist.

Einen weiteren Haushaltsführungsschaden konnte der Senat nicht berücksichtigen. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass sie in relevanter Weise in ihrer Fähigkeit zur Haushaltsführung beeinträchtigt war, insbesondere dass die schwindelbedingte Einschränkung bei Überkopfarbeiten in dem in Rede stehenden Zeitraum überhaupt einen nennenswerten Teil der Haushaltstätigkeit betroffen hätte.

3. Die Klägerin kann Wertersatz für ihren durch den Unfall getöteten Hund verlangen, dessen Wert im Senatstermin unstreitig geworden ist, der wegen der besonderen Erziehung und Förderung des Hundes 1.000 EUR beträgt. Dieser Betrag ist um die Haftungsquote von 1/3 auf rund 335 EUR zu bereinigen.

4. Die von der Klägerin gemäß §§ 39 Abs. 4, 61 SGB V zu tragende Zuzahlung zu den Krankenhauskosten i.H.v. 70 EUR (=10 EUR je Behandlungstag) ist nicht erstattungsfähig, weil sich die Klägerin im Wege der Vorteilsausgleichung ersparte Kosten (u.a. Ernährung, Strom, Wasser) in gleicher Höhe entgegenhalten lassen muss (vgl. OLG Celle, Urteil vom 12.02.2014 - 14 U 113/13 - NZV 2014, 305).

5. Schmerzensgeld soll in seiner Doppelfunktion eine Genugtuung für die Rechtsgutverletzung durch den Schädiger und einen Ausgleich für Schäden nichtvermögensrechtlicher Art schaffen. Bei seiner Bemessung ist im Hinblick auf seine Funktion als Ausgleich des nichtvermögensrechtlichen Schadens auf das Ausmaß der konkreten Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten, d. h. auf Art und Umfang der Verletzungen und deren Folgen, insbesondere auf die Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, die in Anspruch genommenen therapeutischen Hilfen, auf den voraussichtlichen weiteren Krankheitsverlauf und zu befürchtende Dauerschäden mit ihren Auswirkungen für das berufliche und soziale Leben des Verletzten abzustellen (vgl. Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 12. Aufl., Rn. 274 ff. m. w. N.).

Nach den unbestrittenen Angaben der Klägerin hat der Unfall zu einer Kopfplatzwunde, einer Gehirnerschütterung mit Kopfschmerzen und Übelkeit, einem Lagerungsschwindel sowie einer Becken- und Handgelenkprellung links geführt. Der Lagerungsschwindel bestand für die Dauer von etwa sechs Wochen, was die Klägerin durch ihre glaubhaften Angaben sowie die vorgelegte ärztliche Bescheinigung der Frau Dr. V vom 08.08.2012 gemäß § 287 ZPO zur Überzeugung des Senats nachgewiesen hat. Die Klägerin musste sich für die Dauer einer Woche in stationäre krankenhausärztliche Behandlung begeben. Zudem ist zu berücksichtigen, dass alle Beschwerden zeitnah ausgeheilt und keine Dauerfolgen verblieben sind, wie der medizinische Sachverständige Dr. Y in seinem schriftlichen Gutachten überzeugend ausgeführt hat. Als allgemeine Unfallfolge hat der Senat die Sorge der Klägerin wegen einer von ihr als möglich angesehenen Rückkehr ihrer Vorerkrankung sowie den Tod des Hundes berücksichtigt. Die von der Klägerin behauptete posttraumatische Belastungsstörung hat der Senat mangels nachvollziehbaren Vortrags der Klägerin ebenso wenig berücksichtigt wie die behauptete Wechselwirkung auf die Klägerin selbst. Unter Berücksichtigung sämtlicher vorgenannter Umstände sowie des überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin bei der Unfallsverursachung hält der Senat ein Schmerzensgeld von 700 EUR für angemessen. Ein darüberhinausgehender Schmerzensgeldanspruch der Klägerin besteht nicht.

Es ergibt sich mithin folgender zu zahlender Betrag:

Haushaltsführungsschaden 84,50 EUR
Kosten des Hundes 335,00 EUR
Schmerzensgeld 700,00 EUR
Summe: 1.119,50 EUR


Die Klägerin kann darüber hinaus Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren lediglich i.H.v. 155,30 EUR verlangen. Die Geschäftsgebühr errechnet sich nach einem Gegenstandswert von 1.119,50 EUR, weil nur in dieser Höhe Ansprüche der Klägerin bestehen. Soweit die Klägerin vorgerichtlich über diesen Betrag hinausgehenden Schadensersatz geltend gemacht hat, ist dies bei der Bemessung der Geschäftsgebühr nicht zu berücksichtigen. Denn Kosten, die dadurch entstehen, dass der Geschädigte einen Anwalt zur Durchsetzung eines unbegründeten Anspruchs beauftragt, können dem Schädiger nicht mehr als Folgen seines Verhaltens zugerechnet werden (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2005 - VI ZR 73/04 - NJW, 2005, 1112).

Die Rechtsanwaltsgebühren sind nicht nach einem über 1,3 hinausgehenden Gebührensatz zu bemessen, weil die Klägerin nicht dargelegt hat, dass es sich vorliegend um eine umfangreiche oder schwierige Tätigkeit gehandelt hätte. Die Rechtssache betrifft einen Verkehrsunfall mit Personen- und Sachschaden, bei dem weder die Anzahl der Schadenspositionen über das übliche Maß hinausgeht noch schwierige Rechtsfragen streitentscheidend sind. Eine Erhöhung der Schwellengebühr von 1,3 - welche die Regelgebühr für durchschnittliche Fälle darstellt - auf eine 1,5-​fache Gebühr ist der gerichtlichen Überprüfung hinsichtlich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Überschreitung der Regelgebühr von 1,3 nicht entzogen. Andernfalls könnte der Rechtsanwalt für durchschnittliche Sachen, die nur die Regelgebühr von 1,3 rechtfertigen, ohne weiteres eine 1,5-​fache Gebühr verlangen. Dies verstieße gegen den Wortlaut und auch gegen den Sinn und Zweck des gesetzlichen Gebührentatbestandes in Nr. 2300 VV-​RVG, der eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr hinaus nicht in das Ermessen des Rechtsanwalts stellt, sondern bestimmt, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig und damit überdurchschnittlich war (vgl. BGH, Urteil vom 05.02.2013 - VI ZR 195/12 - NJW-​RR 2013, 1020).

7. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 280, 286 Abs. 2 Nr. 2, 288 BGB bzw. hinsichtlich des Anspruchs auf Freistellung von Rechtsanwaltsgebühren aus § 291 BGB.

8. Der Feststellungsantrag ist mangels Feststellungsinteresses im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO als unzulässig abzuweisen, weil die Klägerin die Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts nicht dargelegt hat. Ein Feststellungsinteresse ist zu verneinen, wenn aus Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund gegeben ist, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 09. Januar 2007 - VI ZR 133/06 -, NJW-​RR 2007, 601). Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. Y an, der in seinem schriftlichen Gutachten mit überzeugender Begründung zu der Feststellung gelangt, dass bei der Klägerin die Folgen des Unfalls restlos ausgeheilt und wegen des Fehlens einer substantiellen Hirnschädigung Zukunftsschäden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten sind.


III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Abs. 2 ZPO.