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OLG Köln Urteil vom 20.10.1993 - 2 U 48/93 - Zum Inhalt des Begriffs "unabwendbares Ereignis" und zur Parteivernehmung
OLG Köln v. 20.10.1993: Zum Inhalt des Begriffs "unabwendbares Ereignis" und zur Parteivernehmung
Das OLG Köln (Urteil vom 20.10.1993 - 2 U 48/93) hat entschieden:
- Gerät ein Kraftfahrzeug aufgrund einer auf seiner Fahrspur befindlichen Ölspur in den Gegenverkehr und verursacht dort einen Unfall, so ist die Annahme eines unabwendbaren Ereignisses im Sinne des StVG § 7 Abs 2 zugunsten des Fahrzeughalters nur dann gerechtfertigt, wenn jedes ernsthaft in Betracht kommende Verhalten des Fahrzeugführers, das nicht dem eines Idealfahrers entspricht, als Ursache des Unfalls auszuschließen ist.
- Die Parteivernehmung des (mitverklagten) Fahrzeugführers gemäß ZPO § 448 kommt zur Feststellung der Unabwendbarkeit des Unfalls gemäß StVG § 7 Abs 2 nur ganz ausnahmsweise in Betracht. Allein die Tatsache, dass das Unfallereignis seiner Natur nach möglicherweise auf einem unabwendbaren Ereignis beruht (hier: Ölspurunfall), rechtfertigt die Parteivernehmung nicht.
Siehe auch Unabwendbares Ereignis und Betriebsgefahr - verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Der Begriff "unabwendbares Ereignis" i.S.v. § 7 II StVG meint ein schadenstiftendes Ereignis, das auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Dazu gehört erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.d. § 276 BGB hinaus Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit und Umsicht sowie ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln im Augenblick der Gefahr im Rahmen des Menschenmöglichen (vgl. etwa BGHZ 113, 164, 165; 117, 337, 340; BGH DAR 1987, 19 = NJW-RR 1987, 150; Senat NZV 1992, 233; Jagusch/Hentschel, 32. Aufl., § 7 StVG Rn. 30 jew. m.w.N.). Da die Haftung des § 7 StVG keine Haftung für Verhaltensunrecht ist, sondern auch dem Ausgleich von Schäden aus erlaubtem Kraftfahrzeugbetrieb dient, verlangt die Rspr. zu Recht, dass, wer sich nach § 7 II StVG entlasten will, sich wie ein "Idealfahrer" verhalten haben muss (BGHZ 113, 164, 166; 117, 337, 340 f; Jagusch/ Hentschel a.a.O., jeweils m.w.N.). Die Prüfung hat sich darauf zu erstrecken, ob ein Idealfahrer überhaupt in die Gefahrensituation geraten wäre und ob der Schädiger in der konkreten Gefahrensituation wie ein Idealfahrer reagiert hat (BGHZ 117, 337, 341). Die Beweislast dafür trifft denjenigen, der sich entlasten will (vgl. z.B. BGH DAR 1987, 19; Senat a.a.O.; Jagusch/Hentschel a.a.O., Rn. 31 m.w.N.), hier also die Beklagten.
Diesen Beweis können die Beklagten nicht führen.
Zutreffend geht das LG aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen (SV) davon aus, dass die Ölspur bei verzögerungsfreier Fahrt ohne Abkommen von der Fahrbahn befahren werden konnte, dass die Beklagte zu 2) indes im Bereich der Ölspur gebremst haben muss und aufgrund dessen in die Gegenfahrbahn gerutscht ist. Das LG verkennt aber die Beweislast, wenn es seine Ausführungen zur "Unvermeidbarkeit" des Unfalls offenbar (auch) mit dem Argument rechtfertigen will, der Beklagten zu 2) könne nicht widerlegt werden, sie habe aufgrund der Verkehrssituation gebremst. Tatsächlich können die Beklagten, da keine Beweismittel zur Verfügung stehen, nicht beweisen, dass die Beklagte zu 2) mit Grund gebremst hat. Sie können auch nicht beweisen, dass sie nicht mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist. Der SV hat es aufgrund der Unfallspuren für möglich gehalten, dass die Geschwindigkeit des von der Beklagten zu 2) gesteuerten Fahrzeugs im Zeitpunkt der Einleitung des Bremsvorgangs bei 58 km/h gelegen hat. Schließlich können die Beklagten auch nicht beweisen, dass die Ölspur für einen Idealfahrer nicht sichtbar war. Der SV hat zwar ausgeführt, auf einer nassen Straße könne man eine Ölspur kaum erkennen, so dass man der Beklagten zu 2) seines Erachtens keinen Vorwurf machen könne. Für einen positiven Beweis, dass auch ein Idealfahrer die Spur nicht bemerkt hätte, reichen diese Ausführungen indes nicht aus; es geht - wie gesagt - nicht darum, ob der Beklagten zu 2) positiv ein Vorwurf gemacht werden kann, sondern darum, dass sie alle ernsthaft in Betracht kommenden möglichen Unfallursachen ausräumen muss, die der Beurteilung ihres Verhaltens als das eines Idealfahrers entgegenstehen. Dass sämtliche in Betracht kommenden Umstände (Übersehen der Ölspur, überhöhte Geschwindigkeit, grundloses Bremsen), einzeln und zusammengenommen, unfallursächlich gewesen sein können, kann nicht zweifelhaft sein. Jedenfalls erforderte der Unabwendbarkeitsnachweis die Feststellung, dass das Fahrzeug auch ohne die genannten Umstände ins Rutschen geraten und dass es dadurch zu dem Unfall mit den eingetretenen Verletzungsfolgen für den Kläger gekommen wäre. Das lässt sich den Ausführungen des SV nicht entnehmen und kann auch offensichtlich nicht bewiesen werden.
Allerdings haben die Beklagten sich für das von ihnen behauptete ideale Verhalten der Beklagten zu 2) auf deren Parteivernehmung berufen und angeregt, nach § 448 ZPO zu verfahren. Dem geht der Senat nicht nach.
Die Parteivernehmung gem. § 448 ZPO setzt voraus, dass nach den bereits getroffenen Feststellungen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der zu beweisenden Behauptungen spricht (vgl. etwa MünchKomm./Schreiber, § 448 Rn. 3; Zöller/Greger, 18. Aufl., § 448 Rn. 4, jeweils m.w.N.). Objektive Unfallspuren oder sonstige Erkenntnisse, die eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Sachdarstellung der Beklagten begründen, sind aber nicht vorhanden. Die gewisse Wahrscheinlichkeit kann sich allerdings auch alleine aufgrund der Lebenserfahrung ergeben (BGH VersR 1991, 917, 918). Nun kann nicht zweifelhaft sein, dass Unfälle, zu denen es aufgrund einer Ölspur kommt, vielfach für die beteiligten Fahrer unabwendbar sein werden (vgl. aus der Rspr. OLG Hamm VersR 1985, 1095; LG Köln DAR 1965, 328 f; LG Lübeck r+s 1980, 35; vgl. auch OLG Bamberg VRS Bd. 72, 1987, 88 ff). Daraus lässt sich aber nach Ansicht des Senats kein Erfahrungssatz für das Verhalten des einzelnen Kraftfahrers im Einzelfall herleiten. Insbesondere lässt sich nicht sagen, dass nach der Lebenserfahrung ein einzelnes, in der gegebenen Unfallsituation ernsthaft in Betracht kommendes Fahrverhalten (hier etwa die Geschwindigkeitsüberschreitung) oder seine Ursächlichkeit für den Unfall mit einiger Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist.
Ob das Gericht die nach der genannten Vorschrift mögliche Vernehmung der beweispflichtigen Partei durchführt, steht zudem, selbst wenn man das Vorliegen einer gewissen Wahrscheinlichkeit bejaht, in dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (vgl. etwa BGH VersR 1991, 547, 548; zahlreiche weitere Nachweise bei Schmidt, MDR 1992, 637 Fn. 1). Nach Ansicht des Senats muss die Ermessensentscheidung im vorliegenden Fall - wie überhaupt in Fällen der vorliegenden Art - negativ ausfallen. Das Gericht darf im Rahmen der Ermessensausübung prüfen, ob es sich von der Parteivernehmung einen Überzeugungswert verspricht, darf also eine Prognose über den mutmaßlichen Erkenntniswert der Parteivernehmung anstellen (vgl. BGH WM 1968, 406, 407; OLG Hamm VersR 1991, 330 f; MünchKomm./Schreiber a.a.O., Rn. 4; Zöller/Greger a.a.O., Rn. 4 a; Schmidt a.a.O., S. 638). Nach der Erfahrung des Senats ist die Feststellung des Hergangs von Verkehrsunfällen aufgrund der Aussagen der Unfallbeteiligten als äußerst problematisch anzusehen. Zwar verbietet sich eine schematische Behandlung solcher Aussagen als zur Tatsachenfeststellung ungeeignet (etwa in Form der "Beifahrerrechtsprechung", vgl. BGH NJW 1988, 566 f mit Anm. Walter). Nach Ansicht des Senats lässt aber die Parteivernehmung der Fahrerin bei den hier zu klärenden Verkehrsabläufen keinen über den Sachvortrag hinausgehenden Erkenntniswert erwarten. Verlässliche Aussagen zur Erkennbarkeit einer - nicht erkannten - Ölspur, zur Frage, ob in einem bestimmten Moment die zulässige Höchstgeschwindigkeit geringfügig überschritten war, und zu Anlass und Umständen eines zunächst durch nichts in seinem Aufmerksamkeitswert herausgehobenen Bremsvorgangs lassen sich in Anbetracht der weitgehenden Automatisierung des Fahrverhaltens vor Beginn der Aufmerksamkeitsphase, hier also vor Beginn des Rutschvorgangs, auch von einem gutwilligen um Wahrheit bemühten Kraftfahrer nicht erwarten. ..."