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OLG Jena Urteil v. 16.01.2008 - 4 U 318/06 - Zur Pflicht des Berufungsgerichts, auf der Grundlage der maßgeblichen Tatsachen ein angemessenes Schmerzensgeld festzusetzen

OLG Jena v. 16.01.2008: Zur Pflicht des Berufungsgerichts, auf der Grundlage der maßgeblichen Tatsachen ein angemessenes Schmerzensgeld festzusetzen


Das OLG Jena (Urteil vom 16.01.2008 - 4 U 318/06) hat entschieden:
Auch nach der Reform des Rechtsmittelrechts hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach §§ 513, 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt. Ist dies nicht der Fall, so darf und muss es nach eigenem Ermessen einen eigenen, dem Einzelfall angemessenen Schmerzensgeldbetrag finden.


Siehe auch Schmerzensgeld und Stichwörter zum Thema Personenschaden


Zum Sachverhalt: Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie ein angemessenes Schmerzensgeld für die Zeit bis zur letzten mündlichen Verhandlung nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt.

Das Landgericht Erfurt hat durch Urteil vom 09.03.2006 die Beklagten verurteilt, an die Klägerin weitere 40 000,00 EUR für den Zeitraum bis zum 22.12.2005 nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.04.2002 als Gesamtschuldner zu zahlen.

Die Beklagten haben gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Mit der Berufung rügen sie im Wesentlichen, die Befristung sei unzulässig und das Schmerzensgeld zu hoch.

Die Berufung hatte nur teilweisen geringen Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Berufung der Beklagten ist zulässig; sie ist statthaft (§ 511 ZPO) und auch im Übrigen in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden, insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 517, 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO).

Die Berufung ist aber - abgesehen von der Rüge, dass das Landgericht in den Tenor die Befristung „für den Zeitraum bis zum 22.12.1995“ (die letzte mündliche Verhandlung) aufgenommen hat - unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch aus § 847 BGB a.F. auf ein weiteres Schmerzensgeld im erstinstanzlich tenoriertem Umfang.

Auch nach der Reform des Rechtsmittelrechts hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt. Hält das Berufungsgericht sie für zwar vertretbar, letztlich aber bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nicht für sachlich überzeugend, so darf und muss es nach eigenem Ermessen einen eigenen, dem Einzelfall angemessenen Schmerzensgeldbetrag finden. Das Berufungsgericht darf es nicht dabei belassen zu prüfen, ob die Bemessung Rechtsfehler enthält, insbesondere ob das Gericht sich mit allen maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzungen bemüht hat (BGH, Urteil vom 28.03.2006, Az. VI ZR 46/05 = NJW 2006, 1589-1592).

Die Schmerzensgeldbemessung des Landgerichts überzeugt.

Die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Schmerzensgeldes ist aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen. Dabei steht die mit der Verletzung verbundene Lebensbeeinträchtigung im Verhältnis zu den anderen zu berücksichtigenden Umständen stets an der Spitze. Denn Heftigkeit und Dauer der Schmerzen und Leiden bilden das ausschlaggebende Moment für den angerichteten immateriellen Schaden. Im übrigen lässt sich ein Rangverhältnis der zu berücksichtigenden Umstände nicht allgemein aufstellen, weil diese Umstände ihr Maß und Gewicht für die vorzunehmende Ausmessung der billigen Entschädigung erst durch ihr Zusammenwirken im Einzelfall erhalten (BGH, Urteil vom 20.01.2004, Az. VI ZR 70/03 = NJW 2004, 1243-1245).

Die vom Landgericht für die Bemessung angeführten Gründe - auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird - sind ausführlich und zutreffend.

...

Die Beklagten rügen aber mit Erfolg, dass das Landgericht in den Tenor eine Befristung „für den Zeitraum bis zum 22.12.1995“ (die letzte mündliche Verhandlung) aufgenommen hat.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts war der Antrag der Klägerin, die Beklagte zu verurteilen, ein Schmerzensgeld „für die Zeit bis zur letzten mündlichen Verhandlung“ zu zahlen, nicht auf eine Befristung gerichtet; eine solche wäre auch nicht zulässig (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Auflage 2008, § 253 Rn. 16, 24).

Der Antrag der Klägerin, ist vielmehr als offene Teilklage aufzufassen. Die Klägerin verlangt bei der Bemessung der Anspruchshöhe nur die Berücksichtigung der Verletzungsfolgen, die bereits im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eingetreten sind(vgl. BGH, Urteil vom 20.01.2004, aaO).

Einer offenen Teilklage bedurfte es aber nicht (mehr), da der Anspruch der Klägerin hinsichtlich zukünftiger immaterieller Schäden zwar noch nicht bei Anhängigkeit der Klage (05.03.2002), aber bereits vor Klageerhebung (02.04.2002) gesichert war durch das Schreiben der Beklagten zu 1 vom 13.03.2002.

Im Übrigen werden durch die angefochtene Entscheidung bzw. die Entscheidung des Senats ohnehin solche Verletzungsfolgen nicht erfasst, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbarwar, d.h. mit denen nicht oder nicht ernstlich zu rechnen war. In einem solchen Fall kann der Geschädigte weitere Ansprüche (nur) geltend machen, wenn später Schäden auftreten, die vom Streit- und Entscheidungsgegenstand des vorausgegangenen Schmerzensgeldprozesses nicht erfasst sind (vgl. BGH, Urteil vom 20.01.2004, aaO). ..."