Das Verkehrslexikon
Landgericht Gera Beschluss vom 22.09.2005 - 1 Qs 359/05 - Zur Strafbarkeit der Unfallflucht bei Aufsuchenn eines nahe gelegenen Parkplatzes für das Fahrzeug
LG Gera v. 22.09.2005: Zur Strafbarkeit der Unfallflucht bei Aufsuchenn eines nahe gelegenen Parkplatzes für das Fahrzeug
Das Landgericht Gera (Beschluss vom 22.09.2005 - 1 Qs 359/05) hat einen amtsgerichtlichen Beschluss die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis betreffend in einem Fall aufgehoben, in dem der Beschuldigte nach dem Unfall zwar zunächst einen nahegelegenen Parkplatz aufgesucht, dort aber sofort die notwendigen Feststellungen ermöglicht hat:
Es macht sich im Sinne des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen Entfernens vom Unfallort strafbar, wer - um die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen - einen in unmittelbarer Nähe liegenden, nicht verkehrsgefährdeten Platz aufsucht.
Siehe auch Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort und Stichwörter zum Thema unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
Aus den Entscheidungsgründen:
"... es sind keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden, dass der Beschuldigten im Strafverfahren die Fahrerlaubnis endgültig entzogen werden wird.
Nach den bisher im Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnissen ist bereits zweifelhaft, ob sich die Beschuldigte im Sinne des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB „nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt" hat.
In der Rechtsprechung ist nämlich insoweit anerkannt, dass sich nicht im Sinne des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB vom Unfallort entfernt, wer - um die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen - einen in unmittelbarer Nähe liegenden, nicht verkehrsgefährdeten Platz aufsucht.
Die Zeugin G... hat ausgesagt, dass durch den regen Verkehr ein Halten an der Unfallstelle schlecht möglich gewesen sei. Die Zeugin hat weiterhin bekundet, die Beschuldigte habe ihr sinngemäß mitgeteilt, sie wolle auf den nächsten Parkplatz fahren und dann mit der Fahrerin des anderen Fahrzeuges die Sache klären. Das rote Fahrzeug sei ihnen gefolgt und habe sich unmittelbar hinter ihnen befunden.
Auch die Zeugen E... und Dr. B... gingen davon aus, die Beschuldigte suche nach einer geeigneten Stelle, um alle erforderlichen Daten auszutauschen.
Fraglich ist hier ferner, ob die Beschuldigte den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB dadurch verwirklicht hat, indem sie die erforderliche Wartefrist nach dem Unfall nicht eingehalten hat.
Nach Aussage der Zeugin G... hat die Beschuldigte den Parkplatz gegen 08.45 Uhr verlassen, nachdem sie zusammen mit der Zeugin G... den Parkplatz nach dem roten Pkw abgesucht hatte.
Der Beschuldigten wird allerdings vorzuwerfen sein, nicht gemäß §§ 142 Abs. 2, 3 StGB die erforderlichen Feststellungen nachträglich unverzüglich ermöglicht zu haben. „Unverzüglich“ im Sinne des § 142 StGB bedeutet zwar noch nicht „sofortiges Handeln“. Allerdings hat der Unfallbeteiligte alsbald nach dem Verlassen des Unfallortes seinen Mitteilungspflichten nachzukommen, wenn er dazu tatsächlich - wie hier die Beschuldigte - in der Lage war.
(folgen Ausführungen zum bedeutenden Schaden ...)
Doch selbst wenn der Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB hier erfüllt sein sollte, ist ferner zu prüfen, ob sich das zu würdigende Verhalten der Beschuldigten auch unter Gesamtwürdigung ihrer Persönlichkeit als einmaliges situationsbedingtes Fehlverhalten darstellt.
Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die Beschuldigte nicht vorbestraft ist und im Verkehrszentralregister keinerlei Eintragung vorhanden ist.
Hinzu kommt der Umstand, dass die Beschuldigte nach der Aussage der Zeugin G... von vornherein vorhatte, sich unmittelbar nach Abschluss der Tagung gegen ca. 14.00 Uhr bei der nächstgelegenen Polizeidienststelle zu melden, in der Zwischenzeit keinerlei Kenntnis von den Ermittlungen der Polizei hatte und die Beschuldigte unmittelbar nach Abschluss der Tagung, d. h. ca. 5 Stunden nach dem Unfall, zusammen mit der Zeugin G... die PI Weimar aufgesucht hat und dort nach einer entsprechenden Beschuldigtenbelehrung um 14.08 Uhr den Sachverhalt freiwillig, offen und freimütig zur Anzeige gebracht und der Polizei die erforderlichen Feststellungen an ihrem Fahrzeug ermöglicht hat.
Diese Tatsache vermag nach Auffassung der Kammer in analoger Wertung des § 142 Abs. 4 StGB eine Ausnahme vom Regelfall der Entziehung der Fahrerlaubnis zu begründen. Denn die Beschuldigte hat damit letztlich den Normappell des § 142 StGB, wenn auch verspätet, freiwillig befolgt.
Angesichts der oben aufgezeigten fraglichen Aspekte bezüglich der Erfüllung des Tatbestandes des § 142 Abs. 1 StGB sowie der Voraussetzungen des Regelfalles gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB sowie der Tatsache, dass die Beschuldigte freiwillig, wenn auch verspätet, die erforderlichen Feststellungen nachträglich ermöglicht hat, steht nicht sicher fest, dass der Beschuldigten im Strafverfahren die Fahrerlaubnis endgültig entzogen werden wird.
Die Verhängung eines Fahrverbotes gemäß § 44 StGB erscheint angesichts der bisherigen Sachlage ausreichend und angemessen. ..."